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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Aufhebung der englischen Kornzölle.
im Mai 1846 wurden die Kornzölle aufgehoben. Die Lords stimmten
zu, denn der eiserne Herzog warnte: fügen wir uns jetzt nicht freiwillig,
dann wird das Oberhaus späterhin gezwungen oder vernichtet werden.
So aussichtslos erschien jetzt schon jeder Widerstand gegen die aufstre-
benden Mittelstände. Wenige Wochen nachher mußte Peel zurücktreten.
Die alten Gegner hatten ihm zum Siege verholfen, nun rächten sich
die geschlagenen Freunde. Löste er das Parlament auf, dann konnte er
sicher eine starke Mehrheit erlangen, aber -- so sagte er zu Bunsen --
nur durch den Beistand der Radicalen, "und mit den Radicalen gehe ich
nicht."*) So schied er aus, ein Opfer des Parteigeistes, und noch lange
feierte ihn das Bürgerthum als den volksthümlichsten aller britischen Staats-
männer. Er wußte daß er, im Geiste seines edlen Vaters, den arbeitenden
Klassen eine große Wohlthat erwiesen, aber auch die Handelsmacht seines
Landes befestigt hatte; denn die rücksichtslose nationale Selbstbehauptung
war ihm ebenso heilig wie allen seinen Landsleuten. Für die Zwecke der
Handelspolitik verschmähte auch er die kleinen Künste leerer Vorspiegelungen
nicht; sagte er doch einmal dem preußischen Gesandten: Ihr müßt Euch
mit uns über die Zollfragen verständigen, denn sonst könnte leicht ein fran-
zösisch-amerikanisches Seebündniß die wirthschaftliche und politische Unab-
hängigkeit des Festlands bedrohen!**)

Seine Erbschaft übernahmen die Whigs, und sie mußten fortan oft
mit den Radicalen zusammengehen, obgleich ihre eigenen Führer fast alle-
sammt den stolzesten und vornehmsten Adelsgeschlechtern angehörten. Lord
Palmerston, der wieder in das Auswärtige Amt eintrat, konnte also nun-
mehr die alte Politik der heimlichen Friedensstörung mit verdoppelter
Kraft fortsetzen, er konnte die Bären des Continents bald nach der libe-
ralen, bald nach der freihändlerischen Pfeife tanzen lassen. Die Sieger
gefielen sich in maßloser Selbstberäucherung. Cobden rief freudetrunken:
"Freihandel ist das internationale Gesetz des Allmächtigen; nicht blos
England, sondern die ganze Welt ist für jetzt und für immer an dem
Kampfe der Kornliga betheiligt." Seine Anhänger verglichen das Jahr
1846 mit der Revolution von 1688. Und allerdings griff die Aufhebung
der Korngesetze sehr tief in alle socialen Verhältnisse ein, sie demokratisirte
die Gesellschaft, wie einst die Reformbill den Staat.

Wenn Cobden in Reden und Schriften den Grundherren stets versichert
hatte, sie würden unter der Reform nicht leiden, so erwiesen sich diese Be-
schwichtigungsversuche alsbald als Irrthum oder als berechnete Täuschung.
Die Grundrente sank beträchtlich, und wie der englische Adel sich immer der
Zeit zu fügen verstand, so erkannte er auch jetzt schnell, daß er seine Stellung
über dem Bürgerthum nur noch durch die Machtmittel des Bürgerthums

*) Bunsen's Bericht, 10. Juli 1846.
**) Bunsen's Bericht, 26. Aug. 1844.

Aufhebung der engliſchen Kornzölle.
im Mai 1846 wurden die Kornzölle aufgehoben. Die Lords ſtimmten
zu, denn der eiſerne Herzog warnte: fügen wir uns jetzt nicht freiwillig,
dann wird das Oberhaus ſpäterhin gezwungen oder vernichtet werden.
So ausſichtslos erſchien jetzt ſchon jeder Widerſtand gegen die aufſtre-
benden Mittelſtände. Wenige Wochen nachher mußte Peel zurücktreten.
Die alten Gegner hatten ihm zum Siege verholfen, nun rächten ſich
die geſchlagenen Freunde. Löſte er das Parlament auf, dann konnte er
ſicher eine ſtarke Mehrheit erlangen, aber — ſo ſagte er zu Bunſen —
nur durch den Beiſtand der Radicalen, „und mit den Radicalen gehe ich
nicht.“*) So ſchied er aus, ein Opfer des Parteigeiſtes, und noch lange
feierte ihn das Bürgerthum als den volksthümlichſten aller britiſchen Staats-
männer. Er wußte daß er, im Geiſte ſeines edlen Vaters, den arbeitenden
Klaſſen eine große Wohlthat erwieſen, aber auch die Handelsmacht ſeines
Landes befeſtigt hatte; denn die rückſichtsloſe nationale Selbſtbehauptung
war ihm ebenſo heilig wie allen ſeinen Landsleuten. Für die Zwecke der
Handelspolitik verſchmähte auch er die kleinen Künſte leerer Vorſpiegelungen
nicht; ſagte er doch einmal dem preußiſchen Geſandten: Ihr müßt Euch
mit uns über die Zollfragen verſtändigen, denn ſonſt könnte leicht ein fran-
zöſiſch-amerikaniſches Seebündniß die wirthſchaftliche und politiſche Unab-
hängigkeit des Feſtlands bedrohen!**)

