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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Orla Lehmann und die Eiderdänen.
Bürgerthum an aufstrebenden Talenten besaß: die unruhige Studenten-
schaft der Hauptstadt, die verschwiegerten und vervetterten Professoren-
familien, die sich auch in ihrem Erwerbe beeinträchtigt sahen, weil die alte
Nebenbuhlerin Kiel allein berechtigt war die jungen Leute für die Aemter
Schleswigholsteins vorzubilden, dann die Kaufleute und Rheder, denen
die Zeitung Fädrelandet als beredtes Organ diente, endlich fast alle guten
Köpfe aus den Kreisen der jüngeren Beamten und Offiziere. Der ge-
lehrte Philolog Madvig, der Hauptmann Tscherning, die Theologen Clausen
und Monrad zeichneten sich durch ihren Fanatismus aus; sie alle sprachen
aus tiefer Ueberzeugung und mit dem frohen Bewußtsein, auf der Höhe der
Zeit zu stehen.

Wie die Eiderdänen über das historische Recht der deutschen Herzog-
thümer dreist hinwegstürmten, so verlangten sie auch für ihren dänischen
Einheitsstaat eine radicale Neugestaltung. Dieselben demokratischen Kräfte,
welche vor hundertundachtzig Jahren durch die Kopenhagener Revolution
das Königsgesetz geschaffen, den Adel der Krone unterworfen hatten,
trachteten jetzt die Alleingewaltherrschaft des Königsgesetzes durch einen
schrankenlosen Parlamentarismus zu verdrängen. Das Vorbild Norwegens
und die Schriften der altbefreundeten Franzosen wirkten auf die Ideen
dieser jungen skandinavischen Demokratie kräftig ein; Mancher hoffte auch
wohl im Herzen, einen Theil der Deutschen Schleswigholsteins durch
den Zauber liberaler Glückseligkeit zu gewinnen. Da der Adelshaß im
dänischen Landvolk tief eingewurzelt und der Name des königlichen "Volks-
freundes" Christian's II. noch unvergessen war, so spendeten auch zahl-
reiche Bauernversammlungen den Freiheitslehren der radicalen Haupt-
stadt ihren Beifall. Die ganze Bewegung zeigte von Haus aus das lär-
mende, rauschende Wesen, das der lebenslustigsten Stadt Nordeuropas
zusagte. Zweckessen und Bankette, Versammlungen und Festgelage, Er-
innerungsfeiern und Aufzüge drängten sich in rascher Folge; sogar die
Todtenfeier für Thorwaldsen wurde so ganz im Geiste des streitbaren
Dänenthums gehalten, daß die Schleswigholsteiner sich unmöglich betheiligen
konnten. In Schaaren zogen die Studenten über den Sund um sich mit
den schwedischen Commilitonen zu verbrüdern; dann erwiderten die Schweden
den Besuch, festlich begrüßt von Orla Lehmann's neuer Skandinavischer
Gesellschaft. Auf der großen skandinavischen Naturforscherversammlung
feierte der Prinz von Canino, ein Napoleonide, der sich der internationalen
Demokratie in die Arme geworfen hatte, die Union der drei Kronen des
freien Nordens; und gewaltig brauste der Jubel auf, als einmal König
Oskar selbst auf einige Tage herüberkam.

Als Orla Lehmann seine öffentliche Thätigkeit begann (1837), da trat
ihm der verdiente alte dänische Historiker Baden offen entgegen und mahnte
den jungen Mann, er möge sich bei seinem gelehrten Vater unterrichten,
um also zu lernen, daß es "eine Sünde" sei Schleswig von Holstein zu

Orla Lehmann und die Eiderdänen.
Bürgerthum an aufſtrebenden Talenten beſaß: die unruhige Studenten-
ſchaft der Hauptſtadt, die verſchwiegerten und vervetterten Profeſſoren-
familien, die ſich auch in ihrem Erwerbe beeinträchtigt ſahen, weil die alte
Nebenbuhlerin Kiel allein berechtigt war die jungen Leute für die Aemter
Schleswigholſteins vorzubilden, dann die Kaufleute und Rheder, denen
die Zeitung Fädrelandet als beredtes Organ diente, endlich faſt alle guten
Köpfe aus den Kreiſen der jüngeren Beamten und Offiziere. Der ge-
lehrte Philolog Madvig, der Hauptmann Tſcherning, die Theologen Clauſen
und Monrad zeichneten ſich durch ihren Fanatismus aus; ſie alle ſprachen
aus tiefer Ueberzeugung und mit dem frohen Bewußtſein, auf der Höhe der
Zeit zu ſtehen.

