der Verfassungssache seine strenge Rechtsansicht unerschrocken festgehalten. Der König wünschte ihn auf gute Art zu beseitigen, und bald fanden sich dienstbeflissene Leute, welche dem arglosen, leicht zu täuschenden Monarchen vorspiegelten: der greise noch sehr rüstige Präsident des Obertribunals Sack wünsche nach seinem Jubiläum, im nächsten Juli auszuscheiden. So erhielt denn der vornehmste Richter der Monarchie zu seinem Jubelfeste neben dem wohlverdienten hohen Orden zugleich die ganz unerwartete Mittheilung: der König würde ihm den Abschied gern ertheilen, falls er Altershalber darum bäte. Tief gekränkt trat er sofort zurück, und der gesammte Richterstand fühlte sich mit ihm beleidigt.*) In dies erledigte Amt rückte Mühler ein; er behielt jedoch, wie Rochow, Sitz und Stimme im Staatsministerium, das also immer zahlreicher und bunter wurde. Das Ministerium der Justizverwaltung erhielt der Cabinetsrath Uhden; der König mochte wohl insgeheim hoffen, durch diesen seinen persönlichen Vertrauten den zaudernden, gelehrten Minister der Gesetzgebung zu ra- scherer Thätigkeit anzuspornen.
Mittlerweile ward auch Graf Arnim seines Amtes müde. Hoffnungs- voll und fest entschlossen, seine ganze Kraft für die ständischen Pläne des Königs ritterlich einzusetzen, war er vor zwei Jahren in das Ministerium eingetreten, aber sofort in den unseligen Kampf mit der Presse verwickelt worden. Die ganze Gehässigkeit jener Zeitungsverbote haftete nunmehr an seinem Namen, obwohl er stets nur die Befehle seines königlichen Herrn ausgeführt hatte. Er fühlte das und fragte den Monarchen mehr- mals: werde ich nicht zu unbeliebt sein, um jetzt noch im Amte bleiben zu können, da die Zeit des Widerstandes vorüber ist und "eine Periode des besonnenen Fortschreitens" beginnen soll? Noch schwerer bedrückte ihn, daß er sich von der Unausführbarkeit der Entwürfe des Königs sehr bald überzeugen mußte. Anfangs stand er der Verfassungsfrage, gleich allen seinen Amtsgenossen, noch ganz urtheilslos gegenüber; er hatte Augen- blicke, da ihm die mecklenburgische Verfassung bewundernswerth erschien, und wieder andere, da er, wie auch Radowitz**), sich der harmlosen Hoff- nung hingab, das regere Leben der Provinziallandtage würde den reichs- ständischen Gedanken bald ganz ersticken. Sobald er sich aber tiefer ein- arbeitete, gelangte er zu der nüchternen Erkenntniß, daß der Neubau der ständischen Verfassung auf einem festen unangreifbaren Rechtsboden ruhen müsse. Darum schlug er vor (Apr. 1844), aus den Virilstimmen des Herrenstandes und erwählten Abgeordneten der Provinziallandtage einen Reichstag von etwa 160 Köpfen zu bilden, der aller drei Jahre regel- mäßig zusammenträte, um über neue Steuern und Gesetze zu berathen, über neue Anleihen zu beschließen. So würden alle Verheißungen der
*) So ist mir der einst vielbesprochene Vorfall von Seiten der Familie des Prä- sidenten erläutert worden.
**) Radowitz's Bericht, 22. Juli 1843.
V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.
der Verfaſſungsſache ſeine ſtrenge Rechtsanſicht unerſchrocken feſtgehalten. Der König wünſchte ihn auf gute Art zu beſeitigen, und bald fanden ſich dienſtbefliſſene Leute, welche dem argloſen, leicht zu täuſchenden Monarchen vorſpiegelten: der greiſe noch ſehr rüſtige Präſident des Obertribunals Sack wünſche nach ſeinem Jubiläum, im nächſten Juli auszuſcheiden. So erhielt denn der vornehmſte Richter der Monarchie zu ſeinem Jubelfeſte neben dem wohlverdienten hohen Orden zugleich die ganz unerwartete Mittheilung: der König würde ihm den Abſchied gern ertheilen, falls er Altershalber darum bäte. Tief gekränkt trat er ſofort zurück, und der geſammte Richterſtand fühlte ſich mit ihm beleidigt.*) In dies erledigte Amt rückte Mühler ein; er behielt jedoch, wie Rochow, Sitz und Stimme im Staatsminiſterium, das alſo immer zahlreicher und bunter wurde. Das Miniſterium der Juſtizverwaltung erhielt der Cabinetsrath Uhden; der König mochte wohl insgeheim hoffen, durch dieſen ſeinen perſönlichen Vertrauten den zaudernden, gelehrten Miniſter der Geſetzgebung zu ra- ſcherer Thätigkeit anzuſpornen.
