Landtag zu Viborg eine feierliche Verwahrung ein, die ihm gar nicht zustand. Der Streit währte lange, schließlich befahl der König, daß die schleswigschen Landstände nur wenn sie des Deutschen nicht mächtig wären dänisch reden dürften, aber die Jüten wurden für ihren verfassungs- widrigen Uebergriff belobt, die Schleswiger wegen ihrer gesetzmäßigen Abwehr scharf getadelt. Nach mehrfachen ähnlichen Häkeleien unterstand sich der Kopenhagener Bürgermeister Allgreen Ussing (Oct. 1844) auf dem seeländischen Landtage in Rotschild zu beantragen: der König möge die erbliche Unzertrennlichkeit des dänischen Staats öffentlich aussprechen und jeden Angriff dawider verbieten. Der Vorschlag wurde mit allen gegen eine Stimme angenommen; auch Minister Oersted, Dänemarks erster Jurist, äußerte sich im Wesentlichen zustimmend, obwohl der Antrag offen- bar weit über die Befugniß berathender Provinzialstände hinausschritt. Damit kündigten die Dänen dem alten Landesrechte Schleswigholsteins offene Fehde an; der Beschluß war um so bedenklicher, da er von einem gemäßigten Gesammtsstaatsmanne, nicht von einem eiderdänischen Demo- kraten ausging.
Diese Uebergriffe der Nachbarn weckten mit einem male die schlum- mernde politische Kraft Schleswigholsteins, die selbst durch Lornsen's Kühnheit nur leise erregt worden war. Wie ruhig hatte man hier in dem Lande der glücklichen Ehen bisher dahingelebt, jeder zufrieden im eng bezirkten Kreise des Amtes und der Familie, jeder dem anderen be- kannt, jeder noch im hohen Alter glücklich wenn man ihm nachsagen konnte, daß er einstmals im Examen "den zweiten Charakter mit rühm- licher Auszeichnung" erlangt hatte. Als aber das "up ewig ungedeelt" der alten Freiheitsbriefe frech bedroht wurde, da fuhr es wie ein Wetter- schlag in diese stille Welt, und Deutschland erfuhr staunend, wie viel starke Leidenschaft, wie viel Stolz und Talent in dem tapferen Grenzvolke lebte. Früherhin hatten die Schleswigholsteiner die Erbfolgefrage, die ja noch ganz fernab zu liegen schien, wenig beachtet; selbst Dahlmann und Falck lebten lange des Glaubens, daß Schleswig der Thronfolgeordnung des Königsgesetzes unterliege. Jetzt begann man einzusehen, daß grade die Verschiedenheit der Thronfolge das rechtliche Mittel darbot um das Deutschthum vor dänischer Tyrannei zu bewahren. Ganz zur rechten Zeit (1841) gab Georg Beseler das nachgelassene Werk Lornsen's über die Unionsverfassung heraus, und mächtig mußte die große Weise des un- vergeßlichen Mannes jedes deutsche Herz ergreifen: er verlangte ein selb- ständiges, nur durch Personalunion mit Dänemark verbundenes Schleswig- holstein und dann, sobald die königliche Linie ausstürbe, den Eintritt der befreiten Nordmark in den Deutschen Bund. Nachher veröffentlichte der junge Jurist K. Samwer eine gründliche Untersuchung über "das Staats- erbfolgerecht der Herzogthümer Schleswigholstein".
Seitdem vereinigten sich alle Deutschen in der Meinung, daß allein
Laurids Skau. Allgreen Uſſing’s Antrag.
