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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.
und es war nur menschlich, daß der starke Bürgerstolz der Oberdeutschen
adliche und reaktionäre Gesinnung fast für gleichbedeutend hielt. Hier
aber trat ein patriotischer Adel hervor, fest verwachsen mit seinem Staate,
königstreu durch und durch, stolz auf die kriegerischen Erinnerungen der
schwarz-weißen Fahnen des Deutschen Ordens und des Königreichs Preußen,
und dabei altväterisch einfach, unabhängig, freimüthig bis zur Schroffheit,
bei Weitem nicht so radikal wie die Kammerredner des Südens, immerhin
sehr empfänglich für die liberalen Ideen des Zeitalters. Wer diesen Männern
herzhaft in die Augen sah, der mußte erkennen, daß Preußen an gesunden
conservativen Kräften genug besaß um eine nothwendige Reform getrost
wagen zu können -- wenn nur der König selber voranschritt. In den
Verhandlungen des Landtags trat die politische Unreife der Zeit oft genug
zu Tage; Heinrich selbst wußte in seinem Antrage zwischen der Asse-
curationsakte des großen Kurfürsten und den neuen königlichen Verhei-
ßungen, die doch auf einem ganz anderen staatsrechtlichen Boden standen,
noch nicht scharf zu unterscheiden. Aber keine einzige unehrerbietige Aeuße-
rung wurde laut, Alle wetteiferten in Betheuerungen unverbrüchlicher Treue,
und mitten unter unklaren, leeren Reden fiel doch schon das entscheidende
Wort, worauf alles ankam: der preußische Reichstag werde dem Könige
das sicherste und vielleicht einzige Mittel darbieten, die durch Raum,
Sprache und Sitte vielfach getrennten Stämme seines Volks zu einen.

Nach ernster, gründlicher Berathung genehmigte die Versammlung am
7. Sept. mit 89 gegen 5, durchweg adliche, Stimmen die Denkschrift,
welche den König um Aufrechthaltung und Vollendung der von seinem
Vater neugegründeten verfassungsmäßigen Vertretung des Landes bat. Der
Landtag gab sich der Hoffnung hin, daß Se. Majestät nicht anstehen würde
"das fortdauernde Bestehen der Provinzialstände, und in den Wegen des
Vaters wandelnd, die verheißene Bildung einer Versammlung von Landes-
repräsentanten Ihrem getreuen Volke allergnädigst zuzusichern". Die Stände
sagten nichts was ihnen nicht zustand, sie gaben nur eine ehrerbietige
Antwort auf eine königliche Frage, und wenn eine solche öffentliche Mahnung
das Ansehen der Krone allerdings leicht gefährden konnte, so trug die
Schuld der König selbst, der nicht verstanden hatte zur rechten Zeit die
rechte Entscheidung zu geben. Durch diesen Beschluß ward das Eis ge-
brochen, der vor siebzehn Jahren nothdürftig beschwichtigte preußische Ver-
fassungskampf von Neuem entfesselt.

Am Hofe fühlte man dies sogleich. Allgemein war die Entrüstung.
Der Prinz von Preußen, der noch ganz in den streng absolutistischen
Grundsätzen des Vaters befangen war, richtete sobald er von dem Vor-
haben der Stände erfuhr, noch am 7. Sept. einen scharfen Brief an
Schön: "Es ist in meinen Augen die höchste Illoyalität, einem neuen
Souverän beim Antritt seiner Regierung Garantien abzufordern; und
wenn selbst der selige König 1815 solche in Aussicht stellte, so blieb es

V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.
und es war nur menſchlich, daß der ſtarke Bürgerſtolz der Oberdeutſchen
adliche und reaktionäre Geſinnung faſt für gleichbedeutend hielt. Hier
aber trat ein patriotiſcher Adel hervor, feſt verwachſen mit ſeinem Staate,
königstreu durch und durch, ſtolz auf die kriegeriſchen Erinnerungen der
ſchwarz-weißen Fahnen des Deutſchen Ordens und des Königreichs Preußen,
und dabei altväteriſch einfach, unabhängig, freimüthig bis zur Schroffheit,
bei Weitem nicht ſo radikal wie die Kammerredner des Südens, immerhin
ſehr empfänglich für die liberalen Ideen des Zeitalters. Wer dieſen Männern
herzhaft in die Augen ſah, der mußte erkennen, daß Preußen an geſunden
conſervativen Kräften genug beſaß um eine nothwendige Reform getroſt
wagen zu können — wenn nur der König ſelber voranſchritt. In den
Verhandlungen des Landtags trat die politiſche Unreife der Zeit oft genug
zu Tage; Heinrich ſelbſt wußte in ſeinem Antrage zwiſchen der Aſſe-
curationsakte des großen Kurfürſten und den neuen königlichen Verhei-
ßungen, die doch auf einem ganz anderen ſtaatsrechtlichen Boden ſtanden,
noch nicht ſcharf zu unterſcheiden. Aber keine einzige unehrerbietige Aeuße-
rung wurde laut, Alle wetteiferten in Betheuerungen unverbrüchlicher Treue,
und mitten unter unklaren, leeren Reden fiel doch ſchon das entſcheidende
Wort, worauf alles ankam: der preußiſche Reichstag werde dem Könige
das ſicherſte und vielleicht einzige Mittel darbieten, die durch Raum,
Sprache und Sitte vielfach getrennten Stämme ſeines Volks zu einen.

