Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.V. 7. Polen und Schleswigholstein. und der bekümmerte Vater König Ludwig sendete den Fürsten Wallersteinnach London und Paris, um irgend eine Bürgschaft für das Erbfolge- recht der Wittelsbacher, sowie für die monarchische Gewalt der griechischen Krone zu erlangen. Beide Westmächte gaben nur unbestimmte Zusiche- rungen, und die Fortsetzung der diplomatischen Reise bis nach Athen unter- blieb schließlich, weil Wallerstein selbst einsah, daß die Anwesenheit eines Bavaresen die erhitzten Hellenen noch mehr reizen würde.*) Unterdessen waren die drei Schutzmächte zu einer Conferenz zusammengetreten; und hier sagte Brunnow unschuldig: durch den nachträglichen Beschluß über das orthodoxe Bekenntniß der Hellenenkönige würde das Erbfolgerecht der Wittelsbacher doch nicht beeinträchtigt. Er begriff gar nicht, wie man der griechischen Nationalversammlung das Recht zu solchen Beschlüssen be- streiten könne. Ebenso unschuldig schrieb Nesselrode nach München: "Haben nicht alle unsere Verhandlungen den Zweck gehabt, den Thron Griechen- lands den Nachkommen des Königs von Baiern zu sichern? Und würde dieser Gedanke nicht eine neue Verbürgung erhalten, wenn man bestimmte, daß der künftige Souverän sich mit seinem Volke durch die Bande des gleichen Glaubens vereinigen muß? An dem Kaiser von Rußland ist es sicherlich nicht, eine Nothwendigkeit zu bestreiten, worüber alle Griechen einstimmig sind."**) Die Conferenz wußte sich nicht zu helfen, und schließlich rieth ihr *) Liebermann's Berichte, 26. Dec. 1843, 23. Jan., 13. Juli 1844. **) Bunsen's Bericht, 23. Febr. Nesselrode, Weisung an Viollier in München, 22. Febr. (a. St.) 1844. ***) Thile's Bericht, London, 18. April 1844. +) Aberdeen an Brunnow, 18. Oct. 1844.
V. 7. Polen und Schleswigholſtein. und der bekümmerte Vater König Ludwig ſendete den Fürſten Wallerſteinnach London und Paris, um irgend eine Bürgſchaft für das Erbfolge- recht der Wittelsbacher, ſowie für die monarchiſche Gewalt der griechiſchen Krone zu erlangen. Beide Weſtmächte gaben nur unbeſtimmte Zuſiche- rungen, und die Fortſetzung der diplomatiſchen Reiſe bis nach Athen unter- blieb ſchließlich, weil Wallerſtein ſelbſt einſah, daß die Anweſenheit eines Bavareſen die erhitzten Hellenen noch mehr reizen würde.*) Unterdeſſen waren die drei Schutzmächte zu einer Conferenz zuſammengetreten; und hier ſagte Brunnow unſchuldig: durch den nachträglichen Beſchluß über das orthodoxe Bekenntniß der Hellenenkönige würde das Erbfolgerecht der Wittelsbacher doch nicht beeinträchtigt. Er begriff gar nicht, wie man der griechiſchen Nationalverſammlung das Recht zu ſolchen Beſchlüſſen be- ſtreiten könne. Ebenſo unſchuldig ſchrieb Neſſelrode nach München: „Haben nicht alle unſere Verhandlungen den Zweck gehabt, den Thron Griechen- lands den Nachkommen des Königs von Baiern zu ſichern? Und würde dieſer Gedanke nicht eine neue Verbürgung erhalten, wenn man beſtimmte, daß der künftige Souverän ſich mit ſeinem Volke durch die Bande des gleichen Glaubens vereinigen muß? An dem Kaiſer von Rußland iſt es ſicherlich nicht, eine Nothwendigkeit zu beſtreiten, worüber alle Griechen einſtimmig ſind.“**) Die Conferenz wußte ſich nicht zu helfen, und ſchließlich rieth ihr *) Liebermann’s Berichte, 26. Dec. 1843, 23. Jan., 13. Juli 1844. **) Bunſen’s Bericht, 23. Febr. Neſſelrode, Weiſung an Viollier in München, 22. Febr. (a. St.) 1844. ***) Thile’s Bericht, London, 18. April 1844. †) Aberdeen an Brunnow, 18. Oct. 1844.
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V. 7. Polen und Schleswigholſtein.
und der bekümmerte Vater König Ludwig ſendete den Fürſten Wallerſtein
nach London und Paris, um irgend eine Bürgſchaft für das Erbfolge-
recht der Wittelsbacher, ſowie für die monarchiſche Gewalt der griechiſchen
Krone zu erlangen. Beide Weſtmächte gaben nur unbeſtimmte Zuſiche-
rungen, und die Fortſetzung der diplomatiſchen Reiſe bis nach Athen unter-
blieb ſchließlich, weil Wallerſtein ſelbſt einſah, daß die Anweſenheit eines
Bavareſen die erhitzten Hellenen noch mehr reizen würde. *) Unterdeſſen
waren die drei Schutzmächte zu einer Conferenz zuſammengetreten; und
hier ſagte Brunnow unſchuldig: durch den nachträglichen Beſchluß über
das orthodoxe Bekenntniß der Hellenenkönige würde das Erbfolgerecht der
Wittelsbacher doch nicht beeinträchtigt. Er begriff gar nicht, wie man der
griechiſchen Nationalverſammlung das Recht zu ſolchen Beſchlüſſen be-
ſtreiten könne. Ebenſo unſchuldig ſchrieb Neſſelrode nach München: „Haben
nicht alle unſere Verhandlungen den Zweck gehabt, den Thron Griechen-
lands den Nachkommen des Königs von Baiern zu ſichern? Und würde
dieſer Gedanke nicht eine neue Verbürgung erhalten, wenn man beſtimmte,
daß der künftige Souverän ſich mit ſeinem Volke durch die Bande des
gleichen Glaubens vereinigen muß? An dem Kaiſer von Rußland iſt es
ſicherlich nicht, eine Nothwendigkeit zu beſtreiten, worüber alle Griechen
einſtimmig ſind.“ **)
Die Conferenz wußte ſich nicht zu helfen, und ſchließlich rieth ihr
der König von Preußen, der jeden Eingriff in die Rechte des bairiſchen
Hauſes verhindern wollte, die Schutzmächte möchten die förmliche Ent-
ſcheidung der confeſſionellen Frage vorläufig vertagen. ***) So geſchah es
auch. Die Schutzmächte begnügten ſich, einige fromme Wünſche für die
Wiederherſtellung der Ordnung in Hellas kundzugeben; um ſo nachdrück-
licher ſprachen ſie die Erwartung aus, daß ihr Schützling ſeine Geld-
verpflichtungen erfüllen und auf alle Gebietserweiterungen verzichten müſſe.
Ihr gemeinſames Kind ſollte in ſeiner Nichtigkeit verharren — in dieſem
Gedanken fanden ſich die drei liebevollen Erzeugermächte zuſammen; und
ſalbungsvoll ſchrieb Aberdeen ſeinem ruſſiſchen Freunde: wichtig iſt nur,
jeden Angriff der Griechen auf die Türkei zu verhindern, darum wollen
wir uns beiderſeits dem helleniſchen Parteitreiben fern halten „und wahr
gegen einander bleiben, mein theuerer Brunnow“. †) England und Ruß-
land forderten nunmehr die Abtragung der Schulden ſo ungeſtüm, daß
der griechiſche Finanzminiſter der Nationalverſammlung erklären mußte,
ein Budget könne er überhaupt nicht vorlegen, und König Otto ſich ſchließlich
genöthigt ſah, ſein Heer auf 5000 Mann herabzuſetzen. Mehr — meinte
*) Liebermann’s Berichte, 26. Dec. 1843, 23. Jan., 13. Juli 1844.
**) Bunſen’s Bericht, 23. Febr. Neſſelrode, Weiſung an Viollier in München,
22. Febr. (a. St.) 1844.
***) Thile’s Bericht, London, 18. April 1844.
†) Aberdeen an Brunnow, 18. Oct. 1844.
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