sagte er kurzab, hat eine Sühne nur zu geben, nicht zu fordern; und noch hochmüthiger ermahnte nachher im Landtage Minister Falkenstein die Leipziger, sie sollten in sich gehen und sich wiederfinden. Die Be- kanntmachung über die Ergebnisse der commissarischen Voruntersuchung erschien erst nach sechs Wochen und enthielt offenbare Unwahrheiten. Sie begnügte sich nicht mit der ganz unbestreitbaren Versicherung, daß Prinz Johann das Schießen nicht befohlen hatte, sondern leugnete sogar feierlich ab, daß er vor dem Feuern einmal auf den Platz hinausgekommen war -- was doch gar nichts zur Sache that und von dem Prinzen selber unbefangen eingestanden wurde. Solche liebedienerische Unaufrichtigkeiten mußten den Verdacht erwecken, daß die Regierung nicht mit gleichem Maße messe. Auch über das gerichtliche Verfahren nachher verlautete nur wenig Bestimmtes. Die radicalen Agenten, die wohl sicherlich insgeheim mit- gewirkt und den blinden Papistenhaß der Massen mißbraucht hatten, hielten ihr Spiel wohlverdeckt; die zunächst betheiligten Offiziere aber wurden in der Stille aus Leipzig versetzt.
So ließ die bureaukratische Seelenangst Alles im Dunkel, wiewohl sie eigentlich nichts Fürchterliches zu verstecken hatte. Um so eifriger zeigte sie sich in kleinen polizeilichen Bosheiten. Mehrere der auswär- tigen Schriftsteller wurden ausgewiesen, sogar der Königsberger Wilhelm Jordan, der schon das sächsische Staatsbürgerrecht besaß. Unablässig be- stürmte der Dresdener Hof den Berliner um strenge Maßregeln gegen die angeblich mitschuldigen Radicalen der Provinz Sachsen, namentlich gegen die Hallenser Studenten -- obgleich ein sofort hinübergesendeter Pedell keinen einzigen Hallenser in Leipzig auffinden konnte.*) Vornehm- lich die Presse bereitete dem sächsischen Hofe schweren Kummer. Die Köl- nische, die Schlesische, die Magdeburgische Zeitung beeilten sich ihren Lesern die Leipziger Mordnacht in greller Beleuchtung, nicht selten mit groben Entstellungen, vorzuführen. Der sächsische Gesandte Minckwitz brachte dem Minister in Berlin ganze Stöße ruchloser preußischer Zeitungsartikel und bat flehentlich, die Besprechung der Leipziger Ereignisse ganz zu verbieten oder doch mindestens die Namen der frevelnden Correspondenten zu er- forschen. Beides war unzulässig, nach den wahrlich nicht milden neuen Censurverordnungen Preußens; auch merkte man in Berlin, daß die säch- sischen Minister Rache nehmen wollten an einigen verdächtigen Schrift- stellern in Leipzig. Vier Monate währte dies klägliche Jammergeschrei; dann endete es ohne jedes Ergebniß.**)
In solcher Lage begann der neue sächsische Landtag, lärmend und friedlos. Die Opposition erhob sogleich heftige Anklagen, ihr radicaler
*) Min. v. Zeschau an den Geschäftsträger v. Bose in Berlin, 14. 17. Aug.; Curator Pernice in Halle an Eichhorn, 16. 20. Aug. 1845.
**) Verbalnoten an Canitz: von Bose, 20. 26. Aug., von Minckwitz, 10. 27. Sept. 1845 u. s. w. Canitz an Bodelschwingh, 20. Oct. 14. Dec. 1845.
Leipzig und die Regierung.
