sich dies ganz aus der Fülle geschichtlichen Lebens heraus empfundene, in seiner Art meisterhafte Gedicht mit einigen schnöden Bemerkungen über altromantischen Höllenspuk abzuthun.
Ganz grundlos war dieser ungerechte Tadel nicht. Die Gegenwart besaß doch schon zu viel eigenes Leben, sie verlangte mit Recht, ihre eigenen Empfindungen auch in der Schilderung einer fremden abenteuerlichen Welt wiederzufinden. Darum vornehmlich hatten Walter Scott's historische Romane, die Allen verständlichen, in Deutschland eine so ungeheuere Ver- breitung gefunden, obgleich Tieck und die anderen Romantiker den größten Erzähler des Jahrhunderts kaum zu den Dichtern rechnen wollten. Unter Scott's zahlreichen Nachahmern waren manche Unterhaltungsschriftsteller gewöhnlichen Schlages, aber auch der geistreiche Schwabe Rehfues, dessen Roman Scipio Scicala den dumpfen Druck der spanischen Herrschaft in Neapel, das wilde Renegatenthum der spanisch-türkischen Seekriege, die gräßliche Entartung des südländischen Priesterlebens so treu und lebendig schilderte, daß die Clerisei des Rheinlands für nöthig hielt den freimüthigen Dichter aus Bonn zu entfernen.*)
Sie Alle überragte Wilibald Alexis, ein in Berlin längst heimischer Schlesier aus hugenottischem Stamme. Er faßte sich das Herz, mit Scott selbst zu wetteifern, den historischen Roman, so wie es dem Schotten in seiner Heimath gelungen war, zum modernen National- epos zu erheben. Die Freude am Erzählen hatte er von den schle- sischen und französischen Altvordern geerbt; einem bewegten Geschäftsleben verdankte er eine reiche Menschenkenntniß. Schon 1832, lange bevor die Historiker sich des gewaltigen Stoffes ernstlich bemächtigt hatten, wagte er sich in dem Roman Cabanis an das fridericianische Zeitalter; und nicht blos der schon von Lessing geschilderte Gegensatz kursächsischer Feinheit und preußischer Schroffheit, auch die vielen anderen tragischen Gegensätze jener großen Tage, die engherzige Haustyrannei des Berliner Kleinbürgerthums und die freie Heldengröße des Königs, die eiserne Mannszucht des Heeres und die windigen Ränke abenteuernder Diplo- maten erschienen hier lebendig ausgestaltet in Menschen von kräftiger Eigen- art. Dann folgten Romane aus den askanischen und den ersten hohen- zollernschen Zeiten, aus den Tagen, da die Reformation in die Marken ein- zog, endlich aus dem Zeitalter der Fremdherrschaft. Ueberall echt märkische Charaktere, knapp und scharf, treu und tapfer, nicht ganz so übermäßig sitt- sam wie die meisten Helden Scott's, Kerneichengewächs, aus dem sich wohl das Holz zu einer Großmacht schnitzen ließ. Und wie köstlich war die seit den Kräutersalat-Versen des guten Schmidt von Werneuchen und dem Spotte Goethe's so viel verhöhnte märkische Landschaft verklärt: die im Abend- lichte glühenden rothen Kiefernstämme, das mittägliche Schweigen der
*) S. o. V. 296.
V. 5. Realismus in Kunſt und Wiſſenſchaft.
ſich dies ganz aus der Fülle geſchichtlichen Lebens heraus empfundene, in ſeiner Art meiſterhafte Gedicht mit einigen ſchnöden Bemerkungen über altromantiſchen Höllenſpuk abzuthun.
Ganz grundlos war dieſer ungerechte Tadel nicht. Die Gegenwart beſaß doch ſchon zu viel eigenes Leben, ſie verlangte mit Recht, ihre eigenen Empfindungen auch in der Schilderung einer fremden abenteuerlichen Welt wiederzufinden. Darum vornehmlich hatten Walter Scott’s hiſtoriſche Romane, die Allen verſtändlichen, in Deutſchland eine ſo ungeheuere Ver- breitung gefunden, obgleich Tieck und die anderen Romantiker den größten Erzähler des Jahrhunderts kaum zu den Dichtern rechnen wollten. Unter Scott’s zahlreichen Nachahmern waren manche Unterhaltungsſchriftſteller gewöhnlichen Schlages, aber auch der geiſtreiche Schwabe Rehfues, deſſen Roman Scipio Scicala den dumpfen Druck der ſpaniſchen Herrſchaft in Neapel, das wilde Renegatenthum der ſpaniſch-türkiſchen Seekriege, die gräßliche Entartung des ſüdländiſchen Prieſterlebens ſo treu und lebendig ſchilderte, daß die Cleriſei des Rheinlands für nöthig hielt den freimüthigen Dichter aus Bonn zu entfernen.*)
Sie Alle überragte Wilibald Alexis, ein in Berlin längſt heimiſcher Schleſier aus hugenottiſchem Stamme. Er faßte ſich das Herz, mit Scott ſelbſt zu wetteifern, den hiſtoriſchen Roman, ſo wie es dem Schotten in ſeiner Heimath gelungen war, zum modernen National- epos zu erheben. Die Freude am Erzählen hatte er von den ſchle- ſiſchen und franzöſiſchen Altvordern geerbt; einem bewegten Geſchäftsleben verdankte er eine reiche Menſchenkenntniß. Schon 1832, lange bevor die Hiſtoriker ſich des gewaltigen Stoffes ernſtlich bemächtigt hatten, wagte er ſich in dem Roman Cabanis an das fridericianiſche Zeitalter; und nicht blos der ſchon von Leſſing geſchilderte Gegenſatz kurſächſiſcher Feinheit und preußiſcher Schroffheit, auch die vielen anderen tragiſchen Gegenſätze jener großen Tage, die engherzige Haustyrannei des Berliner Kleinbürgerthums und die freie Heldengröße des Königs, die eiſerne Mannszucht des Heeres und die windigen Ränke abenteuernder Diplo- maten erſchienen hier lebendig ausgeſtaltet in Menſchen von kräftiger Eigen- art. Dann folgten Romane aus den askaniſchen und den erſten hohen- zollernſchen Zeiten, aus den Tagen, da die Reformation in die Marken ein- zog, endlich aus dem Zeitalter der Fremdherrſchaft. Ueberall echt märkiſche Charaktere, knapp und ſcharf, treu und tapfer, nicht ganz ſo übermäßig ſitt- ſam wie die meiſten Helden Scott’s, Kerneichengewächs, aus dem ſich wohl das Holz zu einer Großmacht ſchnitzen ließ. Und wie köſtlich war die ſeit den Kräuterſalat-Verſen des guten Schmidt von Werneuchen und dem Spotte Goethe’s ſo viel verhöhnte märkiſche Landſchaft verklärt: die im Abend- lichte glühenden rothen Kiefernſtämme, das mittägliche Schweigen der
*) S. o. V. 296.
