ihre hartherzigen Verwalter, die Mandatare. Im östlichen Galizien, wo nur die Edelleute Polen waren, die Bauern aber dem orthodoxen roth- russischen Volksstamme angehörten, wurde der Adelshaß noch durch kirch- liche und nationale Feindseligkeit verschärft; "in's Verderben soll der stolze Pole stürzen," sagte ein Volkslied der Ruthenen. So brausten denn Mordbrand und Plünderung über die Edelhöfe dahin; ein ausgedienter Soldat Szela führte die wüthenden Haufen an.
Es war ein echt sarmatisches Schauspiel. Wie einst in den alten polnischen Reichstagen die Anarchie des Liberum Veto an der ärgeren Anarchie der bewaffneten Conföderationen ihre Schranke gefunden hatte, so wurde jetzt die Verschwörung der Edelleute durch die Raserei der Ro- botpflichtigen gebändigt. In der Hofburg war Alles vom Schrecken gelähmt. Selbst die Regimenter zeigten sich nicht durchweg zuverlässig, bis in die Kreise der Offiziere war der Verrath eingedrungen. Die Behörden wußten sich nicht zu helfen und ließen die Mordbanden gewähren; der Kreishaupt- mann in Tarnow zahlte den Bauern sogar Geldpreise für jeden Edel- mann, den sie gefangen einbrachten. Gewiß hatte der Wiener Hof die Zahlung dieser Blutgelder nicht selber anbefohlen, schon weil ihm der Muth fehlte; doch die Schande blieb an ihm haften, daß er die politische Revo- lution nur durch stillschweigende Duldung der socialen Revolution be- zwungen hatte. Nach einigen entsetzlichen Tagen verrauchte der Blutdurst; die Bauern kehrten heim, zufrieden in dem Gedanken, daß der rothe Hahn so vielen Edelleuten auf's Dach geflogen war. Das alte System war mit seiner Weisheit am Ende. Metternich schrieb erleichtert: "der größte, der dickste und durch eine Anzahl von Umständen am meisten begünstigte Versuch der Umsturzpartei hat gescheitert;"*) aber nach solchen Gräueln wußte er dem zerrütteten Kronlande keine andere Sühne zu bieten als die Entlassung des kopflosen Statthalters und ein ganz ungenügendes Gesetz über die freiwillige Ablösung der Roboten.
Der Aufruhr war besiegt, die Ruheseligen athmeten auf. Wer weiter sah mußte ahnen, daß eine schwierige diplomatische Verwicklung bevorstand. Selbst der alte Welfenkönig bemerkte zu einem siegesfrohen Berichte seines Berliner Gesandten: "Ich bin nicht der Meinung, daß Alles vorbey ist. Nun ist erst die politische Frage: was soll mit diese Republik werden?"**) In der That kam der Wiener Hof, sobald die erste Angst überstanden war, unverzüglich auf seine alten Pläne zurück; das Brutnest aller pol- nischen Aufstände, die Republik Krakau sollte verschwinden, und gewiß ließ sich den Ostmächten jetzt nicht mehr zumuthen, daß sie diesen traurigen Staat, nachdem er thatsächlich zerstört war, künstlich wieder aufrichten sollten. Schon am 25. Februar theilte Metternich seinen Vorschlag dem
*) Metternich an Canitz, 20. März 1846.
**) König Ernst August, Marginalnote zu Knyphausen's Bericht vom 8. März 1846.
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. V. 35
Aufruhr in Krakau und Galizien.
ihre hartherzigen Verwalter, die Mandatare. Im öſtlichen Galizien, wo nur die Edelleute Polen waren, die Bauern aber dem orthodoxen roth- ruſſiſchen Volksſtamme angehörten, wurde der Adelshaß noch durch kirch- liche und nationale Feindſeligkeit verſchärft; „in’s Verderben ſoll der ſtolze Pole ſtürzen,“ ſagte ein Volkslied der Ruthenen. So brauſten denn Mordbrand und Plünderung über die Edelhöfe dahin; ein ausgedienter Soldat Szela führte die wüthenden Haufen an.
Es war ein echt ſarmatiſches Schauſpiel. Wie einſt in den alten polniſchen Reichstagen die Anarchie des Liberum Veto an der ärgeren Anarchie der bewaffneten Conföderationen ihre Schranke gefunden hatte, ſo wurde jetzt die Verſchwörung der Edelleute durch die Raſerei der Ro- botpflichtigen gebändigt. In der Hofburg war Alles vom Schrecken gelähmt. Selbſt die Regimenter zeigten ſich nicht durchweg zuverläſſig, bis in die Kreiſe der Offiziere war der Verrath eingedrungen. Die Behörden wußten ſich nicht zu helfen und ließen die Mordbanden gewähren; der Kreishaupt- mann in Tarnow zahlte den Bauern ſogar Geldpreiſe für jeden Edel- mann, den ſie gefangen einbrachten. Gewiß hatte der Wiener Hof die Zahlung dieſer Blutgelder nicht ſelber anbefohlen, ſchon weil ihm der Muth fehlte; doch die Schande blieb an ihm haften, daß er die politiſche Revo- lution nur durch ſtillſchweigende Duldung der ſocialen Revolution be- zwungen hatte. Nach einigen entſetzlichen Tagen verrauchte der Blutdurſt; die Bauern kehrten heim, zufrieden in dem Gedanken, daß der rothe Hahn ſo vielen Edelleuten auf’s Dach geflogen war. Das alte Syſtem war mit ſeiner Weisheit am Ende. Metternich ſchrieb erleichtert: „der größte, der dickſte und durch eine Anzahl von Umſtänden am meiſten begünſtigte Verſuch der Umſturzpartei hat geſcheitert;“*) aber nach ſolchen Gräueln wußte er dem zerrütteten Kronlande keine andere Sühne zu bieten als die Entlaſſung des kopfloſen Statthalters und ein ganz ungenügendes Geſetz über die freiwillige Ablöſung der Roboten.
