Beschwerden der Protestanten. Abel und Wallerstein.
die Kniebeugung der Protestanten erscheinen, das in Baiern sofort ver- boten aber eifrig gelesen wurde. Nachher erbte er von seinem Bruder, dem Schwiegersohne Stein's die Standesherrschaft Thurnau und blieb fortan viele Jahre lang eine Zierde des fränkischen Adels, vornehm zugleich und leutselig, feingebildet und lebenskundig, königstreu und freimüthig.
Der König nahm die Beschwerden der protestantischen Abgeordneten freundlich auf; doch merkte man ihm an, daß er nicht recht daran glaubte. Er meinte, die Katholiken könnten sich freuen, wenn sie in protestantischen Ländern ebenso gut behandelt würden, wie die Protestanten in Baiern. Sein Abel hatte ihm vorgespiegelt, hinter allen diesen Klagen verstecke sich nur die liberale Opposition.*) Während die zweite Kammer fast jedem Streite behutsam auswich, begann sich unter den Reichsräthen ein uner- warteter Widerstand zu regen. In einem Vierteljahrhundert parlamen- tarischen Lebens waren manche constitutionelle Rechtsgrundsätze selbst diesem hochconservativen Adel in Fleisch und Blut gedrungen; die Reichsräthe klagten, jede Prüfung des Staatshaushalts würde zum leeren Schein, so lange die Regierung mit den Erübrigungen nach Gutdünken schalte. Zu- dem pflegte Abel mit herausforderndem Uebermuth doktrinäre politische Sätze aufzustellen, die das süddeutsche Gefühl verletzten; er donnerte wider den modernen Staatsbegriff, er wollte den Namen Staatsministerium nicht hören, da man hierzulande nur königliche Minister kenne; er be- hauptete, die bairische Verfassung sei ständisch, nicht repräsentativ, obwohl ihre Urheber von diesem neuerfundenen Unterschiede noch gar nichts ge- wußt hatten.
Bei den Streitigkeiten, die sich aus solchen Anlässen ergaben, hielt Abel's Amtsvorgänger immer die Hand im Spiele, Fürst Oettingen-Waller- stein, der einst als Abel's Vorgesetzter von diesem tief unterthänige Briefe empfangen hatte**), jetzt aber, seit des Königs Ungnade auf ihm lastete, um so gröber behandelt wurde. In der Schlußsitzung der zweiten Kammer (10. April 1840) ließ sich Abel endlich zu einem Wuthausbruche hinreißen, dessen gleichen die deutschen Ständesäle noch nicht erlebt hatten. Die Ab- wesenheit Wallerstein's unritterlich mißbrauchend, sprach er von den Schand- thaten dieses tief gesunkenen Individuums und schmähte so unbändig, daß die Reichsräthe sofort ihre Entrüstung über die unwürdige Beschimpfung ihres Mitgliedes feierlich aussprachen. Der preußische Gesandte meinte: nach einem solchen Vorfall müsse Abel unfehlbar zurücktreten; denn "die wahren monarchischen Grundsätze können nicht gewinnen, wenn sie ver- theidigt werden durch die religiöse und politische Heuchelei, ohne Redlichkeit und Gradsinn, ohne Anstand und Würde."***) Es kam anders. Derweil der Landtag sich auflöste, traten der frühere und der gegenwärtige Minister
*) Dönhoff's Bericht, 10. März 1840.
**) Abel an Wallerstein 1. Jan. 1837.
***) Dönhoff's Bericht, 12. April 1840.
Beſchwerden der Proteſtanten. Abel und Wallerſtein.
die Kniebeugung der Proteſtanten erſcheinen, das in Baiern ſofort ver- boten aber eifrig geleſen wurde. Nachher erbte er von ſeinem Bruder, dem Schwiegerſohne Stein’s die Standesherrſchaft Thurnau und blieb fortan viele Jahre lang eine Zierde des fränkiſchen Adels, vornehm zugleich und leutſelig, feingebildet und lebenskundig, königstreu und freimüthig.
Der König nahm die Beſchwerden der proteſtantiſchen Abgeordneten freundlich auf; doch merkte man ihm an, daß er nicht recht daran glaubte. Er meinte, die Katholiken könnten ſich freuen, wenn ſie in proteſtantiſchen Ländern ebenſo gut behandelt würden, wie die Proteſtanten in Baiern. Sein Abel hatte ihm vorgeſpiegelt, hinter allen dieſen Klagen verſtecke ſich nur die liberale Oppoſition.*) Während die zweite Kammer faſt jedem Streite behutſam auswich, begann ſich unter den Reichsräthen ein uner- warteter Widerſtand zu regen. In einem Vierteljahrhundert parlamen- tariſchen Lebens waren manche conſtitutionelle Rechtsgrundſätze ſelbſt dieſem hochconſervativen Adel in Fleiſch und Blut gedrungen; die Reichsräthe klagten, jede Prüfung des Staatshaushalts würde zum leeren Schein, ſo lange die Regierung mit den Erübrigungen nach Gutdünken ſchalte. Zu- dem pflegte Abel mit herausforderndem Uebermuth doktrinäre politiſche Sätze aufzuſtellen, die das ſüddeutſche Gefühl verletzten; er donnerte wider den modernen Staatsbegriff, er wollte den Namen Staatsminiſterium nicht hören, da man hierzulande nur königliche Miniſter kenne; er be- hauptete, die bairiſche Verfaſſung ſei ſtändiſch, nicht repräſentativ, obwohl ihre Urheber von dieſem neuerfundenen Unterſchiede noch gar nichts ge- wußt hatten.
