thunlich gemacht haben." Daraufhin erbat er sich die Aufnahme seines Herzogthums in den Zollverein.*)
Der preußische Hof fühlte sich nicht berufen den Sittenrichter zu spielen in diesem unerquicklichen Zwiste des Welfenhauses. Er befand sich vielmehr in der tragikomischen Lage, daß er das unwillkommene Anerbieten seines so rasch bekehrten neuen Freundes nicht von der Hand weisen durfte. Das braunschweigische Ländchen allein mit seinen verfitzten Gren- zen war durchaus kein Gewinn für den Zollverein. Minister Alvens- leben äußerte sich darüber zu dem hannoverschen Gesandten General Berger mit einer freundschaftlichen Offenheit, die der alte Soldat dankbar anerkannte und bemühte sich sogar, die beiden Welfenhöfe mit einander zu versöhnen.**) Vergeblich. Der erboste Braunschweiger erklärte: wenn man ihn nicht in den Zollverein aufnehme, dann bleibe er allein. Also drohte mitten im Zollvereine nochmals ein großes Nest des Schleichhan- dels zu entstehen, die Krämer in den kleinen Harzstädten sprachen schon frohlockend von der Wiederkehr der alten goldenen Zeit des Schmuggels. Diese Befürchtung zwang die Minister, dem Könige die Aufnahme Braun- schweigs zu empfehlen, aber unter der Voraussetzung, daß Hannover, "das wie Braunschweig dem Anschluß an den Zollverein entgegenreife", sich min- destens zu Verhandlungen bereit erkläre.***) Hannover gab diese vorläufige Zusage, alle Staaten des Zollvereins stimmten freudig bei, alle erwarteten, die Kugel komme endlich in's Rollen. In der That schien es möglich, daß der Zollverein jetzt mit einem male bis zu den Mündungen der Elbe, Weser und Ems vordrang und darnach auch die Hansestädte zum Beitritt bewog. Das braunschweigische Land erstreckte sich nämlich in einem schmalen Streifen weit nach Westen, vom Harze bis zur Weser; trat also das ge- sammte Herzogthum dem Zollvereine bei, dann wurden die Landschaften Göttingen und Grubenhagen, die man in Hannover mit dem erhabenen Namen der südlichen Provinzen schmückte, von der Hauptmasse des Welfen- Königreichs abgeschnitten, und der ohnehin lockere Steuerverein zerstückelt.
Doch was fragte der alte Welfe nach der Volkswirthschaft? König Ernst August verfuhr bei diesen Verhandlungen von Haus aus unredlich; er knüpfte sie nur darum an, weil er hoffte sich noch freien Verkehr mit seinen südlichen Provinzen zu sichern. Seinem Gesandten Kielmansegge in London schrieb er eigenhändig: ich bin gegen den Zollverein und werde selbst im äußersten Falle immer vermeiden Englands Interessen zu schä- digen, "was man einem englischen Prinzen nicht übel nehmen kann". Bei seinen wiederholten Besuchen in England versicherte er den Ministern
*) Berichte von Canitz, Hannover 2. April 1841, Wien 4. März 1844. Schreiben des braunschw. Staatsministeriums an das preußische Min. d. A. A. 28. März 1841.
**) Berger's Berichte, 4. 7. 30. April 1841.
***) Werther's Bericht an den König, 8. April, Cabinetsordre an Werther und Al- vensleben, 21. April 1841.
Braunſchweigs Austritt aus dem Steuervereine.
thunlich gemacht haben.“ Daraufhin erbat er ſich die Aufnahme ſeines Herzogthums in den Zollverein.*)
Der preußiſche Hof fühlte ſich nicht berufen den Sittenrichter zu ſpielen in dieſem unerquicklichen Zwiſte des Welfenhauſes. Er befand ſich vielmehr in der tragikomiſchen Lage, daß er das unwillkommene Anerbieten ſeines ſo raſch bekehrten neuen Freundes nicht von der Hand weiſen durfte. Das braunſchweigiſche Ländchen allein mit ſeinen verfitzten Gren- zen war durchaus kein Gewinn für den Zollverein. Miniſter Alvens- leben äußerte ſich darüber zu dem hannoverſchen Geſandten General Berger mit einer freundſchaftlichen Offenheit, die der alte Soldat dankbar anerkannte und bemühte ſich ſogar, die beiden Welfenhöfe mit einander zu verſöhnen.**) Vergeblich. Der erboſte Braunſchweiger erklärte: wenn man ihn nicht in den Zollverein aufnehme, dann bleibe er allein. Alſo drohte mitten im Zollvereine nochmals ein großes Neſt des Schleichhan- dels zu entſtehen, die Krämer in den kleinen Harzſtädten ſprachen ſchon frohlockend von der Wiederkehr der alten goldenen Zeit des Schmuggels. Dieſe Befürchtung zwang die Miniſter, dem Könige die Aufnahme Braun- ſchweigs zu empfehlen, aber unter der Vorausſetzung, daß Hannover, „das wie Braunſchweig dem Anſchluß an den Zollverein entgegenreife“, ſich min- deſtens zu Verhandlungen bereit erkläre.***) Hannover gab dieſe vorläufige Zuſage, alle Staaten des Zollvereins ſtimmten freudig bei, alle erwarteten, die Kugel komme endlich in’s Rollen. In der That ſchien es möglich, daß der Zollverein jetzt mit einem male bis zu den Mündungen der Elbe, Weſer und Ems vordrang und darnach auch die Hanſeſtädte zum Beitritt bewog. Das braunſchweigiſche Land erſtreckte ſich nämlich in einem ſchmalen Streifen weit nach Weſten, vom Harze bis zur Weſer; trat alſo das ge- ſammte Herzogthum dem Zollvereine bei, dann wurden die Landſchaften Göttingen und Grubenhagen, die man in Hannover mit dem erhabenen Namen der ſüdlichen Provinzen ſchmückte, von der Hauptmaſſe des Welfen- Königreichs abgeſchnitten, und der ohnehin lockere Steuerverein zerſtückelt.
