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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Griechenland und die Wittelsbacher.
Aberdeen -- brauchen die Hellenen nicht, als eine Schutztruppe für den
inneren Sicherheitsdienst; und noch deutlicher sagte nachher Palmerston:
wir wollen diesem Volke seine byzantinischen Gelüste für immer austreiben!*)
Die neue Verfassung, mitsammt dem Artikel über die orthodoxe Thron-
folge blieb unverändert, stillschweigend anerkannt von den Schutzmächten.
Also hatte Rußland die verschmähte Olga gerächt und sein Spiel mindestens
halb gewonnen. Die Wittelsbacher waren zwar nicht entthront, doch Jeder-
mann mußte voraussehen, daß König Otto besten Falls nur noch auf
Lebenszeit regieren und sein Bruder Luitpold niemals die Krone der
Hellenen tragen würde. Mit vollem Rechte lärmten daher die bairischen
Zeitungen, am lautesten die ultramontanen, wider die Feindseligkeit der
Moskowiter. Nesselrode zählte aber zu jenen ehrlichen Leuten, denen sich
nichts beweisen läßt; er forderte Genugthuung, drohte mit Abbruch des
diplomatischen Verkehrs. Endlich ließ sich der Münchener Hof zu einigen
Entschuldigungen herbei und verbot seinen Zeitungen, auf Rußland zu
schelten.**)

In Griechenland kämpften die Anhänger der drei Schutzmächte noch
lange mit einander. Brassier de St. Simon wurde abberufen, weil die
Uhr des Absolutismus abgelaufen war. England suchte seine Schuld-
forderungen mit der äußersten Gehässigkeit, einmal sogar durch die Ab-
sendung von Kriegsschiffen einzutreiben. Die Russen sahen diesen rohen
Mahnungen mit stiller Schadenfreude zu; König Friedrich Wilhelm
aber, der freilich nicht helfen konnte, beklagte bitterlich, wie die Mächte
das unselige Land also durch die britische Habgier zu Grunde richten
ließen.***) Zuletzt errang Kolettis, der Führer der französischen Partei einen
vollständigen Sieg. Palmerston schäumte vor Zorn als er diesen Triumph
Guizot's erfuhr. Er überhäufte die griechische wie die bairische Regierung
mit groben Schmähungen und suchte auch Preußen gegen die beiden Wittels-
bachischen Höfe aufzuregen. "Das Königreich Griechenland", schrieb er nach
Berlin, "ist von den drei Mächten nicht geschaffen worden für die persön-
lichen Vortheile und Vergnügungen eines bairischen Prinzen, sondern ein
bairischer Prinz ist von den drei Mächten zum König von Griechenland er-
wählt worden um die griechische Nation zu beglücken und ihr zu nützen"...
Es wird noch dahin kommen, daß König Otto "durch unfähige, bestechliche
und tyrannische Minister den Griechen ein System der Mißregierung und
Unterdrückung auferlegt, das die Stellung eines Unterthanen des Königs
von Griechenland weniger erträglich macht, als die Stellung eines Rajahs
des Sultans."+) Canitz erwiderte trocken: "uns liegt nur an der Un-
abhängigkeit Griechenlands, darum wollen wir seine Regierung nicht stören;

*) Bunsen's Berichte, 11. März 1845, 5. März 1847.
**) Gise an Viollier, 7. Dec. Weisung an Graf Bray in Petersburg, 7. Dec. 1843.
***) Canitz, Weisung an Rochow, 3. Sept. 1846.
+) Palmerston an Westmoreland, 18. Mai 1847.

Griechenland und die Wittelsbacher.
Aberdeen — brauchen die Hellenen nicht, als eine Schutztruppe für den
inneren Sicherheitsdienſt; und noch deutlicher ſagte nachher Palmerſton:
wir wollen dieſem Volke ſeine byzantiniſchen Gelüſte für immer austreiben!*)
Die neue Verfaſſung, mitſammt dem Artikel über die orthodoxe Thron-
folge blieb unverändert, ſtillſchweigend anerkannt von den Schutzmächten.
Alſo hatte Rußland die verſchmähte Olga gerächt und ſein Spiel mindeſtens
halb gewonnen. Die Wittelsbacher waren zwar nicht entthront, doch Jeder-
mann mußte vorausſehen, daß König Otto beſten Falls nur noch auf
Lebenszeit regieren und ſein Bruder Luitpold niemals die Krone der
Hellenen tragen würde. Mit vollem Rechte lärmten daher die bairiſchen
Zeitungen, am lauteſten die ultramontanen, wider die Feindſeligkeit der
Moskowiter. Neſſelrode zählte aber zu jenen ehrlichen Leuten, denen ſich
nichts beweiſen läßt; er forderte Genugthuung, drohte mit Abbruch des
diplomatiſchen Verkehrs. Endlich ließ ſich der Münchener Hof zu einigen
Entſchuldigungen herbei und verbot ſeinen Zeitungen, auf Rußland zu
ſchelten.**)

In Griechenland kämpften die Anhänger der drei Schutzmächte noch
lange mit einander. Braſſier de St. Simon wurde abberufen, weil die
Uhr des Abſolutismus abgelaufen war. England ſuchte ſeine Schuld-
forderungen mit der äußerſten Gehäſſigkeit, einmal ſogar durch die Ab-
ſendung von Kriegsſchiffen einzutreiben. Die Ruſſen ſahen dieſen rohen
Mahnungen mit ſtiller Schadenfreude zu; König Friedrich Wilhelm
aber, der freilich nicht helfen konnte, beklagte bitterlich, wie die Mächte
das unſelige Land alſo durch die britiſche Habgier zu Grunde richten
ließen.***) Zuletzt errang Kolettis, der Führer der franzöſiſchen Partei einen
vollſtändigen Sieg. Palmerſton ſchäumte vor Zorn als er dieſen Triumph
Guizot’s erfuhr. Er überhäufte die griechiſche wie die bairiſche Regierung
mit groben Schmähungen und ſuchte auch Preußen gegen die beiden Wittels-
bachiſchen Höfe aufzuregen. „Das Königreich Griechenland“, ſchrieb er nach
Berlin, „iſt von den drei Mächten nicht geſchaffen worden für die perſön-
lichen Vortheile und Vergnügungen eines bairiſchen Prinzen, ſondern ein
bairiſcher Prinz iſt von den drei Mächten zum König von Griechenland er-
wählt worden um die griechiſche Nation zu beglücken und ihr zu nützen“…
Es wird noch dahin kommen, daß König Otto „durch unfähige, beſtechliche
und tyranniſche Miniſter den Griechen ein Syſtem der Mißregierung und
Unterdrückung auferlegt, das die Stellung eines Unterthanen des Königs
von Griechenland weniger erträglich macht, als die Stellung eines Rajahs
des Sultans.“†) Canitz erwiderte trocken: „uns liegt nur an der Un-
abhängigkeit Griechenlands, darum wollen wir ſeine Regierung nicht ſtören;

*) Bunſen’s Berichte, 11. März 1845, 5. März 1847.
**) Giſe an Viollier, 7. Dec. Weiſung an Graf Bray in Petersburg, 7. Dec. 1843.
***) Canitz, Weiſung an Rochow, 3. Sept. 1846.
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[535/0549] Griechenland und die Wittelsbacher. Aberdeen — brauchen die Hellenen nicht, als eine Schutztruppe für den inneren Sicherheitsdienſt; und noch deutlicher ſagte nachher Palmerſton: wir wollen dieſem Volke ſeine byzantiniſchen Gelüſte für immer austreiben! *) Die neue Verfaſſung, mitſammt dem Artikel über die orthodoxe Thron- folge blieb unverändert, ſtillſchweigend anerkannt von den Schutzmächten. Alſo hatte Rußland die verſchmähte Olga gerächt und ſein Spiel mindeſtens halb gewonnen. Die Wittelsbacher waren zwar nicht entthront, doch Jeder- mann mußte vorausſehen, daß König Otto beſten Falls nur noch auf Lebenszeit regieren und ſein Bruder Luitpold niemals die Krone der Hellenen tragen würde. Mit vollem Rechte lärmten daher die bairiſchen Zeitungen, am lauteſten die ultramontanen, wider die Feindſeligkeit der Moskowiter. Neſſelrode zählte aber zu jenen ehrlichen Leuten, denen ſich nichts beweiſen läßt; er forderte Genugthuung, drohte mit Abbruch des diplomatiſchen Verkehrs. Endlich ließ ſich der Münchener Hof zu einigen Entſchuldigungen herbei und verbot ſeinen Zeitungen, auf Rußland zu ſchelten. **) In Griechenland kämpften die Anhänger der drei Schutzmächte noch lange mit einander. Braſſier de St. Simon wurde abberufen, weil die Uhr des Abſolutismus abgelaufen war. England ſuchte ſeine Schuld- forderungen mit der äußerſten Gehäſſigkeit, einmal ſogar durch die Ab- ſendung von Kriegsſchiffen einzutreiben. Die Ruſſen ſahen dieſen rohen Mahnungen mit ſtiller Schadenfreude zu; König Friedrich Wilhelm aber, der freilich nicht helfen konnte, beklagte bitterlich, wie die Mächte das unſelige Land alſo durch die britiſche Habgier zu Grunde richten ließen. ***) Zuletzt errang Kolettis, der Führer der franzöſiſchen Partei einen vollſtändigen Sieg. Palmerſton ſchäumte vor Zorn als er dieſen Triumph Guizot’s erfuhr. Er überhäufte die griechiſche wie die bairiſche Regierung mit groben Schmähungen und ſuchte auch Preußen gegen die beiden Wittels- bachiſchen Höfe aufzuregen. „Das Königreich Griechenland“, ſchrieb er nach Berlin, „iſt von den drei Mächten nicht geſchaffen worden für die perſön- lichen Vortheile und Vergnügungen eines bairiſchen Prinzen, ſondern ein bairiſcher Prinz iſt von den drei Mächten zum König von Griechenland er- wählt worden um die griechiſche Nation zu beglücken und ihr zu nützen“… Es wird noch dahin kommen, daß König Otto „durch unfähige, beſtechliche und tyranniſche Miniſter den Griechen ein Syſtem der Mißregierung und Unterdrückung auferlegt, das die Stellung eines Unterthanen des Königs von Griechenland weniger erträglich macht, als die Stellung eines Rajahs des Sultans.“ †) Canitz erwiderte trocken: „uns liegt nur an der Un- abhängigkeit Griechenlands, darum wollen wir ſeine Regierung nicht ſtören; *) Bunſen’s Berichte, 11. März 1845, 5. März 1847. **) Giſe an Viollier, 7. Dec. Weiſung an Graf Bray in Petersburg, 7. Dec. 1843. ***) Canitz, Weiſung an Rochow, 3. Sept. 1846. †) Palmerſton an Weſtmoreland, 18. Mai 1847.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 535. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/549>, abgerufen am 22.11.2024.