Daß diese Schande dem preußischen Staate erspart blieb, war allein dem Starrsinn Droste's zu verdanken. Bei dem hatten mittlerweile Schadow und Fürstenberg nochmals, und wieder vergeblich, ihre Ueber- redungskünste versucht. Der unbeugsame Westphale wurde den Monsig- noren immer lästiger und Capaccini meinte: ein Glück nur daß er den Purpur verschmäht, er wäre ja im Stande hier mit Papst und Cardi- nälen Händel anzufangen! Gregor aber fühlte sich beunruhigt; denn er wußte wohl, daß der Papst nicht befugt ist, einem Bischof, ohne dessen Einwilligung, einen Coadjutor mit so ausgedehnten Befugnissen beizu- ordnen; und so unbedenklich er die Rechte der weltlichen Gewalt beein- trächtigte, ebenso gewissenhaft vermied er das kanonische Recht zu verletzen. Er entschloß sich daher, den Erzbischof durch einen eigenhändigen Brief sehr nachdrücklich zur Anerkennung des Coadjutors aufzufordern, und sendete zugleich den Bischof Reisach zum zweiten male nach Münster, diesmal mit den allerstrengsten Weisungen, so daß der bairische Jesuit seine ganze Kraft einsetzen mußte. Nach einigen Wochen peinlichen Harrens meldete Reisach endlich: Droste habe sich den Befehlen des heiligen Vaters gänzlich unterworfen und wolle sogar einen Hirtenbrief erlassen um seine Heerde zum Gehorsam gegen den Coadjutor zu ermahnen. Nur die Reise nach Köln zur Bischofsweihe hatte der Alte entschieden abgelehnt, indem er seine schwache Gesundheit vorschützte. *) Offenbar ging es dem deutschen Freiherrn wider die Ehre, jetzt noch an einem frivolen vierund- zwanzigstündigen geistlichen Possenspiele theilzunehmen, nachdem ihn der Vatican schnöde preisgegeben hatte; der Gegensatz deutscher Treue und wälscher List zeigte sich vom Anfang bis zum Ende dieser Tragikomödie.
Dergestalt rettete der vertriebene Erzbischof wider Willen seinen König vor einer selbstverschuldeten Demüthigung. Im Vatican aber änderte sich die Scene noch einmal, als die Nachrichten aus Münster einliefen. Ver- gessen und verschollen waren plötzlich alle die salbungsvollen Reden, mit denen man den Preußen früherhin weich gestimmt hatte. Die so inbrünstig verlangte Genugthuung für den beleidigten Episkopat wurde jetzt gar nicht mehr erwähnt, und da man doch endlich zum Abschluß kommen wollte, so schien es am einfachsten wieder auf Geissel zurückzugreifen, der keiner Bischofsweihe bedurfte. Droste hatte nichts dawider; das wußte man schon aus Reisach's Berichten. Der Cardinal-Staatssecretär vollzog diese neue Schwenkung mit solcher Leichtigkeit, daß Brühl Verdacht schöpfte und richtig herauswitterte: Geissel wäre vielleicht schon von langer Hand her der eigentliche Candidat Lambruschini's, Reisach's und der Jesuiten ge- wesen. Ahnungsvoll fügte er hinzu: auf das Urtheil des unklaren und in katholischen Dingen befangenen Königs Ludwig sei wohl wenig zu geben. Aber nach seinen Weisungen durfte er nicht mehr widersprechen.
*) Brühl's Berichte, 10. 16. Sept. 1841.
V. 4. Die Parteiung in der Kirche.
Daß dieſe Schande dem preußiſchen Staate erſpart blieb, war allein dem Starrſinn Droſte’s zu verdanken. Bei dem hatten mittlerweile Schadow und Fürſtenberg nochmals, und wieder vergeblich, ihre Ueber- redungskünſte verſucht. Der unbeugſame Weſtphale wurde den Monſig- noren immer läſtiger und Capaccini meinte: ein Glück nur daß er den Purpur verſchmäht, er wäre ja im Stande hier mit Papſt und Cardi- nälen Händel anzufangen! Gregor aber fühlte ſich beunruhigt; denn er wußte wohl, daß der Papſt nicht befugt iſt, einem Biſchof, ohne deſſen Einwilligung, einen Coadjutor mit ſo ausgedehnten Befugniſſen beizu- ordnen; und ſo unbedenklich er die Rechte der weltlichen Gewalt beein- trächtigte, ebenſo gewiſſenhaft vermied er das kanoniſche Recht zu verletzen. Er entſchloß ſich daher, den Erzbiſchof durch einen eigenhändigen Brief ſehr nachdrücklich zur Anerkennung des Coadjutors aufzufordern, und ſendete zugleich den Biſchof Reiſach zum zweiten male nach Münſter, diesmal mit den allerſtrengſten Weiſungen, ſo daß der bairiſche Jeſuit ſeine ganze Kraft einſetzen mußte. Nach einigen Wochen peinlichen Harrens meldete Reiſach endlich: Droſte habe ſich den Befehlen des heiligen Vaters gänzlich unterworfen und wolle ſogar einen Hirtenbrief erlaſſen um ſeine Heerde zum Gehorſam gegen den Coadjutor zu ermahnen. Nur die Reiſe nach Köln zur Biſchofsweihe hatte der Alte entſchieden abgelehnt, indem er ſeine ſchwache Geſundheit vorſchützte. *) Offenbar ging es dem deutſchen Freiherrn wider die Ehre, jetzt noch an einem frivolen vierund- zwanzigſtündigen geiſtlichen Poſſenſpiele theilzunehmen, nachdem ihn der Vatican ſchnöde preisgegeben hatte; der Gegenſatz deutſcher Treue und wälſcher Liſt zeigte ſich vom Anfang bis zum Ende dieſer Tragikomödie.