Bei den Streitigkeiten, die ſich aus ſolchen Anläſſen ergaben, hielt Abel’s Amtsvorgänger immer die Hand im Spiele, Fürſt Oettingen-Waller- ſtein, der einſt als Abel’s Vorgeſetzter von dieſem tief unterthänige Briefe empfangen hatte**), jetzt aber, ſeit des Königs Ungnade auf ihm laſtete, um ſo gröber behandelt wurde. In der Schlußſitzung der zweiten Kammer (10. April 1840) ließ ſich Abel endlich zu einem Wuthausbruche hinreißen, deſſen gleichen die deutſchen Ständeſäle noch nicht erlebt hatten. Die Ab- weſenheit Wallerſtein’s unritterlich mißbrauchend, ſprach er von den Schand- thaten dieſes tief geſunkenen Individuums und ſchmähte ſo unbändig, daß die Reichsräthe ſofort ihre Entrüſtung über die unwürdige Beſchimpfung ihres Mitgliedes feierlich ausſprachen. Der preußiſche Geſandte meinte: nach einem ſolchen Vorfall müſſe Abel unfehlbar zurücktreten; denn „die wahren monarchiſchen Grundſätze können nicht gewinnen, wenn ſie ver- theidigt werden durch die religiöſe und politiſche Heuchelei, ohne Redlichkeit und Gradſinn, ohne Anſtand und Würde.“***) Es kam anders. Derweil der Landtag ſich auflöſte, traten der frühere und der gegenwärtige Miniſter
*) Dönhoff’s Bericht, 10. März 1840.
**) Abel an Wallerſtein 1. Jan. 1837.
***) Dönhoff’s Bericht, 12. April 1840.
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die Kniebeugung der Proteſtanten erſcheinen, das in Baiern ſofort ver-
boten aber eifrig geleſen wurde. Nachher erbte er von ſeinem Bruder,
dem Schwiegerſohne Stein’s die Standesherrſchaft Thurnau und blieb
fortan viele Jahre lang eine Zierde des fränkiſchen Adels, vornehm zugleich
und leutſelig, feingebildet und lebenskundig, königstreu und freimüthig.
Der König nahm die Beſchwerden der proteſtantiſchen Abgeordneten
freundlich auf; doch merkte man ihm an, daß er nicht recht daran glaubte.
Er meinte, die Katholiken könnten ſich freuen, wenn ſie in proteſtantiſchen
Ländern ebenſo gut behandelt würden, wie die Proteſtanten in Baiern.
Sein Abel hatte ihm vorgeſpiegelt, hinter allen dieſen Klagen verſtecke ſich
nur die liberale Oppoſition. *) Während die zweite Kammer faſt jedem
Streite behutſam auswich, begann ſich unter den Reichsräthen ein uner-
warteter Widerſtand zu regen. In einem Vierteljahrhundert parlamen-
tariſchen Lebens waren manche conſtitutionelle Rechtsgrundſätze ſelbſt dieſem
hochconſervativen Adel in Fleiſch und Blut gedrungen; die Reichsräthe
klagten, jede Prüfung des Staatshaushalts würde zum leeren Schein, ſo
lange die Regierung mit den Erübrigungen nach Gutdünken ſchalte. Zu-
dem pflegte Abel mit herausforderndem Uebermuth doktrinäre politiſche
Sätze aufzuſtellen, die das ſüddeutſche Gefühl verletzten; er donnerte wider
den modernen Staatsbegriff, er wollte den Namen Staatsminiſterium
nicht hören, da man hierzulande nur königliche Miniſter kenne; er be-
hauptete, die bairiſche Verfaſſung ſei ſtändiſch, nicht repräſentativ, obwohl
ihre Urheber von dieſem neuerfundenen Unterſchiede noch gar nichts ge-
wußt hatten.
Bei den Streitigkeiten, die ſich aus ſolchen Anläſſen ergaben, hielt
Abel’s Amtsvorgänger immer die Hand im Spiele, Fürſt Oettingen-Waller-
ſtein, der einſt als Abel’s Vorgeſetzter von dieſem tief unterthänige Briefe
empfangen hatte **), jetzt aber, ſeit des Königs Ungnade auf ihm laſtete,
um ſo gröber behandelt wurde. In der Schlußſitzung der zweiten Kammer
(10. April 1840) ließ ſich Abel endlich zu einem Wuthausbruche hinreißen,
deſſen gleichen die deutſchen Ständeſäle noch nicht erlebt hatten. Die Ab-
weſenheit Wallerſtein’s unritterlich mißbrauchend, ſprach er von den Schand-
thaten dieſes tief geſunkenen Individuums und ſchmähte ſo unbändig, daß
die Reichsräthe ſofort ihre Entrüſtung über die unwürdige Beſchimpfung
ihres Mitgliedes feierlich ausſprachen. Der preußiſche Geſandte meinte:
nach einem ſolchen Vorfall müſſe Abel unfehlbar zurücktreten; denn „die
wahren monarchiſchen Grundſätze können nicht gewinnen, wenn ſie ver-
theidigt werden durch die religiöſe und politiſche Heuchelei, ohne Redlichkeit
und Gradſinn, ohne Anſtand und Würde.“ ***) Es kam anders. Derweil
der Landtag ſich auflöſte, traten der frühere und der gegenwärtige Miniſter
*) Dönhoff’s Bericht, 10. März 1840.
**) Abel an Wallerſtein 1. Jan. 1837.
***) Dönhoff’s Bericht, 12. April 1840.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/329>, abgerufen am 25.11.2024.
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