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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Oesterreich und die bairischen Clericalen.
seines altprotestantischen Geschlechts abgefallen, der besonderen Gunst des
Metternich'schen Hauses genoß. Er unterhielt Verbindungen mit den Cleri-
calen aller Länder und pflegte sich mit seinem Freunde Abel meist schon bei
der stillen Morgenandacht in der Theatinerkirche zu besprechen. Auch Met-
ternich selbst begann nunmehr, gleich den beiden bairischen Schwestern in
Wien, einen lebhaften Briefwechsel mit dem Münchener Hofe; die Eifersucht
auf den Zollverein und das aufstrebende Preußen ließ ihm keine Ruhe, nur
durch die römische Kirche glaubte er den nordischen Nebenbuhler noch bändigen
zu können. Im Herbst 1841 verweilte er mehrere Tage in München, wo er
mit dem König und dem Nuntius viel verkehrte, durch den getreuen Jarcke
sich die Häuptlinge der Congregation vorstellen ließ und darauf nach Biebrich
und Stuttgart kirchenpolitische Weisungen aussendete.*) Erstaunlich, wie
tief der Alternde sich jetzt in kirchliche Anschauungen einlebte, die seiner
lustigen Jugend so fremd gewesen; er trug kein Bedenken mehr die rein
römische Ansicht auszusprechen: ein Staat mit überwiegend katholischer
Bevölkerung stehe in der Kirche, weil diese ja die allgemeine sei! Unter
den clericalen Schriftstellern gefiel ihm namentlich der roheste, Hurter.
Der war, nachdem er noch jahrelang für Rom gearbeitet und sogar ein
geheimes Breve des Papstes persönlich dem Erzbischof von Freiburg über-
bracht hatte, endlich durch eine ehrliche Anfrage seiner Schaffhäuser Amts-
brüder gezwungen worden, sein so schamlos entweihtes evangelisches Kirchen-
amt niederzulegen, und darauf -- wieder erst nach mehreren Jahren --
förmlich zum Katholicismus übergetreten. Abel fand an ihm jederzeit einen
thätigen Helfer. Metternich aber sagte, als er Hurter's Geschichtswerk ge-
lesen, hoch entzückt: "der Verfasser ist mein Mann" und berief ihn (1845)
als k. k. Reichshistoriographen nach Wien, wo er zunächst die Geschichte
Ferdinand's II. schreiben sollte. Deutlicher ließ sich nicht aussprechen, daß
die Hofburg mit den josephinischen Grundsätzen gänzlich gebrochen hatte.

Einer solchen Partei gegenüber hatte Graf Dönhoff einen schweren
Stand. Es konnte nicht ausbleiben, daß die bairischen Protestanten, die
den alten König so oft als den Beschützer des evangelischen Glaubens ge-
feiert hatten**), sich jetzt in ihrer Bedrängniß oft an den preußischen Ge-
sandten wendeten, und obgleich Dönhoff sich nach seiner Amtspflicht, so
weit es die Ehrlichkeit erlaubte, zurückzuhalten suchte, so wurde er doch
von den Ultramontanen bald als das Haupt der protestantischen Opposition
verlästert. Das Lamm trübte dem unschuldigen Wolfe das Wasser: während
Abel den neuen Kölner Erzbischof gradezu zum Kampfe wider die Kirchen-
politik der evangelischen Höfe aufforderte, beschuldigte er die Berliner Pie-
tisten, die mit ihren heimischen Parteikämpfen wahrlich genug zu thun hatten:
sie beanspruchten für die Krone Preußen die Schirmherrschaft über die bai-

*) Dönhoff's Bericht, 9. Oct. 1841.
**) s. o. IV. 567.