Wie die Eiderdänen über das hiſtoriſche Recht der deutſchen Herzog-
thümer dreiſt hinwegſtürmten, ſo verlangten ſie auch für ihren däniſchen
Einheitsſtaat eine radicale Neugeſtaltung. Dieſelben demokratiſchen Kräfte,
welche vor hundertundachtzig Jahren durch die Kopenhagener Revolution
das Königsgeſetz geſchaffen, den Adel der Krone unterworfen hatten,
trachteten jetzt die Alleingewaltherrſchaft des Königsgeſetzes durch einen
ſchrankenloſen Parlamentarismus zu verdrängen. Das Vorbild Norwegens
und die Schriften der altbefreundeten Franzoſen wirkten auf die Ideen
dieſer jungen ſkandinaviſchen Demokratie kräftig ein; Mancher hoffte auch
wohl im Herzen, einen Theil der Deutſchen Schleswigholſteins durch
den Zauber liberaler Glückſeligkeit zu gewinnen. Da der Adelshaß im
däniſchen Landvolk tief eingewurzelt und der Name des königlichen „Volks-
freundes“ Chriſtian’s II. noch unvergeſſen war, ſo ſpendeten auch zahl-
reiche Bauernverſammlungen den Freiheitslehren der radicalen Haupt-
ſtadt ihren Beifall. Die ganze Bewegung zeigte von Haus aus das lär-
mende, rauſchende Weſen, das der lebensluſtigſten Stadt Nordeuropas
zuſagte. Zweckeſſen und Bankette, Verſammlungen und Feſtgelage, Er-
innerungsfeiern und Aufzüge drängten ſich in raſcher Folge; ſogar die
Todtenfeier für Thorwaldſen wurde ſo ganz im Geiſte des ſtreitbaren
Dänenthums gehalten, daß die Schleswigholſteiner ſich unmöglich betheiligen
konnten. In Schaaren zogen die Studenten über den Sund um ſich mit
den ſchwediſchen Commilitonen zu verbrüdern; dann erwiderten die Schweden
den Beſuch, feſtlich begrüßt von Orla Lehmann’s neuer Skandinaviſcher
Geſellſchaft. Auf der großen ſkandinaviſchen Naturforſcherverſammlung
feierte der Prinz von Canino, ein Napoleonide, der ſich der internationalen
Demokratie in die Arme geworfen hatte, die Union der drei Kronen des
freien Nordens; und gewaltig brauſte der Jubel auf, als einmal König
Oskar ſelbſt auf einige Tage herüberkam.

Als Orla Lehmann ſeine öffentliche Thätigkeit begann (1837), da trat
ihm der verdiente alte däniſche Hiſtoriker Baden offen entgegen und mahnte
den jungen Mann, er möge ſich bei ſeinem gelehrten Vater unterrichten,
um alſo zu lernen, daß es „eine Sünde“ ſei Schleswig von Holſtein zu

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[569/0583] Orla Lehmann und die Eiderdänen. Bürgerthum an aufſtrebenden Talenten beſaß: die unruhige Studenten- ſchaft der Hauptſtadt, die verſchwiegerten und vervetterten Profeſſoren- familien, die ſich auch in ihrem Erwerbe beeinträchtigt ſahen, weil die alte Nebenbuhlerin Kiel allein berechtigt war die jungen Leute für die Aemter Schleswigholſteins vorzubilden, dann die Kaufleute und Rheder, denen die Zeitung Fädrelandet als beredtes Organ diente, endlich faſt alle guten Köpfe aus den Kreiſen der jüngeren Beamten und Offiziere. Der ge- lehrte Philolog Madvig, der Hauptmann Tſcherning, die Theologen Clauſen und Monrad zeichneten ſich durch ihren Fanatismus aus; ſie alle ſprachen aus tiefer Ueberzeugung und mit dem frohen Bewußtſein, auf der Höhe der Zeit zu ſtehen. Wie die Eiderdänen über das hiſtoriſche Recht der deutſchen Herzog- thümer dreiſt hinwegſtürmten, ſo verlangten ſie auch für ihren däniſchen Einheitsſtaat eine radicale Neugeſtaltung. Dieſelben demokratiſchen Kräfte, welche vor hundertundachtzig Jahren durch die Kopenhagener Revolution das Königsgeſetz geſchaffen, den Adel der Krone unterworfen hatten, trachteten jetzt die Alleingewaltherrſchaft des Königsgeſetzes durch einen ſchrankenloſen Parlamentarismus zu verdrängen. Das Vorbild Norwegens und die Schriften der altbefreundeten Franzoſen wirkten auf die Ideen dieſer jungen ſkandinaviſchen Demokratie kräftig ein; Mancher hoffte auch wohl im Herzen, einen Theil der Deutſchen Schleswigholſteins durch den Zauber liberaler Glückſeligkeit zu gewinnen. Da der Adelshaß im däniſchen Landvolk tief eingewurzelt und der Name des königlichen „Volks- freundes“ Chriſtian’s II. noch unvergeſſen war, ſo ſpendeten auch zahl- reiche Bauernverſammlungen den Freiheitslehren der radicalen Haupt- ſtadt ihren Beifall. Die ganze Bewegung zeigte von Haus aus das lär- mende, rauſchende Weſen, das der lebensluſtigſten Stadt Nordeuropas zuſagte. Zweckeſſen und Bankette, Verſammlungen und Feſtgelage, Er- innerungsfeiern und Aufzüge drängten ſich in raſcher Folge; ſogar die Todtenfeier für Thorwaldſen wurde ſo ganz im Geiſte des ſtreitbaren Dänenthums gehalten, daß die Schleswigholſteiner ſich unmöglich betheiligen konnten. In Schaaren zogen die Studenten über den Sund um ſich mit den ſchwediſchen Commilitonen zu verbrüdern; dann erwiderten die Schweden den Beſuch, feſtlich begrüßt von Orla Lehmann’s neuer Skandinaviſcher Geſellſchaft. Auf der großen ſkandinaviſchen Naturforſcherverſammlung feierte der Prinz von Canino, ein Napoleonide, der ſich der internationalen Demokratie in die Arme geworfen hatte, die Union der drei Kronen des freien Nordens; und gewaltig brauſte der Jubel auf, als einmal König Oskar ſelbſt auf einige Tage herüberkam. Als Orla Lehmann ſeine öffentliche Thätigkeit begann (1837), da trat ihm der verdiente alte däniſche Hiſtoriker Baden offen entgegen und mahnte den jungen Mann, er möge ſich bei ſeinem gelehrten Vater unterrichten, um alſo zu lernen, daß es „eine Sünde“ ſei Schleswig von Holſtein zu

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 569. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/583>, abgerufen am 22.11.2024.