Ein Zeichen der Zeit war es auch, daß Friedrich Rohmer, den man bisher oft in den Zirkeln der österreichischen Gesandtschaft gesehen hatte, den Ultramontanen den Handschuh hinwarf. Dieser seltsame Grübler, der halb Philosoph halb Abenteurer, halb vernünftig halb wahnsinnig, sich selber kurzweg für die größte Persönlichkeit der Menschengeschichte erklärte, irrte zur Zeit in Süddeutschland und der Schweiz umher, immer um- geben von einem kleinen Kreise jugendlicher Bewunderer, die seinem despo- tischen Wesen, dem diabolischen Reize seines Aztekenkopfes nicht widerstehen konnten und hingebend für seinen kostspieligen Unterhalt sorgten. Er brütete über den Bilder- und Zahlenspielen einer traumhaften Psychologie und über einer politischen Doktrin, die den Staat, nach der alten Unart der Naturphilosophen, als den vergrößerten menschlichen Körper betrachtete. Seine Schrift über die vier Parteien enthielt unter krausem Unsinn nur vereinzelte gute Gedanken; sie wurde wenig beachtet und bewirkte lediglich, daß Rohmer's namhaftester Schüler, der Schweizer J. C. Bluntschli eine Zeit lang auf phantastische Abwege gerieth. Zuweilen vermochte Rohmer doch, aus dem geilen Dickicht seiner Theorien in das Tageslicht hinauszutreten, und dann zeigte er -- wunderbar genug -- sicheren politischen Instinkt, eine glückliche Gabe die Dinge im Großen zu sehen und lebendig darzustellen. Die "Materialien zur Geschichte der neuesten Politik", die er jetzt erscheinen ließ, unterwarfen das Treiben der bairischen Ultramontanen einer un- barmherzigen, treffenden Kritik und wirkten um so stärker, da ihr Ver- fasser sich selbst als einen Conservativen bekannte.
Als das Jahr 1846 zu Ende ging hatte König Ludwig endlich ein- gesehen, daß auf die anderen Minister wenig ankam und allein Abel's Kirchenpolitik den allgemeinen Unfrieden verschuldete. Im December wurde die Verwaltung der Kirchenangelegenheiten dem Minister des Innern abge- nommen und dem gemäßigt conservativen neuen Justizminister, dem Sohne und Nachfolger des alten Frhrn. v. Schrenck, übertragen. Es war der Anfang des Endes. Wenn der König auf diesem Wege fortschritt und aus freiem politischem Entschlusse das völlig verbrauchte, grenzenlos verhaßte Ministerium ganz beseitigte, dann konnte die selbstverschuldete Niederlage der ultramontanen Parteiherrschaft dem ganzen Deutschland zum Heile gereichen. Da griffen unsaubere Hände ein, und dieser schuldbelasteten Regierung wurde noch das unverdiente Glück, daß sie umstrahlt von dem Heiligenscheine erhabener sittlicher Entrüstung, würdevoll von der Bühne abtreten konnte. --
Derweil die Clericalen in Baiern herrschten, begann in Baden ein weltlich reactionäres Regiment, das ihnen mindestens befreundet war und mittelbar ihre Zwecke förderte. Eine geschlossene ultramontane Partei hatte sich hierzulande noch nicht bilden können, obwohl die Clerisei des gesammten Südwestens im Stifte Neuburg bei Heidelberg, unter dem gastlichen Dache der Frau Rath Schlosser ihre geheimen Zusammen-
Rohmer. Beginnender Syſtemwechſel.