Oeſterreich und die bairiſchen Clericalen.
ſeines altproteſtantiſchen Geſchlechts abgefallen, der beſonderen Gunſt des
Metternich’ſchen Hauſes genoß. Er unterhielt Verbindungen mit den Cleri-
calen aller Länder und pflegte ſich mit ſeinem Freunde Abel meiſt ſchon bei
der ſtillen Morgenandacht in der Theatinerkirche zu beſprechen. Auch Met-
ternich ſelbſt begann nunmehr, gleich den beiden bairiſchen Schweſtern in
Wien, einen lebhaften Briefwechſel mit dem Münchener Hofe; die Eiferſucht
auf den Zollverein und das aufſtrebende Preußen ließ ihm keine Ruhe, nur
durch die römiſche Kirche glaubte er den nordiſchen Nebenbuhler noch bändigen
zu können. Im Herbſt 1841 verweilte er mehrere Tage in München, wo er
mit dem König und dem Nuntius viel verkehrte, durch den getreuen Jarcke
ſich die Häuptlinge der Congregation vorſtellen ließ und darauf nach Biebrich
und Stuttgart kirchenpolitiſche Weiſungen ausſendete.*) Erſtaunlich, wie
tief der Alternde ſich jetzt in kirchliche Anſchauungen einlebte, die ſeiner
luſtigen Jugend ſo fremd geweſen; er trug kein Bedenken mehr die rein
römiſche Anſicht auszuſprechen: ein Staat mit überwiegend katholiſcher
Bevölkerung ſtehe in der Kirche, weil dieſe ja die allgemeine ſei! Unter
den clericalen Schriftſtellern gefiel ihm namentlich der roheſte, Hurter.
Der war, nachdem er noch jahrelang für Rom gearbeitet und ſogar ein
geheimes Breve des Papſtes perſönlich dem Erzbiſchof von Freiburg über-
bracht hatte, endlich durch eine ehrliche Anfrage ſeiner Schaffhäuſer Amts-
brüder gezwungen worden, ſein ſo ſchamlos entweihtes evangeliſches Kirchen-
amt niederzulegen, und darauf — wieder erſt nach mehreren Jahren —
förmlich zum Katholicismus übergetreten. Abel fand an ihm jederzeit einen
thätigen Helfer. Metternich aber ſagte, als er Hurter’s Geſchichtswerk ge-
leſen, hoch entzückt: „der Verfaſſer iſt mein Mann“ und berief ihn (1845)
als k. k. Reichshiſtoriographen nach Wien, wo er zunächſt die Geſchichte
Ferdinand’s II. ſchreiben ſollte. Deutlicher ließ ſich nicht ausſprechen, daß
die Hofburg mit den joſephiniſchen Grundſätzen gänzlich gebrochen hatte.

Einer ſolchen Partei gegenüber hatte Graf Dönhoff einen ſchweren
Stand. Es konnte nicht ausbleiben, daß die bairiſchen Proteſtanten, die
den alten König ſo oft als den Beſchützer des evangeliſchen Glaubens ge-
feiert hatten**), ſich jetzt in ihrer Bedrängniß oft an den preußiſchen Ge-
ſandten wendeten, und obgleich Dönhoff ſich nach ſeiner Amtspflicht, ſo
weit es die Ehrlichkeit erlaubte, zurückzuhalten ſuchte, ſo wurde er doch
von den Ultramontanen bald als das Haupt der proteſtantiſchen Oppoſition
verläſtert. Das Lamm trübte dem unſchuldigen Wolfe das Waſſer: während
Abel den neuen Kölner Erzbiſchof gradezu zum Kampfe wider die Kirchen-
politik der evangeliſchen Höfe aufforderte, beſchuldigte er die Berliner Pie-
tiſten, die mit ihren heimiſchen Parteikämpfen wahrlich genug zu thun hatten:
ſie beanſpruchten für die Krone Preußen die Schirmherrſchaft über die bai-

