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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Adolf Menzel.
daß keine Vignette die Höhe von 12 Centimetern überschreiten dürfe. *)
So konnte er, gleich den Meistern unseres sechzehnten Jahrhunderts, die
glückliche Freiheit des Holzschnittes ausgiebig benutzen und, wie jene, auf
losen Blättern den ganzen Reichthum seiner Gedanken und Erfindungen
entfalten; die dem entschlossenen Realismus immer drohende Gefahr der
Ueberschreitung der Kunstgrenzen war ja in dieser fast schrankenlosen
Darstellungsform nicht zu fürchten, und die Holzschneider Unzelmann,
Vogel, Müller beherrschten die Technik schon so sicher, daß sie jeder
Kühnheit des Zeichners zu folgen vermochten. Die Bilder, mit denen er
Friedrich's philosophische Aufsätze schmückte, verriethen deutlich, daß er selbst
dem königlichen Freigeiste weit näher stand als dem romantischen Nach-
fahren. Weibliche Anmuth und gemüthliche Beschaulichkeit lockten ihn nicht;
sein Gebiet war das Denken und Schaffen der Männer. Durch seinen
Stoff ward er tief in die Formenwelt des Barock- und Rococostils ein-
geführt; er liebte sie ohne je in ihr unterzugehen; und wenn er an den
Eingang der Geschichte Friedrich's das Bild des Schlüter'schen Kurfürsten-
denkmals mit dem alten Schlosse dahinter setzte, so war damit ebenso sehr
ein ästhetischer wie ein historischer Gedanke ausgesprochen. Auch die reiche
Kleinkunst dieser allzu hart gescholtenen Zeit brachte er durch seine Zeich-
nungen zuerst wieder zu Ansehen.

Eine Schule zu bilden liegt nicht in der Neigung solcher starken,
stolzen, durchaus eigenartigen Naturen; aber Menzel's stille, mittelbare
Wirksamkeit war ungeheuer, wenngleich sie sich erst langsam offenbarte.
Als er nachher mit der Tafelrunde von Sanssouci die Reihe seiner
großen Gemälde begann und darauf wieder, wie in seinen frühesten
Jugendarbeiten, mitten hineingriff in das Leben der nächsten Gegen-
wart, da konnte Niemand mehr an seinen Werken vorübergehen; jeder
Künstler sah sich gezwungen einmal in diesen scharfen Spiegel zu schauen
und sich zu fragen, ob er auch selbst noch wahr sei. Also brach für
die deutsche Malerei eine neue Zeit an, reich an Erfolgen, späterhin
auch reich an Verirrungen. Ganz deutsch in seinen Stoffen wie in seinen
Empfindungen errang sich Menzel weit mehr, als es einem der alten
Idealisten je gelungen war, die Bewunderung auch des Auslands; denn
der Drang nach Lebenswahrheit, dem er einen so mächtigen Ausdruck gab,
beherrschte die Gefühle des ganzen Zeitalters.

Dasselbe Jahr, das Menzel's Friedrichsbuch erscheinen sah, brachte
auch der Bildnerkunst eine folgenreiche Entscheidung. Schon seit zwei
Menschenaltern wurde in Berlin der Plan eines Denkmals für den großen
König hin und her erwogen. Tassaert und Schadow, Schinkel und Rauch
hatten in Vorschlägen gewetteifert, in der Mannichfaltigkeit dieser Pläne
spiegelte sich der Wandel der Kunstempfindungen eines suchenden Jahr-

*) Nach einer freundlichen Mittheilung von A. Menzel.

Adolf Menzel.
daß keine Vignette die Höhe von 12 Centimetern überſchreiten dürfe. *)
So konnte er, gleich den Meiſtern unſeres ſechzehnten Jahrhunderts, die
glückliche Freiheit des Holzſchnittes ausgiebig benutzen und, wie jene, auf
loſen Blättern den ganzen Reichthum ſeiner Gedanken und Erfindungen
entfalten; die dem entſchloſſenen Realismus immer drohende Gefahr der
Ueberſchreitung der Kunſtgrenzen war ja in dieſer faſt ſchrankenloſen
Darſtellungsform nicht zu fürchten, und die Holzſchneider Unzelmann,
Vogel, Müller beherrſchten die Technik ſchon ſo ſicher, daß ſie jeder
Kühnheit des Zeichners zu folgen vermochten. Die Bilder, mit denen er
Friedrich’s philoſophiſche Aufſätze ſchmückte, verriethen deutlich, daß er ſelbſt
dem königlichen Freigeiſte weit näher ſtand als dem romantiſchen Nach-
fahren. Weibliche Anmuth und gemüthliche Beſchaulichkeit lockten ihn nicht;
ſein Gebiet war das Denken und Schaffen der Männer. Durch ſeinen
Stoff ward er tief in die Formenwelt des Barock- und Rococoſtils ein-
geführt; er liebte ſie ohne je in ihr unterzugehen; und wenn er an den
Eingang der Geſchichte Friedrich’s das Bild des Schlüter’ſchen Kurfürſten-
denkmals mit dem alten Schloſſe dahinter ſetzte, ſo war damit ebenſo ſehr
ein äſthetiſcher wie ein hiſtoriſcher Gedanke ausgeſprochen. Auch die reiche
Kleinkunſt dieſer allzu hart geſcholtenen Zeit brachte er durch ſeine Zeich-
nungen zuerſt wieder zu Anſehen.