Landtag zu Viborg eine feierliche Verwahrung ein, die ihm gar nicht zuſtand. Der Streit währte lange, ſchließlich befahl der König, daß die ſchleswigſchen Landſtände nur wenn ſie des Deutſchen nicht mächtig wären däniſch reden dürften, aber die Jüten wurden für ihren verfaſſungs- widrigen Uebergriff belobt, die Schleswiger wegen ihrer geſetzmäßigen Abwehr ſcharf getadelt. Nach mehrfachen ähnlichen Häkeleien unterſtand ſich der Kopenhagener Bürgermeiſter Allgreen Uſſing (Oct. 1844) auf dem ſeeländiſchen Landtage in Rotſchild zu beantragen: der König möge die erbliche Unzertrennlichkeit des däniſchen Staats öffentlich ausſprechen und jeden Angriff dawider verbieten. Der Vorſchlag wurde mit allen gegen eine Stimme angenommen; auch Miniſter Oerſted, Dänemarks erſter Juriſt, äußerte ſich im Weſentlichen zuſtimmend, obwohl der Antrag offen- bar weit über die Befugniß berathender Provinzialſtände hinausſchritt. Damit kündigten die Dänen dem alten Landesrechte Schleswigholſteins offene Fehde an; der Beſchluß war um ſo bedenklicher, da er von einem gemäßigten Geſammtsſtaatsmanne, nicht von einem eiderdäniſchen Demo- kraten ausging.
Dieſe Uebergriffe der Nachbarn weckten mit einem male die ſchlum- mernde politiſche Kraft Schleswigholſteins, die ſelbſt durch Lornſen’s Kühnheit nur leiſe erregt worden war. Wie ruhig hatte man hier in dem Lande der glücklichen Ehen bisher dahingelebt, jeder zufrieden im eng bezirkten Kreiſe des Amtes und der Familie, jeder dem anderen be- kannt, jeder noch im hohen Alter glücklich wenn man ihm nachſagen konnte, daß er einſtmals im Examen „den zweiten Charakter mit rühm- licher Auszeichnung“ erlangt hatte. Als aber das „up ewig ungedeelt“ der alten Freiheitsbriefe frech bedroht wurde, da fuhr es wie ein Wetter- ſchlag in dieſe ſtille Welt, und Deutſchland erfuhr ſtaunend, wie viel ſtarke Leidenſchaft, wie viel Stolz und Talent in dem tapferen Grenzvolke lebte. Früherhin hatten die Schleswigholſteiner die Erbfolgefrage, die ja noch ganz fernab zu liegen ſchien, wenig beachtet; ſelbſt Dahlmann und Falck lebten lange des Glaubens, daß Schleswig der Thronfolgeordnung des Königsgeſetzes unterliege. Jetzt begann man einzuſehen, daß grade die Verſchiedenheit der Thronfolge das rechtliche Mittel darbot um das Deutſchthum vor däniſcher Tyrannei zu bewahren. Ganz zur rechten Zeit (1841) gab Georg Beſeler das nachgelaſſene Werk Lornſen’s über die Unionsverfaſſung heraus, und mächtig mußte die große Weiſe des un- vergeßlichen Mannes jedes deutſche Herz ergreifen: er verlangte ein ſelb- ſtändiges, nur durch Perſonalunion mit Dänemark verbundenes Schleswig- holſtein und dann, ſobald die königliche Linie ausſtürbe, den Eintritt der befreiten Nordmark in den Deutſchen Bund. Nachher veröffentlichte der junge Juriſt K. Samwer eine gründliche Unterſuchung über „das Staats- erbfolgerecht der Herzogthümer Schleswigholſtein“.
