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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Das Religions-Patent.
zösischen Sinne, wohl aber der Erklärung einer legitimen Ehe vor dem
Richter." Eifrig kam er auf diese Idee einer "Quasi-Civilehe" zurück, nur
sollte sie mit den Institutionen des "revolutionären Frankreichs" schlechter-
dings nichts gemein haben.*) Bald zeigte sich aber, daß er über solche
Dinge weit freier dachte, als die Mehrzahl seiner Räthe; darum beschloß
er die große Prinzipienfrage der bürgerlichen Eheschließung vorläufig ruhen
zu lassen und zunächst nur für die Trauungen der Dissidenten mildere
Vorschriften zu geben. Auch dabei stieß er auf lebhaften Widerspruch.
Mehrere der Minister fanden die Pläne des Monarchen von Haus aus
viel zu weitherzig; Hofprediger Snethlage, ein gläubiger, keineswegs fana-
tischer Westphale, der sich bald des Königs persönliches Vertrauen gewann,
verlangte zum mindesten, daß die bürgerliche Eheschließung der kirch-
lichen Einsegnung der Dissidenten immer vorangehen müßte, damit der
christliche Staat nicht in die Lage käme, die Ceremonien der Sektirer
mittelbar anzuerkennen.

Nach sehr weitläufigen Verhandlungen einigte man sich dahin, daß
die Brautleute der geduldeten Sekten zunächst gerichtlich aufgeboten, dann
nach dem Brauche ihrer Sekte eingesegnet werden und schließlich durch die
Eintragung in die Register der Gerichte die bürgerliche Anerkennung ihrer
Ehe erlangen sollten.**) Im Uebrigen schloß sich der von Eichhorn vor-
gelegte Entwurf des Religionspatentes eng an die Vorschriften des All-
gemeinen Landrechts an.***) Gleichwohl erschien er manchen Orthodoxen wie
eine gefährliche Neuerung. Präsident Gerlach widersprach im Staatsrathe
entschieden -- denn "man darf nicht Alles was sich Kirche und Trauung
nennt, auch als solche unbesehens gelten lassen" -- und beschwor noch im
letzten Augenblicke seinen königlichen Freund flehentlich, dies unselige,
die Abtrünnigkeit fördernde Gesetz nicht zu veröffentlichen.+) Der König
blieb standhaft. Am 30. März 1847 wurde das Patent über die Bildung
neuer Religionsgesellschaften unterzeichnet, das allen Ausgetretenen den
Genuß der bürgerlichen Rechte und Ehren zusicherte, sobald ihre neue Re-
ligionsgemeinschaft vom Staate genehmigt würde. Solche Sekten, welche
sich mit einer der beiden großen Religionsparteien des Westphälischen
Friedens "in wesentlicher Uebereinstimmung befänden", sollten, gleich den
Altlutheranern, befugt sein ihre Amtshandlungen mit voller rechtlicher
Wirkung vorzunehmen; andere Sekten wurden nur geduldet und mußten
sich den neuen Vorschriften über die Quasi-Civilehe unterwerfen.


*) König Friedrich Wilhelm an Bunsen, 16. Jan., 10. 12. Febr. 1847.
**) Thile's Bericht, 15. Juli 1845. König Friedrich Wilhelm an Thile, 13. Dec.;
Protokoll der Ministerconferenz 13. Dec.; Snethlage an Thile, 14. 16. Dec.; Thile's
Antwort, 16. Dec. 1846.
***) Eichhorn, Motive und Denkschrift zum Religionspatente, 15. Juli, 14. Dec. 1845.
+) Ludwig v. Gerlach an König Friedrich Wilhelm, 14. Dec. 1846, 23. Febr.,
30. März 1847. Ministerialprotokoll 20. Dec. 1846.

