das leichte gereimte Versmaß mit seinen scheinbar kunstlosen und doch dem Genius unserer Sprache fein abgelauschten Hebungen und Senkungen gab dem Wintermärchen einen frechen Schwung, der den Künsteleien des Atta Troll fehlte; die alte Sprachgewalt war dem Dichter auch jetzt noch geblieben, und in Paris wollte man sein Französisch nie recht gelten lassen, denn wer einer Sprache gänzlich Meister ist kann eine zweite fast niemals völlig beherrschen. Um den Besuch des alten Vaterlandes würdig abzu- schließen fragte Heine zum Abschied nach der Zukunft Deutschlands und erblickte ihr Bild -- im Nachtstuhle Karl's des Großen: "es war als fegte man den Mist aus sechsunddreißig Gruben!" Grade dies Gedicht, eines der geistreichsten und eigenthümlichsten aus Heine's Feder, mußte den Deutschen zeigen was sie von diesem Juden trennte. Die arischen Völker haben ihren Thersites, ihren Loki; einen Ham, der seines Vaters Scham entblößt, kennen nur die Sagen der Orientalen.
Daß ein englischer, ein französischer oder italienischer Jude sich je erfrecht hätte sein Geburtsland dermaßen mit Unflath zu bewerfen, war schlechthin undenkbar. Der deutsche Nationalstolz aber, unfertig wie er war, bald überreizbar, bald stumpf, ertrug auch dies. Derweil die ernsten Männer sich angeekelt abwendeten, behielt Heine unter der radicalen Jugend noch immer Verehrer, und bald wagte er in seinen "Zeitgedichten" jene Schmutzereien noch zu überbieten. Ueber dem stinkenden Sumpfe der "Lobgesänge auf König Ludwig von Baiern" erglänzte noch dann und wann das Irrlicht eines schlechten Witzes; doch den Spottliedern auf Preußen und sein Herrscherhaus fehlte jeder Hauch künstlerischer An- muth, feinen Scherzes; hier erklang nur noch das "steiniget ihn, kreu- ziget ihn", das blödsinnige Wuthgeheul jüdischen Hasses. "Ihr sollt es ersäufen oder verbrennen", so sprach er über Preußen, den Wechsel- balg, das Ungethüm, unter einem Aufwande sodomitischer Bilder, wie sie nur seiner unreinen Phantasie entsteigen konnten. Und wieder unter sodomitischen Schmutzreden schilderte er die Hohenzollern, das Geschlecht Friedrich's des Großen, also:
Das Brutale in der Rede; Das Gelächter ein Gewieh'r; Stallgedanken, und das öde Fressen -- jeder Zoll ein Thier!
Nicht lange nachher verfiel er einer schrecklichen Krankheit, die ihn bis zum Tode an das Bett fesselte. Er ertrug sie standhaft -- allerdings nicht ohne der Welt die Qualen seiner "Matratzengruft" mit orientalischem Marktgeschrei zu verkündigen -- und blieb der Alte, ein Dichter, der Schön- heit ebenso mächtig wie der Niedertracht. Sein letzter Ausgang, bevor er für immer der freien Luft entsagen mußte, führte ihn in den Louvre, zu der Stelle, wo das Standbild der Venus von Melos leuchtend aus der rothen Wand heraustritt. Dort vor dem Bilde der Göttin, die ihm
Atta Troll. Wintermärchen. Zeitgedichte.
das leichte gereimte Versmaß mit ſeinen ſcheinbar kunſtloſen und doch dem Genius unſerer Sprache fein abgelauſchten Hebungen und Senkungen gab dem Wintermärchen einen frechen Schwung, der den Künſteleien des Atta Troll fehlte; die alte Sprachgewalt war dem Dichter auch jetzt noch geblieben, und in Paris wollte man ſein Franzöſiſch nie recht gelten laſſen, denn wer einer Sprache gänzlich Meiſter iſt kann eine zweite faſt niemals völlig beherrſchen. Um den Beſuch des alten Vaterlandes würdig abzu- ſchließen fragte Heine zum Abſchied nach der Zukunft Deutſchlands und erblickte ihr Bild — im Nachtſtuhle Karl’s des Großen: „es war als fegte man den Miſt aus ſechsunddreißig Gruben!“ Grade dies Gedicht, eines der geiſtreichſten und eigenthümlichſten aus Heine’s Feder, mußte den Deutſchen zeigen was ſie von dieſem Juden trennte. Die ariſchen Völker haben ihren Therſites, ihren Loki; einen Ham, der ſeines Vaters Scham entblößt, kennen nur die Sagen der Orientalen.
