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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Griechenland und die Schutzmächte.
philhellenischen Träume waren verflogen, das junge, durch England selbst
mitgeschaffene Königreich wurde als ein Pfahl im Fleische der heiligen
Türkei tödlich gehaßt. Als ein getreuer Vertreter dieses eingefleischten
Nationalhasses erschien in Athen, durch Palmerston gesendet, Sir E. Lyons.
Der rohe Seemann begegnete dem Hofe mit einer Anmaßung, die sogar
über das Maß englischer Anmuth weit hinausging, er blieb selbst der
Geburtstagsfeier des Königs fern*), er verlangte hartnäckig die pünkt-
liche Verzinsung der Anleihe, welche die drei Schutzmächte bei Rothschild
aufgenommen hatten, obgleich er wußte, daß dies blutarme Land solchen
Forderungen unmöglich genügen konnte, und bald erzählte sich alle Welt,
daß er insgeheim die constitutionelle Partei der Griechen aufwiegelte.
Palmerston scheute sich längst nicht mehr, offen auszusprechen, England
habe den Beruf, überall, namentlich in dem absolutistischen Südeuropa,
die constitutionellen Bestrebungen zu fördern; dann wird -- so sagte er
mit gewohnter Selbstgefälligkeit, "die nationale Partei überall von selbst
die englische Partei sein".**) In dieser unziemlichen Stellung eines ge-
heimen griechischen Parteihauptes verblieb Lyons selbst während der fünf-
jährigen Tory-Regierung. Aberdeen wollte den gefährlichen Zänker nicht
abrufen; ihm war es willkommen, wenn Griechenland sich durch inneren
Hader schwächte. Auch der französische Gesandte Piscatori nahm an den
Umtrieben der constitutionellen Partei eifrig theil, schon weil er dem
Briten nicht den Vortritt überlassen durfte; immerhin bewies Frankreich
allein unter den drei Schutzmächten dem mißhandelten Schützling noch
einiges Wohlwollen und suchte ihm namentlich die Finanznoth großmüthig
zu erleichtern.

Bei solchem Gewirr heimischer und ausländischer Ränke fühlte sich
König Otto völlig haltlos. Herrschergaben fehlten ihm so gänzlich, daß
schon vor Jahren Armansperg und die englische Partei ernstlich daran
gedacht hatten, ihn auf Grund eines ärztlichen Gutachtens für regierungs-
unfähig zu erklären. Nirgends besaß er persönliche Anhänger; die Hellenen
schalten noch immer auf die Bavaresi, obgleich alle Baiern, bis auf einige
Vertraute und Diener des Königs, längst heimgezogen waren. Auch seine
Gemahlin, die schöne, geistvolle, ehrgeizige Amalie von Oldenburg wurde
dem demokratischen Volke bald unleidlich, weil sie ihre königliche Würde
sehr hoch hielt. Wie aussichtslos hatte sich doch die Lage dieses einst von
ganz Europa verherrlichten und jetzt überall mißachteten Staates gestaltet.
Seine Hauptstadt blühte auf, ihre junge Universität wurde von den Söhnen
des lernbegierigen Volkes fast allzu eifrig besucht, die reichen Griechen im
Auslande schmückten wetteifernd das wiedererstandene Athen mit Pracht-
gebäuden. Aber je rascher hier ein neuer Mittelpunkt hellenischer Cultur

*) Liebermann's Bericht, 18. Juli 1842.
**) Bunsen's Bericht, 6. April 1847.
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Griechenland und die Schutzmächte.
philhelleniſchen Träume waren verflogen, das junge, durch England ſelbſt
mitgeſchaffene Königreich wurde als ein Pfahl im Fleiſche der heiligen
Türkei tödlich gehaßt. Als ein getreuer Vertreter dieſes eingefleiſchten
Nationalhaſſes erſchien in Athen, durch Palmerſton geſendet, Sir E. Lyons.
Der rohe Seemann begegnete dem Hofe mit einer Anmaßung, die ſogar
über das Maß engliſcher Anmuth weit hinausging, er blieb ſelbſt der
Geburtstagsfeier des Königs fern*), er verlangte hartnäckig die pünkt-
liche Verzinſung der Anleihe, welche die drei Schutzmächte bei Rothſchild
aufgenommen hatten, obgleich er wußte, daß dies blutarme Land ſolchen
Forderungen unmöglich genügen konnte, und bald erzählte ſich alle Welt,
daß er insgeheim die conſtitutionelle Partei der Griechen aufwiegelte.
Palmerſton ſcheute ſich längſt nicht mehr, offen auszuſprechen, England
habe den Beruf, überall, namentlich in dem abſolutiſtiſchen Südeuropa,
die conſtitutionellen Beſtrebungen zu fördern; dann wird — ſo ſagte er
mit gewohnter Selbſtgefälligkeit, „die nationale Partei überall von ſelbſt
die engliſche Partei ſein“.**) In dieſer unziemlichen Stellung eines ge-
heimen griechiſchen Parteihauptes verblieb Lyons ſelbſt während der fünf-
jährigen Tory-Regierung. Aberdeen wollte den gefährlichen Zänker nicht
abrufen; ihm war es willkommen, wenn Griechenland ſich durch inneren
Hader ſchwächte. Auch der franzöſiſche Geſandte Piscatori nahm an den
Umtrieben der conſtitutionellen Partei eifrig theil, ſchon weil er dem
Briten nicht den Vortritt überlaſſen durfte; immerhin bewies Frankreich
allein unter den drei Schutzmächten dem mißhandelten Schützling noch
einiges Wohlwollen und ſuchte ihm namentlich die Finanznoth großmüthig
zu erleichtern.

