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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Dänemark und die Großmächte.
es -- sich fest an Deutschland anschließen, zu seiner Sicherung preußi-
sche Truppen herbeirufen, vielleicht gar der preußischen Flotte, deren
erstes Schiff soeben vom Stapel gelaufen war, den schönsten Hafen der
Ostsee einräumen. Ein deutscher Kriegshafen in Kiel! -- dieser eine
Gedanke genügte um jedes englische Herz zu empören. Aus Haß gegen
Deutschland wurden Dänemarks Erbfeinde, die Briten jetzt freundliche
Gönner des Kopenhagener Hofes. Gleich nach dem Erscheinen des Offenen
Briefs schrieb die Times, damals noch das mächtige Organ der nationalen
Meinung: "Die preußischen Staatsmänner können nicht freigesprochen
werden von dem Vorwurfe, daß sie mit einer gewissen Bereitwilligkeit
eine fieberische, der Ruhe eines Nachbarlandes gefährliche Aufregung lebendig
erhalten haben, weil es ihnen einfiel die deutsche Nation angenehm zu
unterhalten (to amuse), und weil sie vielleicht deren Aufmerksamkeit von
anderen, weit mehr praktischen und der Heimath viel näher liegenden
Fragen ablenken wollten." Dann wurde Deutschland gewarnt vor der
Ländergier, die schon in der neuen Welt gefährlich, im Herzen Europas
verderblich wirke. Mit solcher Heuchelei wagte ein Volk, das sich Jahr
für Jahr neue Kolonien aneignete, die Deutschen zu beschimpfen, weil sie
bescheiden das Erbe ihrer Väter behaupten wollten! Die Regierung hielt
sich noch zurück: sie wünschte zunächst nur, daß der dänische Gesammtstaat
zusammenbliebe, gleichviel unter welchem Herrscherhause; denn sie betrachtete
ihn, wunderlich genug, als ein Bollwerk gegen Rußland!

Etwas dreister wagte sich Frankreich, der alte treue Bundesgenosse
Dänemarks, hervor. Das Verhältniß zwischen den beiden Höfen war sehr
herzlich. Ludwig Philipp sendete einmal den halbverschollenen alten
Herzog Decazes, bourbonischen Andenkens, der zugleich dänischer Vasall
war, als außerordentlichen Botschafter hinüber; der Dänenkönig fühlte
sich sehr geschmeichelt und ernannte Guizot zum ersten bürgerlichen
Ritter seines Elephantenordens. Unterdessen reiste der französische Ge-
sandte Baron Billing zwischen Kopenhagen, Paris und London ge-
heimnißvoll hin und her um die Pläne König Christian's zu befördern;
er witterte heraus, sein Beobachtungsposten müsse jetzt zu einem Aktions-
posten werden, und erhielt von Guizot Befehl, den Bestrebungen Preußens
und Rußlands entgegenzuarbeiten, obgleich die beiden Ostseemächte hier
am Sunde keineswegs zusammengingen.*) Alle diese kleinen diplomatischen
Zettelungen blieben zunächst ohne Folgen. Der Tuilerienhof betrachtete
den dänischen Gesammtstaat als ein europäisches Heiligthum; von näheren
Sorgen bedrängt hatte er sich jedoch eine feste Ansicht über die Erbfolge-
frage bisher noch nicht gebildet.

Die Westmächte konnten in Schleswigholstein für sich selbst nichts
verlangen. Der Petersburger Hof dagegen verrieth schon deutlich, daß

*) Schoultz v. Ascheraden's Berichte, 16. Jan., 25. 30. Mai, 25. Juni 1846.

Dänemark und die Großmächte.
es — ſich feſt an Deutſchland anſchließen, zu ſeiner Sicherung preußi-
ſche Truppen herbeirufen, vielleicht gar der preußiſchen Flotte, deren
erſtes Schiff ſoeben vom Stapel gelaufen war, den ſchönſten Hafen der
Oſtſee einräumen. Ein deutſcher Kriegshafen in Kiel! — dieſer eine
Gedanke genügte um jedes engliſche Herz zu empören. Aus Haß gegen
Deutſchland wurden Dänemarks Erbfeinde, die Briten jetzt freundliche
Gönner des Kopenhagener Hofes. Gleich nach dem Erſcheinen des Offenen
Briefs ſchrieb die Times, damals noch das mächtige Organ der nationalen
Meinung: „Die preußiſchen Staatsmänner können nicht freigeſprochen
werden von dem Vorwurfe, daß ſie mit einer gewiſſen Bereitwilligkeit
eine fieberiſche, der Ruhe eines Nachbarlandes gefährliche Aufregung lebendig
erhalten haben, weil es ihnen einfiel die deutſche Nation angenehm zu
unterhalten (to amuse), und weil ſie vielleicht deren Aufmerkſamkeit von
anderen, weit mehr praktiſchen und der Heimath viel näher liegenden
Fragen ablenken wollten.“ Dann wurde Deutſchland gewarnt vor der
Ländergier, die ſchon in der neuen Welt gefährlich, im Herzen Europas
verderblich wirke. Mit ſolcher Heuchelei wagte ein Volk, das ſich Jahr
für Jahr neue Kolonien aneignete, die Deutſchen zu beſchimpfen, weil ſie
beſcheiden das Erbe ihrer Väter behaupten wollten! Die Regierung hielt
ſich noch zurück: ſie wünſchte zunächſt nur, daß der däniſche Geſammtſtaat
zuſammenbliebe, gleichviel unter welchem Herrſcherhauſe; denn ſie betrachtete
ihn, wunderlich genug, als ein Bollwerk gegen Rußland!

