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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 8. Der Vereinigte Landtag.
haben sie nachgegeben von ihrem guten Rechte; sie haben stets unabänder-
lich beharrt bei dem alten deutschen Grundsatze unserer Väter: Recht muß
doch Recht bleiben!" Stürmischer Beifall folgte seinen Worten, aber die
Gegner gewann er nicht.

Es war ein trostloses Silbenstechen, treue Patrioten standen hüben
und drüben; und dies ganze erbitterte und erbitternde Gezänk hätte der
König durch eine klare, rechtlich unangreifbare Fassung seines Patents so
leicht verhindern können. Die Nothwendigkeit der periodischen Einberufung
des Landtags stellte auch Bismarck nicht in Abrede. Ohne sie fehlte dem
Landtage das gesicherte Dasein, und den böswilligen Gerüchten, die überall
umliefen, blieb Thür und Thor geöffnet: die allwissenden Berliner be-
haupteten ja schon längst, der Landtag sei nur eine "Pump-Anstalt" für
die geldbedürftige Krone und würde erst wiederkehren wenn die Finanzen
wieder Noth litten. Aber der König hatte schon versprochen, die Ver-
einigten Landstände in spätestens vier Jahren wieder zu berufen; Jeder-
mann sah voraus, daß diese Frist sich thatsächlich stark verkürzen würde,
und unterdessen sollten ja auch noch die periodischen Vereinigten Aus-
schüsse zusammentreten. War es klug, in solcher Lage den König zu drängen,
ihn jetzt schon zur förmlichen Aenderung seiner soeben verkündigten Ge-
setze zu nöthigen? Darüber durften einsichtige Männer wohl verschiedene
Meinungen hegen. Bismarck erklärte den Liberalen zu ihrem heftigen
Unwillen, er könne die Meinung des preußischen Volks nicht in den Ver-
sammlungen des Königsberger Böttchershöfchens vertreten finden; er rieth,
man möge mindestens das Gras dieses Sommers über den Streit wachsen
lassen ehe man neue Forderungen stelle. Auch die Herrencurie wollte sich,
da die Rechtsfrage so dunkel war, nicht zu einer Rechtsverwahrung ver-
stehen, sondern nur zu Bitten an den König. Sie zeigte sich keineswegs
engherzig; die Fürsten Wied, Lichnowsky, Lynar, die Grafen Dyhrn, York,
Zieten sprachen entschieden aus, Preußens Herrenstand dürfe nimmermehr
dem Beispiel des verblendeten bourbonischen Adels folgen. Bei der Mehr-
heit aber gab den Ausschlag das Ansehen des Prinzen von Preußen, der
nochmals, unbekümmert um die Verleumdungen draußen, für seinen könig-
lichen Bruder eintrat. Immer wieder mahnte er zum Vertrauen: wenn
es je einen König von Preußen geben könnte, der die ständischen Rechte
willkürlich ändern wollte, "so glaube ich mit Stolz sagen zu können, daß
ein solcher König nicht seiner Ahnen würdig dastehen würde. Daß ich
diese Gesinnungen meinem Sohne einprägen und sie auf ihn vererben
werde, diese Versicherung glaube ich geben zu können, und so Gott will
wird es so weiter gehen." So dachte er stets nur an seinen Sohn; seine
eigene Zukunft ahnte er nicht.

Nach langwierigen Verhandlungen kamen alle schärferen Anträge zu
Falle, und die vier Curien einigten sich über eine sehr bescheidene Petition:
sie baten den König um periodische Einberufung des Landtags und dem-

V. 8. Der Vereinigte Landtag.
haben ſie nachgegeben von ihrem guten Rechte; ſie haben ſtets unabänder-
lich beharrt bei dem alten deutſchen Grundſatze unſerer Väter: Recht muß
doch Recht bleiben!“ Stürmiſcher Beifall folgte ſeinen Worten, aber die
Gegner gewann er nicht.

Es war ein troſtloſes Silbenſtechen, treue Patrioten ſtanden hüben
und drüben; und dies ganze erbitterte und erbitternde Gezänk hätte der
König durch eine klare, rechtlich unangreifbare Faſſung ſeines Patents ſo
leicht verhindern können. Die Nothwendigkeit der periodiſchen Einberufung
des Landtags ſtellte auch Bismarck nicht in Abrede. Ohne ſie fehlte dem
Landtage das geſicherte Daſein, und den böswilligen Gerüchten, die überall
umliefen, blieb Thür und Thor geöffnet: die allwiſſenden Berliner be-
haupteten ja ſchon längſt, der Landtag ſei nur eine „Pump-Anſtalt“ für
die geldbedürftige Krone und würde erſt wiederkehren wenn die Finanzen
wieder Noth litten. Aber der König hatte ſchon verſprochen, die Ver-
einigten Landſtände in ſpäteſtens vier Jahren wieder zu berufen; Jeder-
mann ſah voraus, daß dieſe Friſt ſich thatſächlich ſtark verkürzen würde,
und unterdeſſen ſollten ja auch noch die periodiſchen Vereinigten Aus-
ſchüſſe zuſammentreten. War es klug, in ſolcher Lage den König zu drängen,
ihn jetzt ſchon zur förmlichen Aenderung ſeiner ſoeben verkündigten Ge-
ſetze zu nöthigen? Darüber durften einſichtige Männer wohl verſchiedene
Meinungen hegen. Bismarck erklärte den Liberalen zu ihrem heftigen
Unwillen, er könne die Meinung des preußiſchen Volks nicht in den Ver-
ſammlungen des Königsberger Böttchershöfchens vertreten finden; er rieth,
man möge mindeſtens das Gras dieſes Sommers über den Streit wachſen
laſſen ehe man neue Forderungen ſtelle. Auch die Herrencurie wollte ſich,
da die Rechtsfrage ſo dunkel war, nicht zu einer Rechtsverwahrung ver-
ſtehen, ſondern nur zu Bitten an den König. Sie zeigte ſich keineswegs
engherzig; die Fürſten Wied, Lichnowsky, Lynar, die Grafen Dyhrn, York,
Zieten ſprachen entſchieden aus, Preußens Herrenſtand dürfe nimmermehr
dem Beiſpiel des verblendeten bourboniſchen Adels folgen. Bei der Mehr-
heit aber gab den Ausſchlag das Anſehen des Prinzen von Preußen, der
nochmals, unbekümmert um die Verleumdungen draußen, für ſeinen könig-
lichen Bruder eintrat. Immer wieder mahnte er zum Vertrauen: wenn
es je einen König von Preußen geben könnte, der die ſtändiſchen Rechte
willkürlich ändern wollte, „ſo glaube ich mit Stolz ſagen zu können, daß
ein ſolcher König nicht ſeiner Ahnen würdig daſtehen würde. Daß ich
dieſe Geſinnungen meinem Sohne einprägen und ſie auf ihn vererben
werde, dieſe Verſicherung glaube ich geben zu können, und ſo Gott will
wird es ſo weiter gehen.“ So dachte er ſtets nur an ſeinen Sohn; ſeine
eigene Zukunft ahnte er nicht.

