früherer Jahrhunderte sei. Dann wurde General Boyen, der lange miß- handelte, durch ein überaus gnädiges Handschreiben in den Staatsrath zurückgerufen, und alle Welt betrachtete diese erste That der neuen Re- gierung als ein Zugeständniß an den Liberalismus. Gleich darauf durfte Arndt wieder in sein Lehramt eintreten; mit hellem Jubel begrüßten die Bonner Gelehrten den treuen Mann -- nur A. W. Schlegel, der alte Feind, hielt sich abseits -- und erwählten ihn sogleich zum Rector für das nächste Jahr. Keinen Augenblick war er irre geworden an seinem Staate; mitten im Elend der unverschuldeten Verfolgung hatte er seinem Vaterlande zugesungen:
Du wirst Jahrtausende durchblüh'n In deutscher Treue, deutschen Ehren. Wir Kurzen müssen hinnen zieh'n, Doch Liebe wird unsterblich währen.
Nun ward ihm doch noch ein ehrenreiches, durch die Liebe seiner Deut- schen verklärtes Alter. Auch der alte Jahn wurde der polizeilichen Auf- sicht entledigt und nachträglich noch mit dem eisernen Kreuze geschmückt. Am 10. August unterzeichnete Friedrich Wilhelm eine Verordnung, welche allen politischen Verbrechern Amnestie gewährte, auch den Flüchtlingen, falls sie heimkehrten, Begnadigung versprach. Der Erlaß sollte erst einen Monat später, zur Feier der Huldigung veröffentlicht werden; das weiche Gemüth des Königs fand aber keine Ruhe, unverzüglich ließ er die Kerker öffnen und vielen der Befreiten gewährte er Anstellung im Staatsdienste. Diese Milde gereichte seinem Herzen zu hoher Ehre; denn an die Schuld der Mehrzahl der Gefangenen glaubte er ebenso fest wie sein Vater. Die düstere Zeit der politischen Verfolgungen ging also zu Ende, nicht ohne ein schauerliches Nachspiel. Zur selben Zeit, da die Demagogen frei kamen, verfiel der boshafteste ihrer Peiniger, Geheimer Rath Tzschoppe, in schwere Geisteskrankheit; der Unselige wähnte sich verfolgt von allen den Armen, denen er die Jugend verwüstet hatte, und starb bald nachher im Irrsinn.
Leider zeigte sich auch schon jetzt, wie gefährlich die Herzensgüte des Monarchen wirken konnte. In einer Aufwallung brüderlicher Liebe betraute er den Prinzen Wilhelm, der den fridericianischen Titel eines Prinzen von Preußen erhielt, mit dem Vorsitze im Staatsministerium und im Staatsrathe. Er hoffte, sein Bruder würde einfach in die Stellung ein- rücken, welche er selbst bisher als Kronprinz eingenommen hatte. Aber trotz seiner Ehrfurcht vor dem Träger der Krone konnte der Prinz von Preußen hinter dem nur wenig älteren Könige unmöglich ebenso bescheiden zurücktreten, wie es der alte Herr von seinen Söhnen verlangt hatte, der Gegensatz des Charakters und der Gesinnung, der die beiden Brüder trennte, mußte an den Tag kommen, und schon die nächsten Wochen lehrten, daß das Amt eines Ministerpräsidenten für einen Thronfolger zugleich zu niedrig und zu mächtig ist.
Die Amneſtie.
früherer Jahrhunderte ſei. Dann wurde General Boyen, der lange miß- handelte, durch ein überaus gnädiges Handſchreiben in den Staatsrath zurückgerufen, und alle Welt betrachtete dieſe erſte That der neuen Re- gierung als ein Zugeſtändniß an den Liberalismus. Gleich darauf durfte Arndt wieder in ſein Lehramt eintreten; mit hellem Jubel begrüßten die Bonner Gelehrten den treuen Mann — nur A. W. Schlegel, der alte Feind, hielt ſich abſeits — und erwählten ihn ſogleich zum Rector für das nächſte Jahr. Keinen Augenblick war er irre geworden an ſeinem Staate; mitten im Elend der unverſchuldeten Verfolgung hatte er ſeinem Vaterlande zugeſungen:
Du wirſt Jahrtauſende durchblüh’n In deutſcher Treue, deutſchen Ehren. Wir Kurzen müſſen hinnen zieh’n, Doch Liebe wird unſterblich währen.
Nun ward ihm doch noch ein ehrenreiches, durch die Liebe ſeiner Deut- ſchen verklärtes Alter. Auch der alte Jahn wurde der polizeilichen Auf- ſicht entledigt und nachträglich noch mit dem eiſernen Kreuze geſchmückt. Am 10. Auguſt unterzeichnete Friedrich Wilhelm eine Verordnung, welche allen politiſchen Verbrechern Amneſtie gewährte, auch den Flüchtlingen, falls ſie heimkehrten, Begnadigung verſprach. Der Erlaß ſollte erſt einen Monat ſpäter, zur Feier der Huldigung veröffentlicht werden; das weiche Gemüth des Königs fand aber keine Ruhe, unverzüglich ließ er die Kerker öffnen und vielen der Befreiten gewährte er Anſtellung im Staatsdienſte. Dieſe Milde gereichte ſeinem Herzen zu hoher Ehre; denn an die Schuld der Mehrzahl der Gefangenen glaubte er ebenſo feſt wie ſein Vater. Die düſtere Zeit der politiſchen Verfolgungen ging alſo zu Ende, nicht ohne ein ſchauerliches Nachſpiel. Zur ſelben Zeit, da die Demagogen frei kamen, verfiel der boshafteſte ihrer Peiniger, Geheimer Rath Tzſchoppe, in ſchwere Geiſteskrankheit; der Unſelige wähnte ſich verfolgt von allen den Armen, denen er die Jugend verwüſtet hatte, und ſtarb bald nachher im Irrſinn.