Mittlerweile ward auch Graf Arnim ſeines Amtes müde. Hoffnungs- voll und feſt entſchloſſen, ſeine ganze Kraft für die ſtändiſchen Pläne des Königs ritterlich einzuſetzen, war er vor zwei Jahren in das Miniſterium eingetreten, aber ſofort in den unſeligen Kampf mit der Preſſe verwickelt worden. Die ganze Gehäſſigkeit jener Zeitungsverbote haftete nunmehr an ſeinem Namen, obwohl er ſtets nur die Befehle ſeines königlichen Herrn ausgeführt hatte. Er fühlte das und fragte den Monarchen mehr- mals: werde ich nicht zu unbeliebt ſein, um jetzt noch im Amte bleiben zu können, da die Zeit des Widerſtandes vorüber iſt und „eine Periode des beſonnenen Fortſchreitens“ beginnen ſoll? Noch ſchwerer bedrückte ihn, daß er ſich von der Unausführbarkeit der Entwürfe des Königs ſehr bald überzeugen mußte. Anfangs ſtand er der Verfaſſungsfrage, gleich allen ſeinen Amtsgenoſſen, noch ganz urtheilslos gegenüber; er hatte Augen- blicke, da ihm die mecklenburgiſche Verfaſſung bewundernswerth erſchien, und wieder andere, da er, wie auch Radowitz**), ſich der harmloſen Hoff- nung hingab, das regere Leben der Provinziallandtage würde den reichs- ſtändiſchen Gedanken bald ganz erſticken. Sobald er ſich aber tiefer ein- arbeitete, gelangte er zu der nüchternen Erkenntniß, daß der Neubau der ſtändiſchen Verfaſſung auf einem feſten unangreifbaren Rechtsboden ruhen müſſe. Darum ſchlug er vor (Apr. 1844), aus den Virilſtimmen des Herrenſtandes und erwählten Abgeordneten der Provinziallandtage einen Reichstag von etwa 160 Köpfen zu bilden, der aller drei Jahre regel- mäßig zuſammenträte, um über neue Steuern und Geſetze zu berathen, über neue Anleihen zu beſchließen. So würden alle Verheißungen der
*) So iſt mir der einſt vielbeſprochene Vorfall von Seiten der Familie des Prä- ſidenten erläutert worden.
**) Radowitz’s Bericht, 22. Juli 1843.
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Der König wünſchte ihn auf gute Art zu beſeitigen, und bald fanden ſich
dienſtbefliſſene Leute, welche dem argloſen, leicht zu täuſchenden Monarchen
vorſpiegelten: der greiſe noch ſehr rüſtige Präſident des Obertribunals
Sack wünſche nach ſeinem Jubiläum, im nächſten Juli auszuſcheiden. So
erhielt denn der vornehmſte Richter der Monarchie zu ſeinem Jubelfeſte
neben dem wohlverdienten hohen Orden zugleich die ganz unerwartete
Mittheilung: der König würde ihm den Abſchied gern ertheilen, falls er
Altershalber darum bäte. Tief gekränkt trat er ſofort zurück, und der
geſammte Richterſtand fühlte ſich mit ihm beleidigt. *) In dies erledigte
Amt rückte Mühler ein; er behielt jedoch, wie Rochow, Sitz und Stimme
im Staatsminiſterium, das alſo immer zahlreicher und bunter wurde.
Das Miniſterium der Juſtizverwaltung erhielt der Cabinetsrath Uhden;
der König mochte wohl insgeheim hoffen, durch dieſen ſeinen perſönlichen
Vertrauten den zaudernden, gelehrten Miniſter der Geſetzgebung zu ra-
ſcherer Thätigkeit anzuſpornen.
Mittlerweile ward auch Graf Arnim ſeines Amtes müde. Hoffnungs-
voll und feſt entſchloſſen, ſeine ganze Kraft für die ſtändiſchen Pläne des
Königs ritterlich einzuſetzen, war er vor zwei Jahren in das Miniſterium
eingetreten, aber ſofort in den unſeligen Kampf mit der Preſſe verwickelt
worden. Die ganze Gehäſſigkeit jener Zeitungsverbote haftete nunmehr
an ſeinem Namen, obwohl er ſtets nur die Befehle ſeines königlichen
Herrn ausgeführt hatte. Er fühlte das und fragte den Monarchen mehr-
mals: werde ich nicht zu unbeliebt ſein, um jetzt noch im Amte bleiben
zu können, da die Zeit des Widerſtandes vorüber iſt und „eine Periode
des beſonnenen Fortſchreitens“ beginnen ſoll? Noch ſchwerer bedrückte ihn,
daß er ſich von der Unausführbarkeit der Entwürfe des Königs ſehr bald
überzeugen mußte. Anfangs ſtand er der Verfaſſungsfrage, gleich allen
ſeinen Amtsgenoſſen, noch ganz urtheilslos gegenüber; er hatte Augen-
blicke, da ihm die mecklenburgiſche Verfaſſung bewundernswerth erſchien,
und wieder andere, da er, wie auch Radowitz **), ſich der harmloſen Hoff-
nung hingab, das regere Leben der Provinziallandtage würde den reichs-
ſtändiſchen Gedanken bald ganz erſticken. Sobald er ſich aber tiefer ein-
arbeitete, gelangte er zu der nüchternen Erkenntniß, daß der Neubau der
ſtändiſchen Verfaſſung auf einem feſten unangreifbaren Rechtsboden ruhen
müſſe. Darum ſchlug er vor (Apr. 1844), aus den Virilſtimmen des
Herrenſtandes und erwählten Abgeordneten der Provinziallandtage einen
Reichstag von etwa 160 Köpfen zu bilden, der aller drei Jahre regel-
mäßig zuſammenträte, um über neue Steuern und Geſetze zu berathen,
über neue Anleihen zu beſchließen. So würden alle Verheißungen der
*) So iſt mir der einſt vielbeſprochene Vorfall von Seiten der Familie des Prä-
ſidenten erläutert worden.
**) Radowitz’s Bericht, 22. Juli 1843.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/280>, abgerufen am 16.02.2025.
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