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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.
fast drohende Worte, und man machte die überraschende, auch für die
Zukunft bedeutsame Erfahrung, daß die Abgeordneten aus dem Westen,
die man allgemein wegen ihres Radikalismus fürchtete, den ganzen Streit
sehr leicht nahmen, während die Vertreter von Frankfurt, Breslau, Prenz-
lau und anderen Städten der alten Provinzen ihren lang verhaltenen
Adelshaß heftig aussprachen.*)

Das Alles verhallte bald in dem unermeßlichen Jubel des Huldigungs-
festes. Der König nahm zunächst im Schlosse den Eid der Fürsten, der
Geistlichkeit, der Ritterschaft entgegen und betheuerte ihnen, daß sie nicht
eine sogenannte glorreiche Regierung zu erwarten hätten, die mit Ge-
schützesdonner und Posaunenton die Nachwelt ruhmvoll erfülle, sondern
eine einfache, väterliche, echt deutsche und christliche Regierung. Alsdann
begab er sich auf den in Gold und Purpur prangenden Anbau des
Schlosses, wo der Thron stand: gegenüber die flaggengeschmückten Tribünen
für die Vertreter der Städte und des Bauernstandes; dazwischen tief unten
die Innungen der getreuen Hauptstadt mit ihren Fahnen; ringsum an den
Fenstern und auf den Dächern des mächtigen Platzes eine ungeheuere
Menschenmasse, Alles in musterhafter Ordnung. Noch bevor der Hul-
digungseid den beiden untersten Ständen abgefordert wurde, stand der
König vom Throne auf, um abermals, noch ausführlicher und eindring-
licher als in Königsberg, zu seinem Volke zu reden. Er gelobte im Sinne
des Vaters als ein gerechter und friedfertiger König zu regieren, und
fragte sodann alle die Anwesenden: "Wollen Sie mir helfen und bei-
stehen, die Eigenschaften immer herrlicher zu entfalten, durch welche Preußen
mit seinen vierzehn Millionen den Großmächten der Erde zugesellt ist? --
nämlich: Ehre, Treue, Streben nach Licht, Recht und Wahrheit, Vorwärts-
schreiten in Altersweisheit zugleich und heldenmüthiger Jugendkraft? Wollen
Sie in diesem Streben mich nicht verlassen noch versäumen, sondern
treu mit mir ausharren durch gute wie durch böse Tage -- o, dann
antworten Sie mir mit dem klaren, schönsten Laute der Muttersprache,
antworten Sie mir ein ehrenfestes Ja!" Unbeschreiblich war der Ein-
druck dieser Worte, in denen sich Friedrich Wilhelm's Künstlerseele wie
mit elementarischer Gewalt entlud. Der schönste Laut der Muttersprache
ertönte aus tausenden ehrlich begeisterter Herzen; selbst ein heftiger
Regenschauer, der plötzlich herniederprasselte, störte die allgemeine Ver-
zückung nicht. Und nun rief der König: "Dies Ja war für mich, das
ist mein eigen, das lass' ich nicht, das verbindet uns unauflöslich in
gegenseitiger Liebe und Treue, das giebt Muth, Kraft, Getrostheit, das
werde ich in meiner Sterbestunde nicht vergessen!" Darauf erst ward der
gesetzliche Huldigungseid geleistet, und die stürmische Begeisterung dieses

*) Nach den Aufzeichnungen Kühne's, der hier die sehr ausführlichen Mittheilungen
seines vertrauten Freundes Francke wiedergiebt.

V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.
faſt drohende Worte, und man machte die überraſchende, auch für die
Zukunft bedeutſame Erfahrung, daß die Abgeordneten aus dem Weſten,
die man allgemein wegen ihres Radikalismus fürchtete, den ganzen Streit
ſehr leicht nahmen, während die Vertreter von Frankfurt, Breslau, Prenz-
lau und anderen Städten der alten Provinzen ihren lang verhaltenen
Adelshaß heftig ausſprachen.*)

