Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.V. 4. Die Parteiung in der Kirche. künfte zu halten pflegte, und auch im Landtage, zumal in der erstenKammer immer einzelne Männer von streng römischer Gesinnung saßen. Die Mehrzahl der Beamten und der gebildeten Laien war noch ganz erfüllt von den Grundsätzen der josephinischen Kirchenpolitik; unter den älteren Geist- lichen fanden nicht nur Wessenberg's Ideen, sondern auch kühnere kirchliche Reformgedanken starken Anhang. Nicht weniger als 160 geistliche Herren hatten i. J. 1831 die Petition um Abschaffung des Cölibats unterzeichnet; noch neuerdings war im Oberlande der von dem liberalen Dekan Kuenzer geleitete Schaffhauser Verein entstanden, der alle kirchlichen Fragen mit un- gebundenem Freimuth besprach und, nach dem Vorbilde der Protestanten, gemischte Synoden von Geistlichen und Laien auch für die katholische Kirche verlangte. Doch mittlerweile begann ein neuer, gut römisch gesinnter Clerus aufzuwachsen. Die Regierungen Badens und Württembergs unterlagen beide dem tragischen Schicksal, daß sie sich durch ihre treue Fürsorge für die katholischen Facultäten der Landesuniversitäten selbst ihre Feinde her- anzogen. Die jungen, in Freiburg unter Hirscher und anderen keines- wegs ultramontanen Gelehrten gebildeten Cleriker besaßen mehr theologisches Wissen, mehr kirchlichen Sinn als das ältere Geschlecht, darum auch mehr priesterliches Selbstgefühl; die bureaukratische Kirchenhoheit der guten alten Zeit erschien ihnen unerträglich, und hier wie überall in Deutschland wurde der Clerus durch die Kölner Wirren zu neuen Ansprüchen ermuthigt. Im Landtage brachte Frhr. v. Andlaw den Nothstand der römischen V. 4. Die Parteiung in der Kirche. künfte zu halten pflegte, und auch im Landtage, zumal in der erſtenKammer immer einzelne Männer von ſtreng römiſcher Geſinnung ſaßen. Die Mehrzahl der Beamten und der gebildeten Laien war noch ganz erfüllt von den Grundſätzen der joſephiniſchen Kirchenpolitik; unter den älteren Geiſt- lichen fanden nicht nur Weſſenberg’s Ideen, ſondern auch kühnere kirchliche Reformgedanken ſtarken Anhang. Nicht weniger als 160 geiſtliche Herren hatten i. J. 1831 die Petition um Abſchaffung des Cölibats unterzeichnet; noch neuerdings war im Oberlande der von dem liberalen Dekan Kuenzer geleitete Schaffhauſer Verein entſtanden, der alle kirchlichen Fragen mit un- gebundenem Freimuth beſprach und, nach dem Vorbilde der Proteſtanten, gemiſchte Synoden von Geiſtlichen und Laien auch für die katholiſche Kirche verlangte. Doch mittlerweile begann ein neuer, gut römiſch geſinnter Clerus aufzuwachſen. Die Regierungen Badens und Württembergs unterlagen beide dem tragiſchen Schickſal, daß ſie ſich durch ihre treue Fürſorge für die katholiſchen Facultäten der Landesuniverſitäten ſelbſt ihre Feinde her- anzogen. Die jungen, in Freiburg unter Hirſcher und anderen keines- wegs ultramontanen Gelehrten gebildeten Cleriker beſaßen mehr theologiſches Wiſſen, mehr kirchlichen Sinn als das ältere Geſchlecht, darum auch mehr prieſterliches Selbſtgefühl; die bureaukratiſche Kirchenhoheit der guten alten Zeit erſchien ihnen unerträglich, und hier wie überall in Deutſchland wurde der Clerus durch die Kölner Wirren zu neuen Anſprüchen ermuthigt. Im Landtage brachte Frhr. v. Andlaw den Nothſtand der römiſchen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0340" n="326"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">V.</hi> 4. 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Ihr Verfaſſer war, wie ſich<lb/> erſt nach ſeinem Tode herausſtellte, der Archivdirektor Mone, ein den Hiſto-<lb/> rikern durch ſeine voreiligen Hypotheſen wohlbekannter gelehrter Vielſchreiber.<lb/> Er redete, als ob die katholiſche Mehrheit des badiſchen Volkes durch die<lb/> proteſtantiſchen Beamten der proteſtantiſchen Dynaſtie bedrückt würde.<lb/> Allerdings waren die Durlacher — wie man die Beamtenfamilien der<lb/> alten proteſtantiſchen Markgrafſchaft Baden-Durlach noch zu nennen pflegte<lb/> — in den höhern Staatsämtern ſtark vertreten, weil der katholiſche Adel<lb/> des Oberlandes ſeine Söhne häufig in öſterreichiſchen Dienſt ſchickte. An<lb/> eine Bevorzugung der Proteſtanten aber dachte der gutmüthige Großherzog<lb/> nicht von fern; und wenn ſeine Behörden die Katechismen, die Geſang-<lb/> bücher, die Faſtengebote der katholiſchen Kirche argwöhniſch überwachten, ſo<lb/> mußten doch die Evangeliſchen die gleiche Aufſicht ertragen. Der allwiſſende<lb/> Bevormundungseifer lag im Weſen des Polizeiſtaats; die alte Doctrin,<lb/> die in den Geiſtlichen nur Staatsdiener ſah, wirkte noch überall nach. Im<lb/> Einverſtändniß mit dem greiſen Miniſter Reizenſtein widerlegte Nebenius<lb/> die Anklagen Mone’s durch eine würdige Gegenſchrift; aber die Saat des<lb/> Unfriedens war ausgeſtreut, die Kirche begann ſich in die ihr allezeit vor-<lb/> theilhafte Rolle der klagenden Dulderin einzuleben.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [326/0340]
