Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

Bild:
<< vorherige Seite

Blittersdorff's Sturz.
Briefe oder ließ ihn durch seinen Flügeladjutanten Krieg mündlich be-
fragen. Die Erwiederungen lauteten immer mild und ruhig. Radowitz
warnte vor Staatsstreichen, er ermuthigte den gequälten Fürsten zum
Ausharren, wenn dieser unterweilen an Abdankung dachte, und ver-
hehlte auch nicht, daß er Blittersdorff für einen unheilvollen Mann an-
sah. Doch niemals begriff er, was die Verfassung für dies Land be-
deutete. Das ganze bureaukratisch-constitutionelle Staatsleben des Südens
ekelte ihn an; "die Umwandlung deutsch-fürstlicher Herrschaften in moderne
Souveränitäten" blieb ihm der Urgrund alles Uebels. Darum hielt er für
rathsam die Verfassung in wesentlichen Punkten umzugestalten, freilich
nur mit gesetzlichen Mitteln -- was doch bei der Stimmung des badischen
Landes rein unmöglich war. Lebhaft empfahl er ein politisches Bünd-
niß zwischen dem Hof und dem Erzbischof, damit eine conservative Partei
"mit specifisch katholischem Charakter" sich bilden könne. Daß eine solche
Partei der Krone Preußen feind sein mußte, ahnte er nicht.*)

Den Ultramontanen zerstörte Blittersdorff's Sturz manche stille
Hoffnungen. Indeß zeigte sich die Regierung so zerfahren und rathlos, daß
man wohl noch einen Vorstoß wagen konnte. Vicari, der Nachfolger des
friedfertigen Demeter auf dem erzbischöflichen Stuhle, war ein schwacher,
freundlicher, leicht zu beherrschender Greis, und bald genug ließ sich die
Wirksamkeit jener geheimnißvollen weltlichen und geistlichen Gäste erkennen,
welche sich am Freiburger Münsterplatze zur wohlbesetzten Prälatentafel
einzufinden pflegten. Von Rom her ermuthigt, auch durch mehrere Peti-
tionen der Seeschwaben aufgestachelt, befahl der Erzbischof plötzlich (1845),
daß bei der Einsegnung gemischter Ehen fortan wie in Preußen die katho-
lische Erziehung der Kinder gefordert werden müsse; und er setzte seinen
Willen durch, obgleich die Regierung lebhaft widersprach, auch ein Theil
des Clerus selbst bei dem milderen alten Brauche verharren wollte. So
begann ein kirchenpolitischer Kampf, der sich durch ein Vierteljahrhundert
hinziehen sollte. --

Ueberall in der Welt nahm der römische Stuhl seine alten Ansprüche
wieder auf, seit er in dem Kölnischen Handel so unerwartet gesiegt hatte.
Auch Württemberg, das alle paritätischen Staaten Deutschlands bisher um
seinen kirchlichen Frieden beneidet hatten, erlebte jetzt den ersten Ansturm
der Ultramontanen. Hier wurde das alte staatskirchliche System, das in
sämmtlichen Staaten der oberrheinischen Kirchenprovinz herrschte, mit beson-
derer Strenge gehandhabt. Die königliche Oberaufsichtsbehörde, der katho-
lische Kirchenrath behütete alle Rechte der Kirchenhoheit so wachsam, daß
König Wilhelm nach seinen Erfahrungen wohl berechtigt war der Krone
Preußen die Nachbildung dieser Behörde zu empfehlen. Selbst in das innere

*) Radowitz's Berichte, 26. Mai, 18. Juli, 10. Sept. 1842. Dessen Denkschrift
über Baden, 10. Dec. 1846.