Der Aufruhr war beſiegt, die Ruheſeligen athmeten auf. Wer weiter ſah mußte ahnen, daß eine ſchwierige diplomatiſche Verwicklung bevorſtand. Selbſt der alte Welfenkönig bemerkte zu einem ſiegesfrohen Berichte ſeines Berliner Geſandten: „Ich bin nicht der Meinung, daß Alles vorbey iſt. Nun iſt erſt die politiſche Frage: was ſoll mit dieſe Republik werden?“**) In der That kam der Wiener Hof, ſobald die erſte Angſt überſtanden war, unverzüglich auf ſeine alten Pläne zurück; das Brutneſt aller pol- niſchen Aufſtände, die Republik Krakau ſollte verſchwinden, und gewiß ließ ſich den Oſtmächten jetzt nicht mehr zumuthen, daß ſie dieſen traurigen Staat, nachdem er thatſächlich zerſtört war, künſtlich wieder aufrichten ſollten. Schon am 25. Februar theilte Metternich ſeinen Vorſchlag dem
*) Metternich an Canitz, 20. März 1846.
**) König Ernſt Auguſt, Marginalnote zu Knyphauſen’s Bericht vom 8. März 1846.
v. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. V. 35
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Aufruhr in Krakau und Galizien.
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nur die Edelleute Polen waren, die Bauern aber dem orthodoxen roth-
ruſſiſchen Volksſtamme angehörten, wurde der Adelshaß noch durch kirch-
liche und nationale Feindſeligkeit verſchärft; „in’s Verderben ſoll der
ſtolze Pole ſtürzen,“ ſagte ein Volkslied der Ruthenen. So brauſten denn
Mordbrand und Plünderung über die Edelhöfe dahin; ein ausgedienter
Soldat Szela führte die wüthenden Haufen an.
Es war ein echt ſarmatiſches Schauſpiel. Wie einſt in den alten
polniſchen Reichstagen die Anarchie des Liberum Veto an der ärgeren
Anarchie der bewaffneten Conföderationen ihre Schranke gefunden hatte,
ſo wurde jetzt die Verſchwörung der Edelleute durch die Raſerei der Ro-
botpflichtigen gebändigt. In der Hofburg war Alles vom Schrecken gelähmt.
Selbſt die Regimenter zeigten ſich nicht durchweg zuverläſſig, bis in die
Kreiſe der Offiziere war der Verrath eingedrungen. Die Behörden wußten
ſich nicht zu helfen und ließen die Mordbanden gewähren; der Kreishaupt-
mann in Tarnow zahlte den Bauern ſogar Geldpreiſe für jeden Edel-
mann, den ſie gefangen einbrachten. Gewiß hatte der Wiener Hof die
Zahlung dieſer Blutgelder nicht ſelber anbefohlen, ſchon weil ihm der Muth
fehlte; doch die Schande blieb an ihm haften, daß er die politiſche Revo-
lution nur durch ſtillſchweigende Duldung der ſocialen Revolution be-
zwungen hatte. Nach einigen entſetzlichen Tagen verrauchte der Blutdurſt;
die Bauern kehrten heim, zufrieden in dem Gedanken, daß der rothe Hahn
ſo vielen Edelleuten auf’s Dach geflogen war. Das alte Syſtem war mit
ſeiner Weisheit am Ende. Metternich ſchrieb erleichtert: „der größte,
der dickſte und durch eine Anzahl von Umſtänden am meiſten begünſtigte
Verſuch der Umſturzpartei hat geſcheitert;“ *) aber nach ſolchen Gräueln
wußte er dem zerrütteten Kronlande keine andere Sühne zu bieten als
die Entlaſſung des kopfloſen Statthalters und ein ganz ungenügendes
Geſetz über die freiwillige Ablöſung der Roboten.
Der Aufruhr war beſiegt, die Ruheſeligen athmeten auf. Wer weiter
ſah mußte ahnen, daß eine ſchwierige diplomatiſche Verwicklung bevorſtand.
Selbſt der alte Welfenkönig bemerkte zu einem ſiegesfrohen Berichte ſeines
Berliner Geſandten: „Ich bin nicht der Meinung, daß Alles vorbey iſt.
Nun iſt erſt die politiſche Frage: was ſoll mit dieſe Republik werden?“ **)
In der That kam der Wiener Hof, ſobald die erſte Angſt überſtanden
war, unverzüglich auf ſeine alten Pläne zurück; das Brutneſt aller pol-
niſchen Aufſtände, die Republik Krakau ſollte verſchwinden, und gewiß
ließ ſich den Oſtmächten jetzt nicht mehr zumuthen, daß ſie dieſen traurigen
Staat, nachdem er thatſächlich zerſtört war, künſtlich wieder aufrichten
ſollten. Schon am 25. Februar theilte Metternich ſeinen Vorſchlag dem
*) Metternich an Canitz, 20. März 1846.
**) König Ernſt Auguſt, Marginalnote zu Knyphauſen’s Bericht vom 8. März 1846.
v. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. V. 35
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 545. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/559>, abgerufen am 25.11.2024.
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