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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 8. Der Vereinigte Landtag.
meinsamen Kampfe gegen die Untreue, die bösen Gelüste der Zeit, legte
er das Bekenntniß ab: "Ich und mein Haus wir wollen dem Herrn dienen.
Ja wahrhaftig!" Für die Zukunft erhielten die Stände nur die väter-
lich mahnende Zusage, daß der König sie zur Bewilligung neuer Steuern
und Anleihen wieder berufen werde, und auch sonst noch "wenn ich es
für gut und nützlich halte, und ich werde es gern und öfter thun, wenn
dieser Landtag mir den Beweis giebt, daß ich es könne ohne höhere Re-
gentenpflichten zu verletzen."

Die Thronrede erschreckte und verwirrte die Hörer. Wohl empfand
Jedermann die Macht einer ungewöhnlichen Persönlichkeit; der politische
Inhalt der hochtönenden, vielfach unklaren Sätze lief jedoch darauf hin-
aus, daß der König seine deutschrechtlichen Stände vor jeder Annäherung
an das constitutionelle Kammerwesen der kleinen Nachbarstaaten streng
bewahren und die Ausbildung dieser ganz eigenartigen Institutionen allein
seiner eigenen Weisheit und Gnade vorbehalten wollte. Die Liberalen,
die in dem Patente nur die Grundlage für weitere Verhandlungen sahen,
fühlten sich tief niedergeschlagen. Manche der heißblütigen Ostpreußen
wollten sofort abreisen, da doch keine Verständigung möglich sei, und nur
durch das Zureden ihrer weltklugen rheinischen Freunde ließen sie sich
zum Bleiben bewegen. Beim Beginn der ersten Sitzung erhob sich nun
Graf Schwerin, ein Pommer aus dem altberühmten Soldatengeschlechte,
eine breite, gedrungene Gestalt von ungezwungener Haltung, mit einem
kräftigen biederen Gesichte, das durch die herabhängenden dunklen Haare
den Ausdruck eines fast pietistischen Ernstes erhielt; er hatte sich als
Schleiermacher's Schwiegersohn mit Arndt und anderen patriotischen Ge-
lehrten befreundet und schon auf der Generalsynode die Ideen eines milden
kirchlichen Liberalismus freimüthig vertreten. Er stellte den Antrag, die
Stände sollten dem Monarchen in einer Adresse ihren Dank, aber auch
ihre Rechtsbedenken aussprechen. Den Adreßentwurf verfaßte der gefeierte
Redner des rheinischen Provinziallandtags, F. v. Beckerath aus Crefeld.
Seine Wiege hatte, wie er gern erzählte, neben dem Webstuhle seines
Vaters gestanden; ganz durch eigene Kraft war er zum reichen Kaufherrn
geworden. Mennonit und nicht ohne einen Zug quäkerischer Salbung,
der ihm trotz der politischen Meinungsverschiedenheit doch immer das
Wohlwollen des frommen Königs sicherte, trug er seine gemäßigt liberalen
Ansichten mit einem eigenthümlichen lyrischen Pathos vor. Die Begeiste-
rung stand ihm wohl an, sie kam aus tiefer Brust und verirrte sich nie
gänzlich in Phrasen. "Hier, rief er aus, sei der Pulsschlag eines neuen
verjüngten Preußens, eines Preußens, das umgeben von den Sympathien
der deutschen Brüderstaaten, das deutsche Volk zu der Stelle hinan führen
wird, die ihm unter den Culturvölkern der Erde gebührt."

Mit Besorgniß sah Graf Arnim, wie die rechtliche Unklarheit, deren
Gefahren er selbst dem Könige so oft vorgestellt hatte, jetzt schon ihre

V. 8. Der Vereinigte Landtag.
meinſamen Kampfe gegen die Untreue, die böſen Gelüſte der Zeit, legte
er das Bekenntniß ab: „Ich und mein Haus wir wollen dem Herrn dienen.
Ja wahrhaftig!“ Für die Zukunft erhielten die Stände nur die väter-
lich mahnende Zuſage, daß der König ſie zur Bewilligung neuer Steuern
und Anleihen wieder berufen werde, und auch ſonſt noch „wenn ich es
für gut und nützlich halte, und ich werde es gern und öfter thun, wenn
dieſer Landtag mir den Beweis giebt, daß ich es könne ohne höhere Re-
gentenpflichten zu verletzen.“

