dringend sie mit der Eisenbahn zu verschonen; sie ahnten dunkel, daß die neue Erfindung mancher kleinen für Fabrikanlagen ungeeigneten Ort- schaft mehr Schaden als Nutzen bringen mußte. In der Presse wurden diese vereinzelten Gegner als thörichte Schildbürger verspottet; denn fast überall sah man der neuen Zeit mit überschwänglichen Hoffnungen ent- gegen. Die Wünschelruthe schien gefunden. Die Bürger des hannoverschen Pferdemarktes Peina sangen, als ihre Eisenbahn eröffnet wurde, beim Fest- mahle feierlich nach der Melodie des Landesvaters: "Peina bricht sich, Peina bricht sich eine neue Lebensbahn!"
Unterdessen hatten der Amerikaner Morse und der Engländer Wheat- stone die deutsche Erfindung der elektrischen Telegraphie weiter gebildet und für den täglichen Verkehr nutzbar gemacht. Es ward hohe Zeit. Der alte optische Telegraph arbeitete gar zu unsicher; in nebliger Winters- zeit geschah es wohl, daß ein Telegramm von London nach Berlin fünf Tage brauchte. Nun fand sich wieder ein deutsches technisches Genie, das die Arbeit der Fremden fortführte. Der preußische Artillerieleutnant Werner Siemens benutzte einen elastischen Pflanzenstoff, der jetzt zuerst in den Handel kam, die Guttapercha, um die Drähte der Telegraphen- leitungen zu umhüllen und zu isoliren; zwischen Berlin und Großbeeren unternahm er den ersten Versuch (1847) und legte also den Grund für das deutsche Telegraphennetz. Die neue Firma Siemens und Halske ar- beitete bald für den Weltmarkt. --
Unmöglich konnte die Preußische Bank von diesem gewaltigen Um- schwunge des Verkehrslebens unberührt bleiben. Sie hatte sich im letzten Jahrzehnt, seit 1837, unter Rother's umsichtiger Leitung kräftig entwickelt, den gefährlichen Effectenhandel eingeschränkt, ihren Wechselverkehr strenger geordnet und das leidige Deficit, das ihr noch von den napoleonischen Zeiten her anhing, wieder um 3,4 Mill. Thlr. vermindert.*) Ihr gesammter Umsatz stieg von 264,7 auf etwa 373,6 Mill. Thlr. Berlin war mit seinen 408,000 Einwohnern und 712 Großkaufleuten jetzt wirklich eine Groß- stadt, als Knotenpunkt der neuen Bahnen, als Handels- und Industrie- platz mächtig, sogar als Geldmarkt nicht mehr weit hinter Frankfurt zu- rück. Der Aktienschwindel, den der Staat leider durch die voreilige Herab- setzung seiner Schuldzinsen selbst genährt hatte, wirkte freilich mit; doch im Wesentlichen waren die wachsenden Ansprüche an die Bank lediglich die natürliche Folge des erwachten Unternehmungsgeistes. Seit 1838 hatte das Privatcapital über 100 Mill. Thlr. für die preußischen Eisenbahnen aufgebracht, sicherlich mehr als der Staat selbst in so kurzer Zeit auf- gewendet hätte.
Wie sollte die Bank den Anforderungen ihres jetzt fast vervierfachten Lombard- und Wechselverkehrs auf die Dauer genügen mit 6 Mill. Cassen-
*) S. o. III. 80 f.
Telegraphie. Preußiſche Bank.
dringend ſie mit der Eiſenbahn zu verſchonen; ſie ahnten dunkel, daß die neue Erfindung mancher kleinen für Fabrikanlagen ungeeigneten Ort- ſchaft mehr Schaden als Nutzen bringen mußte. In der Preſſe wurden dieſe vereinzelten Gegner als thörichte Schildbürger verſpottet; denn faſt überall ſah man der neuen Zeit mit überſchwänglichen Hoffnungen ent- gegen. Die Wünſchelruthe ſchien gefunden. Die Bürger des hannoverſchen Pferdemarktes Peina ſangen, als ihre Eiſenbahn eröffnet wurde, beim Feſt- mahle feierlich nach der Melodie des Landesvaters: „Peina bricht ſich, Peina bricht ſich eine neue Lebensbahn!“
Unterdeſſen hatten der Amerikaner Morſe und der Engländer Wheat- ſtone die deutſche Erfindung der elektriſchen Telegraphie weiter gebildet und für den täglichen Verkehr nutzbar gemacht. Es ward hohe Zeit. Der alte optiſche Telegraph arbeitete gar zu unſicher; in nebliger Winters- zeit geſchah es wohl, daß ein Telegramm von London nach Berlin fünf Tage brauchte. Nun fand ſich wieder ein deutſches techniſches Genie, das die Arbeit der Fremden fortführte. Der preußiſche Artillerieleutnant Werner Siemens benutzte einen elaſtiſchen Pflanzenſtoff, der jetzt zuerſt in den Handel kam, die Guttapercha, um die Drähte der Telegraphen- leitungen zu umhüllen und zu iſoliren; zwiſchen Berlin und Großbeeren unternahm er den erſten Verſuch (1847) und legte alſo den Grund für das deutſche Telegraphennetz. Die neue Firma Siemens und Halske ar- beitete bald für den Weltmarkt. —
Unmöglich konnte die Preußiſche Bank von dieſem gewaltigen Um- ſchwunge des Verkehrslebens unberührt bleiben. Sie hatte ſich im letzten Jahrzehnt, ſeit 1837, unter Rother’s umſichtiger Leitung kräftig entwickelt, den gefährlichen Effectenhandel eingeſchränkt, ihren Wechſelverkehr ſtrenger geordnet und das leidige Deficit, das ihr noch von den napoleoniſchen Zeiten her anhing, wieder um 3,4 Mill. Thlr. vermindert.*) Ihr geſammter Umſatz ſtieg von 264,7 auf etwa 373,6 Mill. Thlr. Berlin war mit ſeinen 408,000 Einwohnern und 712 Großkaufleuten jetzt wirklich eine Groß- ſtadt, als Knotenpunkt der neuen Bahnen, als Handels- und Induſtrie- platz mächtig, ſogar als Geldmarkt nicht mehr weit hinter Frankfurt zu- rück. Der Aktienſchwindel, den der Staat leider durch die voreilige Herab- ſetzung ſeiner Schuldzinſen ſelbſt genährt hatte, wirkte freilich mit; doch im Weſentlichen waren die wachſenden Anſprüche an die Bank lediglich die natürliche Folge des erwachten Unternehmungsgeiſtes. Seit 1838 hatte das Privatcapital über 100 Mill. Thlr. für die preußiſchen Eiſenbahnen aufgebracht, ſicherlich mehr als der Staat ſelbſt in ſo kurzer Zeit auf- gewendet hätte.
