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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 6. Wachsthum und Siechthum der Volkswirthschaft.
wänden fehlen um den Vertrag nach sechs Monaten zu kündigen und
das ganze Werk über den Haufen zu werfen. Für Preußen aber stehe
Großes auf dem Spiele. Ließe sich die Krone von einem schwachen Nach-
barn also verhöhnen, dann müßten die Zollverbündeten alles Vertrauen zu
Preußen verlieren, "und auf diesem Vertrauen allein -- so schrieb Thile --
ruht das ganze Gebäude des Zollvereins."*) Diese Gründe überzeugten
den König. Er sendete die beiden Luxemburger heim und schrieb noch-
mals sehr eindringlich an den Freund im Haag (12. Jan. 1842): "Der
gegenwärtige Zustand ist und muß sein das physische und moralische Ver-
derben Deines Großherzogthums!!!!!! Rettest Du Dich daraus nach der
deutschen Seite hin, so werden Deine Feinde über Unbeständigkeit schreien;
wendest Du Dich nach der anderen, der schlechten Seite, so wirst Du
ganz Deutschland gegen Dich haben. Und das will etwas sagen, theuerer
Wilhelm, seit dem Jahre 1840."**)

Nunmehr gab der Oranier sein Spiel verloren; er wußte, wie ver-
ächtlich alle deutschen Höfe über ihn redeten, und er war klug genug,
den unehrenhaften Handel jetzt rasch aus der Welt zu schaffen. Darum ant-
wortete er freundlich und sendete seinem königlichen Vetter, der soeben die
Taufreise nach England angetreten hatte, alsbald zwei neue Unterhändler
nach London, die angesehenen niederländischen Diplomaten Rochussen und
van Heekeren.***) Mit diesen Beiden verhandelte der König persönlich in
Bunsen's Hause und genehmigte am 29. Jan. 1842 ein Protokoll, das den
Augustvertrag wiederherstellte: Luxemburg trat, zunächst auf vier Jahre,
dem Zollvereine bei, die Zahl der anzustellenden preußischen Beamten
sollte so gering wie irgend möglich bemessen werden. Hocherfreut meldete
er dies Ergebniß dem reuigen Vetter, und da bei dem Versöhnungsfeste
auch das Opferlamm nicht fehlen durfte, so verhieß er zugleich in tiefem
Geheimniß: sein Gesandter Graf Lottum, der sich mit preußischer Deut-
lichkeit über den oranischen Biedersinn ausgesprochen hatte, würde nicht
wieder in den Haag zurückkehren.+)

Nach solchen Wirren wurde die kleine Westmark dem Zollverein ein-
verleibt, und kaum ein anderes deutsches Land hat aus der nationalen
Handelseinheit größeren wirthschaftlichen Vortheil gezogen. Der lange
Belagerungszustand in der Hauptstadt und die fast gesetzlose Verwaltung
der provisorischen belgischen Behörden draußen hatten das Ländchen von
Grund aus verwüstet; Handel und Wandel lagen darnieder, nur der

*) Berichte an den König, von Maltzan, 28. Dec. 1841; von Maltzan, Alvens-
leben und Thile, 3. Jan.; von Thile, 3. Jan. 1842.
**) König Friedrich Wilhelm an König Wilhelm II., 12. Jan. 1842.
***) König Wilhelm II. an König Friedrich Wilhelm, 25. Jan. 1842.
+) Protokoll, London 29. Jan. 1842, gez. von Rochussen und Heekeren, genehmigt
von König Friedrich Wilhelm. Bunsen an Thile, 29. Jan.; König Friedrich Wilhelm
an König Wilhelm II., 29. Jan. 1842.

V. 6. Wachsthum und Siechthum der Volkswirthſchaft.
wänden fehlen um den Vertrag nach ſechs Monaten zu kündigen und
das ganze Werk über den Haufen zu werfen. Für Preußen aber ſtehe
Großes auf dem Spiele. Ließe ſich die Krone von einem ſchwachen Nach-
barn alſo verhöhnen, dann müßten die Zollverbündeten alles Vertrauen zu
Preußen verlieren, „und auf dieſem Vertrauen allein — ſo ſchrieb Thile —
ruht das ganze Gebäude des Zollvereins.“*) Dieſe Gründe überzeugten
den König. Er ſendete die beiden Luxemburger heim und ſchrieb noch-
mals ſehr eindringlich an den Freund im Haag (12. Jan. 1842): „Der
gegenwärtige Zuſtand iſt und muß ſein das phyſiſche und moraliſche Ver-
derben Deines Großherzogthums!!!!!! Retteſt Du Dich daraus nach der
deutſchen Seite hin, ſo werden Deine Feinde über Unbeſtändigkeit ſchreien;
wendeſt Du Dich nach der anderen, der ſchlechten Seite, ſo wirſt Du
ganz Deutſchland gegen Dich haben. Und das will etwas ſagen, theuerer
Wilhelm, ſeit dem Jahre 1840.“**)