Daß ein engliſcher, ein franzöſiſcher oder italieniſcher Jude ſich je erfrecht hätte ſein Geburtsland dermaßen mit Unflath zu bewerfen, war ſchlechthin undenkbar. Der deutſche Nationalſtolz aber, unfertig wie er war, bald überreizbar, bald ſtumpf, ertrug auch dies. Derweil die ernſten Männer ſich angeekelt abwendeten, behielt Heine unter der radicalen Jugend noch immer Verehrer, und bald wagte er in ſeinen „Zeitgedichten“ jene Schmutzereien noch zu überbieten. Ueber dem ſtinkenden Sumpfe der „Lobgeſänge auf König Ludwig von Baiern“ erglänzte noch dann und wann das Irrlicht eines ſchlechten Witzes; doch den Spottliedern auf Preußen und ſein Herrſcherhaus fehlte jeder Hauch künſtleriſcher An- muth, feinen Scherzes; hier erklang nur noch das „ſteiniget ihn, kreu- ziget ihn“, das blödſinnige Wuthgeheul jüdiſchen Haſſes. „Ihr ſollt es erſäufen oder verbrennen“, ſo ſprach er über Preußen, den Wechſel- balg, das Ungethüm, unter einem Aufwande ſodomitiſcher Bilder, wie ſie nur ſeiner unreinen Phantaſie entſteigen konnten. Und wieder unter ſodomitiſchen Schmutzreden ſchilderte er die Hohenzollern, das Geſchlecht Friedrich’s des Großen, alſo:
Das Brutale in der Rede; Das Gelächter ein Gewieh’r; Stallgedanken, und das öde Freſſen — jeder Zoll ein Thier!
Nicht lange nachher verfiel er einer ſchrecklichen Krankheit, die ihn bis zum Tode an das Bett feſſelte. Er ertrug ſie ſtandhaft — allerdings nicht ohne der Welt die Qualen ſeiner „Matratzengruft“ mit orientaliſchem Marktgeſchrei zu verkündigen — und blieb der Alte, ein Dichter, der Schön- heit ebenſo mächtig wie der Niedertracht. Sein letzter Ausgang, bevor er für immer der freien Luft entſagen mußte, führte ihn in den Louvre, zu der Stelle, wo das Standbild der Venus von Melos leuchtend aus der rothen Wand heraustritt. Dort vor dem Bilde der Göttin, die ihm
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Atta Troll. Wintermärchen. Zeitgedichte.
das leichte gereimte Versmaß mit ſeinen ſcheinbar kunſtloſen und doch dem
Genius unſerer Sprache fein abgelauſchten Hebungen und Senkungen
gab dem Wintermärchen einen frechen Schwung, der den Künſteleien des
Atta Troll fehlte; die alte Sprachgewalt war dem Dichter auch jetzt noch
geblieben, und in Paris wollte man ſein Franzöſiſch nie recht gelten laſſen,
denn wer einer Sprache gänzlich Meiſter iſt kann eine zweite faſt niemals
völlig beherrſchen. Um den Beſuch des alten Vaterlandes würdig abzu-
ſchließen fragte Heine zum Abſchied nach der Zukunft Deutſchlands und
erblickte ihr Bild — im Nachtſtuhle Karl’s des Großen: „es war als fegte
man den Miſt aus ſechsunddreißig Gruben!“ Grade dies Gedicht, eines
der geiſtreichſten und eigenthümlichſten aus Heine’s Feder, mußte den
Deutſchen zeigen was ſie von dieſem Juden trennte. Die ariſchen Völker
haben ihren Therſites, ihren Loki; einen Ham, der ſeines Vaters Scham
entblößt, kennen nur die Sagen der Orientalen.
Daß ein engliſcher, ein franzöſiſcher oder italieniſcher Jude ſich je
erfrecht hätte ſein Geburtsland dermaßen mit Unflath zu bewerfen, war
ſchlechthin undenkbar. Der deutſche Nationalſtolz aber, unfertig wie er
war, bald überreizbar, bald ſtumpf, ertrug auch dies. Derweil die ernſten
Männer ſich angeekelt abwendeten, behielt Heine unter der radicalen
Jugend noch immer Verehrer, und bald wagte er in ſeinen „Zeitgedichten“
jene Schmutzereien noch zu überbieten. Ueber dem ſtinkenden Sumpfe
der „Lobgeſänge auf König Ludwig von Baiern“ erglänzte noch dann
und wann das Irrlicht eines ſchlechten Witzes; doch den Spottliedern auf
Preußen und ſein Herrſcherhaus fehlte jeder Hauch künſtleriſcher An-
muth, feinen Scherzes; hier erklang nur noch das „ſteiniget ihn, kreu-
ziget ihn“, das blödſinnige Wuthgeheul jüdiſchen Haſſes. „Ihr ſollt es
erſäufen oder verbrennen“, ſo ſprach er über Preußen, den Wechſel-
balg, das Ungethüm, unter einem Aufwande ſodomitiſcher Bilder, wie ſie
nur ſeiner unreinen Phantaſie entſteigen konnten. Und wieder unter
ſodomitiſchen Schmutzreden ſchilderte er die Hohenzollern, das Geſchlecht
Friedrich’s des Großen, alſo:
Das Brutale in der Rede;
Das Gelächter ein Gewieh’r;
Stallgedanken, und das öde
Freſſen — jeder Zoll ein Thier!
Nicht lange nachher verfiel er einer ſchrecklichen Krankheit, die ihn bis zum
Tode an das Bett feſſelte. Er ertrug ſie ſtandhaft — allerdings nicht
ohne der Welt die Qualen ſeiner „Matratzengruft“ mit orientaliſchem
Marktgeſchrei zu verkündigen — und blieb der Alte, ein Dichter, der Schön-
heit ebenſo mächtig wie der Niedertracht. Sein letzter Ausgang, bevor
er für immer der freien Luft entſagen mußte, führte ihn in den Louvre,
zu der Stelle, wo das Standbild der Venus von Melos leuchtend aus
der rothen Wand heraustritt. Dort vor dem Bilde der Göttin, die ihm
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/395>, abgerufen am 25.11.2024.
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