merkte: "dies Wort ist dem Fürsten recht geläufig, er gebraucht es manch- mal statt jeder anderen Widerlegung oder Erklärung."*)
Wie hilflos stand doch dies unförmliche Reich mit seinem Völker- gemisch zwischen den beiden großen schicksalsverwandten Nationen, die sich in jugendlichem Selbstgefühl zu erheben begannen. Schon längst betrach- teten die Italiener den deutschen Zollverein mit schmerzlicher Bewunderung; und noch gab es einzelne gutmüthige Patrioten, die nicht ganz an Oester- reich verzweifelten. Die Annali universali di statistica veröffentlichten (1843) einen Artikel Serristori's, der den italienischen Staaten rieth, sich nach und nach ebenso an das österreichische Zollsystem anzuschließen, wie die deutschen Staaten das preußische Zollgesetz angenommen hätten. Und so wunderbar war die Welt schon verwandelt: dieser Aufsatz, der vor einem Vierteljahrhundert seinen Verfasser unfehlbar in den Kerker gebracht hätte, wurde jetzt im Oesterreichischen Beobachter belobt und übersetzt. Aber wie klein, wie unfruchtbar, wie ängstlich zeigte sich Metternich auch hier. Er sah in der wirthschaftlichen Einigung Italiens nur ein Mittel um die gefürchteten "Sekten" zu bekämpfen, ganz wie vor zwanzig Jahren viele deutsche Kleinminister den Zollverein als einen Schutzwall gegen die na- tionale Einheit gepriesen hatten. Ein wirklicher Zollverband erschien ihm auch zu kühn; und allerdings konnte die berüchtigte k. k. Mauth mit ihren bestechlichen Beamten und den riesigen venetianischen Schmuggel- niederlagen unmöglich die Bewunderung der weltklugen Italiener erwecken. Die Hofburg begnügte sich also, den italienischen Staaten in tiefem Ge- heimniß einige Handelserleichterungen vorzuschlagen. Allein selbst der ge- treueste Hof der Halbinsel, der Hof von Neapel hegte gegen die k. k. Han- delspolitik, die ihm schon manche ärgerliche Zollstreitigkeiten bereitet hatte, ein starkes Mißtrauen, und die Turiner Regierung lehnte sogar rund- weg ab. Dort in Piemont regte sich schon mit Macht der nationale Ge- danke. Wenn dort ein Zollverein zwischen Sardinien, Toscana und dem Kirchenstaate erwogen wurde, wenn die Grafen Petitti und Cavour ein italienisches Eisenbahnnetz empfahlen, so richteten alle diese Pläne ihre Spitze gegen Oesterreich. Was in Italien stark und edel war, bekämpfte den Wiener Hof. Jenseits der Alpen wie jenseits des Riesengebirges konnte der Kaiserstaat nur noch hemmen und stören, nichts mehr schaffen. --
Von der nächsten Zukunft durfte die enttäuschte deutsche Schutzzoll- Partei überhaupt nur wenig erwarten. Der ganze Zug der Zeit war ihr ungünstig. Die unter dem Schirm ihrer Zölle und Schifffahrtsgesetze erstarkte erste Handelsmacht der Welt lenkte eben jetzt in die Bahnen des Freihandels ein. Englands Volkswirthschaft war, wie List bitter sagte, nunmehr so hoch gestiegen, daß sie die Leiter, die ihr emporgeholfen, ge- trost abbrechen konnte. Die Lehre von dem größten Wohlsein der größten
*) Canitz's Bericht, 20. März 1843.
Oeſterreichiſche Zollvereinspläne.
merkte: „dies Wort iſt dem Fürſten recht geläufig, er gebraucht es manch- mal ſtatt jeder anderen Widerlegung oder Erklärung.“*)
Wie hilflos ſtand doch dies unförmliche Reich mit ſeinem Völker- gemiſch zwiſchen den beiden großen ſchickſalsverwandten Nationen, die ſich in jugendlichem Selbſtgefühl zu erheben begannen. Schon längſt betrach- teten die Italiener den deutſchen Zollverein mit ſchmerzlicher Bewunderung; und noch gab es einzelne gutmüthige Patrioten, die nicht ganz an Oeſter- reich verzweifelten. Die Annali universali di statistica veröffentlichten (1843) einen Artikel Serriſtori’s, der den italieniſchen Staaten rieth, ſich nach und nach ebenſo an das öſterreichiſche Zollſyſtem anzuſchließen, wie die deutſchen Staaten das preußiſche Zollgeſetz angenommen hätten. Und ſo wunderbar war die Welt ſchon verwandelt: dieſer Aufſatz, der vor einem Vierteljahrhundert ſeinen Verfaſſer unfehlbar in den Kerker gebracht hätte, wurde jetzt im Oeſterreichiſchen Beobachter belobt und überſetzt. Aber wie klein, wie unfruchtbar, wie ängſtlich zeigte ſich Metternich auch hier. Er ſah in der wirthſchaftlichen Einigung Italiens nur ein Mittel um die gefürchteten „Sekten“ zu bekämpfen, ganz wie vor zwanzig Jahren viele deutſche Kleinminiſter den Zollverein als einen Schutzwall gegen die na- tionale Einheit geprieſen hatten. Ein wirklicher Zollverband erſchien ihm auch zu kühn; und allerdings konnte die berüchtigte k. k. Mauth mit ihren beſtechlichen Beamten und den rieſigen venetianiſchen Schmuggel- niederlagen unmöglich die Bewunderung der weltklugen Italiener erwecken. Die Hofburg begnügte ſich alſo, den italieniſchen Staaten in tiefem Ge- heimniß einige Handelserleichterungen vorzuſchlagen. Allein ſelbſt der ge- treueſte Hof der Halbinſel, der Hof von Neapel hegte gegen die k. k. Han- delspolitik, die ihm ſchon manche ärgerliche Zollſtreitigkeiten bereitet hatte, ein ſtarkes Mißtrauen, und die Turiner Regierung lehnte ſogar rund- weg ab. Dort in Piemont regte ſich ſchon mit Macht der nationale Ge- danke. Wenn dort ein Zollverein zwiſchen Sardinien, Toscana und dem Kirchenſtaate erwogen wurde, wenn die Grafen Petitti und Cavour ein italieniſches Eiſenbahnnetz empfahlen, ſo richteten alle dieſe Pläne ihre Spitze gegen Oeſterreich. Was in Italien ſtark und edel war, bekämpfte den Wiener Hof. Jenſeits der Alpen wie jenſeits des Rieſengebirges konnte der Kaiſerſtaat nur noch hemmen und ſtören, nichts mehr ſchaffen. —
Von der nächſten Zukunft durfte die enttäuſchte deutſche Schutzzoll- Partei überhaupt nur wenig erwarten. Der ganze Zug der Zeit war ihr ungünſtig. Die unter dem Schirm ihrer Zölle und Schifffahrtsgeſetze erſtarkte erſte Handelsmacht der Welt lenkte eben jetzt in die Bahnen des Freihandels ein. Englands Volkswirthſchaft war, wie Liſt bitter ſagte, nunmehr ſo hoch geſtiegen, daß ſie die Leiter, die ihr emporgeholfen, ge- troſt abbrechen konnte. Die Lehre von dem größten Wohlſein der größten
*) Canitz’s Bericht, 20. März 1843.
