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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 6. Wachsthum und Siechthum der Volkswirthschaft.
tracht?" Auch andere tüchtige Offiziere verlangten, daß die Regierung
den Bau der Eisenbahnen nach einem durchdachten Plane leiten müsse.*)
Da der König schon als Kronprinz ähnliche Meinungen gehegt hatte, so
wurden im Staatsministerium (1842) die Grundzüge eines die gesammte
Monarchie umfassenden Eisenbahnnetzes festgestellt; und immer wieder
drängte sich die Erwägung auf, ob man nicht kurzweg Staatseisenbahnen
bauen solle.

Die Finanzen erfreuten sich einer beneidenswerthen Blüthe; das blieb
immer die starke Seite der Regierung Friedrich Wilhelm's. Die Staats-
schuld sank bis zum Jahre 1847 auf 137 Mill. Thlr., die Staatsschuld-
scheine standen sehr hoch im Curse. Nach der glücklich vollendeten Ein-
ziehung der fünfprocentigen Papiere wagte man jetzt schon, die Verzinsung
von 4 auf 31/2 Proc., noch unter den landesüblichen Zinsfuß, herabzusetzen,
obwohl Graf Alvensleben in gerechter Besorgniß warnte, diese Politik der
peinlichen Zinsenersparniß würde die Staatsgläubiger sehr hart treffen
und das Privatcapital vielleicht zu schwindelhaften Unternehmungen ver-
führen.**) Zugleich hob sich der Ertrag der Domänen in den Jahren
1833--48 von 4,2 auf 5,25 Mill. Thlr.; nach der knappsten Berech-
nung empfing der Staat aus seinem gesammten Vermögen eine Rente
von 6,25 Mill. jährlich, während er nur noch eine Zinsenlast von 5 Mill.
trug. Trotz des Steuererlasses wuchs auch das Einkommen aus den
Abgaben beständig, und im Jahre 1847 bezog die Monarchie schon eine
regelmäßige Gesammteinnahme von mehr denn 67 Mill. Thlr. Darum
wurden Staatseisenbahnen, wie die Berathungen der Vereinigten Ausschüsse
deutlich erkennen ließen,***) in weiten Kreisen für unbedenklich und noth-
wendig gehalten. Unmöglich konnte man doch behaupten, daß Privatbeamte
den Eisenbahndienst, der nur strenge Ordnung und Ehrlichkeit verlangt,
besser besorgen sollten als das bewährte Staatsbeamtenthum; der Stachel
des freien Wettbewerbs, der sonst die Privatunternehmungen zu großen
Leistungen anspornt, fiel hier hinweg, da die Eisenbahnen thatsächlich ein
Monopol besaßen.

Nach alledem begann selbst der alte Minister Rother sich mit dem
Gedanken des Staatsbaues zu befreunden. Als er einige Monate nach
der Entlassung der Vereinigten Ausschüsse dem Ministerium (21. Febr.
1843) eine große Denkschrift "zur Förderung des Eisenbahnbaues" ein-
reichte, da sprach er offen aus: an sich sei der Staatsbau wohl vorzuziehen,
weil der Staat ohnehin schon Herr der Straßen sei, weil er besser verwalte
als Aktiengesellschaften und bei dem günstigen Stande der Staatsschuld
das Wagniß wohl auf sich nehmen könne. Dem gegenüber aber stand

*) Generalmajor v. Röder an Thile, 12. Mai 1841, nebst Denkschrift des Majors
Fischer über die Eisenbahnlinien.
**) Alvensleben an Thile, 12. März; Voß an Thile, 13. März 1842.
***) S. o. V. 184 ff.

V. 6. Wachsthum und Siechthum der Volkswirthſchaft.
tracht?“ Auch andere tüchtige Offiziere verlangten, daß die Regierung
den Bau der Eiſenbahnen nach einem durchdachten Plane leiten müſſe.*)
Da der König ſchon als Kronprinz ähnliche Meinungen gehegt hatte, ſo
wurden im Staatsminiſterium (1842) die Grundzüge eines die geſammte
Monarchie umfaſſenden Eiſenbahnnetzes feſtgeſtellt; und immer wieder
drängte ſich die Erwägung auf, ob man nicht kurzweg Staatseiſenbahnen
bauen ſolle.

Die Finanzen erfreuten ſich einer beneidenswerthen Blüthe; das blieb
immer die ſtarke Seite der Regierung Friedrich Wilhelm’s. Die Staats-
ſchuld ſank bis zum Jahre 1847 auf 137 Mill. Thlr., die Staatsſchuld-
ſcheine ſtanden ſehr hoch im Curſe. Nach der glücklich vollendeten Ein-
ziehung der fünfprocentigen Papiere wagte man jetzt ſchon, die Verzinſung
von 4 auf 3½ Proc., noch unter den landesüblichen Zinsfuß, herabzuſetzen,
obwohl Graf Alvensleben in gerechter Beſorgniß warnte, dieſe Politik der
peinlichen Zinſenerſparniß würde die Staatsgläubiger ſehr hart treffen
und das Privatcapital vielleicht zu ſchwindelhaften Unternehmungen ver-
führen.**) Zugleich hob ſich der Ertrag der Domänen in den Jahren
1833—48 von 4,2 auf 5,25 Mill. Thlr.; nach der knappſten Berech-
nung empfing der Staat aus ſeinem geſammten Vermögen eine Rente
von 6,25 Mill. jährlich, während er nur noch eine Zinſenlaſt von 5 Mill.
trug. Trotz des Steuererlaſſes wuchs auch das Einkommen aus den
Abgaben beſtändig, und im Jahre 1847 bezog die Monarchie ſchon eine
regelmäßige Geſammteinnahme von mehr denn 67 Mill. Thlr. Darum
wurden Staatseiſenbahnen, wie die Berathungen der Vereinigten Ausſchüſſe
deutlich erkennen ließen,***) in weiten Kreiſen für unbedenklich und noth-
wendig gehalten. Unmöglich konnte man doch behaupten, daß Privatbeamte
den Eiſenbahndienſt, der nur ſtrenge Ordnung und Ehrlichkeit verlangt,
beſſer beſorgen ſollten als das bewährte Staatsbeamtenthum; der Stachel
des freien Wettbewerbs, der ſonſt die Privatunternehmungen zu großen
Leiſtungen anſpornt, fiel hier hinweg, da die Eiſenbahnen thatſächlich ein
Monopol beſaßen.