Bei ſolchem Gewirr heimiſcher und ausländiſcher Ränke fühlte ſich
König Otto völlig haltlos. Herrſchergaben fehlten ihm ſo gänzlich, daß
ſchon vor Jahren Armansperg und die engliſche Partei ernſtlich daran
gedacht hatten, ihn auf Grund eines ärztlichen Gutachtens für regierungs-
unfähig zu erklären. Nirgends beſaß er perſönliche Anhänger; die Hellenen
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Vertraute und Diener des Königs, längſt heimgezogen waren. Auch ſeine
Gemahlin, die ſchöne, geiſtvolle, ehrgeizige Amalie von Oldenburg wurde
dem demokratiſchen Volke bald unleidlich, weil ſie ihre königliche Würde
ſehr hoch hielt. Wie ausſichtslos hatte ſich doch die Lage dieſes einſt von
ganz Europa verherrlichten und jetzt überall mißachteten Staates geſtaltet.
Seine Hauptſtadt blühte auf, ihre junge Univerſität wurde von den Söhnen
des lernbegierigen Volkes faſt allzu eifrig beſucht, die reichen Griechen im
Auslande ſchmückten wetteifernd das wiedererſtandene Athen mit Pracht-
gebäuden. Aber je raſcher hier ein neuer Mittelpunkt helleniſcher Cultur

*) Liebermann’s Bericht, 18. Juli 1842.
**) Bunſen’s Bericht, 6. April 1847.
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[531/0545] Griechenland und die Schutzmächte. philhelleniſchen Träume waren verflogen, das junge, durch England ſelbſt mitgeſchaffene Königreich wurde als ein Pfahl im Fleiſche der heiligen Türkei tödlich gehaßt. Als ein getreuer Vertreter dieſes eingefleiſchten Nationalhaſſes erſchien in Athen, durch Palmerſton geſendet, Sir E. Lyons. Der rohe Seemann begegnete dem Hofe mit einer Anmaßung, die ſogar über das Maß engliſcher Anmuth weit hinausging, er blieb ſelbſt der Geburtstagsfeier des Königs fern *), er verlangte hartnäckig die pünkt- liche Verzinſung der Anleihe, welche die drei Schutzmächte bei Rothſchild aufgenommen hatten, obgleich er wußte, daß dies blutarme Land ſolchen Forderungen unmöglich genügen konnte, und bald erzählte ſich alle Welt, daß er insgeheim die conſtitutionelle Partei der Griechen aufwiegelte. Palmerſton ſcheute ſich längſt nicht mehr, offen auszuſprechen, England habe den Beruf, überall, namentlich in dem abſolutiſtiſchen Südeuropa, die conſtitutionellen Beſtrebungen zu fördern; dann wird — ſo ſagte er mit gewohnter Selbſtgefälligkeit, „die nationale Partei überall von ſelbſt die engliſche Partei ſein“. **) In dieſer unziemlichen Stellung eines ge- heimen griechiſchen Parteihauptes verblieb Lyons ſelbſt während der fünf- jährigen Tory-Regierung. Aberdeen wollte den gefährlichen Zänker nicht abrufen; ihm war es willkommen, wenn Griechenland ſich durch inneren Hader ſchwächte. Auch der franzöſiſche Geſandte Piscatori nahm an den Umtrieben der conſtitutionellen Partei eifrig theil, ſchon weil er dem Briten nicht den Vortritt überlaſſen durfte; immerhin bewies Frankreich allein unter den drei Schutzmächten dem mißhandelten Schützling noch einiges Wohlwollen und ſuchte ihm namentlich die Finanznoth großmüthig zu erleichtern. Bei ſolchem Gewirr heimiſcher und ausländiſcher Ränke fühlte ſich König Otto völlig haltlos. Herrſchergaben fehlten ihm ſo gänzlich, daß ſchon vor Jahren Armansperg und die engliſche Partei ernſtlich daran gedacht hatten, ihn auf Grund eines ärztlichen Gutachtens für regierungs- unfähig zu erklären. Nirgends beſaß er perſönliche Anhänger; die Hellenen ſchalten noch immer auf die Bavareſi, obgleich alle Baiern, bis auf einige Vertraute und Diener des Königs, längſt heimgezogen waren. Auch ſeine Gemahlin, die ſchöne, geiſtvolle, ehrgeizige Amalie von Oldenburg wurde dem demokratiſchen Volke bald unleidlich, weil ſie ihre königliche Würde ſehr hoch hielt. Wie ausſichtslos hatte ſich doch die Lage dieſes einſt von ganz Europa verherrlichten und jetzt überall mißachteten Staates geſtaltet. Seine Hauptſtadt blühte auf, ihre junge Univerſität wurde von den Söhnen des lernbegierigen Volkes faſt allzu eifrig beſucht, die reichen Griechen im Auslande ſchmückten wetteifernd das wiedererſtandene Athen mit Pracht- gebäuden. Aber je raſcher hier ein neuer Mittelpunkt helleniſcher Cultur *) Liebermann’s Bericht, 18. Juli 1842. **) Bunſen’s Bericht, 6. April 1847. 34*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 531. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/545>, abgerufen am 25.11.2024.