und Grundlasten murrte und nunmehr an den grausamen adlichen Herren blutige Rache zu nehmen hoffte.
Diese rastlosen, von dem gutmüthigen Statthalter, dem Erzherzog Ferdinand kaum bemerkten Umtriebe, die geheimen Sendboten, die in der letzten Freistätte des Polenthums, in Krakau beständig aus- und eingingen, und zu allermeist die freche Sprache des Posener Landtags beunruhigten den Wiener Hof lebhaft. Schon im Sommer 1842 fragte Metternich bei den anderen Theilungsmächten vertraulich an, ob es nicht rathsam sei, jetzt auf den geheimen Vertrag vom 14. Oct. 1835 zurückzukommen und das Krakauer Gebiet mindestens in die Zolllinie Oesterreichs aufzunehmen.*) Ehrlich verfuhr er dabei nicht; die vollständige Ausführung jenes Ver- trags, die gänzliche Einverleibung der Republik in den Kaiserstaat, er- klärte er unter den gegenwärtigen Verhältnissen für "eine Narrheit", der preußische Gesandte Canitz merkte aber bald, daß diese Narrheit grade Oesterreichs Wunsch war.**) Mit Entsetzen wies König Friedrich Wilhelm solche Anschläge wider sein geliebtes Polen zurück, und da er als Kron- prinz von diplomatischen Geheimnissen wenig erfahren hatte, so wollte er nicht einmal glauben, daß jemals ein so schändlicher Vertrag förmlich ab- geschlossen worden sei. Sein Petersburger Gesandter Liebermann, der einst bei jenen Geschäften mitgeholfen hatte, belehrte ihn freilich eines Besseren; gleichwohl hielt er seinen Widerspruch aufrecht und forderte ent- schieden, die alte Verabredung müsse für immer vergessen, die Unab- hängigkeit Krakaus gewissenhaft geachtet werden. Czar Nikolaus, der mit Metternich ganz übereinstimmte, wollte doch den Schwager augenblicklich nicht drängen; so vertagte denn der Wiener Hof vorläufig die Ausfüh- rung seines Vorhabens***), und Canitz berichtete in heller Freude: "Der Schlag ist abgewehrt. Die Stimme eines seiner erlauchten Beschützer hat das bedrohte Dasein des armen Schützlings gerettet, die Theilung Polens wird nicht kleinlich wiederholt werden durch die Erdrückung seiner letzten Trümmer. Dieser Plan ist verdientermaßen getödet und begraben."+)
Nur zu bald sollte diesen gutmüthigen Hoffnungen die Enttäuschung folgen. Die Russen versäumten keine Gelegenheit die ruchlosen Pläne der Polen anzuschwärzen. Als Nikolaus im October 1843 durch Posen kam, da wurde, so hieß es, ein Flintenschuß auf einen Wagen des kaiser- lichen Gefolges abgefeuert. Der Czar glaubte wirklich einer Lebensgefahr entgangen zu sein, und sein Hof bejammerte laut l'horrible attentat de Posen. Die Schandthat blieb trotz eifriger Nachforschungen unentdeckt, sie bestand wohl nur in der Phantasie der Moskowiter.++) Schon im
*) S. o. IV. 528.
**) Canitz's Bericht, 8. Dec. 1842.
***) Liebermann's Bericht, 14. Nov. 1843.
+) Canitz's Bericht, Jan. 1843.
++) Liebermann's Berichte, 10. 14. 23. Oct. 1843.
V. 7. Polen und Schleswigholſtein.
und Grundlaſten murrte und nunmehr an den grauſamen adlichen Herren blutige Rache zu nehmen hoffte.
Dieſe raſtloſen, von dem gutmüthigen Statthalter, dem Erzherzog Ferdinand kaum bemerkten Umtriebe, die geheimen Sendboten, die in der letzten Freiſtätte des Polenthums, in Krakau beſtändig aus- und eingingen, und zu allermeiſt die freche Sprache des Poſener Landtags beunruhigten den Wiener Hof lebhaft. Schon im Sommer 1842 fragte Metternich bei den anderen Theilungsmächten vertraulich an, ob es nicht rathſam ſei, jetzt auf den geheimen Vertrag vom 14. Oct. 1835 zurückzukommen und das Krakauer Gebiet mindeſtens in die Zolllinie Oeſterreichs aufzunehmen.*) Ehrlich verfuhr er dabei nicht; die vollſtändige Ausführung jenes Ver- trags, die gänzliche Einverleibung der Republik in den Kaiſerſtaat, er- klärte er unter den gegenwärtigen Verhältniſſen für „eine Narrheit“, der preußiſche Geſandte Canitz merkte aber bald, daß dieſe Narrheit grade Oeſterreichs Wunſch war.**) Mit Entſetzen wies König Friedrich Wilhelm ſolche Anſchläge wider ſein geliebtes Polen zurück, und da er als Kron- prinz von diplomatiſchen Geheimniſſen wenig erfahren hatte, ſo wollte er nicht einmal glauben, daß jemals ein ſo ſchändlicher Vertrag förmlich ab- geſchloſſen worden ſei. Sein Petersburger Geſandter Liebermann, der einſt bei jenen Geſchäften mitgeholfen hatte, belehrte ihn freilich eines Beſſeren; gleichwohl hielt er ſeinen Widerſpruch aufrecht und forderte ent- ſchieden, die alte Verabredung müſſe für immer vergeſſen, die Unab- hängigkeit Krakaus gewiſſenhaft geachtet werden. Czar Nikolaus, der mit Metternich ganz übereinſtimmte, wollte doch den Schwager augenblicklich nicht drängen; ſo vertagte denn der Wiener Hof vorläufig die Ausfüh- rung ſeines Vorhabens***), und Canitz berichtete in heller Freude: „Der Schlag iſt abgewehrt. Die Stimme eines ſeiner erlauchten Beſchützer hat das bedrohte Daſein des armen Schützlings gerettet, die Theilung Polens wird nicht kleinlich wiederholt werden durch die Erdrückung ſeiner letzten Trümmer. Dieſer Plan iſt verdientermaßen getödet und begraben.“†)
Nur zu bald ſollte dieſen gutmüthigen Hoffnungen die Enttäuſchung folgen. Die Ruſſen verſäumten keine Gelegenheit die ruchloſen Pläne der Polen anzuſchwärzen. Als Nikolaus im October 1843 durch Poſen kam, da wurde, ſo hieß es, ein Flintenſchuß auf einen Wagen des kaiſer- lichen Gefolges abgefeuert. Der Czar glaubte wirklich einer Lebensgefahr entgangen zu ſein, und ſein Hof bejammerte laut l’horrible attentat de Posen. Die Schandthat blieb trotz eifriger Nachforſchungen unentdeckt, ſie beſtand wohl nur in der Phantaſie der Moskowiter.††) Schon im
*) S. o. IV. 528.