Eine Schule zu bilden liegt nicht in der Neigung ſolcher ſtarken,
ſtolzen, durchaus eigenartigen Naturen; aber Menzel’s ſtille, mittelbare
Wirkſamkeit war ungeheuer, wenngleich ſie ſich erſt langſam offenbarte.
Als er nachher mit der Tafelrunde von Sansſouci die Reihe ſeiner
großen Gemälde begann und darauf wieder, wie in ſeinen früheſten
Jugendarbeiten, mitten hineingriff in das Leben der nächſten Gegen-
wart, da konnte Niemand mehr an ſeinen Werken vorübergehen; jeder
Künſtler ſah ſich gezwungen einmal in dieſen ſcharfen Spiegel zu ſchauen
und ſich zu fragen, ob er auch ſelbſt noch wahr ſei. Alſo brach für
die deutſche Malerei eine neue Zeit an, reich an Erfolgen, ſpäterhin
auch reich an Verirrungen. Ganz deutſch in ſeinen Stoffen wie in ſeinen
Empfindungen errang ſich Menzel weit mehr, als es einem der alten
Idealiſten je gelungen war, die Bewunderung auch des Auslands; denn
der Drang nach Lebenswahrheit, dem er einen ſo mächtigen Ausdruck gab,
beherrſchte die Gefühle des ganzen Zeitalters.

Daſſelbe Jahr, das Menzel’s Friedrichsbuch erſcheinen ſah, brachte
auch der Bildnerkunſt eine folgenreiche Entſcheidung. Schon ſeit zwei
Menſchenaltern wurde in Berlin der Plan eines Denkmals für den großen
König hin und her erwogen. Taſſaert und Schadow, Schinkel und Rauch
hatten in Vorſchlägen gewetteifert, in der Mannichfaltigkeit dieſer Pläne
ſpiegelte ſich der Wandel der Kunſtempfindungen eines ſuchenden Jahr-

*) Nach einer freundlichen Mittheilung von A. Menzel.
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[405/0419] Adolf Menzel. daß keine Vignette die Höhe von 12 Centimetern überſchreiten dürfe. *) So konnte er, gleich den Meiſtern unſeres ſechzehnten Jahrhunderts, die glückliche Freiheit des Holzſchnittes ausgiebig benutzen und, wie jene, auf loſen Blättern den ganzen Reichthum ſeiner Gedanken und Erfindungen entfalten; die dem entſchloſſenen Realismus immer drohende Gefahr der Ueberſchreitung der Kunſtgrenzen war ja in dieſer faſt ſchrankenloſen Darſtellungsform nicht zu fürchten, und die Holzſchneider Unzelmann, Vogel, Müller beherrſchten die Technik ſchon ſo ſicher, daß ſie jeder Kühnheit des Zeichners zu folgen vermochten. Die Bilder, mit denen er Friedrich’s philoſophiſche Aufſätze ſchmückte, verriethen deutlich, daß er ſelbſt dem königlichen Freigeiſte weit näher ſtand als dem romantiſchen Nach- fahren. Weibliche Anmuth und gemüthliche Beſchaulichkeit lockten ihn nicht; ſein Gebiet war das Denken und Schaffen der Männer. Durch ſeinen Stoff ward er tief in die Formenwelt des Barock- und Rococoſtils ein- geführt; er liebte ſie ohne je in ihr unterzugehen; und wenn er an den Eingang der Geſchichte Friedrich’s das Bild des Schlüter’ſchen Kurfürſten- denkmals mit dem alten Schloſſe dahinter ſetzte, ſo war damit ebenſo ſehr ein äſthetiſcher wie ein hiſtoriſcher Gedanke ausgeſprochen. Auch die reiche Kleinkunſt dieſer allzu hart geſcholtenen Zeit brachte er durch ſeine Zeich- nungen zuerſt wieder zu Anſehen. Eine Schule zu bilden liegt nicht in der Neigung ſolcher ſtarken, ſtolzen, durchaus eigenartigen Naturen; aber Menzel’s ſtille, mittelbare Wirkſamkeit war ungeheuer, wenngleich ſie ſich erſt langſam offenbarte. Als er nachher mit der Tafelrunde von Sansſouci die Reihe ſeiner großen Gemälde begann und darauf wieder, wie in ſeinen früheſten Jugendarbeiten, mitten hineingriff in das Leben der nächſten Gegen- wart, da konnte Niemand mehr an ſeinen Werken vorübergehen; jeder Künſtler ſah ſich gezwungen einmal in dieſen ſcharfen Spiegel zu ſchauen und ſich zu fragen, ob er auch ſelbſt noch wahr ſei. Alſo brach für die deutſche Malerei eine neue Zeit an, reich an Erfolgen, ſpäterhin auch reich an Verirrungen. Ganz deutſch in ſeinen Stoffen wie in ſeinen Empfindungen errang ſich Menzel weit mehr, als es einem der alten Idealiſten je gelungen war, die Bewunderung auch des Auslands; denn der Drang nach Lebenswahrheit, dem er einen ſo mächtigen Ausdruck gab, beherrſchte die Gefühle des ganzen Zeitalters. Daſſelbe Jahr, das Menzel’s Friedrichsbuch erſcheinen ſah, brachte auch der Bildnerkunſt eine folgenreiche Entſcheidung. Schon ſeit zwei Menſchenaltern wurde in Berlin der Plan eines Denkmals für den großen König hin und her erwogen. Taſſaert und Schadow, Schinkel und Rauch hatten in Vorſchlägen gewetteifert, in der Mannichfaltigkeit dieſer Pläne ſpiegelte ſich der Wandel der Kunſtempfindungen eines ſuchenden Jahr- *) Nach einer freundlichen Mittheilung von A. Menzel.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 405. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/419>, abgerufen am 22.11.2024.