Krakauer Freilager jeden Werth für den schlesischen Handel. Die deutschen Kaufleute schlossen zumeist ihre Commanditen, und die alte Krönungsstadt, diese herrliche Schöpfung des deutschen Bürgerthums, die mit ihren Erker- bauten so lebhaft an die ostdeutschen Städte Leipzig, Eger, Breslau er- innerte, in ihren Kirchen noch die Königsgräber von Veit Stoß und so viele andere Denkmäler deutscher Kunst bewahrte, verfiel jetzt ganz den Polen und den Juden. Die Vernichtung der letzten Heimstätte sar- matischer Unabhängigkeit beförderte also am letzten Ende das Erstarken des polnischen Volksthums. Schlesien aber berechnete seinen Verlust auf Millionen, und der Unmuth hallte noch in den Bewegungen des Revo- lutionsjahres nach. Ebenso schwach zeigte sich der Berliner Hof auch gegen Rußland. Paskiewitsch, der brutale Statthalter in Warschau verlangte 1846, daß ihm künftighin polnische Staatsverbrecher kurzerhand auf das Gesuch der russischen Gesandtschaft hin ausgeliefert werden sollten. Die preußische Regierung verweigerte die vertragsmäßige Auslieferung nicht, sie forderte nur für jeden einzelnen Fall ein rechtskräftiges Urtheil oder eine gerichtliche Anklageschrift. Nach langem Sträuben gewährte sie jedoch selbst dies letzte Zugeständniß, das einem solchen Nachbarn gegenüber mehr als leichtsinnig war. Und das Alles geschah unter einem Monarchen, der die Polen bis zur Schwärmerei liebte. --
Gegen das Ausland hielten die drei Theilungsmächte einträchtig zu- sammen, weil sie wohl fühlten, daß sie nicht auf unantastbarem Rechtsboden standen. Allerdings war das Krakauer Gebiet während des Befreiungs- krieges durch Rußland erobert und dann, weil man sich nicht anders zu einigen wußte, durch die drei Theilungsmächte allein als eine neutrale Re- publik neu gestaltet worden; aber die Haupt-Artikel des Vertrages über die Neutralität und Unabhängigkeit Krakaus hatten nachträglich auch Aufnahme in die Schlußakte des Wiener Congresses (Art. 6 ff.) gefunden. Was be- deutete dies für das Völkerrecht? Die Ostmächte behaupteten, der von ihnen geschaffene Freistaat könne auch durch sie allein vernichtet werden; die anderen Unterzeichner der Congreßakte dürften nur verlangen, über solche Aenderungen amtliche Nachricht zu erhalten. Diese auch von dem conservativen Bonner Juristen Perthes in einer verständigen Druckschrift vertheidigte Ansicht entsprach dem Völkerrechte; denn die Congreßakte ent- hielt auch noch eine Menge anderer Einzelverträge, von denen mehrere schon durch freiwillige Uebereinkunft der Vertragschließenden anstandslos abgeändert worden waren; überdies stand der Krone Frankreich gewiß kein Einspruchsrecht zu, weil die Sieger sich im Pariser Frieden ausdrück- lich vorbehalten hatten, über die Vertheilung der eroberten Gebiete allein ohne Frankreichs Mitwirkung zu entscheiden. Immerhin ließen sich mit einigem Scheine Rechtsbedenken erheben, da die Unabhängigkeit Krakaus doch in den Wiener Verträgen verbürgt war. Um so unanfechtbarer waren die politischen Gründe, welche die Ostmächte zwangen, einer diplo-
V. 7. Polen und Schleswigholſtein.
Krakauer Freilager jeden Werth für den ſchleſiſchen Handel. Die deutſchen Kaufleute ſchloſſen zumeiſt ihre Commanditen, und die alte Krönungsſtadt, dieſe herrliche Schöpfung des deutſchen Bürgerthums, die mit ihren Erker- bauten ſo lebhaft an die oſtdeutſchen Städte Leipzig, Eger, Breslau er- innerte, in ihren Kirchen noch die Königsgräber von Veit Stoß und ſo viele andere Denkmäler deutſcher Kunſt bewahrte, verfiel jetzt ganz den Polen und den Juden. Die Vernichtung der letzten Heimſtätte ſar- matiſcher Unabhängigkeit beförderte alſo am letzten Ende das Erſtarken des polniſchen Volksthums. Schleſien aber berechnete ſeinen Verluſt auf Millionen, und der Unmuth hallte noch in den Bewegungen des Revo- lutionsjahres nach. Ebenſo ſchwach zeigte ſich der Berliner Hof auch gegen Rußland. Paskiewitſch, der brutale Statthalter in Warſchau verlangte 1846, daß ihm künftighin polniſche Staatsverbrecher kurzerhand auf das Geſuch der ruſſiſchen Geſandtſchaft hin ausgeliefert werden ſollten. Die preußiſche Regierung verweigerte die vertragsmäßige Auslieferung nicht, ſie forderte nur für jeden einzelnen Fall ein rechtskräftiges Urtheil oder eine gerichtliche Anklageſchrift. Nach langem Sträuben gewährte ſie jedoch ſelbſt dies letzte Zugeſtändniß, das einem ſolchen Nachbarn gegenüber mehr als leichtſinnig war. Und das Alles geſchah unter einem Monarchen, der die Polen bis zur Schwärmerei liebte. —