Etwas dreiſter wagte ſich Frankreich, der alte treue Bundesgenoſſe
Dänemarks, hervor. Das Verhältniß zwiſchen den beiden Höfen war ſehr
herzlich. Ludwig Philipp ſendete einmal den halbverſchollenen alten
Herzog Decazes, bourboniſchen Andenkens, der zugleich däniſcher Vaſall
war, als außerordentlichen Botſchafter hinüber; der Dänenkönig fühlte
ſich ſehr geſchmeichelt und ernannte Guizot zum erſten bürgerlichen
Ritter ſeines Elephantenordens. Unterdeſſen reiſte der franzöſiſche Ge-
ſandte Baron Billing zwiſchen Kopenhagen, Paris und London ge-
heimnißvoll hin und her um die Pläne König Chriſtian’s zu befördern;
er witterte heraus, ſein Beobachtungspoſten müſſe jetzt zu einem Aktions-
poſten werden, und erhielt von Guizot Befehl, den Beſtrebungen Preußens
und Rußlands entgegenzuarbeiten, obgleich die beiden Oſtſeemächte hier
am Sunde keineswegs zuſammengingen.*) Alle dieſe kleinen diplomatiſchen
Zettelungen blieben zunächſt ohne Folgen. Der Tuilerienhof betrachtete
den däniſchen Geſammtſtaat als ein europäiſches Heiligthum; von näheren
Sorgen bedrängt hatte er ſich jedoch eine feſte Anſicht über die Erbfolge-
frage bisher noch nicht gebildet.

Die Weſtmächte konnten in Schleswigholſtein für ſich ſelbſt nichts
verlangen. Der Petersburger Hof dagegen verrieth ſchon deutlich, daß

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[581/0595] Dänemark und die Großmächte. es — ſich feſt an Deutſchland anſchließen, zu ſeiner Sicherung preußi- ſche Truppen herbeirufen, vielleicht gar der preußiſchen Flotte, deren erſtes Schiff ſoeben vom Stapel gelaufen war, den ſchönſten Hafen der Oſtſee einräumen. Ein deutſcher Kriegshafen in Kiel! — dieſer eine Gedanke genügte um jedes engliſche Herz zu empören. Aus Haß gegen Deutſchland wurden Dänemarks Erbfeinde, die Briten jetzt freundliche Gönner des Kopenhagener Hofes. Gleich nach dem Erſcheinen des Offenen Briefs ſchrieb die Times, damals noch das mächtige Organ der nationalen Meinung: „Die preußiſchen Staatsmänner können nicht freigeſprochen werden von dem Vorwurfe, daß ſie mit einer gewiſſen Bereitwilligkeit eine fieberiſche, der Ruhe eines Nachbarlandes gefährliche Aufregung lebendig erhalten haben, weil es ihnen einfiel die deutſche Nation angenehm zu unterhalten (to amuse), und weil ſie vielleicht deren Aufmerkſamkeit von anderen, weit mehr praktiſchen und der Heimath viel näher liegenden Fragen ablenken wollten.“ Dann wurde Deutſchland gewarnt vor der Ländergier, die ſchon in der neuen Welt gefährlich, im Herzen Europas verderblich wirke. Mit ſolcher Heuchelei wagte ein Volk, das ſich Jahr für Jahr neue Kolonien aneignete, die Deutſchen zu beſchimpfen, weil ſie beſcheiden das Erbe ihrer Väter behaupten wollten! Die Regierung hielt ſich noch zurück: ſie wünſchte zunächſt nur, daß der däniſche Geſammtſtaat zuſammenbliebe, gleichviel unter welchem Herrſcherhauſe; denn ſie betrachtete ihn, wunderlich genug, als ein Bollwerk gegen Rußland! Etwas dreiſter wagte ſich Frankreich, der alte treue Bundesgenoſſe Dänemarks, hervor. Das Verhältniß zwiſchen den beiden Höfen war ſehr herzlich. Ludwig Philipp ſendete einmal den halbverſchollenen alten Herzog Decazes, bourboniſchen Andenkens, der zugleich däniſcher Vaſall war, als außerordentlichen Botſchafter hinüber; der Dänenkönig fühlte ſich ſehr geſchmeichelt und ernannte Guizot zum erſten bürgerlichen Ritter ſeines Elephantenordens. Unterdeſſen reiſte der franzöſiſche Ge- ſandte Baron Billing zwiſchen Kopenhagen, Paris und London ge- heimnißvoll hin und her um die Pläne König Chriſtian’s zu befördern; er witterte heraus, ſein Beobachtungspoſten müſſe jetzt zu einem Aktions- poſten werden, und erhielt von Guizot Befehl, den Beſtrebungen Preußens und Rußlands entgegenzuarbeiten, obgleich die beiden Oſtſeemächte hier am Sunde keineswegs zuſammengingen. *) Alle dieſe kleinen diplomatiſchen Zettelungen blieben zunächſt ohne Folgen. Der Tuilerienhof betrachtete den däniſchen Geſammtſtaat als ein europäiſches Heiligthum; von näheren Sorgen bedrängt hatte er ſich jedoch eine feſte Anſicht über die Erbfolge- frage bisher noch nicht gebildet. Die Weſtmächte konnten in Schleswigholſtein für ſich ſelbſt nichts verlangen. Der Petersburger Hof dagegen verrieth ſchon deutlich, daß *) Schoultz v. Aſcheraden’s Berichte, 16. Jan., 25. 30. Mai, 25. Juni 1846.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 581. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/595>, abgerufen am 22.11.2024.