suchte. In vertrauten Briefen äußerte sich der Prinz von Noer auf's Gröbste über "unser schwägerliches Schöpsgenie und die übrige Bagage, die meinetwegen zur Hölle fahren mag".
Der Herzog besaß eine gute Bildung, und die Gäste, die er auf Gravenstein oder Augustenburg empfing, rühmten die Liebenswürdigkeit seines ehrbaren Hauses; aber hinter gemessenen, weltmännischen Formen verbarg er eine hoffärtige Selbstgerechtigkeit, die in der langjährigen Ein- samkeit des Landlebens schließlich so mächtig anschwoll, daß er jede ab- weichende Meinung kurzweg für "blühenden Unsinn" ansah. Vertrauen und Liebe fand er nirgends, obgleich er im Schleswiger Landtage taktvoll und verständig auftrat. Seine Gutsunterthanen im Sundewitt und auf Alsen haßten den strengen Grundherrn herzlich, sie waren die eifrigsten Dänen in ganz Nordschleswig. An die sittlichen Mächte des Völkerlebens glaubte er nicht fester als sein königlicher Schwager; der Zufall erschien seinem dürren Verstande als die bewegende Macht der Geschichte.
Ebenso selbstgefällig dachte der Prinz von Noer; der trug seinen maß- losen Dünkel herausfordernd zur Schau, er ließ an Niemand, nicht ein- mal an seinem Bruder, ein gutes Haar und verletzte Jedermann durch sein absprechendes, junkerhaftes Wesen. Noch nach dem Kriege rühmte er sich kurzab, "der einzigste consequente Mensch in der schleswigholsteinischen Sache" zu sein.*) Er prahlte mit seiner kriegerischen Tüchtigkeit und doch fehlte ihm jedes militärische Urtheil, auf das peußische Heer sah er aus Himmelshöhen mitleidig hernieder. An unruhigem Ehrgeiz gebrach es ihm nicht. Die Statthalterwürde hatte er seit Jahren für sein Haus erstrebt; nachher wußte er freilich mit dem mehr glänzenden als einflußreichen Amte wenig anzufangen. Außer einigen persönlichen Freunden besaßen die Augustenburger durchaus keine Partei im Lande. Selbst K. Samwer war, als er seine erste Schrift über die Erbfolgefrage herausgab, dem Herzoge noch ganz unbekannt;**) er schrieb nach seiner ehrlichen juristischen Ueberzeugung und trat erst späterhin mit dem Augustenburgischen Hofe in Verkehr. Zwar verfaßte der Herzog selbst seit dem Ende der dreißiger Jahre eine Menge anonymer Schriften und Zeitungsartikel zur Verthei- digung seiner Rechte, und noch manche andere Feder stand ihm zu Dien- sten. Aber diese emsige Schriftstellerei allein konnte nur wenig ausrichten. Auf die Massen der schlichten Bürger und Bauern wirkte der Name Augustenburg damals eher abschreckend als anspornend; sie waren, ohne viel nach den dynastischen Folgen zu fragen, schlechtweg begeistert für das alte deutsche Recht ihres Landes.
Soeben erst, im Sommer 1844, hatte König Christian gewohnter- maßen das Seebad auf Föhr besucht und unterwegs aus dem herzlichen
*) Prinz v. Noer an Franz Hegewisch, 25. Dec. 1853.
**) Dies ergiebt sich unzweifelhaft aus den Briefen des Herzogs v. Augustenburg an Franz Hegewisch, 14. März, 3. April 1844.
V. 7. Polen und Schleswigholſtein.
ſuchte. In vertrauten Briefen äußerte ſich der Prinz von Noer auf’s Gröbſte über „unſer ſchwägerliches Schöpsgenie und die übrige Bagage, die meinetwegen zur Hölle fahren mag“.
Der Herzog beſaß eine gute Bildung, und die Gäſte, die er auf Gravenſtein oder Auguſtenburg empfing, rühmten die Liebenswürdigkeit ſeines ehrbaren Hauſes; aber hinter gemeſſenen, weltmänniſchen Formen verbarg er eine hoffärtige Selbſtgerechtigkeit, die in der langjährigen Ein- ſamkeit des Landlebens ſchließlich ſo mächtig anſchwoll, daß er jede ab- weichende Meinung kurzweg für „blühenden Unſinn“ anſah. Vertrauen und Liebe fand er nirgends, obgleich er im Schleswiger Landtage taktvoll und verſtändig auftrat. Seine Gutsunterthanen im Sundewitt und auf Alſen haßten den ſtrengen Grundherrn herzlich, ſie waren die eifrigſten Dänen in ganz Nordſchleswig. An die ſittlichen Mächte des Völkerlebens glaubte er nicht feſter als ſein königlicher Schwager; der Zufall erſchien ſeinem dürren Verſtande als die bewegende Macht der Geſchichte.