Ein Zeichen der Zeit war es auch, daß Friedrich Rohmer, den man bisher oft in den Zirkeln der öſterreichiſchen Geſandtſchaft geſehen hatte, den Ultramontanen den Handſchuh hinwarf. Dieſer ſeltſame Grübler, der halb Philoſoph halb Abenteurer, halb vernünftig halb wahnſinnig, ſich ſelber kurzweg für die größte Perſönlichkeit der Menſchengeſchichte erklärte, irrte zur Zeit in Süddeutſchland und der Schweiz umher, immer um- geben von einem kleinen Kreiſe jugendlicher Bewunderer, die ſeinem despo- tiſchen Weſen, dem diaboliſchen Reize ſeines Aztekenkopfes nicht widerſtehen konnten und hingebend für ſeinen koſtſpieligen Unterhalt ſorgten. Er brütete über den Bilder- und Zahlenſpielen einer traumhaften Pſychologie und über einer politiſchen Doktrin, die den Staat, nach der alten Unart der Naturphiloſophen, als den vergrößerten menſchlichen Körper betrachtete. Seine Schrift über die vier Parteien enthielt unter krauſem Unſinn nur vereinzelte gute Gedanken; ſie wurde wenig beachtet und bewirkte lediglich, daß Rohmer’s namhafteſter Schüler, der Schweizer J. C. Bluntſchli eine Zeit lang auf phantaſtiſche Abwege gerieth. Zuweilen vermochte Rohmer doch, aus dem geilen Dickicht ſeiner Theorien in das Tageslicht hinauszutreten, und dann zeigte er — wunderbar genug — ſicheren politiſchen Inſtinkt, eine glückliche Gabe die Dinge im Großen zu ſehen und lebendig darzuſtellen. Die „Materialien zur Geſchichte der neueſten Politik“, die er jetzt erſcheinen ließ, unterwarfen das Treiben der bairiſchen Ultramontanen einer un- barmherzigen, treffenden Kritik und wirkten um ſo ſtärker, da ihr Ver- faſſer ſich ſelbſt als einen Conſervativen bekannte.
Als das Jahr 1846 zu Ende ging hatte König Ludwig endlich ein- geſehen, daß auf die anderen Miniſter wenig ankam und allein Abel’s Kirchenpolitik den allgemeinen Unfrieden verſchuldete. Im December wurde die Verwaltung der Kirchenangelegenheiten dem Miniſter des Innern abge- nommen und dem gemäßigt conſervativen neuen Juſtizminiſter, dem Sohne und Nachfolger des alten Frhrn. v. Schrenck, übertragen. Es war der Anfang des Endes. Wenn der König auf dieſem Wege fortſchritt und aus freiem politiſchem Entſchluſſe das völlig verbrauchte, grenzenlos verhaßte Miniſterium ganz beſeitigte, dann konnte die ſelbſtverſchuldete Niederlage der ultramontanen Parteiherrſchaft dem ganzen Deutſchland zum Heile gereichen. Da griffen unſaubere Hände ein, und dieſer ſchuldbelaſteten Regierung wurde noch das unverdiente Glück, daß ſie umſtrahlt von dem Heiligenſcheine erhabener ſittlicher Entrüſtung, würdevoll von der Bühne abtreten konnte. —
Derweil die Clericalen in Baiern herrſchten, begann in Baden ein weltlich reactionäres Regiment, das ihnen mindeſtens befreundet war und mittelbar ihre Zwecke förderte. Eine geſchloſſene ultramontane Partei hatte ſich hierzulande noch nicht bilden können, obwohl die Cleriſei des geſammten Südweſtens im Stifte Neuburg bei Heidelberg, unter dem gaſtlichen Dache der Frau Rath Schloſſer ihre geheimen Zuſammen-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0339"n="325"/><fwplace="top"type="header">Rohmer. Beginnender Syſtemwechſel.</fw><lb/><p>Ein Zeichen der Zeit war es auch, daß Friedrich Rohmer, den man<lb/>