Blittersdorff’s Sturz.
Briefe oder ließ ihn durch ſeinen Flügeladjutanten Krieg mündlich be-
fragen. Die Erwiederungen lauteten immer mild und ruhig. Radowitz
warnte vor Staatsſtreichen, er ermuthigte den gequälten Fürſten zum
Ausharren, wenn dieſer unterweilen an Abdankung dachte, und ver-
hehlte auch nicht, daß er Blittersdorff für einen unheilvollen Mann an-
ſah. Doch niemals begriff er, was die Verfaſſung für dies Land be-
deutete. Das ganze bureaukratiſch-conſtitutionelle Staatsleben des Südens
ekelte ihn an; „die Umwandlung deutſch-fürſtlicher Herrſchaften in moderne
Souveränitäten“ blieb ihm der Urgrund alles Uebels. Darum hielt er für
rathſam die Verfaſſung in weſentlichen Punkten umzugeſtalten, freilich
nur mit geſetzlichen Mitteln — was doch bei der Stimmung des badiſchen
Landes rein unmöglich war. Lebhaft empfahl er ein politiſches Bünd-
niß zwiſchen dem Hof und dem Erzbiſchof, damit eine conſervative Partei
„mit ſpecifiſch katholiſchem Charakter“ ſich bilden könne. Daß eine ſolche
Partei der Krone Preußen feind ſein mußte, ahnte er nicht.*)

Den Ultramontanen zerſtörte Blittersdorff’s Sturz manche ſtille
Hoffnungen. Indeß zeigte ſich die Regierung ſo zerfahren und rathlos, daß
man wohl noch einen Vorſtoß wagen konnte. Vicari, der Nachfolger des
friedfertigen Demeter auf dem erzbiſchöflichen Stuhle, war ein ſchwacher,
freundlicher, leicht zu beherrſchender Greis, und bald genug ließ ſich die
Wirkſamkeit jener geheimnißvollen weltlichen und geiſtlichen Gäſte erkennen,
welche ſich am Freiburger Münſterplatze zur wohlbeſetzten Prälatentafel
einzufinden pflegten. Von Rom her ermuthigt, auch durch mehrere Peti-
tionen der Seeſchwaben aufgeſtachelt, befahl der Erzbiſchof plötzlich (1845),
daß bei der Einſegnung gemiſchter Ehen fortan wie in Preußen die katho-
liſche Erziehung der Kinder gefordert werden müſſe; und er ſetzte ſeinen
Willen durch, obgleich die Regierung lebhaft widerſprach, auch ein Theil
des Clerus ſelbſt bei dem milderen alten Brauche verharren wollte. So
begann ein kirchenpolitiſcher Kampf, der ſich durch ein Vierteljahrhundert
hinziehen ſollte. —

Ueberall in der Welt nahm der römiſche Stuhl ſeine alten Anſprüche
wieder auf, ſeit er in dem Kölniſchen Handel ſo unerwartet geſiegt hatte.
Auch Württemberg, das alle paritätiſchen Staaten Deutſchlands bisher um
ſeinen kirchlichen Frieden beneidet hatten, erlebte jetzt den erſten Anſturm
der Ultramontanen. Hier wurde das alte ſtaatskirchliche Syſtem, das in
ſämmtlichen Staaten der oberrheiniſchen Kirchenprovinz herrſchte, mit beſon-
derer Strenge gehandhabt. Die königliche Oberaufſichtsbehörde, der katho-
liſche Kirchenrath behütete alle Rechte der Kirchenhoheit ſo wachſam, daß
König Wilhelm nach ſeinen Erfahrungen wohl berechtigt war der Krone
Preußen die Nachbildung dieſer Behörde zu empfehlen. Selbſt in das innere

