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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 6. Wachsthum und Siechthum der Volkswirthschaft.
beigetreten war, verminderte sich dort der Verbrauch von Kolonialwaaren
keineswegs -- doch sie wurde allgemein geglaubt, und als die Binnen-
länder den Anschluß des Steuervereins laut verlangten, da erschien in
einer hannöverschen Zeitung ein trutziges Lied, das den ganzen Gedanken-
reichthum des welfischen Nationalstolzes treu wiedergab:

Wir wollen ihn nicht haben,
Den preußischen Zollverein ...
Wir wollen ferner brauchen
Zum Punsch den echten Rak,
Wir woll'n auch ferner schmauchen
Ein gutes Blatt Tabak!

Zu Anfang 1841 verhandelten die verbündeten Staaten in guter Ein-
tracht über die Verlängerung der Steuervereins-Verträge. Da verlangte
Braunschweig zuletzt noch, Hannover solle den mit Preußen gemeinsam
begonnenen Bau der neuen Straße von Salzwedel nach Uelzen ein-
stellen, weil dies Unternehmen die alte von Magdeburg über Braunschweig
nach Lüneburg führende Straße zu schädigen drohte. Damit mutheten
die Braunschweiger dem welfischen Königshofe einen offenbaren Treubruch
zu, denn jener Straßenbau war auf Hannovers eigenen Wunsch mit
Preußen verabredet worden. Gleichwohl nahm der hannoversche Bevoll-
mächtigte den Vorschlag an, seine Regierung genehmigte diesen Schritt
ausdrücklich, der Vertrag ward abgeschlossen, und es fehlte nur noch der
Austausch der Ratificationen. Bei näherer Erwägung fand der alte Welfe
diese Clausel doch unanständig und verlangte nachträglich noch Aende-
rungen. Er verfuhr also ähnlich wie der König-Großherzog von Luxem-
burg, nur konnte er für seinen verspäteten Gesinnungswechsel mindestens
einen achtungswerthen Grund anführen. Darob entbrannte nun der Her-
zog von Braunschweig in hellem Zorne. Ihm war der hoffärtige Ton, den
die Hannoveraner gegen die kleineren Höfe anzuschlagen liebten, längst zu-
wider; jetzt meinte er durch die Wortbrüchigkeit der Nachbarn "seine Würde,
sein Ansehen, sein Recht" gefährdet, und in einem eigenhändigen Briefe kün-
digte er dem Welfenkönige an, daß er aus dem Steuervereine austrete. Hier-
auf suchte er Hilfe bei Preußen -- weil ihm ein gegen Preußen gerichteter
feindseliger Anschlag mißlungen war! Eine so verwegene Schwenkung war
neu, selbst in der Geschichte des Zollvereins, die von kleinstaatlicher Dreistig-
keit und preußischer Langmuth gar viel zu erzählen wußte. In den letzten
Märztagen erschien der Finanzdirektor v. Amsberg in Berlin, ein fähiger,
in der Volkswirthschaftspolitik wohl bewanderter Staatsmann, der, freier
gesinnt als sein Herzog, schon die Zollvereinigung des gesammten Vater-
lands in's Auge faßte. Er überbrachte eine Zuschrift des braunschwei-
gischen Staatsministeriums, welche trocken anzeigte, "daß plötzlich einge-
tretene Hindernisse die Erneuerung unserer Steuervereinigungs-Verträge
mit dem Königreich Hannover und dem Großherzogthum Oldenburg un

V. 6. Wachsthum und Siechthum der Volkswirthſchaft.
beigetreten war, verminderte ſich dort der Verbrauch von Kolonialwaaren
keineswegs — doch ſie wurde allgemein geglaubt, und als die Binnen-
länder den Anſchluß des Steuervereins laut verlangten, da erſchien in
einer hannöverſchen Zeitung ein trutziges Lied, das den ganzen Gedanken-
reichthum des welfiſchen Nationalſtolzes treu wiedergab:

Wir wollen ihn nicht haben,
Den preußiſchen Zollverein …
Wir wollen ferner brauchen
Zum Punſch den echten Rak,
Wir woll’n auch ferner ſchmauchen
Ein gutes Blatt Tabak!

