Erfahrungen zog und -- der erste katholische Bischof seit dem Zeitalter der Reformation -- mit der Gemeinde zum evangelischen Abendmahle ging (1862), da erregte dieser Uebertritt außerhalb der theologischen Welt nur wenig Aufsehen. Ein frommer Christ, ein treuer Patriot, ein liebens- werther Mensch, aber kein Mann der bahnbrechenden That -- so war er immer gewesen. Mit warmer Theilnahme, ohne jede Bitterkeit ge- dachte er auch fernerhin der alten Kirche, die ihn einst in seinem zwölften Lebensjahre zum Domherrn geweiht und dann so rauh behandelt hatte, den Evangelischen aber ward er theuer als ein Vorbild ernster tief inner- lich erlebter Frömmigkeit und durch eine Fülle milder Stiftungen, in denen sein Name noch heute gesegnet fortlebt.
Nachdem der König diesen Mann so schnell hatte fallen lassen, be- fahl er auch noch die Verhandlungen wegen der geraubten evangelischen Kirchen sofort einzustellen. Was konnte es unter solchen Umständen frommen, daß Brühl beauftragt wurde, für die eigenmächtige Verdrängung Sedlnitzky's unzweideutige Genugthuung zu fordern? Einige erregte Ge- spräche mit Lambruschini waren die einzige Folge. Das Verweseramt in dem erledigten Bisthum übernahm nunmehr, von der Krone nicht an- erkannt *), aber geduldet, der Domherr Professor Ritter, ein wilder Ultramontaner, der den Christen nur die Wahl ließ zwischen Rom und Fr. David Strauß, und soeben in einer Schrift Irenikon kurzab be- hauptet hatte, die Kirche stehe über dem Staate. Da galt es denn die Neuwahl zu beschleunigen. Der Papst mahnte dazu, ohne bei der Krone anzufragen, und der König in seiner unerschöpflichen Gutmüthigkeit ge- stattete dem Capitel für diesmal, eine Candidatenliste aufzustellen, was allem Recht und Brauch zuwiderlief. **) Zum Danke erlaubten sich die Domherren ein schmutziges Ränkespiel, wie es nur unter Clerikern möglich ist, und nannten schließlich nicht weniger als zwölf Candidaten, von denen die Mehrzahl dem Domcapitel selbst angehörte; die hochwürdigen Con- fratres hatten einander also wechselseitig gewählt. ***) Nun endlich begann Graf Brühl, der die Breslauer Verhältnisse genau kannte, Unrath zu wittern. Er fürchtete nicht gerade einen neuen Gewaltstreich des Papstes, "weil es weit mehr im Geiste der hiesigen Politik liegt in eine unbewachte Oeffnung hineinzuschleichen, als keck Bresche zu legen und sie mit Gewalt zu erstürmen." Doch wenn das Capitel sich nicht rechtzeitig einigte, so konnte der Papst nach dem Rechte der Devolution selber den Bischof er- nennen, und was ließ sich dann wieder erwarten? Darum rieth Brühl dringend, die Krone müsse jetzt Ernst zeigen: mündliche Verhandlungen mit den einzelnen Domcapitularen nützen gar nichts, sie werden einfach
*) Cabinetsordre an Eichhorn, 19. Dec. 1840.
**) Gregor XVI., Breve an das Breslauer Domcapitel, 21. Nov. 1840; Cabinets- ordre an Eichhorn, 24. Febr. 1841.
***) Eichhorn's Bericht an den König, 15. April 1841.
Sedlnitzky’s Abdankung.
Erfahrungen zog und — der erſte katholiſche Biſchof ſeit dem Zeitalter der Reformation — mit der Gemeinde zum evangeliſchen Abendmahle ging (1862), da erregte dieſer Uebertritt außerhalb der theologiſchen Welt nur wenig Aufſehen. Ein frommer Chriſt, ein treuer Patriot, ein liebens- werther Menſch, aber kein Mann der bahnbrechenden That — ſo war er immer geweſen. Mit warmer Theilnahme, ohne jede Bitterkeit ge- dachte er auch fernerhin der alten Kirche, die ihn einſt in ſeinem zwölften Lebensjahre zum Domherrn geweiht und dann ſo rauh behandelt hatte, den Evangeliſchen aber ward er theuer als ein Vorbild ernſter tief inner- lich erlebter Frömmigkeit und durch eine Fülle milder Stiftungen, in denen ſein Name noch heute geſegnet fortlebt.