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Oeſterreichiſche Zollvereinspläne.
merkte: „dies Wort iſt dem Fürſten recht geläufig, er gebraucht es manch-
mal ſtatt jeder anderen Widerlegung oder Erklärung.“ *)
Wie hilflos ſtand doch dies unförmliche Reich mit ſeinem Völker-
gemiſch zwiſchen den beiden großen ſchickſalsverwandten Nationen, die ſich
in jugendlichem Selbſtgefühl zu erheben begannen. Schon längſt betrach-
teten die Italiener den deutſchen Zollverein mit ſchmerzlicher Bewunderung;
und noch gab es einzelne gutmüthige Patrioten, die nicht ganz an Oeſter-
reich verzweifelten. Die Annali universali di statistica veröffentlichten
(1843) einen Artikel Serriſtori’s, der den italieniſchen Staaten rieth, ſich
nach und nach ebenſo an das öſterreichiſche Zollſyſtem anzuſchließen, wie
die deutſchen Staaten das preußiſche Zollgeſetz angenommen hätten. Und
ſo wunderbar war die Welt ſchon verwandelt: dieſer Aufſatz, der vor einem
Vierteljahrhundert ſeinen Verfaſſer unfehlbar in den Kerker gebracht hätte,
wurde jetzt im Oeſterreichiſchen Beobachter belobt und überſetzt. Aber wie
klein, wie unfruchtbar, wie ängſtlich zeigte ſich Metternich auch hier. Er
ſah in der wirthſchaftlichen Einigung Italiens nur ein Mittel um die
gefürchteten „Sekten“ zu bekämpfen, ganz wie vor zwanzig Jahren viele
deutſche Kleinminiſter den Zollverein als einen Schutzwall gegen die na-
tionale Einheit geprieſen hatten. Ein wirklicher Zollverband erſchien ihm
auch zu kühn; und allerdings konnte die berüchtigte k. k. Mauth mit
ihren beſtechlichen Beamten und den rieſigen venetianiſchen Schmuggel-
niederlagen unmöglich die Bewunderung der weltklugen Italiener erwecken.
Die Hofburg begnügte ſich alſo, den italieniſchen Staaten in tiefem Ge-
heimniß einige Handelserleichterungen vorzuſchlagen. Allein ſelbſt der ge-
treueſte Hof der Halbinſel, der Hof von Neapel hegte gegen die k. k. Han-
delspolitik, die ihm ſchon manche ärgerliche Zollſtreitigkeiten bereitet hatte,
ein ſtarkes Mißtrauen, und die Turiner Regierung lehnte ſogar rund-
weg ab. Dort in Piemont regte ſich ſchon mit Macht der nationale Ge-
danke. Wenn dort ein Zollverein zwiſchen Sardinien, Toscana und dem
Kirchenſtaate erwogen wurde, wenn die Grafen Petitti und Cavour ein
italieniſches Eiſenbahnnetz empfahlen, ſo richteten alle dieſe Pläne ihre
Spitze gegen Oeſterreich. Was in Italien ſtark und edel war, bekämpfte
den Wiener Hof. Jenſeits der Alpen wie jenſeits des Rieſengebirges
konnte der Kaiſerſtaat nur noch hemmen und ſtören, nichts mehr ſchaffen. —
Von der nächſten Zukunft durfte die enttäuſchte deutſche Schutzzoll-
Partei überhaupt nur wenig erwarten. Der ganze Zug der Zeit war
ihr ungünſtig. Die unter dem Schirm ihrer Zölle und Schifffahrtsgeſetze
erſtarkte erſte Handelsmacht der Welt lenkte eben jetzt in die Bahnen
des Freihandels ein. Englands Volkswirthſchaft war, wie Liſt bitter ſagte,
nunmehr ſo hoch geſtiegen, daß ſie die Leiter, die ihr emporgeholfen, ge-
troſt abbrechen konnte. Die Lehre von dem größten Wohlſein der größten
*) Canitz’s Bericht, 20. März 1843.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 475. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/489>, abgerufen am 25.11.2024.
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