Nach ernſter, gründlicher Berathung genehmigte die Verſammlung am
7. Sept. mit 89 gegen 5, durchweg adliche, Stimmen die Denkſchrift,
welche den König um Aufrechthaltung und Vollendung der von ſeinem
Vater neugegründeten verfaſſungsmäßigen Vertretung des Landes bat. Der
Landtag gab ſich der Hoffnung hin, daß Se. Majeſtät nicht anſtehen würde
„das fortdauernde Beſtehen der Provinzialſtände, und in den Wegen des
Vaters wandelnd, die verheißene Bildung einer Verſammlung von Landes-
repräſentanten Ihrem getreuen Volke allergnädigſt zuzuſichern“. Die Stände
ſagten nichts was ihnen nicht zuſtand, ſie gaben nur eine ehrerbietige
Antwort auf eine königliche Frage, und wenn eine ſolche öffentliche Mahnung
das Anſehen der Krone allerdings leicht gefährden konnte, ſo trug die
Schuld der König ſelbſt, der nicht verſtanden hatte zur rechten Zeit die
rechte Entſcheidung zu geben. Durch dieſen Beſchluß ward das Eis ge-
brochen, der vor ſiebzehn Jahren nothdürftig beſchwichtigte preußiſche Ver-
faſſungskampf von Neuem entfeſſelt.

Am Hofe fühlte man dies ſogleich. Allgemein war die Entrüſtung.
Der Prinz von Preußen, der noch ganz in den ſtreng abſolutiſtiſchen
Grundſätzen des Vaters befangen war, richtete ſobald er von dem Vor-
haben der Stände erfuhr, noch am 7. Sept. einen ſcharfen Brief an
Schön: „Es iſt in meinen Augen die höchſte Illoyalität, einem neuen
Souverän beim Antritt ſeiner Regierung Garantien abzufordern; und
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[44/0058] V. 1. Die frohen Tage der Erwartung. und es war nur menſchlich, daß der ſtarke Bürgerſtolz der Oberdeutſchen adliche und reaktionäre Geſinnung faſt für gleichbedeutend hielt. Hier aber trat ein patriotiſcher Adel hervor, feſt verwachſen mit ſeinem Staate, königstreu durch und durch, ſtolz auf die kriegeriſchen Erinnerungen der ſchwarz-weißen Fahnen des Deutſchen Ordens und des Königreichs Preußen, und dabei altväteriſch einfach, unabhängig, freimüthig bis zur Schroffheit, bei Weitem nicht ſo radikal wie die Kammerredner des Südens, immerhin ſehr empfänglich für die liberalen Ideen des Zeitalters. Wer dieſen Männern herzhaft in die Augen ſah, der mußte erkennen, daß Preußen an geſunden conſervativen Kräften genug beſaß um eine nothwendige Reform getroſt wagen zu können — wenn nur der König ſelber voranſchritt. In den Verhandlungen des Landtags trat die politiſche Unreife der Zeit oft genug zu Tage; Heinrich ſelbſt wußte in ſeinem Antrage zwiſchen der Aſſe- curationsakte des großen Kurfürſten und den neuen königlichen Verhei- ßungen, die doch auf einem ganz anderen ſtaatsrechtlichen Boden ſtanden, noch nicht ſcharf zu unterſcheiden. Aber keine einzige unehrerbietige Aeuße- rung wurde laut, Alle wetteiferten in Betheuerungen unverbrüchlicher Treue, und mitten unter unklaren, leeren Reden fiel doch ſchon das entſcheidende Wort, worauf alles ankam: der preußiſche Reichstag werde dem Könige das ſicherſte und vielleicht einzige Mittel darbieten, die durch Raum, Sprache und Sitte vielfach getrennten Stämme ſeines Volks zu einen. Nach ernſter, gründlicher Berathung genehmigte die Verſammlung am 7. Sept. mit 89 gegen 5, durchweg adliche, Stimmen die Denkſchrift, welche den König um Aufrechthaltung und Vollendung der von ſeinem Vater neugegründeten verfaſſungsmäßigen Vertretung des Landes bat. Der Landtag gab ſich der Hoffnung hin, daß Se. Majeſtät nicht anſtehen würde „das fortdauernde Beſtehen der Provinzialſtände, und in den Wegen des Vaters wandelnd, die verheißene Bildung einer Verſammlung von Landes- repräſentanten Ihrem getreuen Volke allergnädigſt zuzuſichern“. Die Stände ſagten nichts was ihnen nicht zuſtand, ſie gaben nur eine ehrerbietige Antwort auf eine königliche Frage, und wenn eine ſolche öffentliche Mahnung das Anſehen der Krone allerdings leicht gefährden konnte, ſo trug die Schuld der König ſelbſt, der nicht verſtanden hatte zur rechten Zeit die rechte Entſcheidung zu geben. Durch dieſen Beſchluß ward das Eis ge- brochen, der vor ſiebzehn Jahren nothdürftig beſchwichtigte preußiſche Ver- faſſungskampf von Neuem entfeſſelt. Am Hofe fühlte man dies ſogleich. Allgemein war die Entrüſtung. Der Prinz von Preußen, der noch ganz in den ſtreng abſolutiſtiſchen Grundſätzen des Vaters befangen war, richtete ſobald er von dem Vor- haben der Stände erfuhr, noch am 7. Sept. einen ſcharfen Brief an Schön: „Es iſt in meinen Augen die höchſte Illoyalität, einem neuen Souverän beim Antritt ſeiner Regierung Garantien abzufordern; und wenn ſelbſt der ſelige König 1815 ſolche in Ausſicht ſtellte, ſo blieb es

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/58>, abgerufen am 23.11.2024.