*) Dönhoff’s Bericht, 9. Oct. 1841.
**) ſ. o. IV. 567.
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[309/0323] Oeſterreich und die bairiſchen Clericalen. ſeines altproteſtantiſchen Geſchlechts abgefallen, der beſonderen Gunſt des Metternich’ſchen Hauſes genoß. Er unterhielt Verbindungen mit den Cleri- calen aller Länder und pflegte ſich mit ſeinem Freunde Abel meiſt ſchon bei der ſtillen Morgenandacht in der Theatinerkirche zu beſprechen. Auch Met- ternich ſelbſt begann nunmehr, gleich den beiden bairiſchen Schweſtern in Wien, einen lebhaften Briefwechſel mit dem Münchener Hofe; die Eiferſucht auf den Zollverein und das aufſtrebende Preußen ließ ihm keine Ruhe, nur durch die römiſche Kirche glaubte er den nordiſchen Nebenbuhler noch bändigen zu können. Im Herbſt 1841 verweilte er mehrere Tage in München, wo er mit dem König und dem Nuntius viel verkehrte, durch den getreuen Jarcke ſich die Häuptlinge der Congregation vorſtellen ließ und darauf nach Biebrich und Stuttgart kirchenpolitiſche Weiſungen ausſendete. *) Erſtaunlich, wie tief der Alternde ſich jetzt in kirchliche Anſchauungen einlebte, die ſeiner luſtigen Jugend ſo fremd geweſen; er trug kein Bedenken mehr die rein römiſche Anſicht auszuſprechen: ein Staat mit überwiegend katholiſcher Bevölkerung ſtehe in der Kirche, weil dieſe ja die allgemeine ſei! Unter den clericalen Schriftſtellern gefiel ihm namentlich der roheſte, Hurter. Der war, nachdem er noch jahrelang für Rom gearbeitet und ſogar ein geheimes Breve des Papſtes perſönlich dem Erzbiſchof von Freiburg über- bracht hatte, endlich durch eine ehrliche Anfrage ſeiner Schaffhäuſer Amts- brüder gezwungen worden, ſein ſo ſchamlos entweihtes evangeliſches Kirchen- amt niederzulegen, und darauf — wieder erſt nach mehreren Jahren — förmlich zum Katholicismus übergetreten. Abel fand an ihm jederzeit einen thätigen Helfer. Metternich aber ſagte, als er Hurter’s Geſchichtswerk ge- leſen, hoch entzückt: „der Verfaſſer iſt mein Mann“ und berief ihn (1845) als k. k. Reichshiſtoriographen nach Wien, wo er zunächſt die Geſchichte Ferdinand’s II. ſchreiben ſollte. Deutlicher ließ ſich nicht ausſprechen, daß die Hofburg mit den joſephiniſchen Grundſätzen gänzlich gebrochen hatte. Einer ſolchen Partei gegenüber hatte Graf Dönhoff einen ſchweren Stand. Es konnte nicht ausbleiben, daß die bairiſchen Proteſtanten, die den alten König ſo oft als den Beſchützer des evangeliſchen Glaubens ge- feiert hatten **), ſich jetzt in ihrer Bedrängniß oft an den preußiſchen Ge- ſandten wendeten, und obgleich Dönhoff ſich nach ſeiner Amtspflicht, ſo weit es die Ehrlichkeit erlaubte, zurückzuhalten ſuchte, ſo wurde er doch von den Ultramontanen bald als das Haupt der proteſtantiſchen Oppoſition verläſtert. Das Lamm trübte dem unſchuldigen Wolfe das Waſſer: während Abel den neuen Kölner Erzbiſchof gradezu zum Kampfe wider die Kirchen- politik der evangeliſchen Höfe aufforderte, beſchuldigte er die Berliner Pie- tiſten, die mit ihren heimiſchen Parteikämpfen wahrlich genug zu thun hatten: ſie beanſpruchten für die Krone Preußen die Schirmherrſchaft über die bai- *) Dönhoff’s Bericht, 9. Oct. 1841. **) ſ. o. IV. 567.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/323>, abgerufen am 25.11.2024.