Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.Wirkung des Patents. beseitigt? War der Ausdruck "Landesrepräsentation", der in ihr vorkamund doch auch auf den Vereinigten Landtag paßte, wirklich so entsetzlich, daß man um dieses einen Wortes willen ein Gesetz stillschweigend umstoßen durfte? Und mußte nicht der Vereinigte Landtag, so lange er seiner regelmäßigen Wiederberufung nicht sicher war, selber bezweifeln, ob er sich für die gesetz- mäßige Landesvertretung halten sollte? Und warum nicht ein klares Zwei- kammersystem statt eines Herrenstandes, der bald mit der Curie der drei Stände, bald neben ihr tagen sollte? Diese Herrencurie, an sich gewiß einer der glücklichsten politischen Gedanken des Königs, war doch leider nicht zum Abschluß gekommen und konnte, wie sie war, unmöglich für eine gerechte Vertretung der aristokratischen Kräfte des Landes gelten. Von ihren 72 Stimmen entfiel die größere Hälfte auf Schlesien und Rheinland allein; die große Provinz Preußen erhielt nur fünf Stimmen, Pommern gar nur eine einzige. Mit vollem Rechte fühlte sich also die treue Ritterschaft der alten Provinzen zurückgesetzt und gekränkt. Vergeblich mahnte der Prinz von Preußen in seiner Denkschrift, man müsse die Aristokratie ganz gewinnen indem man sie ehre; vergeblich bat Graf Arnim-Boitzen- burg noch in letzter Stunde um die Verstärkung des Herrenstandes;*) der König behielt sich geheimnißvoll seine Pläne für die Zukunft vor. Und wozu dann die wunderliche Bestimmung, daß die Gesetzentwürfe nach Belieben bald dem Vereinigten Landtage bald dem Vereinigten Ausschusse bald den Provinziallandtagen vorgelegt werden sollten? Offenbar wollte der König durch diese künstliche Vertheilung der ständischen Rechte verhin- dern, daß eine der drei landständischen Körperschaften übermächtig würde. Er übersah nur, daß die natürliche Gewissenlosigkeit jeder vielköpfigen stän- dischen Vertretung allein durch das Bewußtsein ernster Verantwortlichkeit gebändigt werden kann; dies Gefühl ward aber den Landtagen und Aus- schüssen gradezu genommen, wenn sie den Umfang ihrer eigenen Rechte nicht mit Sicherheit kannten. Und warum endlich noch die rechtswidrige und in Wahrheit nutzlose Verkümmerung des Rechtes der Anleihebewilligung? Alle diese Abweichungen von den alten Gesetzen erschienen so bedenk- *) Graf Arnim-Boitzenburg an den König, 3. Jan. 1847. 39*
Wirkung des Patents. beſeitigt? War der Ausdruck „Landesrepräſentation“, der in ihr vorkamund doch auch auf den Vereinigten Landtag paßte, wirklich ſo entſetzlich, daß man um dieſes einen Wortes willen ein Geſetz ſtillſchweigend umſtoßen durfte? Und mußte nicht der Vereinigte Landtag, ſo lange er ſeiner regelmäßigen Wiederberufung nicht ſicher war, ſelber bezweifeln, ob er ſich für die geſetz- mäßige Landesvertretung halten ſollte? Und warum nicht ein klares Zwei- kammerſyſtem ſtatt eines Herrenſtandes, der bald mit der Curie der drei Stände, bald neben ihr tagen ſollte? Dieſe Herrencurie, an ſich gewiß einer der glücklichſten politiſchen Gedanken des Königs, war doch leider nicht zum Abſchluß gekommen und konnte, wie ſie war, unmöglich für eine gerechte Vertretung der ariſtokratiſchen Kräfte des Landes gelten. Von ihren 72 Stimmen entfiel die größere Hälfte auf Schleſien und Rheinland allein; die große Provinz Preußen erhielt nur fünf Stimmen, Pommern gar nur eine einzige. Mit vollem Rechte fühlte ſich alſo die treue Ritterſchaft der alten Provinzen zurückgeſetzt und gekränkt. Vergeblich mahnte der Prinz von Preußen in ſeiner Denkſchrift, man müſſe die Ariſtokratie ganz gewinnen indem man ſie ehre; vergeblich bat Graf Arnim-Boitzen- burg noch in letzter Stunde um die Verſtärkung des Herrenſtandes;*) der König behielt ſich geheimnißvoll ſeine Pläne für die Zukunft vor. Und wozu dann die wunderliche Beſtimmung, daß die Geſetzentwürfe nach Belieben bald dem Vereinigten Landtage bald dem Vereinigten Ausſchuſſe bald den Provinziallandtagen vorgelegt werden ſollten? Offenbar wollte der König durch dieſe künſtliche Vertheilung der ſtändiſchen Rechte verhin- dern, daß eine der drei landſtändiſchen Körperſchaften übermächtig würde. Er überſah nur, daß die natürliche Gewiſſenloſigkeit jeder vielköpfigen ſtän- diſchen Vertretung allein durch das Bewußtſein ernſter Verantwortlichkeit gebändigt werden kann; dies Gefühl ward aber den Landtagen und Aus- ſchüſſen gradezu genommen, wenn ſie den Umfang ihrer eigenen Rechte nicht mit Sicherheit kannten. Und warum endlich noch die rechtswidrige und in Wahrheit nutzloſe Verkümmerung des Rechtes der Anleihebewilligung? Alle dieſe Abweichungen von den alten Geſetzen erſchienen ſo bedenk- *) Graf Arnim-Boitzenburg an den König, 3. Jan. 1847. 39*