Nach langwierigen Verhandlungen kamen alle ſchärferen Anträge zu
Falle, und die vier Curien einigten ſich über eine ſehr beſcheidene Petition:
ſie baten den König um periodiſche Einberufung des Landtags und dem-

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[640/0654] V. 8. Der Vereinigte Landtag. haben ſie nachgegeben von ihrem guten Rechte; ſie haben ſtets unabänder- lich beharrt bei dem alten deutſchen Grundſatze unſerer Väter: Recht muß doch Recht bleiben!“ Stürmiſcher Beifall folgte ſeinen Worten, aber die Gegner gewann er nicht. Es war ein troſtloſes Silbenſtechen, treue Patrioten ſtanden hüben und drüben; und dies ganze erbitterte und erbitternde Gezänk hätte der König durch eine klare, rechtlich unangreifbare Faſſung ſeines Patents ſo leicht verhindern können. Die Nothwendigkeit der periodiſchen Einberufung des Landtags ſtellte auch Bismarck nicht in Abrede. Ohne ſie fehlte dem Landtage das geſicherte Daſein, und den böswilligen Gerüchten, die überall umliefen, blieb Thür und Thor geöffnet: die allwiſſenden Berliner be- haupteten ja ſchon längſt, der Landtag ſei nur eine „Pump-Anſtalt“ für die geldbedürftige Krone und würde erſt wiederkehren wenn die Finanzen wieder Noth litten. Aber der König hatte ſchon verſprochen, die Ver- einigten Landſtände in ſpäteſtens vier Jahren wieder zu berufen; Jeder- mann ſah voraus, daß dieſe Friſt ſich thatſächlich ſtark verkürzen würde, und unterdeſſen ſollten ja auch noch die periodiſchen Vereinigten Aus- ſchüſſe zuſammentreten. War es klug, in ſolcher Lage den König zu drängen, ihn jetzt ſchon zur förmlichen Aenderung ſeiner ſoeben verkündigten Ge- ſetze zu nöthigen? Darüber durften einſichtige Männer wohl verſchiedene Meinungen hegen. Bismarck erklärte den Liberalen zu ihrem heftigen Unwillen, er könne die Meinung des preußiſchen Volks nicht in den Ver- ſammlungen des Königsberger Böttchershöfchens vertreten finden; er rieth, man möge mindeſtens das Gras dieſes Sommers über den Streit wachſen laſſen ehe man neue Forderungen ſtelle. Auch die Herrencurie wollte ſich, da die Rechtsfrage ſo dunkel war, nicht zu einer Rechtsverwahrung ver- ſtehen, ſondern nur zu Bitten an den König. Sie zeigte ſich keineswegs engherzig; die Fürſten Wied, Lichnowsky, Lynar, die Grafen Dyhrn, York, Zieten ſprachen entſchieden aus, Preußens Herrenſtand dürfe nimmermehr dem Beiſpiel des verblendeten bourboniſchen Adels folgen. Bei der Mehr- heit aber gab den Ausſchlag das Anſehen des Prinzen von Preußen, der nochmals, unbekümmert um die Verleumdungen draußen, für ſeinen könig- lichen Bruder eintrat. Immer wieder mahnte er zum Vertrauen: wenn es je einen König von Preußen geben könnte, der die ſtändiſchen Rechte willkürlich ändern wollte, „ſo glaube ich mit Stolz ſagen zu können, daß ein ſolcher König nicht ſeiner Ahnen würdig daſtehen würde. Daß ich dieſe Geſinnungen meinem Sohne einprägen und ſie auf ihn vererben werde, dieſe Verſicherung glaube ich geben zu können, und ſo Gott will wird es ſo weiter gehen.“ So dachte er ſtets nur an ſeinen Sohn; ſeine eigene Zukunft ahnte er nicht. Nach langwierigen Verhandlungen kamen alle ſchärferen Anträge zu Falle, und die vier Curien einigten ſich über eine ſehr beſcheidene Petition: ſie baten den König um periodiſche Einberufung des Landtags und dem-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 640. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/654>, abgerufen am 22.11.2024.