Doch was fragte der alte Welfe nach der Volkswirthſchaft? König Ernſt Auguſt verfuhr bei dieſen Verhandlungen von Haus aus unredlich; er knüpfte ſie nur darum an, weil er hoffte ſich noch freien Verkehr mit ſeinen ſüdlichen Provinzen zu ſichern. Seinem Geſandten Kielmansegge in London ſchrieb er eigenhändig: ich bin gegen den Zollverein und werde ſelbſt im äußerſten Falle immer vermeiden Englands Intereſſen zu ſchä- digen, „was man einem engliſchen Prinzen nicht übel nehmen kann“. Bei ſeinen wiederholten Beſuchen in England verſicherte er den Miniſtern
*) Berichte von Canitz, Hannover 2. April 1841, Wien 4. März 1844. Schreiben des braunſchw. Staatsminiſteriums an das preußiſche Min. d. A. A. 28. März 1841.
**) Berger’s Berichte, 4. 7. 30. April 1841.
***) Werther’s Bericht an den König, 8. April, Cabinetsordre an Werther und Al- vensleben, 21. April 1841.
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[443/0457]
Braunſchweigs Austritt aus dem Steuervereine.
thunlich gemacht haben.“ Daraufhin erbat er ſich die Aufnahme ſeines
Herzogthums in den Zollverein. *)
Der preußiſche Hof fühlte ſich nicht berufen den Sittenrichter zu
ſpielen in dieſem unerquicklichen Zwiſte des Welfenhauſes. Er befand ſich
vielmehr in der tragikomiſchen Lage, daß er das unwillkommene Anerbieten
ſeines ſo raſch bekehrten neuen Freundes nicht von der Hand weiſen
durfte. Das braunſchweigiſche Ländchen allein mit ſeinen verfitzten Gren-
zen war durchaus kein Gewinn für den Zollverein. Miniſter Alvens-
leben äußerte ſich darüber zu dem hannoverſchen Geſandten General
Berger mit einer freundſchaftlichen Offenheit, die der alte Soldat dankbar
anerkannte und bemühte ſich ſogar, die beiden Welfenhöfe mit einander zu
verſöhnen. **) Vergeblich. Der erboſte Braunſchweiger erklärte: wenn
man ihn nicht in den Zollverein aufnehme, dann bleibe er allein. Alſo
drohte mitten im Zollvereine nochmals ein großes Neſt des Schleichhan-
dels zu entſtehen, die Krämer in den kleinen Harzſtädten ſprachen ſchon
frohlockend von der Wiederkehr der alten goldenen Zeit des Schmuggels.
Dieſe Befürchtung zwang die Miniſter, dem Könige die Aufnahme Braun-
ſchweigs zu empfehlen, aber unter der Vorausſetzung, daß Hannover, „das
wie Braunſchweig dem Anſchluß an den Zollverein entgegenreife“, ſich min-
deſtens zu Verhandlungen bereit erkläre. ***) Hannover gab dieſe vorläufige
Zuſage, alle Staaten des Zollvereins ſtimmten freudig bei, alle erwarteten,
die Kugel komme endlich in’s Rollen. In der That ſchien es möglich, daß der
Zollverein jetzt mit einem male bis zu den Mündungen der Elbe, Weſer
und Ems vordrang und darnach auch die Hanſeſtädte zum Beitritt bewog.
Das braunſchweigiſche Land erſtreckte ſich nämlich in einem ſchmalen
Streifen weit nach Weſten, vom Harze bis zur Weſer; trat alſo das ge-
ſammte Herzogthum dem Zollvereine bei, dann wurden die Landſchaften
Göttingen und Grubenhagen, die man in Hannover mit dem erhabenen
Namen der ſüdlichen Provinzen ſchmückte, von der Hauptmaſſe des Welfen-
Königreichs abgeſchnitten, und der ohnehin lockere Steuerverein zerſtückelt.
Doch was fragte der alte Welfe nach der Volkswirthſchaft? König
Ernſt Auguſt verfuhr bei dieſen Verhandlungen von Haus aus unredlich;
er knüpfte ſie nur darum an, weil er hoffte ſich noch freien Verkehr mit
ſeinen ſüdlichen Provinzen zu ſichern. Seinem Geſandten Kielmansegge
in London ſchrieb er eigenhändig: ich bin gegen den Zollverein und werde
ſelbſt im äußerſten Falle immer vermeiden Englands Intereſſen zu ſchä-
digen, „was man einem engliſchen Prinzen nicht übel nehmen kann“.
Bei ſeinen wiederholten Beſuchen in England verſicherte er den Miniſtern
*) Berichte von Canitz, Hannover 2. April 1841, Wien 4. März 1844. Schreiben
des braunſchw. Staatsminiſteriums an das preußiſche Min. d. A. A. 28. März 1841.
**) Berger’s Berichte, 4. 7. 30. April 1841.
***) Werther’s Bericht an den König, 8. April, Cabinetsordre an Werther und Al-
vensleben, 21. April 1841.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 443. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/457>, abgerufen am 22.11.2024.
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