einer Höhe, welche wohl seinem dämonischen Genie, doch nicht seiner politischen Thätigkeit gebührt. Trotz alledem bewiesen beide Schriften durch ihre mächtige Wirksamkeit, wie hoch das politische Denken und Wollen über der gelehrten Forschung steht; sie sprachen das rechte Wort zur rechten Zeit, sie zwangen auch die kleinmüthigen deutschen Historiker, fortan mit ihrem politischen Urtheil nicht mehr ängstlich hinter dem Berge zu halten und erhoben den tapferen Verfasser für einige Jahre zum verehrten poli- tischen Führer unserer Gelehrtenwelt. Wie eine Weissagung klang sein Ausspruch, daß "die monarchische Unumschränktheit ihre unvergeßliche Zeit gehabt hat, gegenwärtig aber, verlassen von dem Glauben der Völker, ein so eitles Geräusch treibt, wie die klappernden Speichen eines Rades, dessen Nabe zerbrochen ist."
Noch schärfer und kühner verkündete J. G. Droysen die Forderungen der Gegenwart in seiner Geschichte der Freiheitskriege. Aufgewachsen in einem stillen pommerschen Pfarrhause war Droysen früh in die Kreise der höchsten künstlerischen und wissenschaftlichen Bildung Berlins einge- treten und hatte seine vielseitige Begabung schon durch die geistvolle Ueber- setzung des Aeschylus und Aristophanes bewährt, nachher durch die Ge- schichte Alexander's, ein Buch voll schöner jugendlicher Begeisterung, das freilich nach Hegel's Weise den unterliegenden Parteien meist Unrecht gab. Unter Freiheitskriegen verstand er die gesammte große Bewegung, welche seit der Erhebung Nordamerikas bis zu den Pariser Friedensschlüssen die gesittete Welt erschüttert hatte. Das Buch konnte und wollte nur ein erster Versuch sein, den Deutschen ein Bewußtsein von dem Ideengehalte dieser reichen Zeit zu erwecken. Die Darstellung der Thatsachen mußte mangelhaft bleiben, da die deutschen Archive noch verschlossen lagen; die Erzählung ward durch die Reflexion noch stark überwogen, die Geschichte erschien mehr als ein dialektischer Proceß, denn als ein Kampf wollender Männer. Aber klar und lebendig trat das letzte Ziel der langen Ent- wicklung heraus: das nationale Preußen, das seinem Sondergeist ent- wachsend mehr und mehr im deutschen Namen untergehen müsse. Voll- ständig, erschöpfend wie in keinem anderen Buche dieser Jahre ward das ganze Programm des gemäßigten Liberalismus dahin zusammengefaßt: nationale Selbständigkeit und Einheit; grundgesetzliche Rechtssicherheit; ein wahrhaftes Staatsbürgerthum, gegründet auf communaler und reichsstän- discher Freiheit; gerechte Autonomie in allen Lebenskreisen, deren Zweck nicht der Staat ist. In der Summe dieser Forderungen sah Droysen, da er von der Doctrin der Menschenrechte doch noch nicht ganz loskam, die königliche Vollfreiheit des sittlichen Menschen, und in dieser -- nach Schön's bekanntem Ausspruch -- den unerschütterlichen Pfeiler jedes Thrones. König Friedrich Wilhelm hatte sich in die Welt seiner ständischen Gliederung schon so tief eingesponnen, daß er selbst diese maßvoll und edel vorgetragenen Gedanken nicht mehr verwinden konnte. Den ersten Band des Buchs
V. 5. Realismus in Kunſt und Wiſſenſchaft.
einer Höhe, welche wohl ſeinem dämoniſchen Genie, doch nicht ſeiner politiſchen Thätigkeit gebührt. Trotz alledem bewieſen beide Schriften durch ihre mächtige Wirkſamkeit, wie hoch das politiſche Denken und Wollen über der gelehrten Forſchung ſteht; ſie ſprachen das rechte Wort zur rechten Zeit, ſie zwangen auch die kleinmüthigen deutſchen Hiſtoriker, fortan mit ihrem politiſchen Urtheil nicht mehr ängſtlich hinter dem Berge zu halten und erhoben den tapferen Verfaſſer für einige Jahre zum verehrten poli- tiſchen Führer unſerer Gelehrtenwelt. Wie eine Weiſſagung klang ſein Ausſpruch, daß „die monarchiſche Unumſchränktheit ihre unvergeßliche Zeit gehabt hat, gegenwärtig aber, verlaſſen von dem Glauben der Völker, ein ſo eitles Geräuſch treibt, wie die klappernden Speichen eines Rades, deſſen Nabe zerbrochen iſt.“
Noch ſchärfer und kühner verkündete J. G. Droyſen die Forderungen der Gegenwart in ſeiner Geſchichte der Freiheitskriege. Aufgewachſen in einem ſtillen pommerſchen Pfarrhauſe war Droyſen früh in die Kreiſe der höchſten künſtleriſchen und wiſſenſchaftlichen Bildung Berlins einge- treten und hatte ſeine vielſeitige Begabung ſchon durch die geiſtvolle Ueber- ſetzung des Aeſchylus und Ariſtophanes bewährt, nachher durch die Ge- ſchichte Alexander’s, ein Buch voll ſchöner jugendlicher Begeiſterung, das freilich nach Hegel’s Weiſe den unterliegenden Parteien meiſt Unrecht gab. Unter Freiheitskriegen verſtand er die geſammte große Bewegung, welche ſeit der Erhebung Nordamerikas bis zu den Pariſer Friedensſchlüſſen die geſittete Welt erſchüttert hatte. Das Buch konnte