*) Radowitz’s Berichte, 26. Mai, 18. Juli, 10. Sept. 1842. Deſſen Denkſchrift
über Baden, 10. Dec. 1846.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0347" n="333"/><fw place="top" type="header">Blittersdorff&#x2019;s Sturz.</fw><lb/>
Briefe oder ließ ihn durch &#x017F;einen Flügeladjutanten Krieg mündlich be-<lb/>
fragen. Die Erwiederungen lauteten immer mild und ruhig. Radowitz<lb/>
warnte vor Staats&#x017F;treichen, er ermuthigte den gequälten Für&#x017F;ten zum<lb/>
Ausharren, wenn die&#x017F;er unterweilen an Abdankung dachte, und ver-<lb/>
hehlte auch nicht, daß er Blittersdorff für einen unheilvollen Mann an-<lb/>
&#x017F;ah. Doch niemals begriff er, was die Verfa&#x017F;&#x017F;ung für dies Land be-<lb/>
deutete. Das ganze bureaukrati&#x017F;ch-con&#x017F;titutionelle Staatsleben des Südens<lb/>
ekelte ihn an; &#x201E;die Umwandlung deut&#x017F;ch-für&#x017F;tlicher Herr&#x017F;chaften in moderne<lb/>
Souveränitäten&#x201C; blieb ihm der Urgrund alles Uebels. Darum hielt er für<lb/>
rath&#x017F;am die Verfa&#x017F;&#x017F;ung in we&#x017F;entlichen Punkten umzuge&#x017F;talten, freilich<lb/>
nur mit ge&#x017F;etzlichen Mitteln &#x2014; was doch bei der Stimmung des badi&#x017F;chen<lb/>
Landes rein unmöglich war. Lebhaft empfahl er ein politi&#x017F;ches Bünd-<lb/>
niß zwi&#x017F;chen dem Hof und dem Erzbi&#x017F;chof, damit eine con&#x017F;ervative Partei<lb/>
&#x201E;mit &#x017F;pecifi&#x017F;ch katholi&#x017F;chem Charakter&#x201C; &#x017F;ich bilden könne. Daß eine &#x017F;olche<lb/>
Partei der Krone Preußen feind &#x017F;ein mußte, ahnte er nicht.<note place="foot" n="*)">Radowitz&#x2019;s Berichte, 26. Mai, 18. Juli, 10. Sept. 1842. De&#x017F;&#x017F;en Denk&#x017F;chrift<lb/>
über Baden, 10. Dec. 1846.</note></p><lb/>
          <p>Den Ultramontanen zer&#x017F;törte Blittersdorff&#x2019;s Sturz manche &#x017F;tille<lb/>
Hoffnungen. Indeß zeigte &#x017F;ich die Regierung &#x017F;o zerfahren und rathlos, daß<lb/>
man wohl noch einen Vor&#x017F;toß wagen konnte. Vicari, der Nachfolger des<lb/>
friedfertigen Demeter auf dem erzbi&#x017F;chöflichen Stuhle, war ein &#x017F;chwacher,<lb/>
freundlicher, leicht zu beherr&#x017F;chender Greis, und bald genug ließ &#x017F;ich die<lb/>
Wirk&#x017F;amkeit jener geheimnißvollen weltlichen und gei&#x017F;tlichen Gä&#x017F;te erkennen,<lb/>
welche &#x017F;ich am Freiburger Mün&#x017F;terplatze zur wohlbe&#x017F;etzten Prälatentafel<lb/>
einzufinden pflegten. Von Rom her ermuthigt, auch durch mehrere Peti-<lb/>
tionen der See&#x017F;chwaben aufge&#x017F;tachelt, befahl der Erzbi&#x017F;chof plötzlich (1845),<lb/>
daß bei der Ein&#x017F;egnung gemi&#x017F;chter Ehen fortan wie in Preußen die katho-<lb/>
li&#x017F;che Erziehung der Kinder gefordert werden mü&#x017F;&#x017F;e; und er &#x017F;etzte &#x017F;einen<lb/>
Willen durch, obgleich die Regierung lebhaft wider&#x017F;prach, auch ein Theil<lb/>
des Clerus &#x017F;elb&#x017F;t bei dem milderen alten Brauche verharren wollte. So<lb/>
begann ein kirchenpoliti&#x017F;cher Kampf, der &#x017F;ich durch ein Vierteljahrhundert<lb/>
hinziehen &#x017F;ollte. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Ueberall in der Welt nahm der römi&#x017F;che Stuhl &#x017F;eine alten An&#x017F;prüche<lb/>
wieder auf, &#x017F;eit er in dem Kölni&#x017F;chen Handel &#x017F;o unerwartet ge&#x017F;iegt hatte.<lb/>
Auch Württemberg, das alle paritäti&#x017F;chen Staaten Deut&#x017F;chlands bisher um<lb/>
&#x017F;einen kirchlichen Frieden beneidet hatten, erlebte jetzt den er&#x017F;ten An&#x017F;turm<lb/>
der Ultramontanen. Hier wurde das alte &#x017F;taatskirchliche Sy&#x017F;tem, das in<lb/>
