Rausch, der die Gesandten in Pera so oft ergreift, überwältigte auch ihn: er wollte auf der weiten Welt nichts mehr sehen als die orientalische Frage.
Da nun das dem Fragmentisten ganz unbekannte Preußen der prosaischen Meinung war, daß die Loose Europas schon seit vierzehnhundert Jahren nicht mehr am Bosporus geschrieben würden und sich demnach an dem diplomatischen Ränkespiele der Metropolis nur wenig betheiligte, so glaubte er, Deutschland sei in schmähliche Ohnmacht versunken. Ebenso hoffnungs- los urtheilte er über die Neugriechen. Mit einem großen Aufwande histo- rischer Gelehrsamkeit erklärte er sie für ein elendes slawisch-schkypetarisches Mischvolk. Ihm entging ganz, daß die Nationalität durchaus nicht allein durch die Reinheit des Blutes bedingt ist. Fast überall in Europa hatte nach den großen Völkerwanderungen die überlegene Cultur der Besiegten ihre Rache genommen an den barbarischen Siegern; die Slawen waren auf hellenischem Boden ganz ebenso zu Byzantinern geworden, wie die Gothen, Langobarden und Burgunden auf Römerboden zu Romanen wurden. Die Hellenen haßten ihren Lästerer tödlich, und König Ludwig fand es ruchlos, daß ein in Baiern längst eingebürgerter Gelehrter in der bairischen Allgemeinen Zeitung das Lieblingsvolk der Wittelsbacher also um allen Credit brachte. Russenhaß, Griechenhaß, Zorn über Deutsch- lands Schwäche, Entrüstung wider den Vibius Egnatius Tartuffius des Priesterthums -- das waren die vorherrschenden Empfindungen des Frag- mentisten. Er nannte sich gern einen Mann von Welt, weil er in Frank- reich, in Rußland, in Pera viel in vornehmen Kreisen verkehrt hatte, und spottete über die doktrinäre philhellenische Schwärmerei der deutschen Philo- logen. In Wahrheit war er selbst ein ganz unpolitischer Kopf, der die Wirkung seiner Worte nicht zu berechnen verstand. Wenn er die Hellenen schonungslos verunglimpfte, so arbeitete er doch den verhaßten Russen in die Hände; auch seine Spöttereien über Egnatius Tartuffius konnten dem Czaren, der ja überall, namentlich in Baiern die Ultramontanen bekämpfte, nur Freude bereiten. Aber er war zugleich ein Stück Poet, und darin lag seine Stärke. Der funkelnde, etwas überladene Stil der Fragmente sprühte von Geist und Leben. Die herrlichen hochromantischen Schilderungen des Komnenenschlosses von Trapezunt, der Waldeinsamkeit am Pontus, der lorbeerumrauschten Klöster auf dem heiligen Berge Athos blieben dem Leser unvergeßlich, und mit der Süßigkeit dieser Landschaftsdichtungen schlürfte er auch das geistreiche politische Kauderwälsch des Fragmentisten begierig ein, das im Grunde doch nur sagte: der Tod ist von den Sünden des Lebens frei, folglich steht der Türke hoch über den Rajah-Völkern. Da das freie England in Pera herrschte, so gaben sich die deutschen Liberalen der tröstlichen Hoffnung hin, die Stadt Konstantin's sei vorläufig noch wohl geborgen in den Händen des Großtürken und seiner aufgeklärten Eunuchen. --
Fallmerayer’s Fragmente
Rauſch, der die Geſandten in Pera ſo oft ergreift, überwältigte auch ihn: er wollte auf der weiten Welt nichts mehr ſehen als die orientaliſche Frage.
Da nun das dem Fragmentiſten ganz unbekannte Preußen der proſaiſchen Meinung war, daß die Looſe Europas ſchon ſeit vierzehnhundert Jahren nicht mehr am Bosporus geſchrieben würden und ſich demnach an dem diplomatiſchen Ränkeſpiele der Metropolis nur wenig betheiligte, ſo glaubte er, Deutſchland ſei in ſchmähliche Ohnmacht verſunken. Ebenſo hoffnungs- los urtheilte er über die Neugriechen. Mit einem großen Aufwande hiſto- riſcher Gelehrſamkeit erklärte er ſie für ein elendes ſlawiſch-ſchkypetariſches Miſchvolk. Ihm entging ganz, daß die Nationalität durchaus nicht allein durch die Reinheit des Blutes bedingt iſt. Faſt überall in Europa hatte nach den großen Völkerwanderungen die überlegene Cultur der Beſiegten ihre Rache genommen an den barbariſchen Siegern; die Slawen waren auf helleniſchem Boden ganz ebenſo zu Byzantinern geworden, wie die Gothen, Langobarden und Burgunden auf Römerboden zu Romanen wurden. Die Hellenen haßten ihren Läſterer tödlich, und König Ludwig fand es ruchlos, daß ein in Baiern längſt eingebürgerter Gelehrter in der bairiſchen Allgemeinen Zeitung das Lieblingsvolk der Wittelsbacher alſo um allen Credit brachte. Ruſſenhaß, Griechenhaß, Zorn über Deutſch- lands Schwäche, Entrüſtung wider den Vibius Egnatius Tartuffius des Prieſterthums — das waren die vorherrſchenden Empfindungen des Frag- mentiſten. Er nannte ſich gern einen Mann von Welt, weil er in Frank- reich, in Rußland, in Pera viel in