V. 4. Die Parteiung in der Kirche.
künfte zu halten pflegte, und auch im Landtage, zumal in der erſten
Kammer immer einzelne Männer von ſtreng römiſcher Geſinnung ſaßen.
Die Mehrzahl der Beamten und der gebildeten Laien war noch ganz erfüllt
von den Grundſätzen der joſephiniſchen Kirchenpolitik; unter den älteren Geiſt-
lichen fanden nicht nur Weſſenberg’s Ideen, ſondern auch kühnere kirchliche
Reformgedanken ſtarken Anhang. Nicht weniger als 160 geiſtliche Herren
hatten i. J. 1831 die Petition um Abſchaffung des Cölibats unterzeichnet;
noch neuerdings war im Oberlande der von dem liberalen Dekan Kuenzer
geleitete Schaffhauſer Verein entſtanden, der alle kirchlichen Fragen mit un-
gebundenem Freimuth beſprach und, nach dem Vorbilde der Proteſtanten,
gemiſchte Synoden von Geiſtlichen und Laien auch für die katholiſche Kirche
verlangte. Doch mittlerweile begann ein neuer, gut römiſch geſinnter Clerus
aufzuwachſen. Die Regierungen Badens und Württembergs unterlagen
beide dem tragiſchen Schickſal, daß ſie ſich durch ihre treue Fürſorge für
die katholiſchen Facultäten der Landesuniverſitäten ſelbſt ihre Feinde her-
anzogen. Die jungen, in Freiburg unter Hirſcher und anderen keines-
wegs ultramontanen Gelehrten gebildeten Cleriker beſaßen mehr theologiſches
Wiſſen, mehr kirchlichen Sinn als das ältere Geſchlecht, darum auch mehr
prieſterliches Selbſtgefühl; die bureaukratiſche Kirchenhoheit der guten alten
Zeit erſchien ihnen unerträglich, und hier wie überall in Deutſchland
wurde der Clerus durch die Kölner Wirren zu neuen Anſprüchen ermuthigt.
Im Landtage brachte Frhr. v. Andlaw den Nothſtand der römiſchen
Kirche ſchon mehrmals zur Sprache, und 1841 erſchien als erſtes kräftiges
Lebenszeichen der werdenden ultramontanen Partei die anonyme Flug-
ſchrift „die katholiſchen Zuſtände in Baden“. Ihr Verfaſſer war, wie ſich
erſt nach ſeinem Tode herausſtellte, der Archivdirektor Mone, ein den Hiſto-
rikern durch ſeine voreiligen Hypotheſen wohlbekannter gelehrter Vielſchreiber.
Er redete, als ob die katholiſche Mehrheit des badiſchen Volkes durch die
proteſtantiſchen Beamten der proteſtantiſchen Dynaſtie bedrückt würde.
Allerdings waren die Durlacher — wie man die Beamtenfamilien der
alten proteſtantiſchen Markgrafſchaft Baden-Durlach noch zu nennen pflegte
— in den höhern Staatsämtern ſtark vertreten, weil der katholiſche Adel
des Oberlandes ſeine Söhne häufig in öſterreichiſchen Dienſt ſchickte. An
eine Bevorzugung der Proteſtanten aber dachte der gutmüthige Großherzog
nicht von fern; und wenn ſeine Behörden die Katechismen, die Geſang-
bücher, die Faſtengebote der katholiſchen Kirche argwöhniſch überwachten, ſo
mußten doch die Evangeliſchen die gleiche Aufſicht ertragen. Der allwiſſende
Bevormundungseifer lag im Weſen des Polizeiſtaats; die alte Doctrin,
die in den Geiſtlichen nur Staatsdiener ſah, wirkte noch überall nach. Im
Einverſtändniß mit dem greiſen Miniſter Reizenſtein widerlegte Nebenius
die Anklagen Mone’s durch eine würdige Gegenſchrift; aber die Saat des
Unfriedens war ausgeſtreut, die Kirche begann ſich in die ihr allezeit vor-
theilhafte Rolle der klagenden Dulderin einzuleben.
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