sie in unablässigem Verkehre, und wenn sie das Ansehen des Königthums gefährdet glaubte, dann konnte die leutselige Fürstin Manchem kalt und stolz erscheinen; daher schrieb man ihr einen verderblichen politischen Ein- fluß zu, obwohl sie während dieser ersten Jahre sich seltener als späterhin mit Staatsgeschäften befaßte.
Etwas weiter reichte die politische Wirksamkeit des Grafen Anton Stolberg, der anfangs neben dem Fürsten Wittgenstein, nachher als dessen bestallter Nachfolger die Leitung des Hausministeriums übernahm. Er hatte schon bei Jena tapfer gefochten, darauf die Verfolgungen der könig- lich westphälischen Polizei glücklich überstanden -- Dank den treuen Harzern, die den Sohn des altbeliebten Harzgrafengeschlechts immer zu verstecken wußten -- dann im Befreiungskriege mit dem älteren Prinzen Wilhelm, mit Gneisenau und York als treuer Waffengefährte Freundschaft ge- schlossen. Diese Kriegserinnerungen blieben ihm immer heilig; als er nach dem Frieden heimkehrte um seinen Vater bei der Regierung der Grafschaft zu unterstützen, ließ er sogleich auf den Felsen des Ilsensteins den gefallenen Freunden zu Ehren ein eisernes Kreuz aufrichten. Erst weit später trat er in den Verwaltungsdienst und erwarb sich als Prä- sident in Düsseldorf wie in Magdeburg allgemeines Vertrauen durch jene vornehme und doch schlicht menschliche Liebenswürdigkeit, welche sein edles Geschlecht von jeher ausgezeichnet hat. Lebendiger als sein po- litischer Sinn war sein religiöses Gefühl. Er schloß sich früh den Krei- sen der "Erweckten" an, unterstützte in Düsseldorf die beiden Wohl- thäter des Niederrheins, den Grafen v. d. Recke und den Pastor Fliedner bei ihren Liebeswerken und übernahm die Leitung des neuen Diakonissen- vereins. Diese lautere, durchaus duldsame Frömmigkeit gewann ihm das Herz Friedrich Wilhelm's. Alsbald nach dem Thronwechsel mußte "Graf Anton" nach Charlottenhof übersiedeln, damit er dem Könige als ein getreuer Eckart immer zur Hand sei bei jeder Gewissensfrage der Politik, und er entsprach dem Vertrauen durch freimüthige Offenheit. Aber, selbst ein Gemüthsmensch und darum trotz seiner natürlichen Milde zu- weilen ungerecht, vermochte er den Stimmungen des Monarchen nicht das Gegengewicht zu halten; von seiner Geschäftskenntniß und der Schärfe seines Verstandes sprach er selber sehr bescheiden.*) Das religiöse Leben seines Hauses bewegte sich in Formen, welche den protestantischen Ge- wohnheiten widersprachen; wenn er allabendlich mit seinen frommen lieb- reichen Töchtern und dem gesammten Hausgesinde auf den Knien lag, so waren im neuen Berlin nur Wenige duldsam genug um die ganz ungeheuchelte Inbrunst solcher Andachtsübungen zu achten.
Diese kirchliche Strenge zeigte sich noch schärfer ausgeprägt in der Gesinnung des Generals v. Thile, der fortan als Cabinetsminister, wie
*) Stolberg an Cuny, 12. Jan. 1841.
V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.
ſie in unabläſſigem Verkehre, und wenn ſie das Anſehen des Königthums gefährdet glaubte, dann konnte die leutſelige Fürſtin Manchem kalt und ſtolz erſcheinen; daher ſchrieb man ihr einen verderblichen politiſchen Ein- fluß zu, obwohl ſie während dieſer erſten Jahre ſich ſeltener als ſpäterhin mit Staatsgeſchäften befaßte.
Etwas weiter reichte die politiſche Wirkſamkeit des Grafen Anton Stolberg, der anfangs neben dem Fürſten Wittgenſtein, nachher als deſſen beſtallter Nachfolger die Leitung des Hausminiſteriums übernahm. Er hatte ſchon bei Jena tapfer gefochten, darauf die Verfolgungen der könig- lich weſtphäliſchen Polizei glücklich überſtanden — Dank den treuen Harzern, die den Sohn des altbeliebten Harzgrafengeſchlechts immer zu verſtecken wußten — dann im Befreiungskriege mit dem älteren Prinzen Wilhelm, mit Gneiſenau und York als treuer Waffengefährte Freundſchaft ge- ſchloſſen. Dieſe Kriegserinnerungen blieben ihm immer heilig; als er nach dem Frieden heimkehrte um ſeinen Vater bei der Regierung der Grafſchaft zu unterſtützen, ließ er ſogleich auf den Felſen des Ilſenſteins den gefallenen Freunden zu Ehren ein eiſernes Kreuz aufrichten. Erſt weit ſpäter trat er in den Verwaltungsdienſt und erwarb ſich als Prä- ſident in Düſſeldorf wie in Magdeburg allgemeines Vertrauen durch jene vornehme und doch ſchlicht menſchliche Liebenswürdigkeit, welche ſein edles Geſchlecht von jeher ausgezeichnet hat. Lebendiger als ſein po- litiſcher Sinn war ſein religiöſes Gefühl. Er ſchloß ſich früh den Krei- ſen der „Erweckten“ an, unterſtützte in Düſſeldorf die beiden Wohl- thäter des Niederrheins, den Grafen v. d. Recke und den Paſtor Fliedner bei ihren Liebeswerken und übernahm die Leitung des neuen Diakoniſſen- vereins. Dieſe lautere, durchaus duldſame Frömmigkeit gewann ihm das Herz Friedrich Wilhelm’s. Alsbald nach dem Thronwechſel mußte „Graf Anton“ nach Charlottenhof überſiedeln, damit er dem Könige als ein getreuer Eckart immer zur Hand ſei bei jeder Gewiſſensfrage der Politik, und er entſprach dem Vertrauen durch freimüthige Offenheit. Aber, ſelbſt ein Gemüthsmenſch und darum trotz ſeiner natürlichen Milde zu- weilen ungerecht, vermochte er den Stimmungen des Monarchen nicht das Gegengewicht zu halten; von ſeiner Geſchäftskenntniß und der Schärfe ſeines Verſtandes ſprach er ſelber ſehr beſcheiden.*) Das religiöſe Leben ſeines Hauſes bewegte ſich in Formen, welche den proteſtantiſchen Ge- wohnheiten widerſprachen; wenn er allabendlich mit ſeinen frommen lieb- reichen Töchtern und dem geſammten Hausgeſinde auf den Knien lag, ſo waren im neuen Berlin nur Wenige duldſam genug um die ganz ungeheuchelte Inbrunſt ſolcher Andachtsübungen zu achten.