Wie ſollte die Bank den Anforderungen ihres jetzt faſt vervierfachten Lombard- und Wechſelverkehrs auf die Dauer genügen mit 6 Mill. Caſſen-
*) S. o. III. 80 f.
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die neue Erfindung mancher kleinen für Fabrikanlagen ungeeigneten Ort-
ſchaft mehr Schaden als Nutzen bringen mußte. In der Preſſe wurden
dieſe vereinzelten Gegner als thörichte Schildbürger verſpottet; denn faſt
überall ſah man der neuen Zeit mit überſchwänglichen Hoffnungen ent-
gegen. Die Wünſchelruthe ſchien gefunden. Die Bürger des hannoverſchen
Pferdemarktes Peina ſangen, als ihre Eiſenbahn eröffnet wurde, beim Feſt-
mahle feierlich nach der Melodie des Landesvaters: „Peina bricht ſich,
Peina bricht ſich eine neue Lebensbahn!“
Unterdeſſen hatten der Amerikaner Morſe und der Engländer Wheat-
ſtone die deutſche Erfindung der elektriſchen Telegraphie weiter gebildet
und für den täglichen Verkehr nutzbar gemacht. Es ward hohe Zeit.
Der alte optiſche Telegraph arbeitete gar zu unſicher; in nebliger Winters-
zeit geſchah es wohl, daß ein Telegramm von London nach Berlin fünf
Tage brauchte. Nun fand ſich wieder ein deutſches techniſches Genie,
das die Arbeit der Fremden fortführte. Der preußiſche Artillerieleutnant
Werner Siemens benutzte einen elaſtiſchen Pflanzenſtoff, der jetzt zuerſt
in den Handel kam, die Guttapercha, um die Drähte der Telegraphen-
leitungen zu umhüllen und zu iſoliren; zwiſchen Berlin und Großbeeren
unternahm er den erſten Verſuch (1847) und legte alſo den Grund für
das deutſche Telegraphennetz. Die neue Firma Siemens und Halske ar-
beitete bald für den Weltmarkt. —
Unmöglich konnte die Preußiſche Bank von dieſem gewaltigen Um-
ſchwunge des Verkehrslebens unberührt bleiben. Sie hatte ſich im letzten
Jahrzehnt, ſeit 1837, unter Rother’s umſichtiger Leitung kräftig entwickelt,
den gefährlichen Effectenhandel eingeſchränkt, ihren Wechſelverkehr ſtrenger
geordnet und das leidige Deficit, das ihr noch von den napoleoniſchen
Zeiten her anhing, wieder um 3,4 Mill. Thlr. vermindert. *) Ihr geſammter
Umſatz ſtieg von 264,7 auf etwa 373,6 Mill. Thlr. Berlin war mit ſeinen
408,000 Einwohnern und 712 Großkaufleuten jetzt wirklich eine Groß-
ſtadt, als Knotenpunkt der neuen Bahnen, als Handels- und Induſtrie-
platz mächtig, ſogar als Geldmarkt nicht mehr weit hinter Frankfurt zu-
rück. Der Aktienſchwindel, den der Staat leider durch die voreilige Herab-
ſetzung ſeiner Schuldzinſen ſelbſt genährt hatte, wirkte freilich mit; doch im
Weſentlichen waren die wachſenden Anſprüche an die Bank lediglich die
natürliche Folge des erwachten Unternehmungsgeiſtes. Seit 1838 hatte
das Privatcapital über 100 Mill. Thlr. für die preußiſchen Eiſenbahnen
aufgebracht, ſicherlich mehr als der Staat ſelbſt in ſo kurzer Zeit auf-
gewendet hätte.
Wie ſollte die Bank den Anforderungen ihres jetzt faſt vervierfachten
Lombard- und Wechſelverkehrs auf die Dauer genügen mit 6 Mill. Caſſen-
*) S. o. III. 80 f.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 501. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/515>, abgerufen am 22.11.2024.
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