Das Religions-Patent.
zöſiſchen Sinne, wohl aber der Erklärung einer legitimen Ehe vor dem
Richter.“ Eifrig kam er auf dieſe Idee einer „Quaſi-Civilehe“ zurück, nur
ſollte ſie mit den Inſtitutionen des „revolutionären Frankreichs“ ſchlechter-
dings nichts gemein haben.*) Bald zeigte ſich aber, daß er über ſolche
Dinge weit freier dachte, als die Mehrzahl ſeiner Räthe; darum beſchloß
er die große Prinzipienfrage der bürgerlichen Eheſchließung vorläufig ruhen
zu laſſen und zunächſt nur für die Trauungen der Diſſidenten mildere
Vorſchriften zu geben. Auch dabei ſtieß er auf lebhaften Widerſpruch.
Mehrere der Miniſter fanden die Pläne des Monarchen von Haus aus
viel zu weitherzig; Hofprediger Snethlage, ein gläubiger, keineswegs fana-
tiſcher Weſtphale, der ſich bald des Königs perſönliches Vertrauen gewann,
verlangte zum mindeſten, daß die bürgerliche Eheſchließung der kirch-
lichen Einſegnung der Diſſidenten immer vorangehen müßte, damit der
chriſtliche Staat nicht in die Lage käme, die Ceremonien der Sektirer
mittelbar anzuerkennen.

Nach ſehr weitläufigen Verhandlungen einigte man ſich dahin, daß
die Brautleute der geduldeten Sekten zunächſt gerichtlich aufgeboten, dann
nach dem Brauche ihrer Sekte eingeſegnet werden und ſchließlich durch die
Eintragung in die Regiſter der Gerichte die bürgerliche Anerkennung ihrer
Ehe erlangen ſollten.**) Im Uebrigen ſchloß ſich der von Eichhorn vor-
gelegte Entwurf des Religionspatentes eng an die Vorſchriften des All-
gemeinen Landrechts an.***) Gleichwohl erſchien er manchen Orthodoxen wie
eine gefährliche Neuerung. Präſident Gerlach widerſprach im Staatsrathe
entſchieden — denn „man darf nicht Alles was ſich Kirche und Trauung
nennt, auch als ſolche unbeſehens gelten laſſen“ — und beſchwor noch im
letzten Augenblicke ſeinen königlichen Freund flehentlich, dies unſelige,
die Abtrünnigkeit fördernde Geſetz nicht zu veröffentlichen.†) Der König
blieb ſtandhaft. Am 30. März 1847 wurde das Patent über die Bildung
neuer Religionsgeſellſchaften unterzeichnet, das allen Ausgetretenen den
Genuß der bürgerlichen Rechte und Ehren zuſicherte, ſobald ihre neue Re-
ligionsgemeinſchaft vom Staate genehmigt würde. Solche Sekten, welche
ſich mit einer der beiden großen Religionsparteien des Weſtphäliſchen
Friedens „in weſentlicher Uebereinſtimmung befänden“, ſollten, gleich den
Altlutheranern, befugt ſein ihre Amtshandlungen mit voller rechtlicher
Wirkung vorzunehmen; andere Sekten wurden nur geduldet und mußten
ſich den neuen Vorſchriften über die Quaſi-Civilehe unterwerfen.