Das Alles verhallte bald in dem unermeßlichen Jubel des Huldigungs-
feſtes. Der König nahm zunächſt im Schloſſe den Eid der Fürſten, der
Geiſtlichkeit, der Ritterſchaft entgegen und betheuerte ihnen, daß ſie nicht
eine ſogenannte glorreiche Regierung zu erwarten hätten, die mit Ge-
ſchützesdonner und Poſaunenton die Nachwelt ruhmvoll erfülle, ſondern
eine einfache, väterliche, echt deutſche und chriſtliche Regierung. Alsdann
begab er ſich auf den in Gold und Purpur prangenden Anbau des
Schloſſes, wo der Thron ſtand: gegenüber die flaggengeſchmückten Tribünen
für die Vertreter der Städte und des Bauernſtandes; dazwiſchen tief unten
die Innungen der getreuen Hauptſtadt mit ihren Fahnen; ringsum an den
Fenſtern und auf den Dächern des mächtigen Platzes eine ungeheuere
Menſchenmaſſe, Alles in muſterhafter Ordnung. Noch bevor der Hul-
digungseid den beiden unterſten Ständen abgefordert wurde, ſtand der
König vom Throne auf, um abermals, noch ausführlicher und eindring-
licher als in Königsberg, zu ſeinem Volke zu reden. Er gelobte im Sinne
des Vaters als ein gerechter und friedfertiger König zu regieren, und
fragte ſodann alle die Anweſenden: „Wollen Sie mir helfen und bei-
ſtehen, die Eigenſchaften immer herrlicher zu entfalten, durch welche Preußen
mit ſeinen vierzehn Millionen den Großmächten der Erde zugeſellt iſt? —
nämlich: Ehre, Treue, Streben nach Licht, Recht und Wahrheit, Vorwärts-
ſchreiten in Altersweisheit zugleich und heldenmüthiger Jugendkraft? Wollen
Sie in dieſem Streben mich nicht verlaſſen noch verſäumen, ſondern
treu mit mir ausharren durch gute wie durch böſe Tage — o, dann
antworten Sie mir mit dem klaren, ſchönſten Laute der Mutterſprache,
antworten Sie mir ein ehrenfeſtes Ja!“ Unbeſchreiblich war der Ein-
druck dieſer Worte, in denen ſich Friedrich Wilhelm’s Künſtlerſeele wie
mit elementariſcher Gewalt entlud. Der ſchönſte Laut der Mutterſprache
ertönte aus tauſenden ehrlich begeiſterter Herzen; ſelbſt ein heftiger
Regenſchauer, der plötzlich herniederpraſſelte, ſtörte die allgemeine Ver-
zückung nicht. Und nun rief der König: „Dies Ja war für mich, das
iſt mein eigen, das laſſ’ ich nicht, das verbindet uns unauflöslich in
gegenſeitiger Liebe und Treue, das giebt Muth, Kraft, Getroſtheit, das
werde ich in meiner Sterbeſtunde nicht vergeſſen!“ Darauf erſt ward der
geſetzliche Huldigungseid geleiſtet, und die ſtürmiſche Begeiſterung dieſes

*) Nach den Aufzeichnungen Kühne’s, der hier die ſehr ausführlichen Mittheilungen
ſeines vertrauten Freundes Francke wiedergiebt.
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[50/0064] V. 1. Die frohen Tage der Erwartung. faſt drohende Worte, und man machte die überraſchende, auch für die Zukunft bedeutſame Erfahrung, daß die Abgeordneten aus dem Weſten, die man allgemein wegen ihres Radikalismus fürchtete, den ganzen Streit ſehr leicht nahmen, während die Vertreter von Frankfurt, Breslau, Prenz- lau und anderen Städten der alten Provinzen ihren lang verhaltenen Adelshaß heftig ausſprachen. *) Das Alles verhallte bald in dem unermeßlichen Jubel des Huldigungs- feſtes. Der König nahm zunächſt im Schloſſe den Eid der Fürſten, der Geiſtlichkeit, der Ritterſchaft entgegen und betheuerte ihnen, daß ſie nicht eine ſogenannte glorreiche Regierung zu erwarten hätten, die mit Ge- ſchützesdonner und Poſaunenton die Nachwelt ruhmvoll erfülle, ſondern eine einfache, väterliche, echt deutſche und chriſtliche Regierung. Alsdann begab er ſich auf den in Gold und Purpur prangenden Anbau des Schloſſes, wo der Thron ſtand: gegenüber die flaggengeſchmückten Tribünen für die Vertreter der Städte und des Bauernſtandes; dazwiſchen tief unten die Innungen der getreuen Hauptſtadt mit ihren Fahnen; ringsum an den Fenſtern und auf den Dächern des mächtigen Platzes eine ungeheuere Menſchenmaſſe, Alles in muſterhafter Ordnung. Noch bevor der Hul- digungseid den beiden unterſten Ständen abgefordert wurde, ſtand der König vom Throne auf, um abermals, noch ausführlicher und eindring- licher als in Königsberg, zu ſeinem Volke zu reden. Er gelobte im Sinne des Vaters als ein gerechter und friedfertiger König zu regieren, und fragte ſodann alle die Anweſenden: „Wollen Sie mir helfen und bei- ſtehen, die Eigenſchaften immer herrlicher zu entfalten, durch welche Preußen mit ſeinen vierzehn Millionen den Großmächten der Erde zugeſellt iſt? — nämlich: Ehre, Treue, Streben nach Licht, Recht und Wahrheit, Vorwärts- ſchreiten in Altersweisheit zugleich und heldenmüthiger Jugendkraft? Wollen Sie in dieſem Streben mich nicht verlaſſen noch verſäumen, ſondern treu mit mir ausharren durch gute wie durch böſe Tage — o, dann antworten Sie mir mit dem klaren, ſchönſten Laute der Mutterſprache, antworten Sie mir ein ehrenfeſtes Ja!“ Unbeſchreiblich war der Ein- druck dieſer Worte, in denen ſich Friedrich Wilhelm’s Künſtlerſeele wie mit elementariſcher Gewalt entlud. Der ſchönſte Laut der Mutterſprache ertönte aus tauſenden ehrlich begeiſterter Herzen; ſelbſt ein heftiger Regenſchauer, der plötzlich herniederpraſſelte, ſtörte die allgemeine Ver- zückung nicht. Und nun rief der König: „Dies Ja war für mich, das iſt mein eigen, das laſſ’ ich nicht, das verbindet uns unauflöslich in gegenſeitiger Liebe und Treue, das giebt Muth, Kraft, Getroſtheit, das werde ich in meiner Sterbeſtunde nicht vergeſſen!“ Darauf erſt ward der geſetzliche Huldigungseid geleiſtet, und die ſtürmiſche Begeiſterung dieſes *) Nach den Aufzeichnungen Kühne’s, der hier die ſehr ausführlichen Mittheilungen ſeines vertrauten Freundes Francke wiedergiebt.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/64>, abgerufen am 23.11.2024.