vornehmen Kreiſen verkehrt hatte, und ſpottete über die doktrinäre philhelleniſche Schwärmerei der deutſchen Philo- logen. In Wahrheit war er ſelbſt ein ganz unpolitiſcher Kopf, der die Wirkung ſeiner Worte nicht zu berechnen verſtand. Wenn er die Hellenen ſchonungslos verunglimpfte, ſo arbeitete er doch den verhaßten Ruſſen in die Hände; auch ſeine Spöttereien über Egnatius Tartuffius konnten dem Czaren, der ja überall, namentlich in Baiern die Ultramontanen bekämpfte, nur Freude bereiten. Aber er war zugleich ein Stück Poet, und darin lag ſeine Stärke. Der funkelnde, etwas überladene Stil der Fragmente ſprühte von Geiſt und Leben. Die herrlichen hochromantiſchen Schilderungen des Komnenenſchloſſes von Trapezunt, der Waldeinſamkeit am Pontus, der lorbeerumrauſchten Klöſter auf dem heiligen Berge Athos blieben dem Leſer unvergeßlich, und mit der Süßigkeit dieſer Landſchaftsdichtungen ſchlürfte er auch das geiſtreiche politiſche Kauderwälſch des Fragmentiſten begierig ein, das im Grunde doch nur ſagte: der Tod iſt von den Sünden des Lebens frei, folglich ſteht der Türke hoch über den Rajah-Völkern. Da das freie England in Pera herrſchte, ſo gaben ſich die deutſchen Liberalen der tröſtlichen Hoffnung hin, die Stadt Konſtantin’s ſei vorläufig noch wohl geborgen in den Händen des Großtürken und ſeiner aufgeklärten Eunuchen. —
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Fallmerayer’s Fragmente
Rauſch, der die Geſandten in Pera ſo oft ergreift, überwältigte auch ihn:
er wollte auf der weiten Welt nichts mehr ſehen als die orientaliſche Frage.
Da nun das dem Fragmentiſten ganz unbekannte Preußen der proſaiſchen
Meinung war, daß die Looſe Europas ſchon ſeit vierzehnhundert Jahren
nicht mehr am Bosporus geſchrieben würden und ſich demnach an dem
diplomatiſchen Ränkeſpiele der Metropolis nur wenig betheiligte, ſo glaubte
er, Deutſchland ſei in ſchmähliche Ohnmacht verſunken. Ebenſo hoffnungs-
los urtheilte er über die Neugriechen. Mit einem großen Aufwande hiſto-
riſcher Gelehrſamkeit erklärte er ſie für ein elendes ſlawiſch-ſchkypetariſches
Miſchvolk. Ihm entging ganz, daß die Nationalität durchaus nicht allein
durch die Reinheit des Blutes bedingt iſt. Faſt überall in Europa hatte
nach den großen Völkerwanderungen die überlegene Cultur der Beſiegten
ihre Rache genommen an den barbariſchen Siegern; die Slawen waren
auf helleniſchem Boden ganz ebenſo zu Byzantinern geworden, wie die
Gothen, Langobarden und Burgunden auf Römerboden zu Romanen
wurden. Die Hellenen haßten ihren Läſterer tödlich, und König Ludwig
fand es ruchlos, daß ein in Baiern längſt eingebürgerter Gelehrter in
der bairiſchen Allgemeinen Zeitung das Lieblingsvolk der Wittelsbacher
alſo um allen Credit brachte. Ruſſenhaß, Griechenhaß, Zorn über Deutſch-
lands Schwäche, Entrüſtung wider den Vibius Egnatius Tartuffius des
Prieſterthums — das waren die vorherrſchenden Empfindungen des Frag-
mentiſten. Er nannte ſich gern einen Mann von Welt, weil er in Frank-
reich, in Rußland, in Pera viel in vornehmen Kreiſen verkehrt hatte, und
ſpottete über die doktrinäre philhelleniſche Schwärmerei der deutſchen Philo-
logen. In Wahrheit war er ſelbſt ein ganz unpolitiſcher Kopf, der die
Wirkung ſeiner Worte nicht zu berechnen verſtand. Wenn er die Hellenen
ſchonungslos verunglimpfte, ſo arbeitete er doch den verhaßten Ruſſen in
die Hände; auch ſeine Spöttereien über Egnatius Tartuffius konnten dem
Czaren, der ja überall, namentlich in Baiern die Ultramontanen bekämpfte,
nur Freude bereiten. Aber er war zugleich ein Stück Poet, und darin lag
ſeine Stärke. Der funkelnde, etwas überladene Stil der Fragmente ſprühte
von Geiſt und Leben. Die herrlichen hochromantiſchen Schilderungen des
Komnenenſchloſſes von Trapezunt, der Waldeinſamkeit am Pontus, der
lorbeerumrauſchten Klöſter auf dem heiligen Berge Athos blieben dem Leſer
unvergeßlich, und mit der Süßigkeit dieſer Landſchaftsdichtungen ſchlürfte
er auch das geiſtreiche politiſche Kauderwälſch des Fragmentiſten begierig
ein, das im Grunde doch nur ſagte: der Tod iſt von den Sünden des
Lebens frei, folglich ſteht der Türke hoch über den Rajah-Völkern. Da
das freie England in Pera herrſchte, ſo gaben ſich die deutſchen Liberalen
der tröſtlichen Hoffnung hin, die Stadt Konſtantin’s ſei vorläufig noch
wohl geborgen in den Händen des Großtürken und ſeiner aufgeklärten
Eunuchen. —
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 539. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/553>, abgerufen am 25.11.2024.
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