Leider zeigte ſich auch ſchon jetzt, wie gefährlich die Herzensgüte des Monarchen wirken konnte. In einer Aufwallung brüderlicher Liebe betraute er den Prinzen Wilhelm, der den fridericianiſchen Titel eines Prinzen von Preußen erhielt, mit dem Vorſitze im Staatsminiſterium und im Staatsrathe. Er hoffte, ſein Bruder würde einfach in die Stellung ein- rücken, welche er ſelbſt bisher als Kronprinz eingenommen hatte. Aber trotz ſeiner Ehrfurcht vor dem Träger der Krone konnte der Prinz von Preußen hinter dem nur wenig älteren Könige unmöglich ebenſo beſcheiden zurücktreten, wie es der alte Herr von ſeinen Söhnen verlangt hatte, der Gegenſatz des Charakters und der Geſinnung, der die beiden Brüder trennte, mußte an den Tag kommen, und ſchon die nächſten Wochen lehrten, daß das Amt eines Miniſterpräſidenten für einen Thronfolger zugleich zu niedrig und zu mächtig iſt.
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Die Amneſtie.
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handelte, durch ein überaus gnädiges Handſchreiben in den Staatsrath
zurückgerufen, und alle Welt betrachtete dieſe erſte That der neuen Re-
gierung als ein Zugeſtändniß an den Liberalismus. Gleich darauf durfte
Arndt wieder in ſein Lehramt eintreten; mit hellem Jubel begrüßten die
Bonner Gelehrten den treuen Mann — nur A. W. Schlegel, der alte
Feind, hielt ſich abſeits — und erwählten ihn ſogleich zum Rector für
das nächſte Jahr. Keinen Augenblick war er irre geworden an ſeinem
Staate; mitten im Elend der unverſchuldeten Verfolgung hatte er ſeinem
Vaterlande zugeſungen:
Du wirſt Jahrtauſende durchblüh’n
In deutſcher Treue, deutſchen Ehren.
Wir Kurzen müſſen hinnen zieh’n,
Doch Liebe wird unſterblich währen.
Nun ward ihm doch noch ein ehrenreiches, durch die Liebe ſeiner Deut-
ſchen verklärtes Alter. Auch der alte Jahn wurde der polizeilichen Auf-
ſicht entledigt und nachträglich noch mit dem eiſernen Kreuze geſchmückt.
Am 10. Auguſt unterzeichnete Friedrich Wilhelm eine Verordnung, welche
allen politiſchen Verbrechern Amneſtie gewährte, auch den Flüchtlingen,
falls ſie heimkehrten, Begnadigung verſprach. Der Erlaß ſollte erſt einen
Monat ſpäter, zur Feier der Huldigung veröffentlicht werden; das weiche
Gemüth des Königs fand aber keine Ruhe, unverzüglich ließ er die Kerker
öffnen und vielen der Befreiten gewährte er Anſtellung im Staatsdienſte.
Dieſe Milde gereichte ſeinem Herzen zu hoher Ehre; denn an die Schuld
der Mehrzahl der Gefangenen glaubte er ebenſo feſt wie ſein Vater. Die
düſtere Zeit der politiſchen Verfolgungen ging alſo zu Ende, nicht ohne ein
ſchauerliches Nachſpiel. Zur ſelben Zeit, da die Demagogen frei kamen,
verfiel der boshafteſte ihrer Peiniger, Geheimer Rath Tzſchoppe, in ſchwere
Geiſteskrankheit; der Unſelige wähnte ſich verfolgt von allen den Armen,
denen er die Jugend verwüſtet hatte, und ſtarb bald nachher im Irrſinn.
Leider zeigte ſich auch ſchon jetzt, wie gefährlich die Herzensgüte des
Monarchen wirken konnte. In einer Aufwallung brüderlicher Liebe betraute
er den Prinzen Wilhelm, der den fridericianiſchen Titel eines Prinzen
von Preußen erhielt, mit dem Vorſitze im Staatsminiſterium und im
Staatsrathe. Er hoffte, ſein Bruder würde einfach in die Stellung ein-
rücken, welche er ſelbſt bisher als Kronprinz eingenommen hatte. Aber
trotz ſeiner Ehrfurcht vor dem Träger der Krone konnte der Prinz von
Preußen hinter dem nur wenig älteren Könige unmöglich ebenſo beſcheiden
zurücktreten, wie es der alte Herr von ſeinen Söhnen verlangt hatte,
der Gegenſatz des Charakters und der Geſinnung, der die beiden Brüder
trennte, mußte an den Tag kommen, und ſchon die nächſten Wochen lehrten,
daß das Amt eines Miniſterpräſidenten für einen Thronfolger zugleich zu
niedrig und zu mächtig iſt.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/45>, abgerufen am 22.11.2024.
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