*) König Friedrich Wilhelm an Bunſen, 16. Jan., 10. 12. Febr. 1847.
**) Thile’s Bericht, 15. Juli 1845. König Friedrich Wilhelm an Thile, 13. Dec.;
Protokoll der Miniſterconferenz 13. Dec.; Snethlage an Thile, 14. 16. Dec.; Thile’s
Antwort, 16. Dec. 1846.
***) Eichhorn, Motive und Denkſchrift zum Religionspatente, 15. Juli, 14. Dec. 1845.
†) Ludwig v. Gerlach an König Friedrich Wilhelm, 14. Dec. 1846, 23. Febr.,
30. März 1847. Miniſterialprotokoll 20. Dec. 1846.
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[359/0373] Das Religions-Patent. zöſiſchen Sinne, wohl aber der Erklärung einer legitimen Ehe vor dem Richter.“ Eifrig kam er auf dieſe Idee einer „Quaſi-Civilehe“ zurück, nur ſollte ſie mit den Inſtitutionen des „revolutionären Frankreichs“ ſchlechter- dings nichts gemein haben. *) Bald zeigte ſich aber, daß er über ſolche Dinge weit freier dachte, als die Mehrzahl ſeiner Räthe; darum beſchloß er die große Prinzipienfrage der bürgerlichen Eheſchließung vorläufig ruhen zu laſſen und zunächſt nur für die Trauungen der Diſſidenten mildere Vorſchriften zu geben. Auch dabei ſtieß er auf lebhaften Widerſpruch. Mehrere der Miniſter fanden die Pläne des Monarchen von Haus aus viel zu weitherzig; Hofprediger Snethlage, ein gläubiger, keineswegs fana- tiſcher Weſtphale, der ſich bald des Königs perſönliches Vertrauen gewann, verlangte zum mindeſten, daß die bürgerliche Eheſchließung der kirch- lichen Einſegnung der Diſſidenten immer vorangehen müßte, damit der chriſtliche Staat nicht in die Lage käme, die Ceremonien der Sektirer mittelbar anzuerkennen. Nach ſehr weitläufigen Verhandlungen einigte man ſich dahin, daß die Brautleute der geduldeten Sekten zunächſt gerichtlich aufgeboten, dann nach dem Brauche ihrer Sekte eingeſegnet werden und ſchließlich durch die Eintragung in die Regiſter der Gerichte die bürgerliche Anerkennung ihrer Ehe erlangen ſollten. **) Im Uebrigen ſchloß ſich der von Eichhorn vor- gelegte Entwurf des Religionspatentes eng an die Vorſchriften des All- gemeinen Landrechts an. ***) Gleichwohl erſchien er manchen Orthodoxen wie eine gefährliche Neuerung. Präſident Gerlach widerſprach im Staatsrathe entſchieden — denn „man darf nicht Alles was ſich Kirche und Trauung nennt, auch als ſolche unbeſehens gelten laſſen“ — und beſchwor noch im letzten Augenblicke ſeinen königlichen Freund flehentlich, dies unſelige, die Abtrünnigkeit fördernde Geſetz nicht zu veröffentlichen. †) Der König blieb ſtandhaft. Am 30. März 1847 wurde das Patent über die Bildung neuer Religionsgeſellſchaften unterzeichnet, das allen Ausgetretenen den Genuß der bürgerlichen Rechte und Ehren zuſicherte, ſobald ihre neue Re- ligionsgemeinſchaft vom Staate genehmigt würde. Solche Sekten, welche ſich mit einer der beiden großen Religionsparteien des Weſtphäliſchen Friedens „in weſentlicher Uebereinſtimmung befänden“, ſollten, gleich den Altlutheranern, befugt ſein ihre Amtshandlungen mit voller rechtlicher Wirkung vorzunehmen; andere Sekten wurden nur geduldet und mußten ſich den neuen Vorſchriften über die Quaſi-Civilehe unterwerfen. *) König Friedrich Wilhelm an Bunſen, 16. Jan., 10. 12. Febr. 1847. **) Thile’s Bericht, 15. Juli 1845. König Friedrich Wilhelm an Thile, 13. Dec.; Protokoll der Miniſterconferenz 13. Dec.; Snethlage an Thile, 14. 16. Dec.; Thile’s Antwort, 16. Dec. 1846. ***) Eichhorn, Motive und Denkſchrift zum Religionspatente, 15. Juli, 14. Dec. 1845. †) Ludwig v. Gerlach an König Friedrich Wilhelm, 14. Dec. 1846, 23. Febr., 30. März 1847. Miniſterialprotokoll 20. Dec. 1846.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/373>, abgerufen am 25.11.2024.