ſagte er kurzab, hat eine Sühne nur zu geben, nicht zu fordern; und noch hochmüthiger ermahnte nachher im Landtage Miniſter Falkenſtein die Leipziger, ſie ſollten in ſich gehen und ſich wiederfinden. Die Be- kanntmachung über die Ergebniſſe der commiſſariſchen Vorunterſuchung erſchien erſt nach ſechs Wochen und enthielt offenbare Unwahrheiten. Sie begnügte ſich nicht mit der ganz unbeſtreitbaren Verſicherung, daß Prinz Johann das Schießen nicht befohlen hatte, ſondern leugnete ſogar feierlich ab, daß er vor dem Feuern einmal auf den Platz hinausgekommen war — was doch gar nichts zur Sache that und von dem Prinzen ſelber unbefangen eingeſtanden wurde. Solche liebedieneriſche Unaufrichtigkeiten mußten den Verdacht erwecken, daß die Regierung nicht mit gleichem Maße meſſe. Auch über das gerichtliche Verfahren nachher verlautete nur wenig Beſtimmtes. Die radicalen Agenten, die wohl ſicherlich insgeheim mit- gewirkt und den blinden Papiſtenhaß der Maſſen mißbraucht hatten, hielten ihr Spiel wohlverdeckt; die zunächſt betheiligten Offiziere aber wurden in der Stille aus Leipzig verſetzt.
So ließ die bureaukratiſche Seelenangſt Alles im Dunkel, wiewohl ſie eigentlich nichts Fürchterliches zu verſtecken hatte. Um ſo eifriger zeigte ſie ſich in kleinen polizeilichen Bosheiten. Mehrere der auswär- tigen Schriftſteller wurden ausgewieſen, ſogar der Königsberger Wilhelm Jordan, der ſchon das ſächſiſche Staatsbürgerrecht beſaß. Unabläſſig be- ſtürmte der Dresdener Hof den Berliner um ſtrenge Maßregeln gegen die angeblich mitſchuldigen Radicalen der Provinz Sachſen, namentlich gegen die Hallenſer Studenten — obgleich ein ſofort hinübergeſendeter Pedell keinen einzigen Hallenſer in Leipzig auffinden konnte.*) Vornehm- lich die Preſſe bereitete dem ſächſiſchen Hofe ſchweren Kummer. Die Köl- niſche, die Schleſiſche, die Magdeburgiſche Zeitung beeilten ſich ihren Leſern die Leipziger Mordnacht in greller Beleuchtung, nicht ſelten mit groben Entſtellungen, vorzuführen. Der ſächſiſche Geſandte Minckwitz brachte dem Miniſter in Berlin ganze Stöße ruchloſer preußiſcher Zeitungsartikel und bat flehentlich, die Beſprechung der Leipziger Ereigniſſe ganz zu verbieten oder doch mindeſtens die Namen der frevelnden Correſpondenten zu er- forſchen. Beides war unzuläſſig, nach den wahrlich nicht milden neuen Cenſurverordnungen Preußens; auch merkte man in Berlin, daß die ſäch- ſiſchen Miniſter Rache nehmen wollten an einigen verdächtigen Schrift- ſtellern in Leipzig. Vier Monate währte dies klägliche Jammergeſchrei; dann endete es ohne jedes Ergebniß.**)
In ſolcher Lage begann der neue ſächſiſche Landtag, lärmend und friedlos. Die Oppoſition erhob ſogleich heftige Anklagen, ihr radicaler
*) Min. v. Zeſchau an den Geſchäftsträger v. Boſe in Berlin, 14. 17. Aug.; Curator Pernice in Halle an Eichhorn, 16. 20. Aug. 1845.
**) Verbalnoten an Canitz: von Boſe, 20. 26. Aug., von Minckwitz, 10. 27. Sept. 1845 u. ſ. w. Canitz an Bodelſchwingh, 20. Oct. 14. Dec. 1845.
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Leipzig und die Regierung.
