Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.V. 8. Der Vereinigte Landtag. sönlich und konnte sich nicht darein finden, den Sohn des Getreuestenaller Westphalen in den Vorderreihen der Opposition zu sehen. Auch der Vater hatte in seinen letzten Lebensjahren die liberale Gesinnung des jungen Landraths und Landstands nicht ohne Sorgen betrachtet. Im Grunde des Herzens hegte der Sohn jedoch weit mehr aristokratischen Stolz als der schlichte volksfreundliche alte Oberpräsident. Er freute sich seines alten Geschlechtes und wollte gleich der langen Reihe seiner Ahnen allezeit "den Acker des Rechtes pflügen". Freilich hatte er sich von seinem unantastbaren Rechtsboden ein ziemlich willkürliches Bild entworfen. Er betrachtete die ständischen Rechte als ein von den Vätern überkommenes Fideicommiß, als "ein eisernes Inventar, das wohl vermehrt, doch nicht vermindert" werden dürfe. Darum nahm er das neu geschenkte Steuer- bewilligungsrecht kurzweg an und verlangte trotzdem die Erfüllung aller früheren Zusagen bis auf den letzten Buchstaben. Einen Dank wollte er in der Adresse überhaupt nicht aussprechen, sondern nur eine Rechts- verwahrung, da Beides einander ausschlösse. Noch mehrere andere un- gewöhnlich begabte Redner erhoben ihre Stimme. So Mevissen, der Mit- begründer der Rheinischen Zeitung, der unterdessen viel gelernt hatte und ganz in Beckerath's Sinne ausführte: wenn nur erst der Vereinigte Land- tag alljährlich den gesammten Staatshaushalt prüfe, dann würden die Preußen nicht mehr mit Neid auf ihre kleinen Nachbarn schauen, sondern die Führung Deutschlands erlangen. So auf der anderen Seite Fürst Felix Lichnowsky, der kecke übermüthige carlistische Abenteurer, der zum allge- meinen Erstaunen zwar für die Krone, aber durchaus nicht in reactionärem Geiste sprach und wenn er auch hinter seinem Vorbilde Mirabeau weit zurückblieb, doch unverkennbar Talent, Muth, Thatkraft zeigte. Großen Eindruck machte eine kurze Ansprache des Prinzen von V. 8. Der Vereinigte Landtag. ſönlich und konnte ſich nicht darein finden, den Sohn des Getreueſtenaller Weſtphalen in den Vorderreihen der Oppoſition zu ſehen. Auch der Vater hatte in ſeinen letzten Lebensjahren die liberale Geſinnung des jungen Landraths und Landſtands nicht ohne Sorgen betrachtet. Im Grunde des Herzens hegte der Sohn jedoch weit mehr ariſtokratiſchen Stolz als der ſchlichte volksfreundliche alte Oberpräſident. Er freute ſich ſeines alten Geſchlechtes und wollte gleich der langen Reihe ſeiner Ahnen allezeit „den Acker des Rechtes pflügen“. Freilich hatte er ſich von ſeinem unantaſtbaren Rechtsboden ein ziemlich willkürliches Bild entworfen. Er betrachtete die ſtändiſchen Rechte als ein von den Vätern überkommenes Fideicommiß, als „ein eiſernes Inventar, das wohl vermehrt, doch nicht vermindert“ werden dürfe. Darum nahm er das neu geſchenkte Steuer- bewilligungsrecht kurzweg an und verlangte trotzdem die Erfüllung aller früheren Zuſagen bis auf den letzten Buchſtaben. Einen Dank wollte er in der Adreſſe überhaupt nicht ausſprechen, ſondern nur eine Rechts- verwahrung, da Beides einander ausſchlöſſe. Noch mehrere andere un- gewöhnlich begabte Redner erhoben ihre Stimme. So Meviſſen, der Mit- begründer der Rheiniſchen Zeitung, der unterdeſſen viel gelernt hatte und ganz in Beckerath’s Sinne ausführte: wenn nur erſt der Vereinigte Land- tag alljährlich den geſammten Staatshaushalt prüfe, dann würden die Preußen nicht mehr mit Neid auf ihre kleinen Nachbarn ſchauen, ſondern die Führung Deutſchlands erlangen. So auf der anderen Seite Fürſt Felix Lichnowsky, der kecke übermüthige carliſtiſche Abenteurer, der zum allge- meinen Erſtaunen zwar für die Krone, aber durchaus nicht in reactionärem Geiſte ſprach und wenn er auch hinter ſeinem Vorbilde Mirabeau weit zurückblieb, doch unverkennbar Talent, Muth, Thatkraft zeigte. Großen Eindruck machte eine kurze Anſprache des Prinzen von <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0636" n="622"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">V.