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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 4. Die Parteiung in der Kirche.
Treiben der Clericalen zu decken hatte auch die Regierung selbst oftmals
unsaubere Mittel angewendet.

Der neue Kölner Coadjutor Johannes Geissel theilte, wie die ge-
ängsteten Domherren richtig gewittert hatten, durchaus die Gesinnungen
Droste's; nur war er klüger, jünger, gewandter und darum für diese
schwache Staatsgewalt weit gefährlicher. Er hatte schon in jungen Jahren
an dem Mainzer "Katholiken", der ersten Zeitschrift der wiedererstehenden
ultramontanen Partei eifrig mitgearbeitet, *) nebenbei auch als Dilettant
in Dichtkunst und Geschichte ein leichtes Formtalent bewährt und sodann
die Diöcese Speier sehr geschickt verwaltet. Als geborener Pfälzer kannte
er dies überwiegend protestantische, alles Pfaffenthum verabscheuende
Volk genau und hütete sich Unfrieden zu erregen. Eine stattliche Prälaten-
gestalt, wohlbeleibt, mit funkelnden Augen, die zugleich Herrschsucht und
Verschlagenheit verkündeten, wußte er seine Würde so wohl zu bewahren,
daß er selbst während der abgeschmackten Umkleidungen beim Hochamte
niemals lächerlich erschien; in Gesellschaft bewegte er sich mit der Frei-
heit des lebensfrohen Weltmannes und verstand meisterhaft, das leichte
Gespräch für diplomatische Berechnungen auszunutzen. Ein rechter Preuße
ward er nie, weil er trotz der Gnade des Königs doch den protestantischen
Geist dieses Staates herausfühlte; der Gottesstaat der alleinseligmachenden
Kirche blieb sein Vaterland. Nach einer Unterredung mit Brühl, der
von dem milden, grunddeutschen Sinne des Prälaten ganz entzückt war **),
und nach einem peinlichen Besuche bei dem unwirschen alten Erzbischof
erschien Geissel um Neujahr 1842 in Berlin, wo er mit hohen Ehren
aufgenommen wurde und alsbald verlangte den Huldigungseid in die
Hand des Monarchen selbst abzulegen. Solche Förmlichkeiten hatte der
alte König stets seinen Commissaren überlassen, weil er es ungerecht fand
den katholischen Bischöfen, die an Würden und Ehren schon so viel mehr
genossen als die Geistlichen der evangelischen Landeskirche, auch noch einen
Vorzug zu gestatten, der keinem anderen Unterthan der Krone eingeräumt
wurde. Der Sohn aber gewährte die Bitte unbedenklich.

In seinen Gesprächen mit dem Könige und dem Cultusminister wußte
Geissel noch eine lange Reihe kirchlicher Anliegen wirksam vorzutragen.
Er wünschte unter Anderem unbeschränkte Herrschaft über das Priester-
seminar und Entfernung der letzten Hermesianer von der rheinischen Hoch-
schule; er verlangte sogar die Entlassung des Curators der Bonner Universi-
tät Rehfues, der während des Bischofsstreites die Eingriffe Droste's nach
seiner Amtspflicht zurückgewiesen und nachher die Kirchenpolitik des alten
Königs in einer verständigen, streng sachlich gehaltenen Flugschrift ver-
theidigt hatte. ***) Da Geissel diese Schrift doch nicht zu nennen wagte,

*) s. o. III. 210.
**) Brühl's Bericht an den König, Coblenz 8. Nov. 1841.
***) s. o. IV. 718.

V. 4. Die Parteiung in der Kirche.
Treiben der Clericalen zu decken hatte auch die Regierung ſelbſt oftmals
unſaubere Mittel angewendet.

Der neue Kölner Coadjutor Johannes Geiſſel theilte, wie die ge-
ängſteten Domherren richtig gewittert hatten, durchaus die Geſinnungen
Droſte’s; nur war er klüger, jünger, gewandter und darum für dieſe
ſchwache Staatsgewalt weit gefährlicher. Er hatte ſchon in jungen Jahren
an dem Mainzer „Katholiken“, der erſten Zeitſchrift der wiedererſtehenden
ultramontanen Partei eifrig mitgearbeitet, *) nebenbei auch als Dilettant
in Dichtkunſt und Geſchichte ein leichtes Formtalent bewährt und ſodann
die Diöceſe Speier ſehr geſchickt verwaltet. Als geborener Pfälzer kannte
er dies überwiegend proteſtantiſche, alles Pfaffenthum verabſcheuende
Volk genau und hütete ſich Unfrieden zu erregen. Eine ſtattliche Prälaten-
geſtalt, wohlbeleibt, mit funkelnden Augen, die zugleich Herrſchſucht und
Verſchlagenheit verkündeten, wußte er ſeine Würde ſo wohl zu bewahren,
daß er ſelbſt während der abgeſchmackten Umkleidungen beim Hochamte
niemals lächerlich erſchien; in Geſellſchaft bewegte er ſich mit der Frei-
heit des lebensfrohen Weltmannes und verſtand meiſterhaft, das leichte
Geſpräch für diplomatiſche Berechnungen auszunutzen. Ein rechter Preuße
ward er nie, weil er trotz der Gnade des Königs doch den proteſtantiſchen
Geiſt dieſes Staates herausfühlte; der Gottesſtaat der alleinſeligmachenden
Kirche blieb ſein Vaterland. Nach einer Unterredung mit Brühl, der
von dem milden, grunddeutſchen Sinne des Prälaten ganz entzückt war **),
und nach einem peinlichen Beſuche bei dem unwirſchen alten Erzbiſchof
erſchien Geiſſel um Neujahr 1842 in Berlin, wo er mit hohen Ehren
aufgenommen wurde und alsbald verlangte den Huldigungseid in die
Hand des Monarchen ſelbſt abzulegen. Solche Förmlichkeiten hatte der
alte König ſtets ſeinen Commiſſaren überlaſſen, weil er es ungerecht fand
den katholiſchen Biſchöfen, die an Würden und Ehren ſchon ſo viel mehr
genoſſen als die Geiſtlichen der evangeliſchen Landeskirche, auch noch einen
Vorzug zu geſtatten, der keinem anderen Unterthan der Krone eingeräumt
wurde. Der Sohn aber gewährte die Bitte unbedenklich.

