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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Deutsche Communisten in der Schweiz.

In so bedrohlichen wirthschaftlichen Verhältnissen gediehen die Lehren
der socialen Zerstörung wie die Würmer im Aase. Die communistische
Partei, die im Auslande ihren Heerd, in Deutschland schon überall ihre
geheimen Sendboten besaß, bekannte sich jetzt offen zu kosmopolitischen
Plänen, sie verlangte den socialen Umsturz überall in der Welt, wie ja
auch die großen Geldmächte schon von Land zu Land ihre Fäden spannen.
Die goldene und die rothe Internationale, wie eine spätere Zeit sie
nannte, begannen sich zu organisiren. Die Communisten sagten sich förm-
lich los von dem politischen Radicalismus, aus dem sie einst selber hervor-
gegangen waren; sie verhöhnten "den Samen Hambach's", sie belachten
"das constitutionelle Eldorado" und die deutsche Einheit, sie warfen selbst
den cynischen Demagogen Fein, der soeben Schön's Woher und Wo-
hin? herausgegeben hatte, geringschätzig zu den "liberalen Amphibien".
Unter den deutschen Handwerkern in der Schweiz führte der Schneider
Weitling das große Wort, neben ihm ein sehr gewandter Agitator, der
schwäbische Gerber Schmidt. Beide standen in Verbindung mit dem Fran-
zosen Cabet, der das gelobte Land der Gütergemeinschaft, Ikarien mit-
sammt seinem Limonadenmeere so gar rührsam geschildert hatte. Sie
gründeten überall radicale Arbeitervereine und berechneten schon hoffnungs-
voll, daß fortan alljährlich 600 Handwerksburschen aus der Schweiz heim-
kehren würden um die Lehren des Communismus in Deutschland zu ver-
breiten. Auch Bakunin tauchte in diesen Kreisen zuerst auf, ein vor-
nehmer Russe, der durch gewissenlose revolutionäre Thatkraft alle die
anderen Demagogen übertraf.

Weitling setzte seine schriftstellerische Thätigkeit fort und veröffentlichte
neben anderen Brandschriften das Evangelium des armen Sünders, ein
blasphemisches, an die Wiedertäufer erinnerndes Buch, das wieder ein-
mal zeigte, wie nahe sich in den communistischen Träumen der weltver-
achtende Idealismus und die gemeine Sinnlichkeit berühren. Da wurde
die Gütergemeinschaft der Apostel zur Rechtfertigung der socialen Revo-
lution, ja sogar des gemeinen Diebstahls verwerthet, Jesus galt für einen
fröhlichen Lebemann, und die göttliche Macht der Liebe, die der Sünderin
Magdalena verzieh, erschien als ein Freibrief für jegliche Unzucht. Das
fanatische Schneiderlein hoffte alles Ernstes auf die Zustimmung La-
mennais', der seit Jahren schon im Namen Gottes die bestehende Gesell-
schaft als ein Werk Satans bekämpfte, und sah sich schmerzlich enttäuscht,
als der katholische Socialist entrüstet erwiderte, mit dieser fratzenhaften
Verzerrung der evangelischen Wahrheit wolle er nichts gemein haben.
Die Schweizer selbst wurden bald besorgt. Die Brandreden der Flücht-
linge wider die Fürsten hatten sie gern ertragen, doch der Kampf gegen
das Eigenthum widerstrebte ihrem haushälterischen Ordnungssinne, ihre
Zeitungen schalten heftig auf "diese deutschen Lausbuben", und im Jahre
1843 wurde Weitling aus der Eidgenossenschaft ausgewiesen. Im Auf-

v. Treitschke, Deutsche Geschichte. V. 33
Deutſche Communiſten in der Schweiz.

In ſo bedrohlichen wirthſchaftlichen Verhältniſſen gediehen die Lehren
der ſocialen Zerſtörung wie die Würmer im Aaſe. Die communiſtiſche
Partei, die im Auslande ihren Heerd, in Deutſchland ſchon überall ihre
geheimen Sendboten beſaß, bekannte ſich jetzt offen zu kosmopolitiſchen
Plänen, ſie verlangte den ſocialen Umſturz überall in der Welt, wie ja
auch die großen Geldmächte ſchon von Land zu Land ihre Fäden ſpannen.
Die goldene und die rothe Internationale, wie eine ſpätere Zeit ſie
nannte, begannen ſich zu organiſiren. Die Communiſten ſagten ſich förm-
lich los von dem politiſchen Radicalismus, aus dem ſie einſt ſelber hervor-
gegangen waren; ſie verhöhnten „den Samen Hambach’s“, ſie belachten
„das conſtitutionelle Eldorado“ und die deutſche Einheit, ſie warfen ſelbſt
den cyniſchen Demagogen Fein, der ſoeben Schön’s Woher und Wo-
hin? herausgegeben hatte, geringſchätzig zu den „liberalen Amphibien“.
Unter den deutſchen Handwerkern in der Schweiz führte der Schneider
Weitling das große Wort, neben ihm ein ſehr gewandter Agitator, der
ſchwäbiſche Gerber Schmidt. Beide ſtanden in Verbindung mit dem Fran-
zoſen Cabet, der das gelobte Land der Gütergemeinſchaft, Ikarien mit-
ſammt ſeinem Limonadenmeere ſo gar rührſam geſchildert hatte. Sie
gründeten überall radicale Arbeitervereine und berechneten ſchon hoffnungs-
voll, daß fortan alljährlich 600 Handwerksburſchen aus der Schweiz heim-
kehren würden um die Lehren des Communismus in Deutſchland zu ver-
breiten. Auch Bakunin tauchte in dieſen Kreiſen zuerſt auf, ein vor-
nehmer Ruſſe, der durch gewiſſenloſe revolutionäre Thatkraft alle die
anderen Demagogen übertraf.