Dergeſtalt rettete der vertriebene Erzbiſchof wider Willen ſeinen König vor einer ſelbſtverſchuldeten Demüthigung. Im Vatican aber änderte ſich die Scene noch einmal, als die Nachrichten aus Münſter einliefen. Ver- geſſen und verſchollen waren plötzlich alle die ſalbungsvollen Reden, mit denen man den Preußen früherhin weich geſtimmt hatte. Die ſo inbrünſtig verlangte Genugthuung für den beleidigten Epiſkopat wurde jetzt gar nicht mehr erwähnt, und da man doch endlich zum Abſchluß kommen wollte, ſo ſchien es am einfachſten wieder auf Geiſſel zurückzugreifen, der keiner Biſchofsweihe bedurfte. Droſte hatte nichts dawider; das wußte man ſchon aus Reiſach’s Berichten. Der Cardinal-Staatsſecretär vollzog dieſe neue Schwenkung mit ſolcher Leichtigkeit, daß Brühl Verdacht ſchöpfte und richtig herauswitterte: Geiſſel wäre vielleicht ſchon von langer Hand her der eigentliche Candidat Lambruschini’s, Reiſach’s und der Jeſuiten ge- weſen. Ahnungsvoll fügte er hinzu: auf das Urtheil des unklaren und in katholiſchen Dingen befangenen Königs Ludwig ſei wohl wenig zu geben. Aber nach ſeinen Weiſungen durfte er nicht mehr widerſprechen.
*) Brühl’s Berichte, 10. 16. Sept. 1841.
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Daß dieſe Schande dem preußiſchen Staate erſpart blieb, war allein
dem Starrſinn Droſte’s zu verdanken. Bei dem hatten mittlerweile
Schadow und Fürſtenberg nochmals, und wieder vergeblich, ihre Ueber-
redungskünſte verſucht. Der unbeugſame Weſtphale wurde den Monſig-
noren immer läſtiger und Capaccini meinte: ein Glück nur daß er den
Purpur verſchmäht, er wäre ja im Stande hier mit Papſt und Cardi-
nälen Händel anzufangen! Gregor aber fühlte ſich beunruhigt; denn
er wußte wohl, daß der Papſt nicht befugt iſt, einem Biſchof, ohne deſſen
Einwilligung, einen Coadjutor mit ſo ausgedehnten Befugniſſen beizu-
ordnen; und ſo unbedenklich er die Rechte der weltlichen Gewalt beein-
trächtigte, ebenſo gewiſſenhaft vermied er das kanoniſche Recht zu verletzen.
Er entſchloß ſich daher, den Erzbiſchof durch einen eigenhändigen Brief
ſehr nachdrücklich zur Anerkennung des Coadjutors aufzufordern, und
ſendete zugleich den Biſchof Reiſach zum zweiten male nach Münſter,
diesmal mit den allerſtrengſten Weiſungen, ſo daß der bairiſche Jeſuit
ſeine ganze Kraft einſetzen mußte. Nach einigen Wochen peinlichen Harrens
meldete Reiſach endlich: Droſte habe ſich den Befehlen des heiligen Vaters
gänzlich unterworfen und wolle ſogar einen Hirtenbrief erlaſſen um ſeine
Heerde zum Gehorſam gegen den Coadjutor zu ermahnen. Nur die
Reiſe nach Köln zur Biſchofsweihe hatte der Alte entſchieden abgelehnt,
indem er ſeine ſchwache Geſundheit vorſchützte. *) Offenbar ging es dem
deutſchen Freiherrn wider die Ehre, jetzt noch an einem frivolen vierund-
zwanzigſtündigen geiſtlichen Poſſenſpiele theilzunehmen, nachdem ihn der
Vatican ſchnöde preisgegeben hatte; der Gegenſatz deutſcher Treue und
wälſcher Liſt zeigte ſich vom Anfang bis zum Ende dieſer Tragikomödie.
Dergeſtalt rettete der vertriebene Erzbiſchof wider Willen ſeinen König
vor einer ſelbſtverſchuldeten Demüthigung. Im Vatican aber änderte ſich
die Scene noch einmal, als die Nachrichten aus Münſter einliefen. Ver-
geſſen und verſchollen waren plötzlich alle die ſalbungsvollen Reden, mit
denen man den Preußen früherhin weich geſtimmt hatte. Die ſo inbrünſtig
verlangte Genugthuung für den beleidigten Epiſkopat wurde jetzt gar nicht
mehr erwähnt, und da man doch endlich zum Abſchluß kommen wollte,
ſo ſchien es am einfachſten wieder auf Geiſſel zurückzugreifen, der keiner
Biſchofsweihe bedurfte. Droſte hatte nichts dawider; das wußte man
ſchon aus Reiſach’s Berichten. Der Cardinal-Staatsſecretär vollzog dieſe
neue Schwenkung mit ſolcher Leichtigkeit, daß Brühl Verdacht ſchöpfte
und richtig herauswitterte: Geiſſel wäre vielleicht ſchon von langer Hand her
der eigentliche Candidat Lambruschini’s, Reiſach’s und der Jeſuiten ge-
weſen. Ahnungsvoll fügte er hinzu: auf das Urtheil des unklaren und
in katholiſchen Dingen befangenen Königs Ludwig ſei wohl wenig zu
geben. Aber nach ſeinen Weiſungen durfte er nicht mehr widerſprechen.
*) Brühl’s Berichte, 10. 16. Sept. 1841.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/302>, abgerufen am 25.11.2024.
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