Dieſe kirchliche Strenge zeigte ſich noch ſchärfer ausgeprägt in der Geſinnung des Generals v. Thile, der fortan als Cabinetsminiſter, wie
*) Stolberg an Cuny, 12. Jan. 1841.
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V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.
ſie in unabläſſigem Verkehre, und wenn ſie das Anſehen des Königthums
gefährdet glaubte, dann konnte die leutſelige Fürſtin Manchem kalt und
ſtolz erſcheinen; daher ſchrieb man ihr einen verderblichen politiſchen Ein-
fluß zu, obwohl ſie während dieſer erſten Jahre ſich ſeltener als ſpäterhin
mit Staatsgeſchäften befaßte.
Etwas weiter reichte die politiſche Wirkſamkeit des Grafen Anton
Stolberg, der anfangs neben dem Fürſten Wittgenſtein, nachher als deſſen
beſtallter Nachfolger die Leitung des Hausminiſteriums übernahm. Er
hatte ſchon bei Jena tapfer gefochten, darauf die Verfolgungen der könig-
lich weſtphäliſchen Polizei glücklich überſtanden — Dank den treuen Harzern,
die den Sohn des altbeliebten Harzgrafengeſchlechts immer zu verſtecken
wußten — dann im Befreiungskriege mit dem älteren Prinzen Wilhelm,
mit Gneiſenau und York als treuer Waffengefährte Freundſchaft ge-
ſchloſſen. Dieſe Kriegserinnerungen blieben ihm immer heilig; als er
nach dem Frieden heimkehrte um ſeinen Vater bei der Regierung der
Grafſchaft zu unterſtützen, ließ er ſogleich auf den Felſen des Ilſenſteins
den gefallenen Freunden zu Ehren ein eiſernes Kreuz aufrichten. Erſt
weit ſpäter trat er in den Verwaltungsdienſt und erwarb ſich als Prä-
ſident in Düſſeldorf wie in Magdeburg allgemeines Vertrauen durch jene
vornehme und doch ſchlicht menſchliche Liebenswürdigkeit, welche ſein
edles Geſchlecht von jeher ausgezeichnet hat. Lebendiger als ſein po-
litiſcher Sinn war ſein religiöſes Gefühl. Er ſchloß ſich früh den Krei-
ſen der „Erweckten“ an, unterſtützte in Düſſeldorf die beiden Wohl-
thäter des Niederrheins, den Grafen v. d. Recke und den Paſtor Fliedner
bei ihren Liebeswerken und übernahm die Leitung des neuen Diakoniſſen-
vereins. Dieſe lautere, durchaus duldſame Frömmigkeit gewann ihm das
Herz Friedrich Wilhelm’s. Alsbald nach dem Thronwechſel mußte „Graf
Anton“ nach Charlottenhof überſiedeln, damit er dem Könige als ein
getreuer Eckart immer zur Hand ſei bei jeder Gewiſſensfrage der Politik,
und er entſprach dem Vertrauen durch freimüthige Offenheit. Aber,
ſelbſt ein Gemüthsmenſch und darum trotz ſeiner natürlichen Milde zu-
weilen ungerecht, vermochte er den Stimmungen des Monarchen nicht
das Gegengewicht zu halten; von ſeiner Geſchäftskenntniß und der Schärfe
ſeines Verſtandes ſprach er ſelber ſehr beſcheiden. *) Das religiöſe Leben
ſeines Hauſes bewegte ſich in Formen, welche den proteſtantiſchen Ge-
wohnheiten widerſprachen; wenn er allabendlich mit ſeinen frommen lieb-
reichen Töchtern und dem geſammten Hausgeſinde auf den Knien lag,
ſo waren im neuen Berlin nur Wenige duldſam genug um die ganz
ungeheuchelte Inbrunſt ſolcher Andachtsübungen zu achten.
Dieſe kirchliche Strenge zeigte ſich noch ſchärfer ausgeprägt in der
Geſinnung des Generals v. Thile, der fortan als Cabinetsminiſter, wie
*) Stolberg an Cuny, 12. Jan. 1841.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/32>, abgerufen am 23.11.2024.
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