Nach alledem begann ſelbſt der alte Miniſter Rother ſich mit dem
Gedanken des Staatsbaues zu befreunden. Als er einige Monate nach
der Entlaſſung der Vereinigten Ausſchüſſe dem Miniſterium (21. Febr.
1843) eine große Denkſchrift „zur Förderung des Eiſenbahnbaues“ ein-
reichte, da ſprach er offen aus: an ſich ſei der Staatsbau wohl vorzuziehen,
weil der Staat ohnehin ſchon Herr der Straßen ſei, weil er beſſer verwalte
als Aktiengeſellſchaften und bei dem günſtigen Stande der Staatsſchuld
das Wagniß wohl auf ſich nehmen könne. Dem gegenüber aber ſtand

*) Generalmajor v. Röder an Thile, 12. Mai 1841, nebſt Denkſchrift des Majors
Fiſcher über die Eiſenbahnlinien.
**) Alvensleben an Thile, 12. März; Voß an Thile, 13. März 1842.
***) S. o. V. 184 ff.
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[494/0508] V. 6. Wachsthum und Siechthum der Volkswirthſchaft. tracht?“ Auch andere tüchtige Offiziere verlangten, daß die Regierung den Bau der Eiſenbahnen nach einem durchdachten Plane leiten müſſe. *) Da der König ſchon als Kronprinz ähnliche Meinungen gehegt hatte, ſo wurden im Staatsminiſterium (1842) die Grundzüge eines die geſammte Monarchie umfaſſenden Eiſenbahnnetzes feſtgeſtellt; und immer wieder drängte ſich die Erwägung auf, ob man nicht kurzweg Staatseiſenbahnen bauen ſolle. Die Finanzen erfreuten ſich einer beneidenswerthen Blüthe; das blieb immer die ſtarke Seite der Regierung Friedrich Wilhelm’s. Die Staats- ſchuld ſank bis zum Jahre 1847 auf 137 Mill. Thlr., die Staatsſchuld- ſcheine ſtanden ſehr hoch im Curſe. Nach der glücklich vollendeten Ein- ziehung der fünfprocentigen Papiere wagte man jetzt ſchon, die Verzinſung von 4 auf 3½ Proc., noch unter den landesüblichen Zinsfuß, herabzuſetzen, obwohl Graf Alvensleben in gerechter Beſorgniß warnte, dieſe Politik der peinlichen Zinſenerſparniß würde die Staatsgläubiger ſehr hart treffen und das Privatcapital vielleicht zu ſchwindelhaften Unternehmungen ver- führen. **) Zugleich hob ſich der Ertrag der Domänen in den Jahren 1833—48 von 4,2 auf 5,25 Mill. Thlr.; nach der knappſten Berech- nung empfing der Staat aus ſeinem geſammten Vermögen eine Rente von 6,25 Mill. jährlich, während er nur noch eine Zinſenlaſt von 5 Mill. trug. Trotz des Steuererlaſſes wuchs auch das Einkommen aus den Abgaben beſtändig, und im Jahre 1847 bezog die Monarchie ſchon eine regelmäßige Geſammteinnahme von mehr denn 67 Mill. Thlr. Darum wurden Staatseiſenbahnen, wie die Berathungen der Vereinigten Ausſchüſſe deutlich erkennen ließen, ***) in weiten Kreiſen für unbedenklich und noth- wendig gehalten. Unmöglich konnte man doch behaupten, daß Privatbeamte den Eiſenbahndienſt, der nur ſtrenge Ordnung und Ehrlichkeit verlangt, beſſer beſorgen ſollten als das bewährte Staatsbeamtenthum; der Stachel des freien Wettbewerbs, der ſonſt die Privatunternehmungen zu großen Leiſtungen anſpornt, fiel hier hinweg, da die Eiſenbahnen thatſächlich ein Monopol beſaßen. Nach alledem begann ſelbſt der alte Miniſter Rother ſich mit dem Gedanken des Staatsbaues zu befreunden. Als er einige Monate nach der Entlaſſung der Vereinigten Ausſchüſſe dem Miniſterium (21. Febr. 1843) eine große Denkſchrift „zur Förderung des Eiſenbahnbaues“ ein- reichte, da ſprach er offen aus: an ſich ſei der Staatsbau wohl vorzuziehen, weil der Staat ohnehin ſchon Herr der Straßen ſei, weil er beſſer verwalte als Aktiengeſellſchaften und bei dem günſtigen Stande der Staatsſchuld das Wagniß wohl auf ſich nehmen könne. Dem gegenüber aber ſtand *) Generalmajor v. Röder an Thile, 12. Mai 1841, nebſt Denkſchrift des Majors Fiſcher über die Eiſenbahnlinien. **) Alvensleben an Thile, 12. März; Voß an Thile, 13. März 1842. ***) S. o. V. 184 ff.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 494. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/508>, abgerufen am 22.11.2024.