Seitdem vereinigten ſich alle Deutſchen in der Meinung, daß allein
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0585"n="571"/><fwplace="top"type="header">Laurids Skau. Allgreen Uſſing’s Antrag.</fw><lb/>
Landtag zu Viborg eine feierliche Verwahrung ein, die ihm gar nicht<lb/>
zuſtand. Der Streit währte lange, ſchließlich befahl der König, daß die<lb/>ſchleswigſchen Landſtände nur wenn ſie des Deutſchen nicht mächtig wären<lb/>
däniſch reden dürften, aber die Jüten wurden für ihren verfaſſungs-<lb/>
widrigen Uebergriff belobt, die Schleswiger wegen ihrer geſetzmäßigen<lb/>
Abwehr ſcharf getadelt. Nach mehrfachen ähnlichen Häkeleien unterſtand<lb/>ſich der Kopenhagener Bürgermeiſter Allgreen Uſſing (Oct. 1844) auf dem<lb/>ſeeländiſchen Landtage in Rotſchild zu beantragen: der König möge die<lb/>
erbliche Unzertrennlichkeit des däniſchen Staats öffentlich ausſprechen und<lb/>
jeden Angriff dawider verbieten. Der Vorſchlag wurde mit allen gegen<lb/>
eine Stimme angenommen; auch Miniſter Oerſted, Dänemarks erſter<lb/>
Juriſt, äußerte ſich im Weſentlichen zuſtimmend, obwohl der Antrag offen-<lb/>
bar weit über die Befugniß berathender Provinzialſtände hinausſchritt.<lb/>
Damit kündigten die Dänen dem alten Landesrechte Schleswigholſteins<lb/>
offene Fehde an; der Beſchluß war um ſo bedenklicher, da er von einem<lb/>
gemäßigten Geſammtsſtaatsmanne, nicht von einem eiderdäniſchen Demo-<lb/>
kraten ausging.</p><lb/><p>Dieſe Uebergriffe der Nachbarn weckten mit einem male die ſchlum-<lb/>
mernde politiſche Kraft Schleswigholſteins, die ſelbſt durch Lornſen’s<lb/>
Kühnheit nur leiſe erregt worden war. Wie ruhig hatte man hier in<lb/>
dem Lande der glücklichen Ehen bisher dahingelebt, jeder zufrieden im<lb/>
eng bezirkten Kreiſe des Amtes und der Familie, jeder dem anderen be-<lb/>
kannt, jeder noch im hohen Alter glücklich wenn man ihm nachſagen<lb/>
konnte, daß er einſtmals im Examen „den zweiten Charakter mit rühm-<lb/>
licher Auszeichnung“ erlangt hatte. Als aber das „up ewig ungedeelt“<lb/>
der alten Freiheitsbriefe frech bedroht wurde, da fuhr es wie ein Wetter-<lb/>ſchlag in dieſe ſtille Welt, und Deutſchland erfuhr ſtaunend, wie viel<lb/>ſtarke Leidenſchaft, wie viel Stolz und Talent in dem tapferen Grenzvolke<lb/>
lebte. Früherhin hatten die Schleswigholſteiner die Erbfolgefrage, die ja<lb/>
noch ganz fernab zu liegen ſchien, wenig beachtet; ſelbſt Dahlmann und<lb/>
Falck lebten lange des Glaubens, daß Schleswig der Thronfolgeordnung<lb/>
des Königsgeſetzes unterliege. Jetzt begann man einzuſehen, daß grade<lb/>
die Verſchiedenheit der Thronfolge das rechtliche Mittel darbot um das<lb/>
Deutſchthum vor däniſcher Tyrannei zu bewahren. Ganz zur rechten<lb/>
Zeit (1841) gab Georg Beſeler das nachgelaſſene Werk Lornſen’s über<lb/>
die Unionsverfaſſung heraus, und mächtig mußte die große Weiſe des un-<lb/>
vergeßlichen Mannes jedes deutſche Herz ergreifen: er verlangte ein ſelb-<lb/>ſtändiges, nur durch Perſonalunion mit Dänemark verbundenes Schleswig-<lb/>
holſtein und dann, ſobald die königliche Linie ausſtürbe, den Eintritt der<lb/>
befreiten Nordmark in den Deutſchen Bund. Nachher veröffentlichte der<lb/>
junge Juriſt K. Samwer eine gründliche Unterſuchung über „das Staats-<lb/>
erbfolgerecht der Herzogthümer Schleswigholſtein“.</p><lb/><p>Seitdem vereinigten ſich alle Deutſchen in der Meinung, daß allein<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[571/0585]
Laurids Skau. Allgreen Uſſing’s Antrag.