</hi> 8. Der Vereinigte Landtag.</fw><lb/> ſönlich und konnte ſich nicht darein finden, den Sohn des Getreueſten<lb/> aller Weſtphalen in den Vorderreihen der Oppoſition zu ſehen. Auch der<lb/> Vater hatte in ſeinen letzten Lebensjahren die liberale Geſinnung des<lb/> jungen Landraths und Landſtands nicht ohne Sorgen betrachtet. Im<lb/> Grunde des Herzens hegte der Sohn jedoch weit mehr ariſtokratiſchen<lb/> Stolz als der ſchlichte volksfreundliche alte Oberpräſident. Er freute ſich<lb/> ſeines alten Geſchlechtes und wollte gleich der langen Reihe ſeiner Ahnen<lb/> allezeit „den Acker des Rechtes pflügen“. Freilich hatte er ſich von ſeinem<lb/> unantaſtbaren Rechtsboden ein ziemlich willkürliches Bild entworfen. Er<lb/> betrachtete die ſtändiſchen Rechte als ein von den Vätern überkommenes<lb/> Fideicommiß, als „ein eiſernes Inventar, das wohl vermehrt, doch nicht<lb/> vermindert“ werden dürfe. Darum nahm er das neu geſchenkte Steuer-<lb/> bewilligungsrecht kurzweg an und verlangte trotzdem die Erfüllung aller<lb/> früheren Zuſagen bis auf den letzten Buchſtaben. Einen Dank wollte<lb/> er in der Adreſſe überhaupt nicht ausſprechen, ſondern nur eine Rechts-<lb/> verwahrung, da Beides einander ausſchlöſſe. Noch mehrere andere un-<lb/> gewöhnlich begabte Redner erhoben ihre Stimme. So Meviſſen, der Mit-<lb/> begründer der Rheiniſchen Zeitung, der unterdeſſen viel gelernt hatte und<lb/> ganz in Beckerath’s Sinne ausführte: wenn nur erſt der Vereinigte Land-<lb/> tag alljährlich den geſammten Staatshaushalt prüfe, dann würden die<lb/> Preußen nicht mehr mit Neid auf ihre kleinen Nachbarn ſchauen, ſondern<lb/> die Führung Deutſchlands erlangen. So auf der anderen Seite Fürſt Felix<lb/> Lichnowsky, der kecke übermüthige carliſtiſche Abenteurer, der zum allge-<lb/> meinen Erſtaunen zwar für die Krone, aber durchaus nicht in reactionärem<lb/> Geiſte ſprach und wenn er auch hinter ſeinem Vorbilde Mirabeau weit<lb/> zurückblieb, doch unverkennbar Talent, Muth, Thatkraft zeigte.</p><lb/> <p>Großen Eindruck machte eine kurze Anſprache des Prinzen von<lb/> Preußen. Herausgefordert durch einen Vorwurf Hanſemann’s gab er als<lb/> erſter Unterthan und erſter Rathgeber des Königs die feierliche Verſicherung:<lb/> bei der Berathung der Verordnungen vom 3. Febr. hätten er und die<lb/> anderen Räthe der Krone durchaus kein Mißtrauen gehegt, wohl aber die<lb/> Erwartung, daß „Freiheiten und Rechte der Stände niemals auf Unkoſten<lb/> der Rechte und Freiheiten der Krone“ gewährt werden ſollten. Der Sinn<lb/> ſeiner Rede war verſöhnlich, aber ihr Ton klang dictatoriſch; der Prinz<lb/> ſprach wie ein des Befehlens gewohnter General, und da der unwiſſende<lb/> Haufe nicht einſah, daß der Thronfolger doch gar nicht anders auftreten<lb/> durfte, ſo bemächtigte ſich der niederträchtige Berliner Klatſch dieſer ein-<lb/> fachen Worte. Der Prinz war der Liebling des Heeres und darum ſchon<lb/> allen Unzufriedenen verdächtig. Die längſt verbreiteten Gerüchte von ſeiner<lb/> reactionären Geſinnung wurden durch Varnhagen in den Salons, durch<lb/> allerhand Unbekannte beim Pöbel umhergetragen; er galt überall für den<lb/> böſen Dämon ſeines Bruders, obgleich er zur Zeit gar keinen Einfluß<lb/> beſaß, ſondern nur als ehrenhafter Soldat die Sache ſeines königlichen<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [622/0636]