**) Canitz’s Bericht, 8. Dec. 1842.
***) Liebermann’s Bericht, 14. Nov. 1843.
†) Canitz’s Bericht, Jan. 1843.
††) Liebermann’s Berichte, 10. 14. 23. Oct. 1843.
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V. 7. Polen und Schleswigholſtein.
und Grundlaſten murrte und nunmehr an den grauſamen adlichen Herren
blutige Rache zu nehmen hoffte.
Dieſe raſtloſen, von dem gutmüthigen Statthalter, dem Erzherzog
Ferdinand kaum bemerkten Umtriebe, die geheimen Sendboten, die in der
letzten Freiſtätte des Polenthums, in Krakau beſtändig aus- und eingingen,
und zu allermeiſt die freche Sprache des Poſener Landtags beunruhigten
den Wiener Hof lebhaft. Schon im Sommer 1842 fragte Metternich bei
den anderen Theilungsmächten vertraulich an, ob es nicht rathſam ſei,
jetzt auf den geheimen Vertrag vom 14. Oct. 1835 zurückzukommen und
das Krakauer Gebiet mindeſtens in die Zolllinie Oeſterreichs aufzunehmen. *)
Ehrlich verfuhr er dabei nicht; die vollſtändige Ausführung jenes Ver-
trags, die gänzliche Einverleibung der Republik in den Kaiſerſtaat, er-
klärte er unter den gegenwärtigen Verhältniſſen für „eine Narrheit“, der
preußiſche Geſandte Canitz merkte aber bald, daß dieſe Narrheit grade
Oeſterreichs Wunſch war. **) Mit Entſetzen wies König Friedrich Wilhelm
ſolche Anſchläge wider ſein geliebtes Polen zurück, und da er als Kron-
prinz von diplomatiſchen Geheimniſſen wenig erfahren hatte, ſo wollte er
nicht einmal glauben, daß jemals ein ſo ſchändlicher Vertrag förmlich ab-
geſchloſſen worden ſei. Sein Petersburger Geſandter Liebermann, der
einſt bei jenen Geſchäften mitgeholfen hatte, belehrte ihn freilich eines
Beſſeren; gleichwohl hielt er ſeinen Widerſpruch aufrecht und forderte ent-
ſchieden, die alte Verabredung müſſe für immer vergeſſen, die Unab-
hängigkeit Krakaus gewiſſenhaft geachtet werden. Czar Nikolaus, der mit
Metternich ganz übereinſtimmte, wollte doch den Schwager augenblicklich
nicht drängen; ſo vertagte denn der Wiener Hof vorläufig die Ausfüh-
rung ſeines Vorhabens ***), und Canitz berichtete in heller Freude: „Der
Schlag iſt abgewehrt. Die Stimme eines ſeiner erlauchten Beſchützer
hat das bedrohte Daſein des armen Schützlings gerettet, die Theilung
Polens wird nicht kleinlich wiederholt werden durch die Erdrückung ſeiner
letzten Trümmer. Dieſer Plan iſt verdientermaßen getödet und begraben.“ †)
Nur zu bald ſollte dieſen gutmüthigen Hoffnungen die Enttäuſchung
folgen. Die Ruſſen verſäumten keine Gelegenheit die ruchloſen Pläne
der Polen anzuſchwärzen. Als Nikolaus im October 1843 durch Poſen
kam, da wurde, ſo hieß es, ein Flintenſchuß auf einen Wagen des kaiſer-
lichen Gefolges abgefeuert. Der Czar glaubte wirklich einer Lebensgefahr
entgangen zu ſein, und ſein Hof bejammerte laut l’horrible attentat de
Posen. Die Schandthat blieb trotz eifriger Nachforſchungen unentdeckt,
ſie beſtand wohl nur in der Phantaſie der Moskowiter. ††) Schon im
*) S. o. IV. 528.
**) Canitz’s Bericht, 8. Dec. 1842.
***) Liebermann’s Bericht, 14. Nov. 1843.
†) Canitz’s Bericht, Jan. 1843.
††) Liebermann’s Berichte, 10. 14. 23. Oct. 1843.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 542. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/556>, abgerufen am 22.11.2024.
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