Ebenſo ſelbſtgefällig dachte der Prinz von Noer; der trug ſeinen maß- loſen Dünkel herausfordernd zur Schau, er ließ an Niemand, nicht ein- mal an ſeinem Bruder, ein gutes Haar und verletzte Jedermann durch ſein abſprechendes, junkerhaftes Weſen. Noch nach dem Kriege rühmte er ſich kurzab, „der einzigſte conſequente Menſch in der ſchleswigholſteiniſchen Sache“ zu ſein.*) Er prahlte mit ſeiner kriegeriſchen Tüchtigkeit und doch fehlte ihm jedes militäriſche Urtheil, auf das peußiſche Heer ſah er aus Himmelshöhen mitleidig hernieder. An unruhigem Ehrgeiz gebrach es ihm nicht. Die Statthalterwürde hatte er ſeit Jahren für ſein Haus erſtrebt; nachher wußte er freilich mit dem mehr glänzenden als einflußreichen Amte wenig anzufangen. Außer einigen perſönlichen Freunden beſaßen die Auguſtenburger durchaus keine Partei im Lande. Selbſt K. Samwer war, als er ſeine erſte Schrift über die Erbfolgefrage herausgab, dem Herzoge noch ganz unbekannt;**) er ſchrieb nach ſeiner ehrlichen juriſtiſchen Ueberzeugung und trat erſt ſpäterhin mit dem Auguſtenburgiſchen Hofe in Verkehr. Zwar verfaßte der Herzog ſelbſt ſeit dem Ende der dreißiger Jahre eine Menge anonymer Schriften und Zeitungsartikel zur Verthei- digung ſeiner Rechte, und noch manche andere Feder ſtand ihm zu Dien- ſten. Aber dieſe emſige Schriftſtellerei allein konnte nur wenig ausrichten. Auf die Maſſen der ſchlichten Bürger und Bauern wirkte der Name Auguſtenburg damals eher abſchreckend als anſpornend; ſie waren, ohne viel nach den dynaſtiſchen Folgen zu fragen, ſchlechtweg begeiſtert für das alte deutſche Recht ihres Landes.
Soeben erſt, im Sommer 1844, hatte König Chriſtian gewohnter- maßen das Seebad auf Föhr beſucht und unterwegs aus dem herzlichen
*) Prinz v. Noer an Franz Hegewiſch, 25. Dec. 1853.
**) Dies ergiebt ſich unzweifelhaft aus den Briefen des Herzogs v. Auguſtenburg an Franz Hegewiſch, 14. März, 3. April 1844.
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V. 7. Polen und Schleswigholſtein.
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Gröbſte über „unſer ſchwägerliches Schöpsgenie und die übrige Bagage,
die meinetwegen zur Hölle fahren mag“.
Der Herzog beſaß eine gute Bildung, und die Gäſte, die er auf
Gravenſtein oder Auguſtenburg empfing, rühmten die Liebenswürdigkeit
ſeines ehrbaren Hauſes; aber hinter gemeſſenen, weltmänniſchen Formen
verbarg er eine hoffärtige Selbſtgerechtigkeit, die in der langjährigen Ein-
ſamkeit des Landlebens ſchließlich ſo mächtig anſchwoll, daß er jede ab-
weichende Meinung kurzweg für „blühenden Unſinn“ anſah. Vertrauen
und Liebe fand er nirgends, obgleich er im Schleswiger Landtage taktvoll
und verſtändig auftrat. Seine Gutsunterthanen im Sundewitt und auf
Alſen haßten den ſtrengen Grundherrn herzlich, ſie waren die eifrigſten
Dänen in ganz Nordſchleswig. An die ſittlichen Mächte des Völkerlebens
glaubte er nicht feſter als ſein königlicher Schwager; der Zufall erſchien
ſeinem dürren Verſtande als die bewegende Macht der Geſchichte.
Ebenſo ſelbſtgefällig dachte der Prinz von Noer; der trug ſeinen maß-
loſen Dünkel herausfordernd zur Schau, er ließ an Niemand, nicht ein-
mal an ſeinem Bruder, ein gutes Haar und verletzte Jedermann durch
ſein abſprechendes, junkerhaftes Weſen. Noch nach dem Kriege rühmte er
ſich kurzab, „der einzigſte conſequente Menſch in der ſchleswigholſteiniſchen
Sache“ zu ſein. *) Er prahlte mit ſeiner kriegeriſchen Tüchtigkeit und doch
fehlte ihm jedes militäriſche Urtheil, auf das peußiſche Heer ſah er aus
Himmelshöhen mitleidig hernieder. An unruhigem Ehrgeiz gebrach es ihm
nicht. Die Statthalterwürde hatte er ſeit Jahren für ſein Haus erſtrebt;
nachher wußte er freilich mit dem mehr glänzenden als einflußreichen
Amte wenig anzufangen. Außer einigen perſönlichen Freunden beſaßen
die Auguſtenburger durchaus keine Partei im Lande. Selbſt K. Samwer
war, als er ſeine erſte Schrift über die Erbfolgefrage herausgab, dem
Herzoge noch ganz unbekannt; **) er ſchrieb nach ſeiner ehrlichen juriſtiſchen
Ueberzeugung und trat erſt ſpäterhin mit dem Auguſtenburgiſchen Hofe in
Verkehr. Zwar verfaßte der Herzog ſelbſt ſeit dem Ende der dreißiger
Jahre eine Menge anonymer Schriften und Zeitungsartikel zur Verthei-
digung ſeiner Rechte, und noch manche andere Feder ſtand ihm zu Dien-
ſten. Aber dieſe emſige Schriftſtellerei allein konnte nur wenig ausrichten.
Auf die Maſſen der ſchlichten Bürger und Bauern wirkte der Name
Auguſtenburg damals eher abſchreckend als anſpornend; ſie waren, ohne
viel nach den dynaſtiſchen Folgen zu fragen, ſchlechtweg begeiſtert für das
alte deutſche Recht ihres Landes.
Soeben erſt, im Sommer 1844, hatte König Chriſtian gewohnter-
maßen das Seebad auf Föhr beſucht und unterwegs aus dem herzlichen
*) Prinz v. Noer an Franz Hegewiſch, 25. Dec. 1853.
**) Dies ergiebt ſich unzweifelhaft aus den Briefen des Herzogs v. Auguſtenburg
an Franz Hegewiſch, 14. März, 3. April 1844.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 574. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/588>, abgerufen am 22.11.2024.
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