bisher oft in den Zirkeln der öſterreichiſchen Geſandtſchaft geſehen hatte,<lb/>
den Ultramontanen den Handſchuh hinwarf. Dieſer ſeltſame Grübler, der<lb/>
halb Philoſoph halb Abenteurer, halb vernünftig halb wahnſinnig, ſich<lb/>ſelber kurzweg für die größte Perſönlichkeit der Menſchengeſchichte erklärte,<lb/>
irrte zur Zeit in Süddeutſchland und der Schweiz umher, immer um-<lb/>
geben von einem kleinen Kreiſe jugendlicher Bewunderer, die ſeinem despo-<lb/>
tiſchen Weſen, dem diaboliſchen Reize ſeines Aztekenkopfes nicht widerſtehen<lb/>
konnten und hingebend für ſeinen koſtſpieligen Unterhalt ſorgten. Er brütete<lb/>
über den Bilder- und Zahlenſpielen einer traumhaften Pſychologie und<lb/>
über einer politiſchen Doktrin, die den Staat, nach der alten Unart der<lb/>
Naturphiloſophen, als den vergrößerten menſchlichen Körper betrachtete.<lb/>
Seine Schrift über die vier Parteien enthielt unter krauſem Unſinn nur<lb/>
vereinzelte gute Gedanken; ſie wurde wenig beachtet und bewirkte lediglich,<lb/>
daß Rohmer’s namhafteſter Schüler, der Schweizer J. C. Bluntſchli eine Zeit<lb/>
lang auf phantaſtiſche Abwege gerieth. Zuweilen vermochte Rohmer doch, aus<lb/>
dem geilen Dickicht ſeiner Theorien in das Tageslicht hinauszutreten, und<lb/>
dann zeigte er — wunderbar genug —ſicheren politiſchen Inſtinkt, eine<lb/>
glückliche Gabe die Dinge im Großen zu ſehen und lebendig darzuſtellen.<lb/>
Die „Materialien zur Geſchichte der neueſten Politik“, die er jetzt erſcheinen<lb/>
ließ, unterwarfen das Treiben der bairiſchen Ultramontanen einer un-<lb/>
barmherzigen, treffenden Kritik und wirkten um ſo ſtärker, da ihr Ver-<lb/>
faſſer ſich ſelbſt als einen Conſervativen bekannte.</p><lb/><p>Als das Jahr 1846 zu Ende ging hatte König Ludwig endlich ein-<lb/>
geſehen, daß auf die anderen Miniſter wenig ankam und allein Abel’s<lb/>
Kirchenpolitik den allgemeinen Unfrieden verſchuldete. Im December wurde<lb/>
die Verwaltung der Kirchenangelegenheiten dem Miniſter des Innern abge-<lb/>
nommen und dem gemäßigt conſervativen neuen Juſtizminiſter, dem Sohne<lb/>
und Nachfolger des alten Frhrn. v. Schrenck, übertragen. Es war der<lb/>
Anfang des Endes. Wenn der König auf dieſem Wege fortſchritt und aus<lb/>
freiem politiſchem Entſchluſſe das völlig verbrauchte, grenzenlos verhaßte<lb/>
Miniſterium ganz beſeitigte, dann konnte die ſelbſtverſchuldete Niederlage<lb/>
der ultramontanen Parteiherrſchaft dem ganzen Deutſchland zum Heile<lb/>
gereichen. Da griffen unſaubere Hände ein, und dieſer ſchuldbelaſteten<lb/>
Regierung wurde noch das unverdiente Glück, daß ſie umſtrahlt von dem<lb/>
Heiligenſcheine erhabener ſittlicher Entrüſtung, würdevoll von der Bühne<lb/>
abtreten konnte. —</p><lb/><p>Derweil die Clericalen in Baiern herrſchten, begann in Baden ein<lb/>
weltlich reactionäres Regiment, das ihnen mindeſtens befreundet war<lb/>
und mittelbar ihre Zwecke förderte. Eine geſchloſſene ultramontane<lb/>
Partei hatte ſich hierzulande noch nicht bilden können, obwohl die Cleriſei<lb/>
des geſammten Südweſtens im Stifte Neuburg bei Heidelberg, unter dem<lb/>
gaſtlichen Dache der Frau Rath Schloſſer ihre geheimen Zuſammen-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[325/0339]
Rohmer. Beginnender Syſtemwechſel.
