liberale Ungeziefer seit Jahren caressirt und jetzt vor der Zeit unreife Pläne verlautbart habe, während man doch sonst die Gäste nicht in die Küche führe, sondern ihnen die Speisen fertig vorsetze. Von Berlin her gewarnt sah er jedoch ein, daß man die ungeheuere Aufregung in Deutschland irgendwie beschwichtigen mußte; und da er, schon wegen der möglichen Verstärkung Preußens, den Zerfall des dänischen Gesammtstaats durchaus verhindern wollte, so gelangte er zu der Ansicht, das Beste sei die Auf- hebung des Königsgesetzes und die Thronfolge der Augustenburger in allen Kronlanden. Es war sicher der freundlichste Rath, der sich dem Dänen- könige geben ließ. Wenn nur die Menschen nicht Menschen wären! Wenn nur nicht der wilde Deutschenhaß der Dänen grade diesen sichersten Aus- weg ganz versperrt hätte!
Wunderlich, fast tragikomisch erschien unter solchen Umständen die Haltung des Berliner Hofes. Alle Ausländer trauten ihm einen Ehrgeiz zu, der ihm durch die Geschichte des preußischen Staates geradezu auf- gezwungen wurde und gleichwohl dem sanften Gemüthe dieses Königs ganz fern lag. Niemals hat Friedrich Wilhelm die Frage erwogen, ob die transalbingischen Händel nicht benutzt werden sollten um Preußens Macht- stellung an der Ostsee zu verstärken; er hielt für unmöglich, daß man ihm so verruchte Pläne auch nur andichten könnte. Wie er den leidlichen Ausgang des Kölnischen Bischofsstreites lediglich dem Trotze Droste-Vische- ring's verdankte, so wurden auch die nothwendigen Kämpfe, welche schließ- lich unsere Nordmark unter die Krone der Hohenzollern bringen sollten, nicht durch preußische Berechnung, sondern einzig und allein durch die Verblendung Christian's VIII. und seiner Dänen herbeigeführt. Eine Re- gierung ohne Stolz und Thatkraft, welche grundsätzlich nie das Schwert ziehen will, kann sich vielleicht, durch die Macht alter Traditionen, noch eine Zeit lang ein tüchtiges Heer bewahren, ihr Auswärtiges Amt aber muß schnell entsittlicht werden. Welch einen jämmerlichen Anblick bot doch das diplomatische Corps des vierten Friedrich Wilhelm neben jenen kühnen, kriegerischen Gesandten, die einst die Befehle des großen Königs handfest vollstreckt hatten. General Rauch war ein guter Russe, obwohl ihm das preußische Gefühl nicht gänzlich fehlte, Bunsen war ein guter Engländer, Graf Arnim ein guter Oesterreicher, aber sie Alle überbot noch bei Weitem Freiherr Schoultz von Ascheraden in Kopenhagen. Einen besseren Patrioten als diesen fremdbrüderlichen preußischen Gesandten hat Gammel Danne- mark unter seinen eigenen Landeskindern nie besessen. Schoultz war vor langen Jahren auf dem gleichgiltigen Kopenhagener Gesandtschaftsposten versorgt worden, wo alle Höfe ihre diplomatischen Nullen unterzubringen pflegten, und behielt die Stelle leider auch als sie plötzlich hochwichtig wurde. Er fühlte sich am Sunde ganz heimisch, glaubte den dänischen Ministern, die fast durchweg gebildete, liebenswürdige Männer waren, treulich auf's Wort und berichtete in seinem schauderhaften Französisch, das
Preußens Haltung. Schoultz v. Aſcheraden.
liberale Ungeziefer ſeit Jahren careſſirt und jetzt vor der Zeit unreife Pläne verlautbart habe, während man doch ſonſt die Gäſte nicht in die Küche führe, ſondern ihnen die Speiſen fertig vorſetze. Von Berlin her gewarnt ſah er jedoch ein, daß man die ungeheuere Aufregung in Deutſchland irgendwie beſchwichtigen mußte; und da er, ſchon wegen der möglichen Verſtärkung Preußens, den Zerfall des däniſchen Geſammtſtaats durchaus verhindern wollte, ſo gelangte er zu der Anſicht, das Beſte ſei die Auf- hebung des Königsgeſetzes und die Thronfolge der Auguſtenburger in allen Kronlanden. Es war ſicher der freundlichſte Rath, der ſich dem Dänen- könige geben ließ. Wenn nur die Menſchen nicht Menſchen wären! Wenn nur nicht der wilde Deutſchenhaß der Dänen grade dieſen ſicherſten Aus- weg ganz verſperrt hätte!