Weitling ſetzte ſeine ſchriftſtelleriſche Thätigkeit fort und veröffentlichte
neben anderen Brandſchriften das Evangelium des armen Sünders, ein
blasphemiſches, an die Wiedertäufer erinnerndes Buch, das wieder ein-
mal zeigte, wie nahe ſich in den communiſtiſchen Träumen der weltver-
achtende Idealismus und die gemeine Sinnlichkeit berühren. Da wurde
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lution, ja ſogar des gemeinen Diebſtahls verwerthet, Jeſus galt für einen
fröhlichen Lebemann, und die göttliche Macht der Liebe, die der Sünderin
Magdalena verzieh, erſchien als ein Freibrief für jegliche Unzucht. Das
fanatiſche Schneiderlein hoffte alles Ernſtes auf die Zuſtimmung La-
mennais’, der ſeit Jahren ſchon im Namen Gottes die beſtehende Geſell-
ſchaft als ein Werk Satans bekämpfte, und ſah ſich ſchmerzlich enttäuſcht,
als der katholiſche Socialiſt entrüſtet erwiderte, mit dieſer fratzenhaften
Verzerrung der evangeliſchen Wahrheit wolle er nichts gemein haben.
Die Schweizer ſelbſt wurden bald beſorgt. Die Brandreden der Flücht-
linge wider die Fürſten hatten ſie gern ertragen, doch der Kampf gegen
das Eigenthum widerſtrebte ihrem haushälteriſchen Ordnungsſinne, ihre
Zeitungen ſchalten heftig auf „dieſe deutſchen Lausbuben“, und im Jahre
1843 wurde Weitling aus der Eidgenoſſenſchaft ausgewieſen. Im Auf-

v. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. V. 33
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[513/0527] Deutſche Communiſten in der Schweiz. In ſo bedrohlichen wirthſchaftlichen Verhältniſſen gediehen die Lehren der ſocialen Zerſtörung wie die Würmer im Aaſe. Die communiſtiſche Partei, die im Auslande ihren Heerd, in Deutſchland ſchon überall ihre geheimen Sendboten beſaß, bekannte ſich jetzt offen zu kosmopolitiſchen Plänen, ſie verlangte den ſocialen Umſturz überall in der Welt, wie ja auch die großen Geldmächte ſchon von Land zu Land ihre Fäden ſpannen. Die goldene und die rothe Internationale, wie eine ſpätere Zeit ſie nannte, begannen ſich zu organiſiren. Die Communiſten ſagten ſich förm- lich los von dem politiſchen Radicalismus, aus dem ſie einſt ſelber hervor- gegangen waren; ſie verhöhnten „den Samen Hambach’s“, ſie belachten „das conſtitutionelle Eldorado“ und die deutſche Einheit, ſie warfen ſelbſt den cyniſchen Demagogen Fein, der ſoeben Schön’s Woher und Wo- hin? herausgegeben hatte, geringſchätzig zu den „liberalen Amphibien“. Unter den deutſchen Handwerkern in der Schweiz führte der Schneider Weitling das große Wort, neben ihm ein ſehr gewandter Agitator, der ſchwäbiſche Gerber Schmidt. Beide ſtanden in Verbindung mit dem Fran- zoſen Cabet, der das gelobte Land der Gütergemeinſchaft, Ikarien mit- ſammt ſeinem Limonadenmeere ſo gar rührſam geſchildert hatte. Sie gründeten überall radicale Arbeitervereine und berechneten ſchon hoffnungs- voll, daß fortan alljährlich 600 Handwerksburſchen aus der Schweiz heim- kehren würden um die Lehren des Communismus in Deutſchland zu ver- breiten. Auch Bakunin tauchte in dieſen Kreiſen zuerſt auf, ein vor- nehmer Ruſſe, der durch gewiſſenloſe revolutionäre Thatkraft alle die anderen Demagogen übertraf. Weitling ſetzte ſeine ſchriftſtelleriſche Thätigkeit fort und veröffentlichte neben anderen Brandſchriften das Evangelium des armen Sünders, ein blasphemiſches, an die Wiedertäufer erinnerndes Buch, das wieder ein- mal zeigte, wie nahe ſich in den communiſtiſchen Träumen der weltver- achtende Idealismus und die gemeine Sinnlichkeit berühren. Da wurde die Gütergemeinſchaft der Apoſtel zur Rechtfertigung der ſocialen Revo- lution, ja ſogar des gemeinen Diebſtahls verwerthet, Jeſus galt für einen fröhlichen Lebemann, und die göttliche Macht der Liebe, die der Sünderin Magdalena verzieh, erſchien als ein Freibrief für jegliche Unzucht. Das fanatiſche Schneiderlein hoffte alles Ernſtes auf die Zuſtimmung La- mennais’, der ſeit Jahren ſchon im Namen Gottes die beſtehende Geſell- ſchaft als ein Werk Satans bekämpfte, und ſah ſich ſchmerzlich enttäuſcht, als der katholiſche Socialiſt entrüſtet erwiderte, mit dieſer fratzenhaften Verzerrung der evangeliſchen Wahrheit wolle er nichts gemein haben. Die Schweizer ſelbſt wurden bald beſorgt. Die Brandreden der Flücht- linge wider die Fürſten hatten ſie gern ertragen, doch der Kampf gegen das Eigenthum widerſtrebte ihrem haushälteriſchen Ordnungsſinne, ihre Zeitungen ſchalten heftig auf „dieſe deutſchen Lausbuben“, und im Jahre 1843 wurde Weitling aus der Eidgenoſſenſchaft ausgewieſen. Im Auf- v. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. V. 33

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 513. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/527>, abgerufen am 22.11.2024.