Ein Zeichen der Zeit war es auch, daß Friedrich Rohmer, den man
bisher oft in den Zirkeln der öſterreichiſchen Geſandtſchaft geſehen hatte,
den Ultramontanen den Handſchuh hinwarf. Dieſer ſeltſame Grübler, der
halb Philoſoph halb Abenteurer, halb vernünftig halb wahnſinnig, ſich
ſelber kurzweg für die größte Perſönlichkeit der Menſchengeſchichte erklärte,
irrte zur Zeit in Süddeutſchland und der Schweiz umher, immer um-
geben von einem kleinen Kreiſe jugendlicher Bewunderer, die ſeinem despo-
tiſchen Weſen, dem diaboliſchen Reize ſeines Aztekenkopfes nicht widerſtehen
konnten und hingebend für ſeinen koſtſpieligen Unterhalt ſorgten. Er brütete
über den Bilder- und Zahlenſpielen einer traumhaften Pſychologie und
über einer politiſchen Doktrin, die den Staat, nach der alten Unart der
Naturphiloſophen, als den vergrößerten menſchlichen Körper betrachtete.
Seine Schrift über die vier Parteien enthielt unter krauſem Unſinn nur
vereinzelte gute Gedanken; ſie wurde wenig beachtet und bewirkte lediglich,
daß Rohmer’s namhafteſter Schüler, der Schweizer J. C. Bluntſchli eine Zeit
lang auf phantaſtiſche Abwege gerieth. Zuweilen vermochte Rohmer doch, aus
dem geilen Dickicht ſeiner Theorien in das Tageslicht hinauszutreten, und
dann zeigte er — wunderbar genug — ſicheren politiſchen Inſtinkt, eine
glückliche Gabe die Dinge im Großen zu ſehen und lebendig darzuſtellen.
Die „Materialien zur Geſchichte der neueſten Politik“, die er jetzt erſcheinen
ließ, unterwarfen das Treiben der bairiſchen Ultramontanen einer un-
barmherzigen, treffenden Kritik und wirkten um ſo ſtärker, da ihr Ver-
faſſer ſich ſelbſt als einen Conſervativen bekannte.
Als das Jahr 1846 zu Ende ging hatte König Ludwig endlich ein-
geſehen, daß auf die anderen Miniſter wenig ankam und allein Abel’s
Kirchenpolitik den allgemeinen Unfrieden verſchuldete. Im December wurde
die Verwaltung der Kirchenangelegenheiten dem Miniſter des Innern abge-
nommen und dem gemäßigt conſervativen neuen Juſtizminiſter, dem Sohne
und Nachfolger des alten Frhrn. v. Schrenck, übertragen. Es war der
Anfang des Endes. Wenn der König auf dieſem Wege fortſchritt und aus
freiem politiſchem Entſchluſſe das völlig verbrauchte, grenzenlos verhaßte
Miniſterium ganz beſeitigte, dann konnte die ſelbſtverſchuldete Niederlage
der ultramontanen Parteiherrſchaft dem ganzen Deutſchland zum Heile
gereichen. Da griffen unſaubere Hände ein, und dieſer ſchuldbelaſteten
Regierung wurde noch das unverdiente Glück, daß ſie umſtrahlt von dem
Heiligenſcheine erhabener ſittlicher Entrüſtung, würdevoll von der Bühne
abtreten konnte. —
Derweil die Clericalen in Baiern herrſchten, begann in Baden ein
weltlich reactionäres Regiment, das ihnen mindeſtens befreundet war
und mittelbar ihre Zwecke förderte. Eine geſchloſſene ultramontane
Partei hatte ſich hierzulande noch nicht bilden können, obwohl die Cleriſei
des geſammten Südweſtens im Stifte Neuburg bei Heidelberg, unter dem
gaſtlichen Dache der Frau Rath Schloſſer ihre geheimen Zuſammen-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/339>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.