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0625" n="611"/><fw place="top" type="header">Wirkung des Patents.</fw><lb/> beſeitigt? War der Ausdruck „Landesrepräſentation“, der in ihr vorkam<lb/> und doch auch auf den Vereinigten Landtag paßte, wirklich ſo entſetzlich, daß<lb/> man um dieſes einen Wortes willen ein Geſetz ſtillſchweigend umſtoßen durfte?<lb/> Und mußte nicht der Vereinigte Landtag, ſo lange er ſeiner regelmäßigen<lb/> Wiederberufung nicht ſicher war, ſelber bezweifeln, ob er ſich für die geſetz-<lb/> mäßige Landesvertretung halten ſollte? Und warum nicht ein klares Zwei-<lb/> kammerſyſtem ſtatt eines Herrenſtandes, der bald mit der Curie der drei<lb/> Stände, bald neben ihr tagen ſollte? Dieſe Herrencurie, an ſich gewiß einer<lb/> der glücklichſten politiſchen Gedanken des Königs, war doch leider nicht zum<lb/> Abſchluß gekommen und konnte, wie ſie war, unmöglich für eine gerechte<lb/> Vertretung der ariſtokratiſchen Kräfte des Landes gelten. Von ihren 72<lb/> Stimmen entfiel die größere Hälfte auf Schleſien und Rheinland allein;<lb/> die große Provinz Preußen erhielt nur fünf Stimmen, Pommern gar<lb/> nur eine einzige. Mit vollem Rechte fühlte ſich alſo die treue Ritterſchaft<lb/> der alten Provinzen zurückgeſetzt und gekränkt. Vergeblich mahnte der<lb/> Prinz von Preußen in ſeiner Denkſchrift, man müſſe die Ariſtokratie<lb/> ganz gewinnen indem man ſie ehre; vergeblich bat Graf Arnim-Boitzen-<lb/> burg noch in letzter Stunde um die Verſtärkung des Herrenſtandes;<note place="foot" n="*)">Graf Arnim-Boitzenburg an den König, 3. Jan. 1847.</note> der<lb/> König behielt ſich geheimnißvoll ſeine Pläne für die Zukunft vor. Und<lb/> wozu dann die wunderliche Beſtimmung, daß die Geſetzentwürfe nach<lb/> Belieben bald dem Vereinigten Landtage bald dem Vereinigten Ausſchuſſe<lb/> bald den Provinziallandtagen vorgelegt werden ſollten? Offenbar wollte<lb/> der König durch dieſe künſtliche Vertheilung der ſtändiſchen Rechte verhin-<lb/> dern, daß eine der drei landſtändiſchen Körperſchaften übermächtig würde.<lb/> Er überſah nur, daß die natürliche Gewiſſenloſigkeit jeder vielköpfigen ſtän-<lb/> diſchen Vertretung allein durch das Bewußtſein ernſter Verantwortlichkeit<lb/> gebändigt werden kann; dies Gefühl ward aber den Landtagen und Aus-<lb/> ſchüſſen gradezu genommen, wenn ſie den Umfang ihrer eigenen Rechte<lb/> nicht mit Sicherheit kannten. Und warum endlich noch die rechtswidrige<lb/> und in Wahrheit nutzloſe Verkümmerung des Rechtes der Anleihebewilligung?</p><lb/> <p>Alle dieſe Abweichungen von den alten Geſetzen erſchienen ſo bedenk-<lb/> lich, daß der hochherzige Entſchluß des Monarchen und ſelbſt die wichtige<lb/> Gewährung des Steuerbewilligungsrechts nicht recht gewürdigt wurde.<lb/> Obgleich das Patent jetzt nach dem langen Zaudern faſt Allen unerwartet<lb/> kam, ſo zeigte ſich doch nur ſelten die dankbare Freude, die der König erhofft<lb/> hatte; die Stimmung blieb gedrückt und unſicher. Wohl ſendete Max<lb/> Duncker mit ſeinen getreuen Hallenſern eine Dankadreſſe an den Thron,<lb/> auch die Elbinger und die Thorner bekundeten ihre Freude und ſelbſt<lb/> der radicale Ruge meinte, die Preußen dürften dieſe erſte Möglichkeit<lb/> praktiſchen politiſchen Wirkens nicht aus der Hand geben. Am Rhein<lb/> aber, in Schleſien und vornehmlich in Altpreußen verlangten viele Stimmen<lb/> <fw place="bottom" type="sig">39*</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [611/0625]
Wirkung des Patents.