Die Thronrede erſchreckte und verwirrte die Hörer. Wohl empfand
Jedermann die Macht einer ungewöhnlichen Perſönlichkeit; der politiſche
Inhalt der hochtönenden, vielfach unklaren Sätze lief jedoch darauf hin-
aus, daß der König ſeine deutſchrechtlichen Stände vor jeder Annäherung
an das conſtitutionelle Kammerweſen der kleinen Nachbarſtaaten ſtreng
bewahren und die Ausbildung dieſer ganz eigenartigen Inſtitutionen allein
ſeiner eigenen Weisheit und Gnade vorbehalten wollte. Die Liberalen,
die in dem Patente nur die Grundlage für weitere Verhandlungen ſahen,
fühlten ſich tief niedergeſchlagen. Manche der heißblütigen Oſtpreußen
wollten ſofort abreiſen, da doch keine Verſtändigung möglich ſei, und nur
durch das Zureden ihrer weltklugen rheiniſchen Freunde ließen ſie ſich
zum Bleiben bewegen. Beim Beginn der erſten Sitzung erhob ſich nun
Graf Schwerin, ein Pommer aus dem altberühmten Soldatengeſchlechte,
eine breite, gedrungene Geſtalt von ungezwungener Haltung, mit einem
kräftigen biederen Geſichte, das durch die herabhängenden dunklen Haare
den Ausdruck eines faſt pietiſtiſchen Ernſtes erhielt; er hatte ſich als
Schleiermacher’s Schwiegerſohn mit Arndt und anderen patriotiſchen Ge-
lehrten befreundet und ſchon auf der Generalſynode die Ideen eines milden
kirchlichen Liberalismus freimüthig vertreten. Er ſtellte den Antrag, die
Stände ſollten dem Monarchen in einer Adreſſe ihren Dank, aber auch
ihre Rechtsbedenken ausſprechen. Den Adreßentwurf verfaßte der gefeierte
Redner des rheiniſchen Provinziallandtags, F. v. Beckerath aus Crefeld.
Seine Wiege hatte, wie er gern erzählte, neben dem Webſtuhle ſeines
Vaters geſtanden; ganz durch eigene Kraft war er zum reichen Kaufherrn
geworden. Mennonit und nicht ohne einen Zug quäkeriſcher Salbung,
der ihm trotz der politiſchen Meinungsverſchiedenheit doch immer das
Wohlwollen des frommen Königs ſicherte, trug er ſeine gemäßigt liberalen
Anſichten mit einem eigenthümlichen lyriſchen Pathos vor. Die Begeiſte-
rung ſtand ihm wohl an, ſie kam aus tiefer Bruſt und verirrte ſich nie
gänzlich in Phraſen. „Hier, rief er aus, ſei der Pulsſchlag eines neuen
verjüngten Preußens, eines Preußens, das umgeben von den Sympathien
der deutſchen Brüderſtaaten, das deutſche Volk zu der Stelle hinan führen
wird, die ihm unter den Culturvölkern der Erde gebührt.“

Mit Beſorgniß ſah Graf Arnim, wie die rechtliche Unklarheit, deren
Gefahren er ſelbſt dem Könige ſo oft vorgeſtellt hatte, jetzt ſchon ihre

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[620/0634] V. 8. Der Vereinigte Landtag. meinſamen Kampfe gegen die Untreue, die böſen Gelüſte der Zeit, legte er das Bekenntniß ab: „Ich und mein Haus wir wollen dem Herrn dienen. Ja wahrhaftig!“ Für die Zukunft erhielten die Stände nur die väter- lich mahnende Zuſage, daß der König ſie zur Bewilligung neuer Steuern und Anleihen wieder berufen werde, und auch ſonſt noch „wenn ich es für gut und nützlich halte, und ich werde es gern und öfter thun, wenn dieſer Landtag mir den Beweis giebt, daß ich es könne ohne höhere Re- gentenpflichten zu verletzen.“ Die Thronrede erſchreckte und verwirrte die Hörer. Wohl empfand Jedermann die Macht einer ungewöhnlichen Perſönlichkeit; der politiſche Inhalt der hochtönenden, vielfach unklaren Sätze lief jedoch darauf hin- aus, daß der König ſeine deutſchrechtlichen Stände vor jeder Annäherung an das conſtitutionelle Kammerweſen der kleinen Nachbarſtaaten ſtreng bewahren und die Ausbildung dieſer ganz eigenartigen Inſtitutionen allein ſeiner eigenen Weisheit und Gnade vorbehalten wollte. Die Liberalen, die in dem Patente nur die Grundlage für weitere Verhandlungen ſahen, fühlten ſich tief niedergeſchlagen. Manche der heißblütigen Oſtpreußen wollten ſofort abreiſen, da doch keine Verſtändigung möglich ſei, und nur durch das Zureden ihrer weltklugen rheiniſchen Freunde ließen ſie ſich zum Bleiben bewegen. Beim Beginn der erſten Sitzung erhob ſich nun Graf Schwerin, ein Pommer aus dem altberühmten Soldatengeſchlechte, eine breite, gedrungene Geſtalt von ungezwungener Haltung, mit einem kräftigen biederen Geſichte, das durch die herabhängenden dunklen Haare den Ausdruck eines faſt pietiſtiſchen Ernſtes erhielt; er hatte ſich als Schleiermacher’s Schwiegerſohn mit Arndt und anderen patriotiſchen Ge- lehrten befreundet und ſchon auf der Generalſynode die Ideen eines milden kirchlichen Liberalismus freimüthig vertreten. Er ſtellte den Antrag, die Stände ſollten dem Monarchen in einer Adreſſe ihren Dank, aber auch ihre Rechtsbedenken ausſprechen. Den Adreßentwurf verfaßte der gefeierte Redner des rheiniſchen Provinziallandtags, F. v. Beckerath aus Crefeld. Seine Wiege hatte, wie er gern erzählte, neben dem Webſtuhle ſeines Vaters geſtanden; ganz durch eigene Kraft war er zum reichen Kaufherrn geworden. Mennonit und nicht ohne einen Zug quäkeriſcher Salbung, der ihm trotz der politiſchen Meinungsverſchiedenheit doch immer das Wohlwollen des frommen Königs ſicherte, trug er ſeine gemäßigt liberalen Anſichten mit einem eigenthümlichen lyriſchen Pathos vor. Die Begeiſte- rung ſtand ihm wohl an, ſie kam aus tiefer Bruſt und verirrte ſich nie gänzlich in Phraſen. „Hier, rief er aus, ſei der Pulsſchlag eines neuen verjüngten Preußens, eines Preußens, das umgeben von den Sympathien der deutſchen Brüderſtaaten, das deutſche Volk zu der Stelle hinan führen wird, die ihm unter den Culturvölkern der Erde gebührt.“ Mit Beſorgniß ſah Graf Arnim, wie die rechtliche Unklarheit, deren Gefahren er ſelbſt dem Könige ſo oft vorgeſtellt hatte, jetzt ſchon ihre

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 620. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/634>, abgerufen am 23.11.2024.