Zu Anfang 1841 verhandelten die verbündeten Staaten in guter Ein-
tracht über die Verlängerung der Steuervereins-Verträge. Da verlangte
Braunſchweig zuletzt noch, Hannover ſolle den mit Preußen gemeinſam
begonnenen Bau der neuen Straße von Salzwedel nach Uelzen ein-
ſtellen, weil dies Unternehmen die alte von Magdeburg über Braunſchweig
nach Lüneburg führende Straße zu ſchädigen drohte. Damit mutheten
die Braunſchweiger dem welfiſchen Königshofe einen offenbaren Treubruch
zu, denn jener Straßenbau war auf Hannovers eigenen Wunſch mit
Preußen verabredet worden. Gleichwohl nahm der hannoverſche Bevoll-
mächtigte den Vorſchlag an, ſeine Regierung genehmigte dieſen Schritt
ausdrücklich, der Vertrag ward abgeſchloſſen, und es fehlte nur noch der
Austauſch der Ratificationen. Bei näherer Erwägung fand der alte Welfe
dieſe Clauſel doch unanſtändig und verlangte nachträglich noch Aende-
rungen. Er verfuhr alſo ähnlich wie der König-Großherzog von Luxem-
burg, nur konnte er für ſeinen verſpäteten Geſinnungswechſel mindeſtens
einen achtungswerthen Grund anführen. Darob entbrannte nun der Her-
zog von Braunſchweig in hellem Zorne. Ihm war der hoffärtige Ton, den
die Hannoveraner gegen die kleineren Höfe anzuſchlagen liebten, längſt zu-
wider; jetzt meinte er durch die Wortbrüchigkeit der Nachbarn „ſeine Würde,
ſein Anſehen, ſein Recht“ gefährdet, und in einem eigenhändigen Briefe kün-
digte er dem Welfenkönige an, daß er aus dem Steuervereine austrete. Hier-
auf ſuchte er Hilfe bei Preußen — weil ihm ein gegen Preußen gerichteter
feindſeliger Anſchlag mißlungen war! Eine ſo verwegene Schwenkung war
neu, ſelbſt in der Geſchichte des Zollvereins, die von kleinſtaatlicher Dreiſtig-
keit und preußiſcher Langmuth gar viel zu erzählen wußte. In den letzten
Märztagen erſchien der Finanzdirektor v. Amsberg in Berlin, ein fähiger,
in der Volkswirthſchaftspolitik wohl bewanderter Staatsmann, der, freier
geſinnt als ſein Herzog, ſchon die Zollvereinigung des geſammten Vater-
lands in’s Auge faßte. Er überbrachte eine Zuſchrift des braunſchwei-
giſchen Staatsminiſteriums, welche trocken anzeigte, „daß plötzlich einge-
tretene Hinderniſſe die Erneuerung unſerer Steuervereinigungs-Verträge
mit dem Königreich Hannover und dem Großherzogthum Oldenburg un

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[442/0456] V. 6. Wachsthum und Siechthum der Volkswirthſchaft. beigetreten war, verminderte ſich dort der Verbrauch von Kolonialwaaren keineswegs — doch ſie wurde allgemein geglaubt, und als die Binnen- länder den Anſchluß des Steuervereins laut verlangten, da erſchien in einer hannöverſchen Zeitung ein trutziges Lied, das den ganzen Gedanken- reichthum des welfiſchen Nationalſtolzes treu wiedergab: Wir wollen ihn nicht haben, Den preußiſchen Zollverein … Wir wollen ferner brauchen Zum Punſch den echten Rak, Wir woll’n auch ferner ſchmauchen Ein gutes Blatt Tabak! Zu Anfang 1841 verhandelten die verbündeten Staaten in guter Ein- tracht über die Verlängerung der Steuervereins-Verträge. Da verlangte Braunſchweig zuletzt noch, Hannover ſolle den mit Preußen gemeinſam begonnenen Bau der neuen Straße von Salzwedel nach Uelzen ein- ſtellen, weil dies Unternehmen die alte von Magdeburg über Braunſchweig nach Lüneburg führende Straße zu ſchädigen drohte. Damit mutheten die Braunſchweiger dem welfiſchen Königshofe einen offenbaren Treubruch zu, denn jener Straßenbau war auf Hannovers eigenen Wunſch mit Preußen verabredet worden. Gleichwohl nahm der hannoverſche Bevoll- mächtigte den Vorſchlag an, ſeine Regierung genehmigte dieſen Schritt ausdrücklich, der Vertrag ward abgeſchloſſen, und es fehlte nur noch der Austauſch der Ratificationen. Bei näherer Erwägung fand der alte Welfe dieſe Clauſel doch unanſtändig und verlangte nachträglich noch Aende- rungen. Er verfuhr alſo ähnlich wie der König-Großherzog von Luxem- burg, nur konnte er für ſeinen verſpäteten Geſinnungswechſel mindeſtens einen achtungswerthen Grund anführen. Darob entbrannte nun der Her- zog von Braunſchweig in hellem Zorne. Ihm war der hoffärtige Ton, den die Hannoveraner gegen die kleineren Höfe anzuſchlagen liebten, längſt zu- wider; jetzt meinte er durch die Wortbrüchigkeit der Nachbarn „ſeine Würde, ſein Anſehen, ſein Recht“ gefährdet, und in einem eigenhändigen Briefe kün- digte er dem Welfenkönige an, daß er aus dem Steuervereine austrete. Hier- auf ſuchte er Hilfe bei Preußen — weil ihm ein gegen Preußen gerichteter feindſeliger Anſchlag mißlungen war! Eine ſo verwegene Schwenkung war neu, ſelbſt in der Geſchichte des Zollvereins, die von kleinſtaatlicher Dreiſtig- keit und preußiſcher Langmuth gar viel zu erzählen wußte. In den letzten Märztagen erſchien der Finanzdirektor v. Amsberg in Berlin, ein fähiger, in der Volkswirthſchaftspolitik wohl bewanderter Staatsmann, der, freier geſinnt als ſein Herzog, ſchon die Zollvereinigung des geſammten Vater- lands in’s Auge faßte. Er überbrachte eine Zuſchrift des braunſchwei- giſchen Staatsminiſteriums, welche trocken anzeigte, „daß plötzlich einge- tretene Hinderniſſe die Erneuerung unſerer Steuervereinigungs-Verträge mit dem Königreich Hannover und dem Großherzogthum Oldenburg un

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 442. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/456>, abgerufen am 25.11.2024.