Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.V. 6. Wachsthum und Siechthum der Volkswirthschaft. da sie ihn vor der kostspieligen unmittelbaren Mitwirkung der großenBankhäuser bewahrte. Es war Rother's Verdienst, daß die Gebrüder Rothschild den preußischen Staat als einen fast unnahbaren Kunden immer mit schelen Augen ansahen. Neben den Geschäften eines großen Staats- bankierhauses betrieb die Seehandlung, gemäß der fridericianischen Ueber- lieferung, auch einen ausgebreiteten Seehandel, und Rother freute sich seiner schönen fünf Schiffe, die in allen Häfen der Welt bewundert wurden; außerdem besaß sie noch mehrere Landgüter und Fabriken. Die also fest- gelegten Capitalien brachten aber wenig ein und beeinträchtigten das Bank- geschäft, das jederzeit über leicht kündbares Capital verfügen wollte. Sollte die Seehandlung ihren neuen Aufgaben als Staatsbankhaus ganz ge- nügen, so mußte sie, unbekümmert um ihren alten Namen, die Seehandels- und Fabrikgeschäfte aufgeben, und zu dieser radicalen Reform konnte sich Rother nicht entschließen. Der letzte Vertreter der alten Hardenbergischen Beamtenschule, stand er dicht vor der Schwelle einer neuen Zeit, die er nicht zu betreten wagte. Ihr Thor jedoch hatte er selbst aufgeschlossen durch seine Bankordnung. Die Preußische Bank brauchte noch zehn Jahre bis sie, nach abermaliger Verstärkung ihres Betriebscapitals, in die Reihe der großen Banken Europas eintrat; die Grundlagen ihrer neuen Verfassung hingegen veränderten sich nicht. Auf dem Zusammenwirken der Staatsgewalt und des Privatcapitals beruht noch heute die deutsche Reichsbank. Und so bleibt dem wackeren Alten, der kein schöpferischer Geist wie Motz, aber ein großer Geschäftsmann war, eine ehrenvolle Stelle in der Geschichte des deutschen Beamtenthums gesichert. -- Die Wunden der Kriegsjahre waren endlich ausgeheilt, überall schritt V. 6. Wachsthum und Siechthum der Volkswirthſchaft. da ſie ihn vor der koſtſpieligen unmittelbaren Mitwirkung der großenBankhäuſer bewahrte. Es war Rother’s Verdienſt, daß die Gebrüder Rothſchild den preußiſchen Staat als einen faſt unnahbaren Kunden immer mit ſchelen Augen anſahen. Neben den Geſchäften eines großen Staats- bankierhauſes betrieb die Seehandlung, gemäß der fridericianiſchen Ueber- lieferung, auch einen ausgebreiteten Seehandel, und Rother freute ſich ſeiner ſchönen fünf Schiffe, die in allen Häfen der Welt bewundert wurden; außerdem beſaß ſie noch mehrere Landgüter und Fabriken. Die alſo feſt- gelegten Capitalien brachten aber wenig ein und beeinträchtigten das Bank- geſchäft, das jederzeit über leicht kündbares Capital verfügen wollte. Sollte die Seehandlung ihren neuen Aufgaben als Staatsbankhaus ganz ge- nügen, ſo mußte ſie, unbekümmert um ihren alten Namen, die Seehandels- und Fabrikgeſchäfte aufgeben, und zu dieſer radicalen Reform konnte ſich Rother nicht entſchließen. Der letzte Vertreter der alten Hardenbergiſchen Beamtenſchule, ſtand er dicht vor der Schwelle einer neuen Zeit, die er nicht zu betreten wagte. Ihr Thor jedoch hatte er ſelbſt aufgeſchloſſen durch ſeine Bankordnung. Die Preußiſche Bank brauchte noch zehn Jahre bis ſie, nach abermaliger Verſtärkung ihres Betriebscapitals, in die Reihe der großen Banken Europas eintrat; die Grundlagen ihrer neuen Verfaſſung hingegen veränderten ſich nicht. Auf dem Zuſammenwirken der Staatsgewalt und des Privatcapitals beruht noch heute die deutſche Reichsbank. Und ſo bleibt dem wackeren Alten, der kein ſchöpferiſcher Geiſt wie Motz, aber ein großer Geſchäftsmann war, eine ehrenvolle Stelle in der Geſchichte des deutſchen Beamtenthums geſichert. — Die Wunden der Kriegsjahre waren endlich ausgeheilt, überall ſchritt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0520" n="506"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">V.</hi> 6. Wachsthum und Siechthum der Volkswirthſchaft.</fw><lb/> da ſie ihn vor der koſtſpieligen unmittelbaren Mitwirkung der großen<lb/> Bankhäuſer bewahrte. Es war Rother’s Verdienſt, daß die Gebrüder<lb/> Rothſchild den preußiſchen Staat als einen faſt unnahbaren Kunden immer<lb/> mit ſchelen Augen anſahen. 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V. 6. Wachsthum und Siechthum der Volkswirthſchaft.