Wunderlich, faſt tragikomiſch erſchien unter ſolchen Umſtänden die Haltung des Berliner Hofes. Alle Ausländer trauten ihm einen Ehrgeiz zu, der ihm durch die Geſchichte des preußiſchen Staates geradezu auf- gezwungen wurde und gleichwohl dem ſanften Gemüthe dieſes Königs ganz fern lag. Niemals hat Friedrich Wilhelm die Frage erwogen, ob die transalbingiſchen Händel nicht benutzt werden ſollten um Preußens Macht- ſtellung an der Oſtſee zu verſtärken; er hielt für unmöglich, daß man ihm ſo verruchte Pläne auch nur andichten könnte. Wie er den leidlichen Ausgang des Kölniſchen Biſchofsſtreites lediglich dem Trotze Droſte-Viſche- ring’s verdankte, ſo wurden auch die nothwendigen Kämpfe, welche ſchließ- lich unſere Nordmark unter die Krone der Hohenzollern bringen ſollten, nicht durch preußiſche Berechnung, ſondern einzig und allein durch die Verblendung Chriſtian’s VIII. und ſeiner Dänen herbeigeführt. Eine Re- gierung ohne Stolz und Thatkraft, welche grundſätzlich nie das Schwert ziehen will, kann ſich vielleicht, durch die Macht alter Traditionen, noch eine Zeit lang ein tüchtiges Heer bewahren, ihr Auswärtiges Amt aber muß ſchnell entſittlicht werden. Welch einen jämmerlichen Anblick bot doch das diplomatiſche Corps des vierten Friedrich Wilhelm neben jenen kühnen, kriegeriſchen Geſandten, die einſt die Befehle des großen Königs handfeſt vollſtreckt hatten. General Rauch war ein guter Ruſſe, obwohl ihm das preußiſche Gefühl nicht gänzlich fehlte, Bunſen war ein guter Engländer, Graf Arnim ein guter Oeſterreicher, aber ſie Alle überbot noch bei Weitem Freiherr Schoultz von Aſcheraden in Kopenhagen. Einen beſſeren Patrioten als dieſen fremdbrüderlichen preußiſchen Geſandten hat Gammel Danne- mark unter ſeinen eigenen Landeskindern nie beſeſſen. Schoultz war vor langen Jahren auf dem gleichgiltigen Kopenhagener Geſandtſchaftspoſten verſorgt worden, wo alle Höfe ihre diplomatiſchen Nullen unterzubringen pflegten, und behielt die Stelle leider auch als ſie plötzlich hochwichtig wurde. Er fühlte ſich am Sunde ganz heimiſch, glaubte den däniſchen Miniſtern, die faſt durchweg gebildete, liebenswürdige Männer waren, treulich auf’s Wort und berichtete in ſeinem ſchauderhaften Franzöſiſch, das
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Preußens Haltung. Schoultz v. Aſcheraden.
liberale Ungeziefer ſeit Jahren careſſirt und jetzt vor der Zeit unreife Pläne
verlautbart habe, während man doch ſonſt die Gäſte nicht in die Küche
führe, ſondern ihnen die Speiſen fertig vorſetze. Von Berlin her gewarnt
ſah er jedoch ein, daß man die ungeheuere Aufregung in Deutſchland
irgendwie beſchwichtigen mußte; und da er, ſchon wegen der möglichen
Verſtärkung Preußens, den Zerfall des däniſchen Geſammtſtaats durchaus
verhindern wollte, ſo gelangte er zu der Anſicht, das Beſte ſei die Auf-
hebung des Königsgeſetzes und die Thronfolge der Auguſtenburger in allen
Kronlanden. Es war ſicher der freundlichſte Rath, der ſich dem Dänen-
könige geben ließ. Wenn nur die Menſchen nicht Menſchen wären! Wenn
nur nicht der wilde Deutſchenhaß der Dänen grade dieſen ſicherſten Aus-
weg ganz verſperrt hätte!
Wunderlich, faſt tragikomiſch erſchien unter ſolchen Umſtänden die
Haltung des Berliner Hofes. Alle Ausländer trauten ihm einen Ehrgeiz
zu, der ihm durch die Geſchichte des preußiſchen Staates geradezu auf-
gezwungen wurde und gleichwohl dem ſanften Gemüthe dieſes Königs ganz
fern lag. Niemals hat Friedrich Wilhelm die Frage erwogen, ob die
transalbingiſchen Händel nicht benutzt werden ſollten um Preußens Macht-
ſtellung an der Oſtſee zu verſtärken; er hielt für unmöglich, daß man ihm
ſo verruchte Pläne auch nur andichten könnte. Wie er den leidlichen
Ausgang des Kölniſchen Biſchofsſtreites lediglich dem Trotze Droſte-Viſche-
ring’s verdankte, ſo wurden auch die nothwendigen Kämpfe, welche ſchließ-
lich unſere Nordmark unter die Krone der Hohenzollern bringen ſollten,
nicht durch preußiſche Berechnung, ſondern einzig und allein durch die
Verblendung Chriſtian’s VIII. und ſeiner Dänen herbeigeführt. Eine Re-
gierung ohne Stolz und Thatkraft, welche grundſätzlich nie das Schwert
ziehen will, kann ſich vielleicht, durch die Macht alter Traditionen, noch eine
Zeit lang ein tüchtiges Heer bewahren, ihr Auswärtiges Amt aber muß
ſchnell entſittlicht werden. Welch einen jämmerlichen Anblick bot doch das
diplomatiſche Corps des vierten Friedrich Wilhelm neben jenen kühnen,
kriegeriſchen Geſandten, die einſt die Befehle des großen Königs handfeſt
vollſtreckt hatten. General Rauch war ein guter Ruſſe, obwohl ihm das
preußiſche Gefühl nicht gänzlich fehlte, Bunſen war ein guter Engländer,
Graf Arnim ein guter Oeſterreicher, aber ſie Alle überbot noch bei Weitem
Freiherr Schoultz von Aſcheraden in Kopenhagen. Einen beſſeren Patrioten
als dieſen fremdbrüderlichen preußiſchen Geſandten hat Gammel Danne-
mark unter ſeinen eigenen Landeskindern nie beſeſſen. Schoultz war vor
langen Jahren auf dem gleichgiltigen Kopenhagener Geſandtſchaftspoſten
verſorgt worden, wo alle Höfe ihre diplomatiſchen Nullen unterzubringen
pflegten, und behielt die Stelle leider auch als ſie plötzlich hochwichtig
wurde. Er fühlte ſich am Sunde ganz heimiſch, glaubte den däniſchen
Miniſtern, die faſt durchweg gebildete, liebenswürdige Männer waren,
treulich auf’s Wort und berichtete in ſeinem ſchauderhaften Franzöſiſch, das
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 583. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/597>, abgerufen am 25.11.2024.
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