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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Verurtheilung der Posener Aufständischen.
lungen, die bis zum 17. Nov. währten, gänzlich. Das eintönige Schauspiel
halsstarriger, dummdreister Verneinung und gründlicher Ueberführung
mußte deutsche Hörer zuletzt anwidern. Persönliche Theilnahme erregten
nur Dr. Libelt, ein gescheidter, bleicher, kleiner Mann, den die Polen ihren
Patriarchen nannten, und der feurige junge Niegolewski; sonst zeigten
Alle die gleiche flache Leichtfertigkeit. Bei Manchen, die schon von dem
alten Könige Begnadigung erbettelt und erhalten hatten, erschien die Un-
treue schlechthin ekelhaft. Der Sachverhalt stellte sich klar heraus: un-
zweifelhaft hatte eine weitverzweigte, ganz thörichte, aber auch ganz ge-
wissenlose Verschwörung den Plan verfolgt, Posen und Westpreußen von
der Monarchie loszureißen. Der Präsident Koch und die übrigen Richter
bewahrten eine ruhige Würde, die sich von dem leidenschaftlichen Tone
der politischen Processe Frankreichs auffällig unterschied. Auch die Staats-
anwaltschaft wurde durch den liberalen Geh. Rath Wentzel sehr stattlich
vertreten. Unter den Vertheidigern zeichnete sich Anwalt Deycks durch
seine maßlose Sprache aus, er sagte geradezu, der preußische Staat hätte
die Verbrecher wie das Verbrechen erst geschaffen. Ruhiger redeten An-
walt Lewald, ein erklärter Gegner der "Germanisirungspolitik", und der
kluge Crelinger aus dem Jacoby'schen Freundeskreise; sie alle suchten zu
beweisen, daß die Polen nur dem Beispiele der Preußen selbst gefolgt seien,
denn Dank der liberalen Mythenbildung war die Thatsache schon halb
vergessen, daß der deutsche Befreiungskrieg nicht ein Aufstand, sondern ein
regelmäßiger Krieg gewesen war. Am 2. Dec. verkündete der Gerichtshof
das Urtheil. Er gab den Vorschriften des Allgemeinen Landrechts eine sehr
milde, durchaus nicht unbestreitbare Auslegung und wollte keinen Hoch-
verrath annehmen, weil die gewaltsame Abreißung einiger Landestheile doch
nicht gradehin als Umwälzung der Staatsverfassung zu betrachten sei;
darum erkannte er nur auf schweren Landesverrath. Acht der Angeklagten
wurden zum Tode, 109 zu Zuchthaus- und Festungsstrafen verurtheilt,
116 wegen mangelhafter Beweise von der Untersuchung entbunden und
nur 18 gänzlich freigesprochen.

Wenn der König jetzt der Gerechtigkeit freien Lauf und mindestens
dem frivolen Führer der Rebellen den Kopf vor die Füße legen ließ, so
konnte er dem Lande Posen vielleicht Ströme unschuldigen Blutes ersparen.
Mieroslawski selbst erwartete auch nichts Anderes. Er bat nicht um Gnade,
wie man bei Hofe hoffte, sondern sagte rund heraus: der König muß mich
hinrichten lassen, ich habe mich zu schwer gegen ihn vergangen; läßt man
uns frei, so fangen wir wieder an, ich wenigstens ganz gewiß! Zu solcher
Strenge wollte der weichherzige Monarch sich nicht entschließen; er ahnte
auch nicht, wie es in Posen stand, er wußte nicht, daß die durch die un-
blutige Niederlage keineswegs entmuthigten Polen sich die Hände rieben
und zuversichtlich sagten: Blut läßt der gute König doch nicht fließen!
