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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Berathung über das Judengesetz.
trauens, an die Gerechtigkeit eines jüdischen Richters aber wollten die
Bauern schlechterdings nicht glauben.

In den höheren Ständen dagegen war die Meinung neuerdings stark
umgeschlagen. Vor zwanzig Jahren noch hatten nicht blos die christlich-
germanischen Burschenschafter und die conservativen preußischen Provinzial-
stände sondern auch die süddeutschen Liberalen die Gleichberechtigung der
Juden entschieden bekämpft. Noch nach der Juli-Rvolution (1831) ver-
öffentlichte Paulus, das Haupt der liberalen Rationalisten, eine sehr scharfe
Schrift gegen "die jüdische National-Absonderung". Auch Rotteck, Welcker
und ihre Freunde in der badischen Kammer verwarfen damals noch die
völlige Gleichstellung -- manche wohl nur weil sie sich vor der entschie-
denen Abneigung ihrer Wähler fürchteten. Aber nach und nach drang
die abstrakte französische Lehre von dem gleichen Staatsbürgerthum aller
Einwohner auch in Deutschland vor; die jüdischen Zeitungsschreiber ver-
breiteten sie geschäftig und wußten das klug ersonnene neue Schlag-
wort "Juden-Emancipation" geschickt zu verwerthen, obgleich mindestens
in den alten preußischen Provinzen eine Sklaverei der Israeliten nicht
bestand. Kurhessen war das erste deutsche Land, das den Juden (1833)
die unbedingte Gleichberechtigung gewährte; der mit Amschel Rothschild
so nahe befreundete Prinzregent wagte den Anträgen des liberalen Land-
tags nicht zu widersprechen. Dieser erste Versuch bewährte sich sehr schlecht.
Grade hier kam an den Tag, daß die Sünden des Wuchers und des
Truges durchaus nicht blos Folgen der Unfreiheit, sondern tief eingewur-
zelte, so leicht nicht zu überwindende jüdische Nationallaster waren; grade
hier, wo die Juden nach Belieben jeden Beruf ergreifen konnten, zeigten
sie sich als grausame Blutsauger des armen Landvolks, und so wurde
diese Wiege der deutschen Judenbefreiung sehr bald zur Heimstätte eines
ganz fanatischen Judenhasses. Trotzdem hielt der Luftzug aus dem Westen
an, das französische Recht wurde in weiten Kreisen als die geschriebene
Vernunft angesehen; der reiche Breslauer Fabrikherr Milde, ein in Frank-
reich und England gebildeter ehrlicher Vorkämpfer des neuen liberalen
Bürgerthums, verlangte im Vereinigten Landtage schon kurzweg, man solle
nur einfach die napoleonischen Gesetzbücher mit geringen Aenderungen
in dem gesammten preußischen Staate einführen.

Auch die Kirchenfeindschaft der radicalen Dichter und Philosophen
kam den Wünschen der Juden entgegen. Geringschätzung aller religiösen
Gefühle galt schon für das Kennzeichen starker Geister, und der ungeheuer-
lichen Behauptung, daß der Protestantismus dem Judenthum näher stehe
als der katholischen Kirche, stimmten viele der liberalen Protestanten zu,
welche das Wesen ihres Glaubens nur im Kampfe gegen Rom suchten.
Argen Mißbrauch trieben die Vertheidiger der Juden-Emancipation mit dem
großen Namen Lessing's. Das herrliche Märchen von den drei Ringen,
dessen tiefsinnige Ironie sich doch leicht erkennen läßt, da ja nur einer

Berathung über das Judengeſetz.
trauens, an die Gerechtigkeit eines jüdiſchen Richters aber wollten die
Bauern ſchlechterdings nicht glauben.

In den höheren Ständen dagegen war die Meinung neuerdings ſtark
umgeſchlagen. Vor zwanzig Jahren noch hatten nicht blos die chriſtlich-
germaniſchen Burſchenſchafter und die conſervativen preußiſchen Provinzial-
ſtände ſondern auch die ſüddeutſchen Liberalen die Gleichberechtigung der
Juden entſchieden bekämpft. Noch nach der Juli-Rvolution (1831) ver-
öffentlichte Paulus, das Haupt der liberalen Rationaliſten, eine ſehr ſcharfe
Schrift gegen „die jüdiſche National-Abſonderung“. Auch Rotteck, Welcker
und ihre Freunde in der badiſchen Kammer verwarfen damals noch die
völlige Gleichſtellung — manche wohl nur weil ſie ſich vor der entſchie-
denen Abneigung ihrer Wähler fürchteten. Aber nach und nach drang
die abſtrakte franzöſiſche Lehre von dem gleichen Staatsbürgerthum aller
Einwohner auch in Deutſchland vor; die jüdiſchen Zeitungsſchreiber ver-
breiteten ſie geſchäftig und wußten das klug erſonnene neue Schlag-
wort „Juden-Emancipation“ geſchickt zu verwerthen, obgleich mindeſtens
in den alten preußiſchen Provinzen eine Sklaverei der Israeliten nicht
beſtand. Kurheſſen war das erſte deutſche Land, das den Juden (1833)
die unbedingte Gleichberechtigung gewährte; der mit Amſchel Rothſchild
ſo nahe befreundete Prinzregent wagte den Anträgen des liberalen Land-
tags nicht zu widerſprechen. Dieſer erſte Verſuch bewährte ſich ſehr ſchlecht.
Grade hier kam an den Tag, daß die Sünden des Wuchers und des
Truges durchaus nicht blos Folgen der Unfreiheit, ſondern tief eingewur-
zelte, ſo leicht nicht zu überwindende jüdiſche Nationallaſter waren; grade
hier, wo die Juden nach Belieben jeden Beruf ergreifen konnten, zeigten
ſie ſich als grauſame Blutſauger des armen Landvolks, und ſo wurde
dieſe Wiege der deutſchen Judenbefreiung ſehr bald zur Heimſtätte eines
ganz fanatiſchen Judenhaſſes. Trotzdem hielt der Luftzug aus dem Weſten
an, das franzöſiſche Recht wurde in weiten Kreiſen als die geſchriebene
Vernunft angeſehen; der reiche Breslauer Fabrikherr Milde, ein in Frank-
reich und England gebildeter ehrlicher Vorkämpfer des neuen liberalen
Bürgerthums, verlangte im Vereinigten Landtage ſchon kurzweg, man ſolle
nur einfach die napoleoniſchen Geſetzbücher mit geringen Aenderungen
in dem geſammten preußiſchen Staate einführen.