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V. 5. Realismus in Kunſt und Wiſſenſchaft.
ſich dies ganz aus der Fülle geſchichtlichen Lebens heraus empfundene,
in ſeiner Art meiſterhafte Gedicht mit einigen ſchnöden Bemerkungen über
altromantiſchen Höllenſpuk abzuthun.
Ganz grundlos war dieſer ungerechte Tadel nicht. Die Gegenwart
beſaß doch ſchon zu viel eigenes Leben, ſie verlangte mit Recht, ihre eigenen
Empfindungen auch in der Schilderung einer fremden abenteuerlichen Welt
wiederzufinden. Darum vornehmlich hatten Walter Scott’s hiſtoriſche
Romane, die Allen verſtändlichen, in Deutſchland eine ſo ungeheuere Ver-
breitung gefunden, obgleich Tieck und die anderen Romantiker den größten
Erzähler des Jahrhunderts kaum zu den Dichtern rechnen wollten. Unter
Scott’s zahlreichen Nachahmern waren manche Unterhaltungsſchriftſteller
gewöhnlichen Schlages, aber auch der geiſtreiche Schwabe Rehfues, deſſen
Roman Scipio Scicala den dumpfen Druck der ſpaniſchen Herrſchaft in
Neapel, das wilde Renegatenthum der ſpaniſch-türkiſchen Seekriege, die
gräßliche Entartung des ſüdländiſchen Prieſterlebens ſo treu und lebendig
ſchilderte, daß die Cleriſei des Rheinlands für nöthig hielt den freimüthigen
Dichter aus Bonn zu entfernen. *)
Sie Alle überragte Wilibald Alexis, ein in Berlin längſt heimiſcher
Schleſier aus hugenottiſchem Stamme. Er faßte ſich das Herz, mit
Scott ſelbſt zu wetteifern, den hiſtoriſchen Roman, ſo wie es dem
Schotten in ſeiner Heimath gelungen war, zum modernen National-
epos zu erheben. Die Freude am Erzählen hatte er von den ſchle-
ſiſchen und franzöſiſchen Altvordern geerbt; einem bewegten Geſchäftsleben
verdankte er eine reiche Menſchenkenntniß. Schon 1832, lange bevor
die Hiſtoriker ſich des gewaltigen Stoffes ernſtlich bemächtigt hatten,
wagte er ſich in dem Roman Cabanis an das fridericianiſche Zeitalter;
und nicht blos der ſchon von Leſſing geſchilderte Gegenſatz kurſächſiſcher
Feinheit und preußiſcher Schroffheit, auch die vielen anderen tragiſchen
Gegenſätze jener großen Tage, die engherzige Haustyrannei des Berliner
Kleinbürgerthums und die freie Heldengröße des Königs, die eiſerne
Mannszucht des Heeres und die windigen Ränke abenteuernder Diplo-
maten erſchienen hier lebendig ausgeſtaltet in Menſchen von kräftiger Eigen-
art. Dann folgten Romane aus den askaniſchen und den erſten hohen-
zollernſchen Zeiten, aus den Tagen, da die Reformation in die Marken ein-
zog, endlich aus dem Zeitalter der Fremdherrſchaft. Ueberall echt märkiſche
Charaktere, knapp und ſcharf, treu und tapfer, nicht ganz ſo übermäßig ſitt-
ſam wie die meiſten Helden Scott’s, Kerneichengewächs, aus dem ſich wohl
das Holz zu einer Großmacht ſchnitzen ließ. Und wie köſtlich war die ſeit den
Kräuterſalat-Verſen des guten Schmidt von Werneuchen und dem Spotte
Goethe’s ſo viel verhöhnte märkiſche Landſchaft verklärt: die im Abend-
lichte glühenden rothen Kiefernſtämme, das mittägliche Schweigen der
*) S. o. V. 296.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/398>, abgerufen am 22.11.2024.
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