Die Verurtheilten blieben vorläufig in Haft, und schon nach wenigen

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Verurtheilung der Poſener Aufſtändiſchen.
lungen, die bis zum 17. Nov. währten, gänzlich. Das eintönige Schauſpiel
halsſtarriger, dummdreiſter Verneinung und gründlicher Ueberführung
mußte deutſche Hörer zuletzt anwidern. Perſönliche Theilnahme erregten
nur Dr. Libelt, ein geſcheidter, bleicher, kleiner Mann, den die Polen ihren
Patriarchen nannten, und der feurige junge Niegolewski; ſonſt zeigten
Alle die gleiche flache Leichtfertigkeit. Bei Manchen, die ſchon von dem
alten Könige Begnadigung erbettelt und erhalten hatten, erſchien die Un-
treue ſchlechthin ekelhaft. Der Sachverhalt ſtellte ſich klar heraus: un-
zweifelhaft hatte eine weitverzweigte, ganz thörichte, aber auch ganz ge-
wiſſenloſe Verſchwörung den Plan verfolgt, Poſen und Weſtpreußen von
der Monarchie loszureißen. Der Präſident Koch und die übrigen Richter
bewahrten eine ruhige Würde, die ſich von dem leidenſchaftlichen Tone
der politiſchen Proceſſe Frankreichs auffällig unterſchied. Auch die Staats-
anwaltſchaft wurde durch den liberalen Geh. Rath Wentzel ſehr ſtattlich
vertreten. Unter den Vertheidigern zeichnete ſich Anwalt Deycks durch
ſeine maßloſe Sprache aus, er ſagte geradezu, der preußiſche Staat hätte
die Verbrecher wie das Verbrechen erſt geſchaffen. Ruhiger redeten An-
walt Lewald, ein erklärter Gegner der „Germaniſirungspolitik“, und der
kluge Crelinger aus dem Jacoby’ſchen Freundeskreiſe; ſie alle ſuchten zu
beweiſen, daß die Polen nur dem Beiſpiele der Preußen ſelbſt gefolgt ſeien,
denn Dank der liberalen Mythenbildung war die Thatſache ſchon halb
vergeſſen, daß der deutſche Befreiungskrieg nicht ein Aufſtand, ſondern ein
regelmäßiger Krieg geweſen war. Am 2. Dec. verkündete der Gerichtshof
das Urtheil. Er gab den Vorſchriften des Allgemeinen Landrechts eine ſehr
milde, durchaus nicht unbeſtreitbare Auslegung und wollte keinen Hoch-
verrath annehmen, weil die gewaltſame Abreißung einiger Landestheile doch
nicht gradehin als Umwälzung der Staatsverfaſſung zu betrachten ſei;
darum erkannte er nur auf ſchweren Landesverrath. Acht der Angeklagten
wurden zum Tode, 109 zu Zuchthaus- und Feſtungsſtrafen verurtheilt,
116 wegen mangelhafter Beweiſe von der Unterſuchung entbunden und
nur 18 gänzlich freigeſprochen.

Wenn der König jetzt der Gerechtigkeit freien Lauf und mindeſtens
dem frivolen Führer der Rebellen den Kopf vor die Füße legen ließ, ſo
konnte er dem Lande Poſen vielleicht Ströme unſchuldigen Blutes erſparen.
Mieroslawski ſelbſt erwartete auch nichts Anderes. Er bat nicht um Gnade,
wie man bei Hofe hoffte, ſondern ſagte rund heraus: der König muß mich
hinrichten laſſen, ich habe mich zu ſchwer gegen ihn vergangen; läßt man
uns frei, ſo fangen wir wieder an, ich wenigſtens ganz gewiß! Zu ſolcher
Strenge wollte der weichherzige Monarch ſich nicht entſchließen; er ahnte
auch nicht, wie es in Poſen ſtand, er wußte nicht, daß die durch die un-
blutige Niederlage keineswegs entmuthigten Polen ſich die Hände rieben
und zuverſichtlich ſagten: Blut läßt der gute König doch nicht fließen!