ſagte er kurzab, hat eine Sühne nur zu geben, nicht zu fordern; und
noch hochmüthiger ermahnte nachher im Landtage Miniſter Falkenſtein
die Leipziger, ſie ſollten in ſich gehen und ſich wiederfinden. Die Be-
kanntmachung über die Ergebniſſe der commiſſariſchen Vorunterſuchung
erſchien erſt nach ſechs Wochen und enthielt offenbare Unwahrheiten.
Sie begnügte ſich nicht mit der ganz unbeſtreitbaren Verſicherung, daß
Prinz Johann das Schießen nicht befohlen hatte, ſondern leugnete ſogar
feierlich ab, daß er vor dem Feuern einmal auf den Platz hinausgekommen
war — was doch gar nichts zur Sache that und von dem Prinzen ſelber
unbefangen eingeſtanden wurde. Solche liebedieneriſche Unaufrichtigkeiten
mußten den Verdacht erwecken, daß die Regierung nicht mit gleichem Maße
meſſe. Auch über das gerichtliche Verfahren nachher verlautete nur wenig
Beſtimmtes. Die radicalen Agenten, die wohl ſicherlich insgeheim mit-
gewirkt und den blinden Papiſtenhaß der Maſſen mißbraucht hatten, hielten
ihr Spiel wohlverdeckt; die zunächſt betheiligten Offiziere aber wurden in
der Stille aus Leipzig verſetzt.
So ließ die bureaukratiſche Seelenangſt Alles im Dunkel, wiewohl
ſie eigentlich nichts Fürchterliches zu verſtecken hatte. Um ſo eifriger
zeigte ſie ſich in kleinen polizeilichen Bosheiten. Mehrere der auswär-
tigen Schriftſteller wurden ausgewieſen, ſogar der Königsberger Wilhelm
Jordan, der ſchon das ſächſiſche Staatsbürgerrecht beſaß. Unabläſſig be-
ſtürmte der Dresdener Hof den Berliner um ſtrenge Maßregeln gegen
die angeblich mitſchuldigen Radicalen der Provinz Sachſen, namentlich
gegen die Hallenſer Studenten — obgleich ein ſofort hinübergeſendeter
Pedell keinen einzigen Hallenſer in Leipzig auffinden konnte. *) Vornehm-
lich die Preſſe bereitete dem ſächſiſchen Hofe ſchweren Kummer. Die Köl-
niſche, die Schleſiſche, die Magdeburgiſche Zeitung beeilten ſich ihren Leſern
die Leipziger Mordnacht in greller Beleuchtung, nicht ſelten mit groben
Entſtellungen, vorzuführen. Der ſächſiſche Geſandte Minckwitz brachte dem
Miniſter in Berlin ganze Stöße ruchloſer preußiſcher Zeitungsartikel und
bat flehentlich, die Beſprechung der Leipziger Ereigniſſe ganz zu verbieten
oder doch mindeſtens die Namen der frevelnden Correſpondenten zu er-
forſchen. Beides war unzuläſſig, nach den wahrlich nicht milden neuen
Cenſurverordnungen Preußens; auch merkte man in Berlin, daß die ſäch-
ſiſchen Miniſter Rache nehmen wollten an einigen verdächtigen Schrift-
ſtellern in Leipzig. Vier Monate währte dies klägliche Jammergeſchrei;
dann endete es ohne jedes Ergebniß. **)
In ſolcher Lage begann der neue ſächſiſche Landtag, lärmend und
friedlos. Die Oppoſition erhob ſogleich heftige Anklagen, ihr radicaler
*) Min. v. Zeſchau an den Geſchäftsträger v. Boſe in Berlin, 14. 17. Aug.;
Curator Pernice in Halle an Eichhorn, 16. 20. Aug. 1845.
**) Verbalnoten an Canitz: von Boſe, 20. 26. Aug., von Minckwitz, 10. 27. Sept.
1845 u. ſ. w. Canitz an Bodelſchwingh, 20. Oct. 14. Dec. 1845.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/361>, abgerufen am 23.07.2024.
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