In ſeinen Geſprächen mit dem Könige und dem Cultusminiſter wußte
Geiſſel noch eine lange Reihe kirchlicher Anliegen wirkſam vorzutragen.
Er wünſchte unter Anderem unbeſchränkte Herrſchaft über das Prieſter-
ſeminar und Entfernung der letzten Hermeſianer von der rheiniſchen Hoch-
ſchule; er verlangte ſogar die Entlaſſung des Curators der Bonner Univerſi-
tät Rehfues, der während des Biſchofsſtreites die Eingriffe Droſte’s nach
ſeiner Amtspflicht zurückgewieſen und nachher die Kirchenpolitik des alten
Königs in einer verſtändigen, ſtreng ſachlich gehaltenen Flugſchrift ver-
theidigt hatte. ***) Da Geiſſel dieſe Schrift doch nicht zu nennen wagte,

*) ſ. o. III. 210.
**) Brühl’s Bericht an den König, Coblenz 8. Nov. 1841.
***) ſ. o. IV. 718.
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[296/0310] V. 4. Die Parteiung in der Kirche. Treiben der Clericalen zu decken hatte auch die Regierung ſelbſt oftmals unſaubere Mittel angewendet. Der neue Kölner Coadjutor Johannes Geiſſel theilte, wie die ge- ängſteten Domherren richtig gewittert hatten, durchaus die Geſinnungen Droſte’s; nur war er klüger, jünger, gewandter und darum für dieſe ſchwache Staatsgewalt weit gefährlicher. Er hatte ſchon in jungen Jahren an dem Mainzer „Katholiken“, der erſten Zeitſchrift der wiedererſtehenden ultramontanen Partei eifrig mitgearbeitet, *) nebenbei auch als Dilettant in Dichtkunſt und Geſchichte ein leichtes Formtalent bewährt und ſodann die Diöceſe Speier ſehr geſchickt verwaltet. Als geborener Pfälzer kannte er dies überwiegend proteſtantiſche, alles Pfaffenthum verabſcheuende Volk genau und hütete ſich Unfrieden zu erregen. Eine ſtattliche Prälaten- geſtalt, wohlbeleibt, mit funkelnden Augen, die zugleich Herrſchſucht und Verſchlagenheit verkündeten, wußte er ſeine Würde ſo wohl zu bewahren, daß er ſelbſt während der abgeſchmackten Umkleidungen beim Hochamte niemals lächerlich erſchien; in Geſellſchaft bewegte er ſich mit der Frei- heit des lebensfrohen Weltmannes und verſtand meiſterhaft, das leichte Geſpräch für diplomatiſche Berechnungen auszunutzen. Ein rechter Preuße ward er nie, weil er trotz der Gnade des Königs doch den proteſtantiſchen Geiſt dieſes Staates herausfühlte; der Gottesſtaat der alleinſeligmachenden Kirche blieb ſein Vaterland. Nach einer Unterredung mit Brühl, der von dem milden, grunddeutſchen Sinne des Prälaten ganz entzückt war **), und nach einem peinlichen Beſuche bei dem unwirſchen alten Erzbiſchof erſchien Geiſſel um Neujahr 1842 in Berlin, wo er mit hohen Ehren aufgenommen wurde und alsbald verlangte den Huldigungseid in die Hand des Monarchen ſelbſt abzulegen. Solche Förmlichkeiten hatte der alte König ſtets ſeinen Commiſſaren überlaſſen, weil er es ungerecht fand den katholiſchen Biſchöfen, die an Würden und Ehren ſchon ſo viel mehr genoſſen als die Geiſtlichen der evangeliſchen Landeskirche, auch noch einen Vorzug zu geſtatten, der keinem anderen Unterthan der Krone eingeräumt wurde. Der Sohn aber gewährte die Bitte unbedenklich. In ſeinen Geſprächen mit dem Könige und dem Cultusminiſter wußte Geiſſel noch eine lange Reihe kirchlicher Anliegen wirkſam vorzutragen. Er wünſchte unter Anderem unbeſchränkte Herrſchaft über das Prieſter- ſeminar und Entfernung der letzten Hermeſianer von der rheiniſchen Hoch- ſchule; er verlangte ſogar die Entlaſſung des Curators der Bonner Univerſi- tät Rehfues, der während des Biſchofsſtreites die Eingriffe Droſte’s nach ſeiner Amtspflicht zurückgewieſen und nachher die Kirchenpolitik des alten Königs in einer verſtändigen, ſtreng ſachlich gehaltenen Flugſchrift ver- theidigt hatte. ***) Da Geiſſel dieſe Schrift doch nicht zu nennen wagte, *) ſ. o. III. 210. **) Brühl’s Bericht an den König, Coblenz 8. Nov. 1841. ***) ſ. o. IV. 718.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/310>, abgerufen am 22.11.2024.