Nunmehr gab der Oranier ſein Spiel verloren; er wußte, wie ver-
ächtlich alle deutſchen Höfe über ihn redeten, und er war klug genug,
den unehrenhaften Handel jetzt raſch aus der Welt zu ſchaffen. Darum ant-
wortete er freundlich und ſendete ſeinem königlichen Vetter, der ſoeben die
Taufreiſe nach England angetreten hatte, alsbald zwei neue Unterhändler
nach London, die angeſehenen niederländiſchen Diplomaten Rochuſſen und
van Heekeren.***) Mit dieſen Beiden verhandelte der König perſönlich in
Bunſen’s Hauſe und genehmigte am 29. Jan. 1842 ein Protokoll, das den
Auguſtvertrag wiederherſtellte: Luxemburg trat, zunächſt auf vier Jahre,
dem Zollvereine bei, die Zahl der anzuſtellenden preußiſchen Beamten
ſollte ſo gering wie irgend möglich bemeſſen werden. Hocherfreut meldete
er dies Ergebniß dem reuigen Vetter, und da bei dem Verſöhnungsfeſte
auch das Opferlamm nicht fehlen durfte, ſo verhieß er zugleich in tiefem
Geheimniß: ſein Geſandter Graf Lottum, der ſich mit preußiſcher Deut-
lichkeit über den oraniſchen Biederſinn ausgeſprochen hatte, würde nicht
wieder in den Haag zurückkehren.†)

Nach ſolchen Wirren wurde die kleine Weſtmark dem Zollverein ein-
verleibt, und kaum ein anderes deutſches Land hat aus der nationalen
Handelseinheit größeren wirthſchaftlichen Vortheil gezogen. Der lange
Belagerungszuſtand in der Hauptſtadt und die faſt geſetzloſe Verwaltung
der proviſoriſchen belgiſchen Behörden draußen hatten das Ländchen von
Grund aus verwüſtet; Handel und Wandel lagen darnieder, nur der

*) Berichte an den König, von Maltzan, 28. Dec. 1841; von Maltzan, Alvens-
leben und Thile, 3. Jan.; von Thile, 3. Jan. 1842.
**) König Friedrich Wilhelm an König Wilhelm II., 12. Jan. 1842.
***) König Wilhelm II. an König Friedrich Wilhelm, 25. Jan. 1842.
†) Protokoll, London 29. Jan. 1842, gez. von Rochuſſen und Heekeren, genehmigt
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an König Wilhelm II., 29. Jan. 1842.
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[440/0454] V. 6. Wachsthum und Siechthum der Volkswirthſchaft. wänden fehlen um den Vertrag nach ſechs Monaten zu kündigen und das ganze Werk über den Haufen zu werfen. Für Preußen aber ſtehe Großes auf dem Spiele. Ließe ſich die Krone von einem ſchwachen Nach- barn alſo verhöhnen, dann müßten die Zollverbündeten alles Vertrauen zu Preußen verlieren, „und auf dieſem Vertrauen allein — ſo ſchrieb Thile — ruht das ganze Gebäude des Zollvereins.“ *) Dieſe Gründe überzeugten den König. Er ſendete die beiden Luxemburger heim und ſchrieb noch- mals ſehr eindringlich an den Freund im Haag (12. Jan. 1842): „Der gegenwärtige Zuſtand iſt und muß ſein das phyſiſche und moraliſche Ver- derben Deines Großherzogthums!!!!!! Retteſt Du Dich daraus nach der deutſchen Seite hin, ſo werden Deine Feinde über Unbeſtändigkeit ſchreien; wendeſt Du Dich nach der anderen, der ſchlechten Seite, ſo wirſt Du ganz Deutſchland gegen Dich haben. Und das will etwas ſagen, theuerer Wilhelm, ſeit dem Jahre 1840.“ **) Nunmehr gab der Oranier ſein Spiel verloren; er wußte, wie ver- ächtlich alle deutſchen Höfe über ihn redeten, und er war klug genug, den unehrenhaften Handel jetzt raſch aus der Welt zu ſchaffen. Darum ant- wortete er freundlich und ſendete ſeinem königlichen Vetter, der ſoeben die Taufreiſe nach England angetreten hatte, alsbald zwei neue Unterhändler nach London, die angeſehenen niederländiſchen Diplomaten Rochuſſen und van Heekeren. ***) Mit dieſen Beiden verhandelte der König perſönlich in Bunſen’s Hauſe und genehmigte am 29. Jan. 1842 ein Protokoll, das den Auguſtvertrag wiederherſtellte: Luxemburg trat, zunächſt auf vier Jahre, dem Zollvereine bei, die Zahl der anzuſtellenden preußiſchen Beamten ſollte ſo gering wie irgend möglich bemeſſen werden. Hocherfreut meldete er dies Ergebniß dem reuigen Vetter, und da bei dem Verſöhnungsfeſte auch das Opferlamm nicht fehlen durfte, ſo verhieß er zugleich in tiefem Geheimniß: ſein Geſandter Graf Lottum, der ſich mit preußiſcher Deut- lichkeit über den oraniſchen Biederſinn ausgeſprochen hatte, würde nicht wieder in den Haag zurückkehren. †) Nach ſolchen Wirren wurde die kleine Weſtmark dem Zollverein ein- verleibt, und kaum ein anderes deutſches Land hat aus der nationalen Handelseinheit größeren wirthſchaftlichen Vortheil gezogen. Der lange Belagerungszuſtand in der Hauptſtadt und die faſt geſetzloſe Verwaltung der proviſoriſchen belgiſchen Behörden draußen hatten das Ländchen von Grund aus verwüſtet; Handel und Wandel lagen darnieder, nur der *) Berichte an den König, von Maltzan, 28. Dec. 1841; von Maltzan, Alvens- leben und Thile, 3. Jan.; von Thile, 3. Jan. 1842. **) König Friedrich Wilhelm an König Wilhelm II., 12. Jan. 1842. ***) König Wilhelm II. an König Friedrich Wilhelm, 25. Jan. 1842. †) Protokoll, London 29. Jan. 1842, gez. von Rochuſſen und Heekeren, genehmigt von König Friedrich Wilhelm. Bunſen an Thile, 29. Jan.; König Friedrich Wilhelm an König Wilhelm II., 29. Jan. 1842.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 440. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/454>, abgerufen am 25.11.2024.