V. 8. Der Vereinigte Landtag.
ſönlich und konnte ſich nicht darein finden, den Sohn des Getreueſten
aller Weſtphalen in den Vorderreihen der Oppoſition zu ſehen. Auch der
Vater hatte in ſeinen letzten Lebensjahren die liberale Geſinnung des
jungen Landraths und Landſtands nicht ohne Sorgen betrachtet. Im
Grunde des Herzens hegte der Sohn jedoch weit mehr ariſtokratiſchen
Stolz als der ſchlichte volksfreundliche alte Oberpräſident. Er freute ſich
ſeines alten Geſchlechtes und wollte gleich der langen Reihe ſeiner Ahnen
allezeit „den Acker des Rechtes pflügen“. Freilich hatte er ſich von ſeinem
unantaſtbaren Rechtsboden ein ziemlich willkürliches Bild entworfen. Er
betrachtete die ſtändiſchen Rechte als ein von den Vätern überkommenes
Fideicommiß, als „ein eiſernes Inventar, das wohl vermehrt, doch nicht
vermindert“ werden dürfe. Darum nahm er das neu geſchenkte Steuer-
bewilligungsrecht kurzweg an und verlangte trotzdem die Erfüllung aller
früheren Zuſagen bis auf den letzten Buchſtaben. Einen Dank wollte
er in der Adreſſe überhaupt nicht ausſprechen, ſondern nur eine Rechts-
verwahrung, da Beides einander ausſchlöſſe. Noch mehrere andere un-
gewöhnlich begabte Redner erhoben ihre Stimme. So Meviſſen, der Mit-
begründer der Rheiniſchen Zeitung, der unterdeſſen viel gelernt hatte und
ganz in Beckerath’s Sinne ausführte: wenn nur erſt der Vereinigte Land-
tag alljährlich den geſammten Staatshaushalt prüfe, dann würden die
Preußen nicht mehr mit Neid auf ihre kleinen Nachbarn ſchauen, ſondern
die Führung Deutſchlands erlangen. So auf der anderen Seite Fürſt Felix
Lichnowsky, der kecke übermüthige carliſtiſche Abenteurer, der zum allge-
meinen Erſtaunen zwar für die Krone, aber durchaus nicht in reactionärem
Geiſte ſprach und wenn er auch hinter ſeinem Vorbilde Mirabeau weit
zurückblieb, doch unverkennbar Talent, Muth, Thatkraft zeigte.
Großen Eindruck machte eine kurze Anſprache des Prinzen von
Preußen. Herausgefordert durch einen Vorwurf Hanſemann’s gab er als
erſter Unterthan und erſter Rathgeber des Königs die feierliche Verſicherung:
bei der Berathung der Verordnungen vom 3. Febr. hätten er und die
anderen Räthe der Krone durchaus kein Mißtrauen gehegt, wohl aber die
Erwartung, daß „Freiheiten und Rechte der Stände niemals auf Unkoſten
der Rechte und Freiheiten der Krone“ gewährt werden ſollten. Der Sinn
ſeiner Rede war verſöhnlich, aber ihr Ton klang dictatoriſch; der Prinz
ſprach wie ein des Befehlens gewohnter General, und da der unwiſſende
Haufe nicht einſah, daß der Thronfolger doch gar nicht anders auftreten
durfte, ſo bemächtigte ſich der niederträchtige Berliner Klatſch dieſer ein-
fachen Worte. Der Prinz war der Liebling des Heeres und darum ſchon
allen Unzufriedenen verdächtig. Die längſt verbreiteten Gerüchte von ſeiner
reactionären Geſinnung wurden durch Varnhagen in den Salons, durch
allerhand Unbekannte beim Pöbel umhergetragen; er galt überall für den
böſen Dämon ſeines Bruders, obgleich er zur Zeit gar keinen Einfluß
beſaß, ſondern nur als ehrenhafter Soldat die Sache ſeines königlichen
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |