emporwuchs, um so widersinniger erschien das Verlangen nach einer anderen Metropole, und doch konnte das erhoffte Byzantinerreich seine Hauptstadt nur am Bosporus finden, alle Griechen in der großen Polis blickten ver- ächtlich auf das kleine Athen hernieder. Der kriegerische Geist war völlig erloschen; für die Verstärkung des erbärmlichen Heeres hatten jene großen Kaufherren, welche für Akademien und Bibliotheken Millionen spendeten, keine Drachme übrig. Ohne Geld und Waffen konnte der König, wie lebhaft er es auch selber wünschte, dem nationalen Ehrgeiz unmöglich ent- sprechen.
An dem österreichischen Gesandten, dem eitlen, federgewandten Prokesch v. Osten fand er auch keine feste Stütze; denn Metternich wollte von dem verabscheuten Staate der Revolution noch immer nichts hören, er sagte scharf: "ich preise mich glücklich, weil ich an der Schöpfung dieser poli- tischen Mißgeburt gar keinen Antheil genommen habe."*) Der einzige zuverlässige diplomatische Rathgeber Otto's blieb der preußische Gesandte Brassier de St. Simon, ein leichtlebiger, feingebildeter Weltmann, der einst den Berliner Hof durch seine geistreichen Gespräche entzückt hatte, als Dichter der Barcarole "Das Schiff streicht durch die Wellen" auch in weiteren Kreisen bekannt war. Nebenbei trieb er somnambüle Zauberei, wie ja fast alle preußischen Diplomaten dieser politischen Dilettantenzeit, Bunsen, H. v. Arnim und Andere, sich mit Homöopathie, Magnetismus und ähnlichen brotlosen Künsten vergnügten. Schon der alte König hatte die griechische Politik der Wittelsbacher immer unterstützt und vor Jahren seinem Neffen Adalbert die Annahme der hellenischen Krone untersagt, weil er den bairischen Verwandten ihre Cirkel nicht stören wollte. Der Nachfolger war der philhellenischen Jugendträume noch immer eingedenk: er freute sich, daß sein Gesandter dem geliebten Neffen treu zur Seite stand**), und vernahm es gern, wenn König Ludwig immer wieder dankbar aussprach: Preußen allein zeigt sich in diesen schweren Tagen als Baierns ehrlicher Freund.***)
Freilich galt der preußische Staat, da er nicht einmal ein Kriegsschiff in den Piräus senden konnte, bei den Griechen sehr wenig. Brassier erwarb sich durch sein vertrautes Verhältniß zum Hofe nur den Haß der Parteihäupter, und leider zeichneten sich auch die Rathschläge, die aus Potsdam kamen, keineswegs durch Weisheit aus. Wie die Dinge lagen, durfte König Otto, der doch nur von Volkes Gnaden regierte, den Hellenen die ersehnte Verfassung nicht länger vorenthalten; je früher er den nothwendigen Schritt freiwillig wagte, um so sicherer konnte er hoffen die monarchische Macht nothdürftig aufrecht zu halten. Der Vater in München aber und der Oheim in Sanssouci beschworen ihn Beide, der constitutionellen Partei nichts zuzugestehen.
*) Canitz's Bericht, 18. Oct. 1843.
**) König Friedrich Wilhelm, Marginalnote für Thile, 6. Dec. 1845.
***) Küster's Berichte, München, 21. Jan., 30. März 1844.
V. 7. Polen und Schleswigholſtein.
emporwuchs, um ſo widerſinniger erſchien das Verlangen nach einer anderen Metropole, und doch konnte das erhoffte Byzantinerreich ſeine Hauptſtadt nur am Bosporus finden, alle Griechen in der großen Polis blickten ver- ächtlich auf das kleine Athen hernieder. Der kriegeriſche Geiſt war völlig erloſchen; für die Verſtärkung des erbärmlichen Heeres hatten jene großen Kaufherren, welche für Akademien und Bibliotheken Millionen ſpendeten, keine Drachme übrig. Ohne Geld und Waffen konnte der König, wie lebhaft er es auch ſelber wünſchte, dem nationalen Ehrgeiz unmöglich ent- ſprechen.
An dem öſterreichiſchen Geſandten, dem eitlen, federgewandten Prokeſch v. Oſten fand er auch keine feſte Stütze; denn Metternich wollte von dem verabſcheuten Staate der Revolution noch immer nichts hören, er ſagte ſcharf: „ich preiſe mich glücklich, weil ich an der Schöpfung dieſer poli- tiſchen Mißgeburt gar keinen Antheil genommen habe.“*) Der einzige zuverläſſige diplomatiſche Rathgeber Otto’s blieb der preußiſche Geſandte Braſſier de St. Simon, ein leichtlebiger, feingebildeter Weltmann, der einſt den Berliner Hof durch ſeine geiſtreichen Geſpräche entzückt hatte, als Dichter der Barcarole „Das Schiff ſtreicht durch die Wellen“ auch in weiteren Kreiſen bekannt war. Nebenbei trieb er ſomnambüle Zauberei, wie ja faſt alle preußiſchen Diplomaten dieſer politiſchen Dilettantenzeit, Bunſen, H. v. Arnim und Andere, ſich mit Homöopathie, Magnetismus und ähnlichen brotloſen Künſten vergnügten. Schon der alte König hatte die griechiſche Politik der Wittelsbacher immer unterſtützt und vor Jahren ſeinem Neffen Adalbert die Annahme der helleniſchen Krone unterſagt, weil er den bairiſchen Verwandten ihre Cirkel nicht ſtören wollte. Der Nachfolger war der philhelleniſchen Jugendträume noch immer eingedenk: er freute ſich, daß ſein Geſandter dem geliebten Neffen treu zur Seite ſtand**), und vernahm es gern, wenn König Ludwig immer wieder dankbar ausſprach: Preußen allein zeigt ſich in dieſen ſchweren Tagen als Baierns ehrlicher Freund.***)
Freilich galt der preußiſche Staat, da er nicht einmal ein Kriegsſchiff in den Piräus ſenden konnte, bei den Griechen ſehr wenig. Braſſier erwarb ſich durch ſein vertrautes Verhältniß zum Hofe nur den Haß der Parteihäupter, und leider zeichneten ſich auch die Rathſchläge, die aus Potsdam kamen, keineswegs durch Weisheit aus. Wie die Dinge lagen, durfte König Otto, der doch nur von Volkes Gnaden regierte, den Hellenen die erſehnte Verfaſſung nicht länger vorenthalten; je früher er den nothwendigen Schritt freiwillig wagte, um ſo ſicherer konnte er hoffen die monarchiſche Macht nothdürftig aufrecht zu halten. Der Vater in München aber und der Oheim in Sansſouci beſchworen ihn Beide, der conſtitutionellen Partei nichts zuzugeſtehen.
*) Canitz’s Bericht, 18. Oct. 1843.
**) König Friedrich Wilhelm, Marginalnote für Thile, 6. Dec. 1845.
***) Küſter’s Berichte, München, 21. Jan., 30. März 1844.
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V. 7. Polen und Schleswigholſtein.
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Metropole, und doch konnte das erhoffte Byzantinerreich ſeine Hauptſtadt
nur am Bosporus finden, alle Griechen in der großen Polis blickten ver-
ächtlich auf das kleine Athen hernieder. Der kriegeriſche Geiſt war völlig
erloſchen; für die Verſtärkung des erbärmlichen Heeres hatten jene großen
Kaufherren, welche für Akademien und Bibliotheken Millionen ſpendeten,
keine Drachme übrig. Ohne Geld und Waffen konnte der König, wie
lebhaft er es auch ſelber wünſchte, dem nationalen Ehrgeiz unmöglich ent-
ſprechen.
An dem öſterreichiſchen Geſandten, dem eitlen, federgewandten Prokeſch
v. Oſten fand er auch keine feſte Stütze; denn Metternich wollte von dem
verabſcheuten Staate der Revolution noch immer nichts hören, er ſagte
ſcharf: „ich preiſe mich glücklich, weil ich an der Schöpfung dieſer poli-
tiſchen Mißgeburt gar keinen Antheil genommen habe.“ *) Der einzige
zuverläſſige diplomatiſche Rathgeber Otto’s blieb der preußiſche Geſandte
Braſſier de St. Simon, ein leichtlebiger, feingebildeter Weltmann, der
einſt den Berliner Hof durch ſeine geiſtreichen Geſpräche entzückt hatte,
als Dichter der Barcarole „Das Schiff ſtreicht durch die Wellen“ auch
in weiteren Kreiſen bekannt war. Nebenbei trieb er ſomnambüle Zauberei,
wie ja faſt alle preußiſchen Diplomaten dieſer politiſchen Dilettantenzeit,
Bunſen, H. v. Arnim und Andere, ſich mit Homöopathie, Magnetismus
und ähnlichen brotloſen Künſten vergnügten. Schon der alte König hatte die
griechiſche Politik der Wittelsbacher immer unterſtützt und vor Jahren ſeinem
Neffen Adalbert die Annahme der helleniſchen Krone unterſagt, weil er den
bairiſchen Verwandten ihre Cirkel nicht ſtören wollte. Der Nachfolger war
der philhelleniſchen Jugendträume noch immer eingedenk: er freute ſich, daß
ſein Geſandter dem geliebten Neffen treu zur Seite ſtand **), und vernahm
es gern, wenn König Ludwig immer wieder dankbar ausſprach: Preußen
allein zeigt ſich in dieſen ſchweren Tagen als Baierns ehrlicher Freund. ***)
Freilich galt der preußiſche Staat, da er nicht einmal ein Kriegsſchiff
in den Piräus ſenden konnte, bei den Griechen ſehr wenig. Braſſier
erwarb ſich durch ſein vertrautes Verhältniß zum Hofe nur den Haß
der Parteihäupter, und leider zeichneten ſich auch die Rathſchläge, die
aus Potsdam kamen, keineswegs durch Weisheit aus. Wie die Dinge
lagen, durfte König Otto, der doch nur von Volkes Gnaden regierte, den
Hellenen die erſehnte Verfaſſung nicht länger vorenthalten; je früher er
den nothwendigen Schritt freiwillig wagte, um ſo ſicherer konnte er hoffen
die monarchiſche Macht nothdürftig aufrecht zu halten. Der Vater in
München aber und der Oheim in Sansſouci beſchworen ihn Beide, der
conſtitutionellen Partei nichts zuzugeſtehen.
*) Canitz’s Bericht, 18. Oct. 1843.
**) König Friedrich Wilhelm, Marginalnote für Thile, 6. Dec. 1845.
***) Küſter’s Berichte, München, 21. Jan., 30. März 1844.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 532. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/546>, abgerufen am 22.11.2024.
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