Nachdem der König dieſen Mann ſo ſchnell hatte fallen laſſen, be- fahl er auch noch die Verhandlungen wegen der geraubten evangeliſchen Kirchen ſofort einzuſtellen. Was konnte es unter ſolchen Umſtänden frommen, daß Brühl beauftragt wurde, für die eigenmächtige Verdrängung Sedlnitzky’s unzweideutige Genugthuung zu fordern? Einige erregte Ge- ſpräche mit Lambruschini waren die einzige Folge. Das Verweſeramt in dem erledigten Bisthum übernahm nunmehr, von der Krone nicht an- erkannt *), aber geduldet, der Domherr Profeſſor Ritter, ein wilder Ultramontaner, der den Chriſten nur die Wahl ließ zwiſchen Rom und Fr. David Strauß, und ſoeben in einer Schrift Irenikon kurzab be- hauptet hatte, die Kirche ſtehe über dem Staate. Da galt es denn die Neuwahl zu beſchleunigen. Der Papſt mahnte dazu, ohne bei der Krone anzufragen, und der König in ſeiner unerſchöpflichen Gutmüthigkeit ge- ſtattete dem Capitel für diesmal, eine Candidatenliſte aufzuſtellen, was allem Recht und Brauch zuwiderlief. **) Zum Danke erlaubten ſich die Domherren ein ſchmutziges Ränkeſpiel, wie es nur unter Clerikern möglich iſt, und nannten ſchließlich nicht weniger als zwölf Candidaten, von denen die Mehrzahl dem Domcapitel ſelbſt angehörte; die hochwürdigen Con- fratres hatten einander alſo wechſelſeitig gewählt. ***) Nun endlich begann Graf Brühl, der die Breslauer Verhältniſſe genau kannte, Unrath zu wittern. Er fürchtete nicht gerade einen neuen Gewaltſtreich des Papſtes, „weil es weit mehr im Geiſte der hieſigen Politik liegt in eine unbewachte Oeffnung hineinzuſchleichen, als keck Breſche zu legen und ſie mit Gewalt zu erſtürmen.“ Doch wenn das Capitel ſich nicht rechtzeitig einigte, ſo konnte der Papſt nach dem Rechte der Devolution ſelber den Biſchof er- nennen, und was ließ ſich dann wieder erwarten? Darum rieth Brühl dringend, die Krone müſſe jetzt Ernſt zeigen: mündliche Verhandlungen mit den einzelnen Domcapitularen nützen gar nichts, ſie werden einfach
*) Cabinetsordre an Eichhorn, 19. Dec. 1840.
**) Gregor XVI., Breve an das Breslauer Domcapitel, 21. Nov. 1840; Cabinets- ordre an Eichhorn, 24. Febr. 1841.
***) Eichhorn’s Bericht an den König, 15. April 1841.
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Sedlnitzky’s Abdankung.
Erfahrungen zog und — der erſte katholiſche Biſchof ſeit dem Zeitalter der
Reformation — mit der Gemeinde zum evangeliſchen Abendmahle ging
(1862), da erregte dieſer Uebertritt außerhalb der theologiſchen Welt nur
wenig Aufſehen. Ein frommer Chriſt, ein treuer Patriot, ein liebens-
werther Menſch, aber kein Mann der bahnbrechenden That — ſo war
er immer geweſen. Mit warmer Theilnahme, ohne jede Bitterkeit ge-
dachte er auch fernerhin der alten Kirche, die ihn einſt in ſeinem zwölften
Lebensjahre zum Domherrn geweiht und dann ſo rauh behandelt hatte,
den Evangeliſchen aber ward er theuer als ein Vorbild ernſter tief inner-
lich erlebter Frömmigkeit und durch eine Fülle milder Stiftungen, in denen
ſein Name noch heute geſegnet fortlebt.
Nachdem der König dieſen Mann ſo ſchnell hatte fallen laſſen, be-
fahl er auch noch die Verhandlungen wegen der geraubten evangeliſchen
Kirchen ſofort einzuſtellen. Was konnte es unter ſolchen Umſtänden
frommen, daß Brühl beauftragt wurde, für die eigenmächtige Verdrängung
Sedlnitzky’s unzweideutige Genugthuung zu fordern? Einige erregte Ge-
ſpräche mit Lambruschini waren die einzige Folge. Das Verweſeramt in
dem erledigten Bisthum übernahm nunmehr, von der Krone nicht an-
erkannt *), aber geduldet, der Domherr Profeſſor Ritter, ein wilder
Ultramontaner, der den Chriſten nur die Wahl ließ zwiſchen Rom und
Fr. David Strauß, und ſoeben in einer Schrift Irenikon kurzab be-
hauptet hatte, die Kirche ſtehe über dem Staate. Da galt es denn die
Neuwahl zu beſchleunigen. Der Papſt mahnte dazu, ohne bei der Krone
anzufragen, und der König in ſeiner unerſchöpflichen Gutmüthigkeit ge-
ſtattete dem Capitel für diesmal, eine Candidatenliſte aufzuſtellen, was
allem Recht und Brauch zuwiderlief. **) Zum Danke erlaubten ſich die
Domherren ein ſchmutziges Ränkeſpiel, wie es nur unter Clerikern möglich
iſt, und nannten ſchließlich nicht weniger als zwölf Candidaten, von denen
die Mehrzahl dem Domcapitel ſelbſt angehörte; die hochwürdigen Con-
fratres hatten einander alſo wechſelſeitig gewählt. ***) Nun endlich begann
Graf Brühl, der die Breslauer Verhältniſſe genau kannte, Unrath zu
wittern. Er fürchtete nicht gerade einen neuen Gewaltſtreich des Papſtes,
„weil es weit mehr im Geiſte der hieſigen Politik liegt in eine unbewachte
Oeffnung hineinzuſchleichen, als keck Breſche zu legen und ſie mit Gewalt
zu erſtürmen.“ Doch wenn das Capitel ſich nicht rechtzeitig einigte, ſo
konnte der Papſt nach dem Rechte der Devolution ſelber den Biſchof er-
nennen, und was ließ ſich dann wieder erwarten? Darum rieth Brühl
dringend, die Krone müſſe jetzt Ernſt zeigen: mündliche Verhandlungen
mit den einzelnen Domcapitularen nützen gar nichts, ſie werden einfach
*) Cabinetsordre an Eichhorn, 19. Dec. 1840.
**) Gregor XVI., Breve an das Breslauer Domcapitel, 21. Nov. 1840; Cabinets-
ordre an Eichhorn, 24. Febr. 1841.
***) Eichhorn’s Bericht an den König, 15. April 1841.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/307>, abgerufen am 22.11.2024.
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