&#x017F;ämmtlichen Staaten der oberrheini&#x017F;chen Kirchenprovinz herr&#x017F;chte, mit be&#x017F;on-<lb/>
derer Strenge gehandhabt. Die königliche Oberauf&#x017F;ichtsbehörde, der katho-<lb/>
li&#x017F;che Kirchenrath behütete alle Rechte der Kirchenhoheit &#x017F;o wach&#x017F;am, daß<lb/>
König Wilhelm nach &#x017F;einen Erfahrungen wohl berechtigt war der Krone<lb/>
Preußen die Nachbildung die&#x017F;er Behörde zu empfehlen. Selb&#x017F;t in das innere<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[333/0347] Blittersdorff’s Sturz. Briefe oder ließ ihn durch ſeinen Flügeladjutanten Krieg mündlich be- fragen. Die Erwiederungen lauteten immer mild und ruhig. Radowitz warnte vor Staatsſtreichen, er ermuthigte den gequälten Fürſten zum Ausharren, wenn dieſer unterweilen an Abdankung dachte, und ver- hehlte auch nicht, daß er Blittersdorff für einen unheilvollen Mann an- ſah. Doch niemals begriff er, was die Verfaſſung für dies Land be- deutete. Das ganze bureaukratiſch-conſtitutionelle Staatsleben des Südens ekelte ihn an; „die Umwandlung deutſch-fürſtlicher Herrſchaften in moderne Souveränitäten“ blieb ihm der Urgrund alles Uebels. Darum hielt er für rathſam die Verfaſſung in weſentlichen Punkten umzugeſtalten, freilich nur mit geſetzlichen Mitteln — was doch bei der Stimmung des badiſchen Landes rein unmöglich war. Lebhaft empfahl er ein politiſches Bünd- niß zwiſchen dem Hof und dem Erzbiſchof, damit eine conſervative Partei „mit ſpecifiſch katholiſchem Charakter“ ſich bilden könne. Daß eine ſolche Partei der Krone Preußen feind ſein mußte, ahnte er nicht. *) Den Ultramontanen zerſtörte Blittersdorff’s Sturz manche ſtille Hoffnungen. Indeß zeigte ſich die Regierung ſo zerfahren und rathlos, daß man wohl noch einen Vorſtoß wagen konnte. Vicari, der Nachfolger des friedfertigen Demeter auf dem erzbiſchöflichen Stuhle, war ein ſchwacher, freundlicher, leicht zu beherrſchender Greis, und bald genug ließ ſich die Wirkſamkeit jener geheimnißvollen weltlichen und geiſtlichen Gäſte erkennen, welche ſich am Freiburger Münſterplatze zur wohlbeſetzten Prälatentafel einzufinden pflegten. Von Rom her ermuthigt, auch durch mehrere Peti- tionen der Seeſchwaben aufgeſtachelt, befahl der Erzbiſchof plötzlich (1845), daß bei der Einſegnung gemiſchter Ehen fortan wie in Preußen die katho- liſche Erziehung der Kinder gefordert werden müſſe; und er ſetzte ſeinen Willen durch, obgleich die Regierung lebhaft widerſprach, auch ein Theil des Clerus ſelbſt bei dem milderen alten Brauche verharren wollte. So begann ein kirchenpolitiſcher Kampf, der ſich durch ein Vierteljahrhundert hinziehen ſollte. — Ueberall in der Welt nahm der römiſche Stuhl ſeine alten Anſprüche wieder auf, ſeit er in dem Kölniſchen Handel ſo unerwartet geſiegt hatte. Auch Württemberg, das alle paritätiſchen Staaten Deutſchlands bisher um ſeinen kirchlichen Frieden beneidet hatten, erlebte jetzt den erſten Anſturm der Ultramontanen. Hier wurde das alte ſtaatskirchliche Syſtem, das in ſämmtlichen Staaten der oberrheiniſchen Kirchenprovinz herrſchte, mit beſon- derer Strenge gehandhabt. Die königliche Oberaufſichtsbehörde, der katho- liſche Kirchenrath behütete alle Rechte der Kirchenhoheit ſo wachſam, daß König Wilhelm nach ſeinen Erfahrungen wohl berechtigt war der Krone Preußen die Nachbildung dieſer Behörde zu empfehlen. Selbſt in das innere *) Radowitz’s Berichte, 26. Mai, 18. Juli, 10. Sept. 1842. Deſſen Denkſchrift über Baden, 10. Dec. 1846.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/347
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/347>, abgerufen am 22.11.2024.