Auch die Kirchenfeindſchaft der radicalen Dichter und Philoſophen
kam den Wünſchen der Juden entgegen. Geringſchätzung aller religiöſen
Gefühle galt ſchon für das Kennzeichen ſtarker Geiſter, und der ungeheuer-
lichen Behauptung, daß der Proteſtantismus dem Judenthum näher ſtehe
als der katholiſchen Kirche, ſtimmten viele der liberalen Proteſtanten zu,
welche das Weſen ihres Glaubens nur im Kampfe gegen Rom ſuchten.
Argen Mißbrauch trieben die Vertheidiger der Juden-Emancipation mit dem
großen Namen Leſſing’s. Das herrliche Märchen von den drei Ringen,
deſſen tiefſinnige Ironie ſich doch leicht erkennen läßt, da ja nur einer

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[631/0645] Berathung über das Judengeſetz. trauens, an die Gerechtigkeit eines jüdiſchen Richters aber wollten die Bauern ſchlechterdings nicht glauben. In den höheren Ständen dagegen war die Meinung neuerdings ſtark umgeſchlagen. Vor zwanzig Jahren noch hatten nicht blos die chriſtlich- germaniſchen Burſchenſchafter und die conſervativen preußiſchen Provinzial- ſtände ſondern auch die ſüddeutſchen Liberalen die Gleichberechtigung der Juden entſchieden bekämpft. Noch nach der Juli-Rvolution (1831) ver- öffentlichte Paulus, das Haupt der liberalen Rationaliſten, eine ſehr ſcharfe Schrift gegen „die jüdiſche National-Abſonderung“. Auch Rotteck, Welcker und ihre Freunde in der badiſchen Kammer verwarfen damals noch die völlige Gleichſtellung — manche wohl nur weil ſie ſich vor der entſchie- denen Abneigung ihrer Wähler fürchteten. Aber nach und nach drang die abſtrakte franzöſiſche Lehre von dem gleichen Staatsbürgerthum aller Einwohner auch in Deutſchland vor; die jüdiſchen Zeitungsſchreiber ver- breiteten ſie geſchäftig und wußten das klug erſonnene neue Schlag- wort „Juden-Emancipation“ geſchickt zu verwerthen, obgleich mindeſtens in den alten preußiſchen Provinzen eine Sklaverei der Israeliten nicht beſtand. Kurheſſen war das erſte deutſche Land, das den Juden (1833) die unbedingte Gleichberechtigung gewährte; der mit Amſchel Rothſchild ſo nahe befreundete Prinzregent wagte den Anträgen des liberalen Land- tags nicht zu widerſprechen. Dieſer erſte Verſuch bewährte ſich ſehr ſchlecht. Grade hier kam an den Tag, daß die Sünden des Wuchers und des Truges durchaus nicht blos Folgen der Unfreiheit, ſondern tief eingewur- zelte, ſo leicht nicht zu überwindende jüdiſche Nationallaſter waren; grade hier, wo die Juden nach Belieben jeden Beruf ergreifen konnten, zeigten ſie ſich als grauſame Blutſauger des armen Landvolks, und ſo wurde dieſe Wiege der deutſchen Judenbefreiung ſehr bald zur Heimſtätte eines ganz fanatiſchen Judenhaſſes. Trotzdem hielt der Luftzug aus dem Weſten an, das franzöſiſche Recht wurde in weiten Kreiſen als die geſchriebene Vernunft angeſehen; der reiche Breslauer Fabrikherr Milde, ein in Frank- reich und England gebildeter ehrlicher Vorkämpfer des neuen liberalen Bürgerthums, verlangte im Vereinigten Landtage ſchon kurzweg, man ſolle nur einfach die napoleoniſchen Geſetzbücher mit geringen Aenderungen in dem geſammten preußiſchen Staate einführen. Auch die Kirchenfeindſchaft der radicalen Dichter und Philoſophen kam den Wünſchen der Juden entgegen. Geringſchätzung aller religiöſen Gefühle galt ſchon für das Kennzeichen ſtarker Geiſter, und der ungeheuer- lichen Behauptung, daß der Proteſtantismus dem Judenthum näher ſtehe als der katholiſchen Kirche, ſtimmten viele der liberalen Proteſtanten zu, welche das Weſen ihres Glaubens nur im Kampfe gegen Rom ſuchten. Argen Mißbrauch trieben die Vertheidiger der Juden-Emancipation mit dem großen Namen Leſſing’s. Das herrliche Märchen von den drei Ringen, deſſen tiefſinnige Ironie ſich doch leicht erkennen läßt, da ja nur einer

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 631. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/645>, abgerufen am 23.11.2024.