beſeitigt? War der Ausdruck „Landesrepräſentation“, der in ihr vorkam
und doch auch auf den Vereinigten Landtag paßte, wirklich ſo entſetzlich, daß
man um dieſes einen Wortes willen ein Geſetz ſtillſchweigend umſtoßen durfte?
Und mußte nicht der Vereinigte Landtag, ſo lange er ſeiner regelmäßigen
Wiederberufung nicht ſicher war, ſelber bezweifeln, ob er ſich für die geſetz-
mäßige Landesvertretung halten ſollte? Und warum nicht ein klares Zwei-
kammerſyſtem ſtatt eines Herrenſtandes, der bald mit der Curie der drei
Stände, bald neben ihr tagen ſollte? Dieſe Herrencurie, an ſich gewiß einer
der glücklichſten politiſchen Gedanken des Königs, war doch leider nicht zum
Abſchluß gekommen und konnte, wie ſie war, unmöglich für eine gerechte
Vertretung der ariſtokratiſchen Kräfte des Landes gelten. Von ihren 72
Stimmen entfiel die größere Hälfte auf Schleſien und Rheinland allein;
die große Provinz Preußen erhielt nur fünf Stimmen, Pommern gar
nur eine einzige. Mit vollem Rechte fühlte ſich alſo die treue Ritterſchaft
der alten Provinzen zurückgeſetzt und gekränkt. Vergeblich mahnte der
Prinz von Preußen in ſeiner Denkſchrift, man müſſe die Ariſtokratie
ganz gewinnen indem man ſie ehre; vergeblich bat Graf Arnim-Boitzen-
burg noch in letzter Stunde um die Verſtärkung des Herrenſtandes; *) der
König behielt ſich geheimnißvoll ſeine Pläne für die Zukunft vor. Und
wozu dann die wunderliche Beſtimmung, daß die Geſetzentwürfe nach
Belieben bald dem Vereinigten Landtage bald dem Vereinigten Ausſchuſſe
bald den Provinziallandtagen vorgelegt werden ſollten? Offenbar wollte
der König durch dieſe künſtliche Vertheilung der ſtändiſchen Rechte verhin-
dern, daß eine der drei landſtändiſchen Körperſchaften übermächtig würde.
Er überſah nur, daß die natürliche Gewiſſenloſigkeit jeder vielköpfigen ſtän-
diſchen Vertretung allein durch das Bewußtſein ernſter Verantwortlichkeit
gebändigt werden kann; dies Gefühl ward aber den Landtagen und Aus-
ſchüſſen gradezu genommen, wenn ſie den Umfang ihrer eigenen Rechte
nicht mit Sicherheit kannten. Und warum endlich noch die rechtswidrige
und in Wahrheit nutzloſe Verkümmerung des Rechtes der Anleihebewilligung?
Alle dieſe Abweichungen von den alten Geſetzen erſchienen ſo bedenk-
lich, daß der hochherzige Entſchluß des Monarchen und ſelbſt die wichtige
Gewährung des Steuerbewilligungsrechts nicht recht gewürdigt wurde.
Obgleich das Patent jetzt nach dem langen Zaudern faſt Allen unerwartet
kam, ſo zeigte ſich doch nur ſelten die dankbare Freude, die der König erhofft
hatte; die Stimmung blieb gedrückt und unſicher. Wohl ſendete Max
Duncker mit ſeinen getreuen Hallenſern eine Dankadreſſe an den Thron,
auch die Elbinger und die Thorner bekundeten ihre Freude und ſelbſt
der radicale Ruge meinte, die Preußen dürften dieſe erſte Möglichkeit
praktiſchen politiſchen Wirkens nicht aus der Hand geben. Am Rhein
aber, in Schleſien und vornehmlich in Altpreußen verlangten viele Stimmen
*) Graf Arnim-Boitzenburg an den König, 3. Jan. 1847.
39*
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |