Sobald aber das Gebiet der Republik in die österreichische Zolllinie eingeschlossen wurde, konnte dieser altgewohnte Geschäftsbetrieb unmöglich fortdauern. Die preußische Regierung durfte also der Einverleibung erst dann endgiltig zustimmen, wenn dem deutschen Handel vorher mindestens einige Entschädigung für die drohenden Verluste unzweideutig zugesichert wurde; sie mußte ihre Bedingungen schnell und entschieden aufstellen, weil der gefährdete Verkehr doch großentheils Schmuggelhandel war, nachträgliche Beschwerden also gewiß nichts erreichen konnten. Canitz fühlte dies auch und ließ alsbald von den sachverständigen Handelspolitikern eine Denk- schrift ausarbeiten, die zu dem Schlusse gelangte, drei Zusicherungen mindestens müsse Preußen fordern: zum ersten einen Packhof in Krakau mit milder Controle, zum zweiten Fortdauer der bisherigen niedrigen Durchfuhrzölle im Krakauer Gebiete, zum dritten schleunige Vollendung der längst verheißenen Krakau-Breslauer Eisenbahn nebst Erleichterungen für den Durchfuhrverkehr.*) Diese überaus bescheidenen Bedingungen genügten durchaus nicht, um die schlesischen Geschäftsleute, die seit einem Menschenalter große Capitalien in dem Krakauer Freihandelsgebiete an- gelegt hatten, für ihre Einbuße schadlos zu halten, und die Denkschrift selbst gestand, man könne auch noch weit mehr verlangen. Sollte Preußen einen für Krieg und Handel gleich wichtigen Straßenknotenpunkt dicht an seiner Grenze ohne jeden Rechtsgrund den Oesterreichern übergeben und dafür zum Danke sich den altgewohnten schlesischen Handelszug zerstören lassen?
Da die Einverleibung Krakaus ohne Preußens endgiltige Zustimmung unmöglich war, so konnte der Berliner Hof jetzt einige der Forderungen durchsetzen, welche die bedrängte, zwischen dem Auslande eingeklemmte schlesische Provinz schon seit Jahren aufstellte: freien Verkehr für die alltäglichen Unterhaltsmittel in den Grenzorten, freie Einfuhr der schle- sischen Leinengarne, die in Böhmen verwebt und dann zurückgesendet wurden, vor Allem aber Herabsetzung einiger Prohibitivzölle, namentlich für Gewebe. Doch dazu gehörte volkswirthschaftliche Sachkenntniß, und jetzt rächte sich's wieder, daß der erste Diplomat des Zollvereins, Eich- horn in das Cultusministerium versetzt war. Von den obersten Räthen des auswärtigen Amts vermochte keiner die handelspolitischen Folgen der Einverleibung sicher zu beurtheilen. Die Kaufmannschaften oder die zu- nächst betheiligten Gewerbtreibenden wollte man auch nicht befragen, weil der Aprilvertrag ja zunächst tiefgeheim bleiben sollte. So geschah es, daß Canitz die handelspolitische Frage, die er durch rechtzeitiges Drängen sicher entscheiden konnte, vorläufig in der Schwebe hielt.
An Zeit fehlte es wahrlich nicht; denn der Wiener Hof, der anfangs
*) Promemoria über die Wichtigkeit der dermaligen politischen Verhältnisse der freien Stadt Krakau für den schlesischen Handel. 30. April 1846. (Vermuthlich aus dem Handelsamte.)
V. 7. Polen und Schleswigholſtein.
Sobald aber das Gebiet der Republik in die öſterreichiſche Zolllinie eingeſchloſſen wurde, konnte dieſer altgewohnte Geſchäftsbetrieb unmöglich fortdauern. Die preußiſche Regierung durfte alſo der Einverleibung erſt dann endgiltig zuſtimmen, wenn dem deutſchen Handel vorher mindeſtens einige Entſchädigung für die drohenden Verluſte unzweideutig zugeſichert wurde; ſie mußte ihre Bedingungen ſchnell und entſchieden aufſtellen, weil der gefährdete Verkehr doch großentheils Schmuggelhandel war, nachträgliche Beſchwerden alſo gewiß nichts erreichen konnten. Canitz fühlte dies auch und ließ alsbald von den ſachverſtändigen Handelspolitikern eine Denk- ſchrift ausarbeiten, die zu dem Schluſſe gelangte, drei Zuſicherungen mindeſtens müſſe Preußen fordern: zum erſten einen Packhof in Krakau mit milder Controle, zum zweiten Fortdauer der bisherigen niedrigen Durchfuhrzölle im Krakauer Gebiete, zum dritten ſchleunige Vollendung der längſt verheißenen Krakau-Breslauer Eiſenbahn nebſt Erleichterungen für den Durchfuhrverkehr.*) Dieſe überaus beſcheidenen Bedingungen genügten durchaus nicht, um die ſchleſiſchen Geſchäftsleute, die ſeit einem Menſchenalter große Capitalien in dem Krakauer Freihandelsgebiete an- gelegt hatten, für ihre Einbuße ſchadlos zu halten, und die Denkſchrift ſelbſt geſtand, man könne auch noch weit mehr verlangen. Sollte Preußen einen für Krieg und Handel gleich wichtigen Straßenknotenpunkt dicht an ſeiner Grenze ohne jeden Rechtsgrund den Oeſterreichern übergeben und dafür zum Danke ſich den altgewohnten ſchleſiſchen Handelszug zerſtören laſſen?
Da die Einverleibung Krakaus ohne Preußens endgiltige Zuſtimmung unmöglich war, ſo konnte der Berliner Hof jetzt einige der Forderungen durchſetzen, welche die bedrängte, zwiſchen dem Auslande eingeklemmte ſchleſiſche Provinz ſchon ſeit Jahren aufſtellte: freien Verkehr für die alltäglichen Unterhaltsmittel in den Grenzorten, freie Einfuhr der ſchle- ſiſchen Leinengarne, die in Böhmen verwebt und dann zurückgeſendet wurden, vor Allem aber Herabſetzung einiger Prohibitivzölle, namentlich für Gewebe. Doch dazu gehörte volkswirthſchaftliche Sachkenntniß, und jetzt rächte ſich’s wieder, daß der erſte Diplomat des Zollvereins, Eich- horn in das Cultusminiſterium verſetzt war. Von den oberſten Räthen des auswärtigen Amts vermochte keiner die handelspolitiſchen Folgen der Einverleibung ſicher zu beurtheilen. Die Kaufmannſchaften oder die zu- nächſt betheiligten Gewerbtreibenden wollte man auch nicht befragen, weil der Aprilvertrag ja zunächſt tiefgeheim bleiben ſollte. So geſchah es, daß Canitz die handelspolitiſche Frage, die er durch rechtzeitiges Drängen ſicher entſcheiden konnte, vorläufig in der Schwebe hielt.
An Zeit fehlte es wahrlich nicht; denn der Wiener Hof, der anfangs
*) Promemoria über die Wichtigkeit der dermaligen politiſchen Verhältniſſe der freien Stadt Krakau für den ſchleſiſchen Handel. 30. April 1846. (Vermuthlich aus dem Handelsamte.)
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V. 7. Polen und Schleswigholſtein.
Sobald aber das Gebiet der Republik in die öſterreichiſche Zolllinie
eingeſchloſſen wurde, konnte dieſer altgewohnte Geſchäftsbetrieb unmöglich
fortdauern. Die preußiſche Regierung durfte alſo der Einverleibung erſt
dann endgiltig zuſtimmen, wenn dem deutſchen Handel vorher mindeſtens
einige Entſchädigung für die drohenden Verluſte unzweideutig zugeſichert
wurde; ſie mußte ihre Bedingungen ſchnell und entſchieden aufſtellen, weil
der gefährdete Verkehr doch großentheils Schmuggelhandel war, nachträgliche
Beſchwerden alſo gewiß nichts erreichen konnten. Canitz fühlte dies auch
und ließ alsbald von den ſachverſtändigen Handelspolitikern eine Denk-
ſchrift ausarbeiten, die zu dem Schluſſe gelangte, drei Zuſicherungen
mindeſtens müſſe Preußen fordern: zum erſten einen Packhof in Krakau
mit milder Controle, zum zweiten Fortdauer der bisherigen niedrigen
Durchfuhrzölle im Krakauer Gebiete, zum dritten ſchleunige Vollendung
der längſt verheißenen Krakau-Breslauer Eiſenbahn nebſt Erleichterungen
für den Durchfuhrverkehr. *) Dieſe überaus beſcheidenen Bedingungen
genügten durchaus nicht, um die ſchleſiſchen Geſchäftsleute, die ſeit einem
Menſchenalter große Capitalien in dem Krakauer Freihandelsgebiete an-
gelegt hatten, für ihre Einbuße ſchadlos zu halten, und die Denkſchrift
ſelbſt geſtand, man könne auch noch weit mehr verlangen. Sollte Preußen
einen für Krieg und Handel gleich wichtigen Straßenknotenpunkt dicht an
ſeiner Grenze ohne jeden Rechtsgrund den Oeſterreichern übergeben und
dafür zum Danke ſich den altgewohnten ſchleſiſchen Handelszug zerſtören
laſſen?
Da die Einverleibung Krakaus ohne Preußens endgiltige Zuſtimmung
unmöglich war, ſo konnte der Berliner Hof jetzt einige der Forderungen
durchſetzen, welche die bedrängte, zwiſchen dem Auslande eingeklemmte
ſchleſiſche Provinz ſchon ſeit Jahren aufſtellte: freien Verkehr für die
alltäglichen Unterhaltsmittel in den Grenzorten, freie Einfuhr der ſchle-
ſiſchen Leinengarne, die in Böhmen verwebt und dann zurückgeſendet
wurden, vor Allem aber Herabſetzung einiger Prohibitivzölle, namentlich
für Gewebe. Doch dazu gehörte volkswirthſchaftliche Sachkenntniß, und
jetzt rächte ſich’s wieder, daß der erſte Diplomat des Zollvereins, Eich-
horn in das Cultusminiſterium verſetzt war. Von den oberſten Räthen
des auswärtigen Amts vermochte keiner die handelspolitiſchen Folgen der
Einverleibung ſicher zu beurtheilen. Die Kaufmannſchaften oder die zu-
nächſt betheiligten Gewerbtreibenden wollte man auch nicht befragen, weil
der Aprilvertrag ja zunächſt tiefgeheim bleiben ſollte. So geſchah es, daß
Canitz die handelspolitiſche Frage, die er durch rechtzeitiges Drängen ſicher
entſcheiden konnte, vorläufig in der Schwebe hielt.
An Zeit fehlte es wahrlich nicht; denn der Wiener Hof, der anfangs
*) Promemoria über die Wichtigkeit der dermaligen politiſchen Verhältniſſe der
freien Stadt Krakau für den ſchleſiſchen Handel. 30. April 1846. (Vermuthlich aus
dem Handelsamte.)
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 548. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/562>, abgerufen am 22.11.2024.
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