da ſie ihn vor der koſtſpieligen unmittelbaren Mitwirkung der großen
Bankhäuſer bewahrte. Es war Rother’s Verdienſt, daß die Gebrüder
Rothſchild den preußiſchen Staat als einen faſt unnahbaren Kunden immer
mit ſchelen Augen anſahen. Neben den Geſchäften eines großen Staats-
bankierhauſes betrieb die Seehandlung, gemäß der fridericianiſchen Ueber-
lieferung, auch einen ausgebreiteten Seehandel, und Rother freute ſich
ſeiner ſchönen fünf Schiffe, die in allen Häfen der Welt bewundert wurden;
außerdem beſaß ſie noch mehrere Landgüter und Fabriken. Die alſo feſt-
gelegten Capitalien brachten aber wenig ein und beeinträchtigten das Bank-
geſchäft, das jederzeit über leicht kündbares Capital verfügen wollte. Sollte
die Seehandlung ihren neuen Aufgaben als Staatsbankhaus ganz ge-
nügen, ſo mußte ſie, unbekümmert um ihren alten Namen, die Seehandels-
und Fabrikgeſchäfte aufgeben, und zu dieſer radicalen Reform konnte ſich
Rother nicht entſchließen. Der letzte Vertreter der alten Hardenbergiſchen
Beamtenſchule, ſtand er dicht vor der Schwelle einer neuen Zeit, die er nicht
zu betreten wagte. Ihr Thor jedoch hatte er ſelbſt aufgeſchloſſen durch
ſeine Bankordnung. Die Preußiſche Bank brauchte noch zehn Jahre bis
ſie, nach abermaliger Verſtärkung ihres Betriebscapitals, in die Reihe der
großen Banken Europas eintrat; die Grundlagen ihrer neuen Verfaſſung
hingegen veränderten ſich nicht. Auf dem Zuſammenwirken der Staatsgewalt
und des Privatcapitals beruht noch heute die deutſche Reichsbank. Und
ſo bleibt dem wackeren Alten, der kein ſchöpferiſcher Geiſt wie Motz, aber
ein großer Geſchäftsmann war, eine ehrenvolle Stelle in der Geſchichte
des deutſchen Beamtenthums geſichert. —
Die Wunden der Kriegsjahre waren endlich ausgeheilt, überall ſchritt
die Induſtrie jetzt raſcher vorwärts als in den letzten zwei Jahrzehnten.
Seit dem Erſcheinen des neuen Zollgeſetzes bis zum Tode des alten Königs
hatte ſich in Preußen die Zahl der Grob-, Nagel- und Meſſerſchmiede
von 59,000 auf 79,000, die der Webſtühle für Baumwoll- und Halb-
baumwollwaaren von 14,000 auf 49,000 gehoben. Unter der neuen
Regierung vermehrten ſich binnen neun Jahren die Dampfmaſchinen der
Berliner Fabriken von 29 mit 392 Pferdekräften auf 193 mit 1265 Pferde-
kräften, und die Kopfzahl der Berliner Metallarbeiter hob ſich in 13 Jahren
von 3000 auf 4500. Schritt für Schritt ſuchte der deutſche Gewerbfleiß den
weiten Vorſprung des Auslandes einzuholen. Als die Berlin-Anhaltiſche
Eiſenbahn gegründet wurde, beſtellte ſie in England 15 Locomotiven und
nur 6 bei Borſig; der aber that ſein Beſtes mitſammt ſeinen wohlgeſchulten
Leuten, die ſich ſtolz als eine Ariſtokratie in der Berliner Arbeiterſchaft
fühlten, und in dem Jahrzehnt nach 1842 lieferte er der Bahn ſchon
19 Locomotiven, England und Belgien zuſammen nur noch 16. Zugleich
begannen die Deutſchen auch für den übrigen Eiſenbahnbedarf ſelbſt zu
ſorgen, ſeit Caspar Harkort bei Hagen zuerſt Eiſenbahnwagenräder ge-
fertigt hatte.
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