und wollte nur ein erſter Verſuch ſein, den Deutſchen ein Bewußtſein von dem Ideengehalte dieſer reichen Zeit zu erwecken. Die Darſtellung der Thatſachen mußte mangelhaft bleiben, da die deutſchen Archive noch verſchloſſen lagen; die Erzählung ward durch die Reflexion noch ſtark überwogen, die Geſchichte erſchien mehr als ein dialektiſcher Proceß, denn als ein Kampf wollender Männer. Aber klar und lebendig trat das letzte Ziel der langen Ent- wicklung heraus: das nationale Preußen, das ſeinem Sondergeiſt ent- wachſend mehr und mehr im deutſchen Namen untergehen müſſe. Voll- ſtändig, erſchöpfend wie in keinem anderen Buche dieſer Jahre ward das ganze Programm des gemäßigten Liberalismus dahin zuſammengefaßt: nationale Selbſtändigkeit und Einheit; grundgeſetzliche Rechtsſicherheit; ein wahrhaftes Staatsbürgerthum, gegründet auf communaler und reichsſtän- diſcher Freiheit; gerechte Autonomie in allen Lebenskreiſen, deren Zweck nicht der Staat iſt. In der Summe dieſer Forderungen ſah Droyſen, da er von der Doctrin der Menſchenrechte doch noch nicht ganz loskam, die königliche Vollfreiheit des ſittlichen Menſchen, und in dieſer — nach Schön’s bekanntem Ausſpruch — den unerſchütterlichen Pfeiler jedes Thrones. König Friedrich Wilhelm hatte ſich in die Welt ſeiner ſtändiſchen Gliederung ſchon ſo tief eingeſponnen, daß er ſelbſt dieſe maßvoll und edel vorgetragenen Gedanken nicht mehr verwinden konnte. Den erſten Band des Buchs
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einer Höhe, welche wohl ſeinem dämoniſchen Genie, doch nicht ſeiner
politiſchen Thätigkeit gebührt. Trotz alledem bewieſen beide Schriften
durch ihre mächtige Wirkſamkeit, wie hoch das politiſche Denken und Wollen
über der gelehrten Forſchung ſteht; ſie ſprachen das rechte Wort zur rechten
Zeit, ſie zwangen auch die kleinmüthigen deutſchen Hiſtoriker, fortan mit
ihrem politiſchen Urtheil nicht mehr ängſtlich hinter dem Berge zu halten
und erhoben den tapferen Verfaſſer für einige Jahre zum verehrten poli-
tiſchen Führer unſerer Gelehrtenwelt. Wie eine Weiſſagung klang ſein
Ausſpruch, daß „die monarchiſche Unumſchränktheit ihre unvergeßliche Zeit
gehabt hat, gegenwärtig aber, verlaſſen von dem Glauben der Völker,
ein ſo eitles Geräuſch treibt, wie die klappernden Speichen eines Rades,
deſſen Nabe zerbrochen iſt.“
Noch ſchärfer und kühner verkündete J. G. Droyſen die Forderungen
der Gegenwart in ſeiner Geſchichte der Freiheitskriege. Aufgewachſen in
einem ſtillen pommerſchen Pfarrhauſe war Droyſen früh in die Kreiſe
der höchſten künſtleriſchen und wiſſenſchaftlichen Bildung Berlins einge-
treten und hatte ſeine vielſeitige Begabung ſchon durch die geiſtvolle Ueber-
ſetzung des Aeſchylus und Ariſtophanes bewährt, nachher durch die Ge-
ſchichte Alexander’s, ein Buch voll ſchöner jugendlicher Begeiſterung, das
freilich nach Hegel’s Weiſe den unterliegenden Parteien meiſt Unrecht gab.
Unter Freiheitskriegen verſtand er die geſammte große Bewegung, welche
ſeit der Erhebung Nordamerikas bis zu den Pariſer Friedensſchlüſſen die
geſittete Welt erſchüttert hatte. Das Buch konnte und wollte nur ein
erſter Verſuch ſein, den Deutſchen ein Bewußtſein von dem Ideengehalte
dieſer reichen Zeit zu erwecken. Die Darſtellung der Thatſachen mußte
mangelhaft bleiben, da die deutſchen Archive noch verſchloſſen lagen; die
Erzählung ward durch die Reflexion noch ſtark überwogen, die Geſchichte
erſchien mehr als ein dialektiſcher Proceß, denn als ein Kampf wollender
Männer. Aber klar und lebendig trat das letzte Ziel der langen Ent-
wicklung heraus: das nationale Preußen, das ſeinem Sondergeiſt ent-
wachſend mehr und mehr im deutſchen Namen untergehen müſſe. Voll-
ſtändig, erſchöpfend wie in keinem anderen Buche dieſer Jahre ward das
ganze Programm des gemäßigten Liberalismus dahin zuſammengefaßt:
nationale Selbſtändigkeit und Einheit; grundgeſetzliche Rechtsſicherheit; ein
wahrhaftes Staatsbürgerthum, gegründet auf communaler und reichsſtän-
diſcher Freiheit; gerechte Autonomie in allen Lebenskreiſen, deren Zweck
nicht der Staat iſt. In der Summe dieſer Forderungen ſah Droyſen, da
er von der Doctrin der Menſchenrechte doch noch nicht ganz loskam, die
königliche Vollfreiheit des ſittlichen Menſchen, und in dieſer — nach Schön’s
bekanntem Ausſpruch — den unerſchütterlichen Pfeiler jedes Thrones. König
Friedrich Wilhelm hatte ſich in die Welt ſeiner ſtändiſchen Gliederung ſchon
ſo tief eingeſponnen, daß er ſelbſt dieſe maßvoll und edel vorgetragenen
Gedanken nicht mehr verwinden konnte. Den erſten Band des Buchs
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/424>, abgerufen am 22.11.2024.
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