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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 7. Polen und Schleswigholstein.
er nicht abgeneigt war bei einer Theilung der deutschen Herzogthümer
herzhaft zuzugreifen. Die russischen Gottorper hatten zwar durch die
Verträge von 1767 und 73 auf das längst verlorene Schleswig förmlich
verzichtet und ihren Antheil an Holstein ausgetauscht gegen die Grafschaften
Delmenhorst und Oldenburg, die nachher der jüngsten gottorpischen
Linie überwiesen wurden. Doch wann war jemals ein russischer Vertrag
zu Stande gekommen, der nicht nachher irgendwo einen Haken zeigte?
Jener Verzicht war erfolgt zu Gunsten des damaligen Königs von Däne-
mark "und seiner Kronerben". Wer diese Kronerben seien, wurde jetzt
streitig. Folglich, so schlossen die Moskowiter mit ihrer eigenthümlichen
Logik, konnten Rußlands Ansprüche auf den gottorpischen Antheil an Hol-
stein vielleicht wieder aufleben, und zu diesem Antheile gehörte erfreulicher-
weise auch der Kieler Hafen! Dem preußischen Gesandten sagte Nesselrode
mehrmals: wir glauben auf Holstein Ansprüche zu haben; ich habe dem
Kaiser abgerathen sie aufzugeben, weil er die Rechte seiner Nachkommen
nicht aufopfern darf und sich jedenfalls ein Compensationsobjekt sichern
muß.*) Noch aufrichtiger redete eine Weisung des russischen Kanzlers an
den Geschäftsträger in Kopenhagen. Hier belobte er den Offenen Brief
als eine weise Maßregel und billigte durchaus die Rechtsanschauung des
Dänenkönigs. Schleswig unterliege, nachdem das Haus Gottorp darauf
verzichtet, dem dänischen Thronfolgerechte -- so schrieb er zuversichtlich, ob-
gleich die Gottorper ein Recht, das ihnen selber nicht zustand, doch sicher-
lich auch nicht hatten abtreten können. Ueber Holstein müsse man allerdings
noch verhandeln; indeß würde der Czar sich aufrichtig freuen, die Ansprüche
des Hauses Gottorp in Einklang zu bringen "mit den Lebensinteressen
einer Monarchie, deren Aufrechterhaltung und Untheilbarkeit der König
mit einer gerechten Besorgniß betrachtet, welche Se. Kais. Majestät in
hohem Grade theilt".**) Auf Rußlands Beistand konnte sich Christian
mithin verlassen, wenn er nöthigenfalls dem Hause Gottorp irgend eine
Entschädigung gewährte. Ueber die Ansprüche der Augustenburger äußerte
sich der Czar vorläufig noch nicht abschließend, aber die Haltung der
Schleswigholsteiner fand er revolutionär.

Der Wiener Hofburg kam der transalbingische Streit sehr ungelegen;
nach der Eigenart ihres Reiches hatte sie ja selbst nichts mehr zu fürchten
als die Macht der nationalen Ideen. Von Deutschthum, Dänenthum und
anderen solchen "Thümern" wollte Metternich gar nichts hören. Er war
empört über das Gelichter der deutschen liberalen Partei und ihr Halli-
Halloh, er fand die ganze schamlose Agitation künstlich, gemacht, revolu-
tionär und wünschte vornehmlich Bestrafung der frechen Heidelberger
Professoren. Aber auch der Krone Dänemark warf er vor, daß sie das

*) Rochow's Berichte, 6. 19. 27. Aug., 25. Sept. 1846.
**) Nesselrode, Weisung an den Geschäftsträger v. Ewers, 3./15. Aug. 1846.

V. 7. Polen und Schleswigholſtein.
er nicht abgeneigt war bei einer Theilung der deutſchen Herzogthümer
herzhaft zuzugreifen. Die ruſſiſchen Gottorper hatten zwar durch die
Verträge von 1767 und 73 auf das längſt verlorene Schleswig förmlich
verzichtet und ihren Antheil an Holſtein ausgetauſcht gegen die Grafſchaften
Delmenhorſt und Oldenburg, die nachher der jüngſten gottorpiſchen
Linie überwieſen wurden. Doch wann war jemals ein ruſſiſcher Vertrag
zu Stande gekommen, der nicht nachher irgendwo einen Haken zeigte?
Jener Verzicht war erfolgt zu Gunſten des damaligen Königs von Däne-
mark „und ſeiner Kronerben“. Wer dieſe Kronerben ſeien, wurde jetzt
ſtreitig. Folglich, ſo ſchloſſen die Moskowiter mit ihrer eigenthümlichen
Logik, konnten Rußlands Anſprüche auf den gottorpiſchen Antheil an Hol-
ſtein vielleicht wieder aufleben, und zu dieſem Antheile gehörte erfreulicher-
weiſe auch der Kieler Hafen! Dem preußiſchen Geſandten ſagte Neſſelrode
mehrmals: wir glauben auf Holſtein Anſprüche zu haben; ich habe dem
Kaiſer abgerathen ſie aufzugeben, weil er die Rechte ſeiner Nachkommen
nicht aufopfern darf und ſich jedenfalls ein Compenſationsobjekt ſichern
muß.*) Noch aufrichtiger redete eine Weiſung des ruſſiſchen Kanzlers an
den Geſchäftsträger in Kopenhagen. Hier belobte er den Offenen Brief
als eine weiſe Maßregel und billigte durchaus die Rechtsanſchauung des
Dänenkönigs. Schleswig unterliege, nachdem das Haus Gottorp darauf
verzichtet, dem däniſchen Thronfolgerechte — ſo ſchrieb er zuverſichtlich, ob-
gleich die Gottorper ein Recht, das ihnen ſelber nicht zuſtand, doch ſicher-
lich auch nicht hatten abtreten können. Ueber Holſtein müſſe man allerdings
noch verhandeln; indeß würde der Czar ſich aufrichtig freuen, die Anſprüche
des Hauſes Gottorp in Einklang zu bringen „mit den Lebensintereſſen
einer Monarchie, deren Aufrechterhaltung und Untheilbarkeit der König
mit einer gerechten Beſorgniß betrachtet, welche Se. Kaiſ. Majeſtät in
hohem Grade theilt“.**) Auf Rußlands Beiſtand konnte ſich Chriſtian
mithin verlaſſen, wenn er nöthigenfalls dem Hauſe Gottorp irgend eine
Entſchädigung gewährte. Ueber die Anſprüche der Auguſtenburger äußerte
ſich der Czar vorläufig noch nicht abſchließend, aber die Haltung der
Schleswigholſteiner fand er revolutionär.