Seine Erbſchaft übernahmen die Whigs, und ſie mußten fortan oft
mit den Radicalen zuſammengehen, obgleich ihre eigenen Führer faſt alle-
ſammt den ſtolzeſten und vornehmſten Adelsgeſchlechtern angehörten. Lord
Palmerſton, der wieder in das Auswärtige Amt eintrat, konnte alſo nun-
mehr die alte Politik der heimlichen Friedensſtörung mit verdoppelter
Kraft fortſetzen, er konnte die Bären des Continents bald nach der libe-
ralen, bald nach der freihändleriſchen Pfeife tanzen laſſen. Die Sieger
gefielen ſich in maßloſer Selbſtberäucherung. Cobden rief freudetrunken:
„Freihandel iſt das internationale Geſetz des Allmächtigen; nicht blos
England, ſondern die ganze Welt iſt für jetzt und für immer an dem
Kampfe der Kornliga betheiligt.“ Seine Anhänger verglichen das Jahr
1846 mit der Revolution von 1688. Und allerdings griff die Aufhebung
der Korngeſetze ſehr tief in alle ſocialen Verhältniſſe ein, ſie demokratiſirte
die Geſellſchaft, wie einſt die Reformbill den Staat.

Wenn Cobden in Reden und Schriften den Grundherren ſtets verſichert
hatte, ſie würden unter der Reform nicht leiden, ſo erwieſen ſich dieſe Be-
ſchwichtigungsverſuche alsbald als Irrthum oder als berechnete Täuſchung.
Die Grundrente ſank beträchtlich, und wie der engliſche Adel ſich immer der
Zeit zu fügen verſtand, ſo erkannte er auch jetzt ſchnell, daß er ſeine Stellung
über dem Bürgerthum nur noch durch die Machtmittel des Bürgerthums

*) Bunſen’s Bericht, 10. Juli 1846.
**) Bunſen’s Bericht, 26. Aug. 1844.
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[479/0493] Aufhebung der engliſchen Kornzölle. im Mai 1846 wurden die Kornzölle aufgehoben. Die Lords ſtimmten zu, denn der eiſerne Herzog warnte: fügen wir uns jetzt nicht freiwillig, dann wird das Oberhaus ſpäterhin gezwungen oder vernichtet werden. So ausſichtslos erſchien jetzt ſchon jeder Widerſtand gegen die aufſtre- benden Mittelſtände. Wenige Wochen nachher mußte Peel zurücktreten. Die alten Gegner hatten ihm zum Siege verholfen, nun rächten ſich die geſchlagenen Freunde. Löſte er das Parlament auf, dann konnte er ſicher eine ſtarke Mehrheit erlangen, aber — ſo ſagte er zu Bunſen — nur durch den Beiſtand der Radicalen, „und mit den Radicalen gehe ich nicht.“ *) So ſchied er aus, ein Opfer des Parteigeiſtes, und noch lange feierte ihn das Bürgerthum als den volksthümlichſten aller britiſchen Staats- männer. Er wußte daß er, im Geiſte ſeines edlen Vaters, den arbeitenden Klaſſen eine große Wohlthat erwieſen, aber auch die Handelsmacht ſeines Landes befeſtigt hatte; denn die rückſichtsloſe nationale Selbſtbehauptung war ihm ebenſo heilig wie allen ſeinen Landsleuten. Für die Zwecke der Handelspolitik verſchmähte auch er die kleinen Künſte leerer Vorſpiegelungen nicht; ſagte er doch einmal dem preußiſchen Geſandten: Ihr müßt Euch mit uns über die Zollfragen verſtändigen, denn ſonſt könnte leicht ein fran- zöſiſch-amerikaniſches Seebündniß die wirthſchaftliche und politiſche Unab- hängigkeit des Feſtlands bedrohen! **) Seine Erbſchaft übernahmen die Whigs, und ſie mußten fortan oft mit den Radicalen zuſammengehen, obgleich ihre eigenen Führer faſt alle- ſammt den ſtolzeſten und vornehmſten Adelsgeſchlechtern angehörten. Lord Palmerſton, der wieder in das Auswärtige Amt eintrat, konnte alſo nun- mehr die alte Politik der heimlichen Friedensſtörung mit verdoppelter Kraft fortſetzen, er konnte die Bären des Continents bald nach der libe- ralen, bald nach der freihändleriſchen Pfeife tanzen laſſen. Die Sieger gefielen ſich in maßloſer Selbſtberäucherung. Cobden rief freudetrunken: „Freihandel iſt das internationale Geſetz des Allmächtigen; nicht blos England, ſondern die ganze Welt iſt für jetzt und für immer an dem Kampfe der Kornliga betheiligt.“ Seine Anhänger verglichen das Jahr 1846 mit der Revolution von 1688. Und allerdings griff die Aufhebung der Korngeſetze ſehr tief in alle ſocialen Verhältniſſe ein, ſie demokratiſirte die Geſellſchaft, wie einſt die Reformbill den Staat. Wenn Cobden in Reden und Schriften den Grundherren ſtets verſichert hatte, ſie würden unter der Reform nicht leiden, ſo erwieſen ſich dieſe Be- ſchwichtigungsverſuche alsbald als Irrthum oder als berechnete Täuſchung. Die Grundrente ſank beträchtlich, und wie der engliſche Adel ſich immer der Zeit zu fügen verſtand, ſo erkannte er auch jetzt ſchnell, daß er ſeine Stellung über dem Bürgerthum nur noch durch die Machtmittel des Bürgerthums *) Bunſen’s Bericht, 10. Juli 1846. **) Bunſen’s Bericht, 26. Aug. 1844.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 479. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/493>, abgerufen am 22.11.2024.