Die Verurtheilten blieben vorläufig in Haft, und ſchon nach wenigen

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[563/0577] Verurtheilung der Poſener Aufſtändiſchen. lungen, die bis zum 17. Nov. währten, gänzlich. Das eintönige Schauſpiel halsſtarriger, dummdreiſter Verneinung und gründlicher Ueberführung mußte deutſche Hörer zuletzt anwidern. Perſönliche Theilnahme erregten nur Dr. Libelt, ein geſcheidter, bleicher, kleiner Mann, den die Polen ihren Patriarchen nannten, und der feurige junge Niegolewski; ſonſt zeigten Alle die gleiche flache Leichtfertigkeit. Bei Manchen, die ſchon von dem alten Könige Begnadigung erbettelt und erhalten hatten, erſchien die Un- treue ſchlechthin ekelhaft. Der Sachverhalt ſtellte ſich klar heraus: un- zweifelhaft hatte eine weitverzweigte, ganz thörichte, aber auch ganz ge- wiſſenloſe Verſchwörung den Plan verfolgt, Poſen und Weſtpreußen von der Monarchie loszureißen. Der Präſident Koch und die übrigen Richter bewahrten eine ruhige Würde, die ſich von dem leidenſchaftlichen Tone der politiſchen Proceſſe Frankreichs auffällig unterſchied. Auch die Staats- anwaltſchaft wurde durch den liberalen Geh. Rath Wentzel ſehr ſtattlich vertreten. Unter den Vertheidigern zeichnete ſich Anwalt Deycks durch ſeine maßloſe Sprache aus, er ſagte geradezu, der preußiſche Staat hätte die Verbrecher wie das Verbrechen erſt geſchaffen. Ruhiger redeten An- walt Lewald, ein erklärter Gegner der „Germaniſirungspolitik“, und der kluge Crelinger aus dem Jacoby’ſchen Freundeskreiſe; ſie alle ſuchten zu beweiſen, daß die Polen nur dem Beiſpiele der Preußen ſelbſt gefolgt ſeien, denn Dank der liberalen Mythenbildung war die Thatſache ſchon halb vergeſſen, daß der deutſche Befreiungskrieg nicht ein Aufſtand, ſondern ein regelmäßiger Krieg geweſen war. Am 2. Dec. verkündete der Gerichtshof das Urtheil. Er gab den Vorſchriften des Allgemeinen Landrechts eine ſehr milde, durchaus nicht unbeſtreitbare Auslegung und wollte keinen Hoch- verrath annehmen, weil die gewaltſame Abreißung einiger Landestheile doch nicht gradehin als Umwälzung der Staatsverfaſſung zu betrachten ſei; darum erkannte er nur auf ſchweren Landesverrath. Acht der Angeklagten wurden zum Tode, 109 zu Zuchthaus- und Feſtungsſtrafen verurtheilt, 116 wegen mangelhafter Beweiſe von der Unterſuchung entbunden und nur 18 gänzlich freigeſprochen. Wenn der König jetzt der Gerechtigkeit freien Lauf und mindeſtens dem frivolen Führer der Rebellen den Kopf vor die Füße legen ließ, ſo konnte er dem Lande Poſen vielleicht Ströme unſchuldigen Blutes erſparen. Mieroslawski ſelbſt erwartete auch nichts Anderes. Er bat nicht um Gnade, wie man bei Hofe hoffte, ſondern ſagte rund heraus: der König muß mich hinrichten laſſen, ich habe mich zu ſchwer gegen ihn vergangen; läßt man uns frei, ſo fangen wir wieder an, ich wenigſtens ganz gewiß! Zu ſolcher Strenge wollte der weichherzige Monarch ſich nicht entſchließen; er ahnte auch nicht, wie es in Poſen ſtand, er wußte nicht, daß die durch die un- blutige Niederlage keineswegs entmuthigten Polen ſich die Hände rieben und zuverſichtlich ſagten: Blut läßt der gute König doch nicht fließen! Die Verurtheilten blieben vorläufig in Haft, und ſchon nach wenigen 36*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 563. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/577>, abgerufen am 25.11.2024.