Landtag zu Viborg eine feierliche Verwahrung ein, die ihm gar nicht
zuſtand. Der Streit währte lange, ſchließlich befahl der König, daß die
ſchleswigſchen Landſtände nur wenn ſie des Deutſchen nicht mächtig wären
däniſch reden dürften, aber die Jüten wurden für ihren verfaſſungs-
widrigen Uebergriff belobt, die Schleswiger wegen ihrer geſetzmäßigen
Abwehr ſcharf getadelt. Nach mehrfachen ähnlichen Häkeleien unterſtand
ſich der Kopenhagener Bürgermeiſter Allgreen Uſſing (Oct. 1844) auf dem
ſeeländiſchen Landtage in Rotſchild zu beantragen: der König möge die
erbliche Unzertrennlichkeit des däniſchen Staats öffentlich ausſprechen und
jeden Angriff dawider verbieten. Der Vorſchlag wurde mit allen gegen
eine Stimme angenommen; auch Miniſter Oerſted, Dänemarks erſter
Juriſt, äußerte ſich im Weſentlichen zuſtimmend, obwohl der Antrag offen-
bar weit über die Befugniß berathender Provinzialſtände hinausſchritt.
Damit kündigten die Dänen dem alten Landesrechte Schleswigholſteins
offene Fehde an; der Beſchluß war um ſo bedenklicher, da er von einem
gemäßigten Geſammtsſtaatsmanne, nicht von einem eiderdäniſchen Demo-
kraten ausging.
Dieſe Uebergriffe der Nachbarn weckten mit einem male die ſchlum-
mernde politiſche Kraft Schleswigholſteins, die ſelbſt durch Lornſen’s
Kühnheit nur leiſe erregt worden war. Wie ruhig hatte man hier in
dem Lande der glücklichen Ehen bisher dahingelebt, jeder zufrieden im
eng bezirkten Kreiſe des Amtes und der Familie, jeder dem anderen be-
kannt, jeder noch im hohen Alter glücklich wenn man ihm nachſagen
konnte, daß er einſtmals im Examen „den zweiten Charakter mit rühm-
licher Auszeichnung“ erlangt hatte. Als aber das „up ewig ungedeelt“
der alten Freiheitsbriefe frech bedroht wurde, da fuhr es wie ein Wetter-
ſchlag in dieſe ſtille Welt, und Deutſchland erfuhr ſtaunend, wie viel
ſtarke Leidenſchaft, wie viel Stolz und Talent in dem tapferen Grenzvolke
lebte. Früherhin hatten die Schleswigholſteiner die Erbfolgefrage, die ja
noch ganz fernab zu liegen ſchien, wenig beachtet; ſelbſt Dahlmann und
Falck lebten lange des Glaubens, daß Schleswig der Thronfolgeordnung
des Königsgeſetzes unterliege. Jetzt begann man einzuſehen, daß grade
die Verſchiedenheit der Thronfolge das rechtliche Mittel darbot um das
Deutſchthum vor däniſcher Tyrannei zu bewahren. Ganz zur rechten
Zeit (1841) gab Georg Beſeler das nachgelaſſene Werk Lornſen’s über
die Unionsverfaſſung heraus, und mächtig mußte die große Weiſe des un-
vergeßlichen Mannes jedes deutſche Herz ergreifen: er verlangte ein ſelb-
ſtändiges, nur durch Perſonalunion mit Dänemark verbundenes Schleswig-
holſtein und dann, ſobald die königliche Linie ausſtürbe, den Eintritt der
befreiten Nordmark in den Deutſchen Bund. Nachher veröffentlichte der
junge Juriſt K. Samwer eine gründliche Unterſuchung über „das Staats-
erbfolgerecht der Herzogthümer Schleswigholſtein“.
Seitdem vereinigten ſich alle Deutſchen in der Meinung, daß allein
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 571. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/585>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.