Gegen das Ausland hielten die drei Theilungsmächte einträchtig zu- ſammen, weil ſie wohl fühlten, daß ſie nicht auf unantaſtbarem Rechtsboden ſtanden. Allerdings war das Krakauer Gebiet während des Befreiungs- krieges durch Rußland erobert und dann, weil man ſich nicht anders zu einigen wußte, durch die drei Theilungsmächte allein als eine neutrale Re- publik neu geſtaltet worden; aber die Haupt-Artikel des Vertrages über die Neutralität und Unabhängigkeit Krakaus hatten nachträglich auch Aufnahme in die Schlußakte des Wiener Congreſſes (Art. 6 ff.) gefunden. Was be- deutete dies für das Völkerrecht? Die Oſtmächte behaupteten, der von ihnen geſchaffene Freiſtaat könne auch durch ſie allein vernichtet werden; die anderen Unterzeichner der Congreßakte dürften nur verlangen, über ſolche Aenderungen amtliche Nachricht zu erhalten. Dieſe auch von dem conſervativen Bonner Juriſten Perthes in einer verſtändigen Druckſchrift vertheidigte Anſicht entſprach dem Völkerrechte; denn die Congreßakte ent- hielt auch noch eine Menge anderer Einzelverträge, von denen mehrere ſchon durch freiwillige Uebereinkunft der Vertragſchließenden anſtandslos abgeändert worden waren; überdies ſtand der Krone Frankreich gewiß kein Einſpruchsrecht zu, weil die Sieger ſich im Pariſer Frieden ausdrück- lich vorbehalten hatten, über die Vertheilung der eroberten Gebiete allein ohne Frankreichs Mitwirkung zu entſcheiden. Immerhin ließen ſich mit einigem Scheine Rechtsbedenken erheben, da die Unabhängigkeit Krakaus doch in den Wiener Verträgen verbürgt war. Um ſo unanfechtbarer waren die politiſchen Gründe, welche die Oſtmächte zwangen, einer diplo-
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Krakauer Freilager jeden Werth für den ſchleſiſchen Handel. Die deutſchen
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dieſe herrliche Schöpfung des deutſchen Bürgerthums, die mit ihren Erker-
bauten ſo lebhaft an die oſtdeutſchen Städte Leipzig, Eger, Breslau er-
innerte, in ihren Kirchen noch die Königsgräber von Veit Stoß und ſo
viele andere Denkmäler deutſcher Kunſt bewahrte, verfiel jetzt ganz den
Polen und den Juden. Die Vernichtung der letzten Heimſtätte ſar-
matiſcher Unabhängigkeit beförderte alſo am letzten Ende das Erſtarken des
polniſchen Volksthums. Schleſien aber berechnete ſeinen Verluſt auf
Millionen, und der Unmuth hallte noch in den Bewegungen des Revo-
lutionsjahres nach. Ebenſo ſchwach zeigte ſich der Berliner Hof auch gegen
Rußland. Paskiewitſch, der brutale Statthalter in Warſchau verlangte
1846, daß ihm künftighin polniſche Staatsverbrecher kurzerhand auf das
Geſuch der ruſſiſchen Geſandtſchaft hin ausgeliefert werden ſollten. Die
preußiſche Regierung verweigerte die vertragsmäßige Auslieferung nicht,
ſie forderte nur für jeden einzelnen Fall ein rechtskräftiges Urtheil oder
eine gerichtliche Anklageſchrift. Nach langem Sträuben gewährte ſie jedoch
ſelbſt dies letzte Zugeſtändniß, das einem ſolchen Nachbarn gegenüber mehr
als leichtſinnig war. Und das Alles geſchah unter einem Monarchen, der
die Polen bis zur Schwärmerei liebte. —
Gegen das Ausland hielten die drei Theilungsmächte einträchtig zu-
ſammen, weil ſie wohl fühlten, daß ſie nicht auf unantaſtbarem Rechtsboden
ſtanden. Allerdings war das Krakauer Gebiet während des Befreiungs-
krieges durch Rußland erobert und dann, weil man ſich nicht anders zu
einigen wußte, durch die drei Theilungsmächte allein als eine neutrale Re-
publik neu geſtaltet worden; aber die Haupt-Artikel des Vertrages über die
Neutralität und Unabhängigkeit Krakaus hatten nachträglich auch Aufnahme
in die Schlußakte des Wiener Congreſſes (Art. 6 ff.) gefunden. Was be-
deutete dies für das Völkerrecht? Die Oſtmächte behaupteten, der von
ihnen geſchaffene Freiſtaat könne auch durch ſie allein vernichtet werden;
die anderen Unterzeichner der Congreßakte dürften nur verlangen, über
ſolche Aenderungen amtliche Nachricht zu erhalten. Dieſe auch von dem
conſervativen Bonner Juriſten Perthes in einer verſtändigen Druckſchrift
vertheidigte Anſicht entſprach dem Völkerrechte; denn die Congreßakte ent-
hielt auch noch eine Menge anderer Einzelverträge, von denen mehrere
ſchon durch freiwillige Uebereinkunft der Vertragſchließenden anſtandslos
abgeändert worden waren; überdies ſtand der Krone Frankreich gewiß
kein Einſpruchsrecht zu, weil die Sieger ſich im Pariſer Frieden ausdrück-
lich vorbehalten hatten, über die Vertheilung der eroberten Gebiete allein
ohne Frankreichs Mitwirkung zu entſcheiden. Immerhin ließen ſich mit
einigem Scheine Rechtsbedenken erheben, da die Unabhängigkeit Krakaus
doch in den Wiener Verträgen verbürgt war. Um ſo unanfechtbarer
waren die politiſchen Gründe, welche die Oſtmächte zwangen, einer diplo-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 554. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/568>, abgerufen am 23.07.2024.
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