Der Wiener Hofburg kam der transalbingiſche Streit ſehr ungelegen;
nach der Eigenart ihres Reiches hatte ſie ja ſelbſt nichts mehr zu fürchten
als die Macht der nationalen Ideen. Von Deutſchthum, Dänenthum und
anderen ſolchen „Thümern“ wollte Metternich gar nichts hören. Er war
empört über das Gelichter der deutſchen liberalen Partei und ihr Halli-
Halloh, er fand die ganze ſchamloſe Agitation künſtlich, gemacht, revolu-
tionär und wünſchte vornehmlich Beſtrafung der frechen Heidelberger
Profeſſoren. Aber auch der Krone Dänemark warf er vor, daß ſie das

*) Rochow’s Berichte, 6. 19. 27. Aug., 25. Sept. 1846.
**) Neſſelrode, Weiſung an den Geſchäftsträger v. Ewers, 3./15. Aug. 1846.
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[582/0596] V. 7. Polen und Schleswigholſtein. er nicht abgeneigt war bei einer Theilung der deutſchen Herzogthümer herzhaft zuzugreifen. Die ruſſiſchen Gottorper hatten zwar durch die Verträge von 1767 und 73 auf das längſt verlorene Schleswig förmlich verzichtet und ihren Antheil an Holſtein ausgetauſcht gegen die Grafſchaften Delmenhorſt und Oldenburg, die nachher der jüngſten gottorpiſchen Linie überwieſen wurden. Doch wann war jemals ein ruſſiſcher Vertrag zu Stande gekommen, der nicht nachher irgendwo einen Haken zeigte? Jener Verzicht war erfolgt zu Gunſten des damaligen Königs von Däne- mark „und ſeiner Kronerben“. Wer dieſe Kronerben ſeien, wurde jetzt ſtreitig. Folglich, ſo ſchloſſen die Moskowiter mit ihrer eigenthümlichen Logik, konnten Rußlands Anſprüche auf den gottorpiſchen Antheil an Hol- ſtein vielleicht wieder aufleben, und zu dieſem Antheile gehörte erfreulicher- weiſe auch der Kieler Hafen! Dem preußiſchen Geſandten ſagte Neſſelrode mehrmals: wir glauben auf Holſtein Anſprüche zu haben; ich habe dem Kaiſer abgerathen ſie aufzugeben, weil er die Rechte ſeiner Nachkommen nicht aufopfern darf und ſich jedenfalls ein Compenſationsobjekt ſichern muß. *) Noch aufrichtiger redete eine Weiſung des ruſſiſchen Kanzlers an den Geſchäftsträger in Kopenhagen. Hier belobte er den Offenen Brief als eine weiſe Maßregel und billigte durchaus die Rechtsanſchauung des Dänenkönigs. Schleswig unterliege, nachdem das Haus Gottorp darauf verzichtet, dem däniſchen Thronfolgerechte — ſo ſchrieb er zuverſichtlich, ob- gleich die Gottorper ein Recht, das ihnen ſelber nicht zuſtand, doch ſicher- lich auch nicht hatten abtreten können. Ueber Holſtein müſſe man allerdings noch verhandeln; indeß würde der Czar ſich aufrichtig freuen, die Anſprüche des Hauſes Gottorp in Einklang zu bringen „mit den Lebensintereſſen einer Monarchie, deren Aufrechterhaltung und Untheilbarkeit der König mit einer gerechten Beſorgniß betrachtet, welche Se. Kaiſ. Majeſtät in hohem Grade theilt“. **) Auf Rußlands Beiſtand konnte ſich Chriſtian mithin verlaſſen, wenn er nöthigenfalls dem Hauſe Gottorp irgend eine Entſchädigung gewährte. Ueber die Anſprüche der Auguſtenburger äußerte ſich der Czar vorläufig noch nicht abſchließend, aber die Haltung der Schleswigholſteiner fand er revolutionär. Der Wiener Hofburg kam der transalbingiſche Streit ſehr ungelegen; nach der Eigenart ihres Reiches hatte ſie ja ſelbſt nichts mehr zu fürchten als die Macht der nationalen Ideen. Von Deutſchthum, Dänenthum und anderen ſolchen „Thümern“ wollte Metternich gar nichts hören. Er war empört über das Gelichter der deutſchen liberalen Partei und ihr Halli- Halloh, er fand die ganze ſchamloſe Agitation künſtlich, gemacht, revolu- tionär und wünſchte vornehmlich Beſtrafung der frechen Heidelberger Profeſſoren. Aber auch der Krone Dänemark warf er vor, daß ſie das *) Rochow’s Berichte, 6. 19. 27. Aug., 25. Sept. 1846. **) Neſſelrode, Weiſung an den Geſchäftsträger v. Ewers, 3./15. Aug. 1846.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 582. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/596>, abgerufen am 22.11.2024.