untersagt. Graf Arnim, der vergeblich abgerathen hatte, berichtete nach einigen Monaten dem Monarchen, durchaus der Wahrheit gemäß: "Von jenem Augenblicke an wendete sich zuerst die Mißstimmung am Rhein, welche bis dahin nur gegen die Minister gerichtet war, auch gegen Ew. K. Maj. (ich kann dies mit Belegen darthun); und nicht blos die Rhein- länder, sondern auch viele Andere beklagten es, daß Ew. K. Maj. bei solcher Veranlassung von der Höhe des Thrones zwischen die Parteien getreten waren."*) Die Bitte des Landtags wurde verdientermaßen abgeschlagen. Savigny hatte einen strengen Tadel beantragt gegen diese Particularisten, die statt eines verbesserten deutschen Strafrechts vielmehr ein neues fran- zösisches Recht forderten;**) und demgemäß sagte der Landtags-Abschied schneidend: "Den Antrag der Stände weisen Wir um so entschiedener zurück, da Wir es Uns zu einer Hauptaufgabe gestellt haben, deutsches Wesen und deutschen Sinn in jeder Richtung zu stärken."
Je weniger Gesetze die Krone vorlegte, um so eifriger beriethen die Landtage über die eingelaufenen Petitionen und zahllose Anträge ihrer eigenen Mitglieder. Die Parteistellung der Provinzen war noch die alte. Am lautesten sprachen die Preußen, die Rheinländer, die Posener, auch die Bürger und Bauern Schlesiens traten schon sehr kräftig auf; schwächer zeigte sich die liberale Stimmung in Westphalen, ganz schwach in Pom- mern, Brandenburg und seltsamerweise auch in der Provinz Sachsen, deren Oppositionslust noch völlig in den kirchlichen Streitigkeiten aufging. Der Antrag auf Einführung von Reichsständen erlangte nur in zwei Provinzen die vorgeschriebene Zweidrittelmehrheit. Die Preußen und die Rheinländer wagten aber schon, der Krone den Weg vorzuzeichnen, der nach Allem was geschehen als der einfachste erschien; sie baten, der König möge den vereinigten Ausschüssen die Rechte der Reichsstände zuweisen und also den Verfassungsbau abschließen. Dazu dann Bitten um Preß- freiheit, um mündliches Gerichtsverfahren, um Oeffentlichkeit der Provin- ziallandtage und der Stadtverordneten-Versammlungen, um Aufhebung der Patrimonialgerichte, um Vermehrung der städtischen und bäuerlichen Abgeordneten, um Erweiterung des Wahlrechts, um Emancipation der Juden, -- und so weiter in endloser Reihe, lauter Herzenswünsche des liberalen Bürgerthums, manche in vier, fünf Landtagen fast gleichlautend ausgesprochen.
Als Arnim dies Chaos überblickte, da konnte er sich schwerer Besorgnisse nicht erwehren und er gab der ständischen Immediatcommission zu er- wägen, ob man nicht das so gröblich mißbrauchte Petitionsrecht der Land- tage einschränken, den Druck ihrer Protokolle scharf überwachen und anderer- seits, zur Belehrung des Volks, die Gesetzentwürfe immer rechtzeitig, vor
*) Graf Arnim, Bericht an den König, 26. Mai 1844.
**) Savigny, Entwurf zu einem Bescheide an den Rheinischen Landtag, Nov. 1843.
V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.
unterſagt. Graf Arnim, der vergeblich abgerathen hatte, berichtete nach einigen Monaten dem Monarchen, durchaus der Wahrheit gemäß: „Von jenem Augenblicke an wendete ſich zuerſt die Mißſtimmung am Rhein, welche bis dahin nur gegen die Miniſter gerichtet war, auch gegen Ew. K. Maj. (ich kann dies mit Belegen darthun); und nicht blos die Rhein- länder, ſondern auch viele Andere beklagten es, daß Ew. K. Maj. bei ſolcher Veranlaſſung von der Höhe des Thrones zwiſchen die Parteien getreten waren.“*) Die Bitte des Landtags wurde verdientermaßen abgeſchlagen. Savigny hatte einen ſtrengen Tadel beantragt gegen dieſe Particulariſten, die ſtatt eines verbeſſerten deutſchen Strafrechts vielmehr ein neues fran- zöſiſches Recht forderten;**) und demgemäß ſagte der Landtags-Abſchied ſchneidend: „Den Antrag der Stände weiſen Wir um ſo entſchiedener zurück, da Wir es Uns zu einer Hauptaufgabe geſtellt haben, deutſches Weſen und deutſchen Sinn in jeder Richtung zu ſtärken.“
Je weniger Geſetze die Krone vorlegte, um ſo eifriger beriethen die Landtage über die eingelaufenen Petitionen und zahlloſe Anträge ihrer eigenen Mitglieder. Die Parteiſtellung der Provinzen war noch die alte. Am lauteſten ſprachen die Preußen, die Rheinländer, die Poſener, auch die Bürger und Bauern Schleſiens traten ſchon ſehr kräftig auf; ſchwächer zeigte ſich die liberale Stimmung in Weſtphalen, ganz ſchwach in Pom- mern, Brandenburg und ſeltſamerweiſe auch in der Provinz Sachſen, deren Oppoſitionsluſt noch völlig in den kirchlichen Streitigkeiten aufging. Der Antrag auf Einführung von Reichsſtänden erlangte nur in zwei Provinzen die vorgeſchriebene Zweidrittelmehrheit. Die Preußen und die Rheinländer wagten aber ſchon, der Krone den Weg vorzuzeichnen, der nach Allem was geſchehen als der einfachſte erſchien; ſie baten, der König möge den vereinigten Ausſchüſſen die Rechte der Reichsſtände zuweiſen und alſo den Verfaſſungsbau abſchließen. Dazu dann Bitten um Preß- freiheit, um mündliches Gerichtsverfahren, um Oeffentlichkeit der Provin- ziallandtage und der Stadtverordneten-Verſammlungen, um Aufhebung der Patrimonialgerichte, um Vermehrung der ſtädtiſchen und bäuerlichen Abgeordneten, um Erweiterung des Wahlrechts, um Emancipation der Juden, — und ſo weiter in endloſer Reihe, lauter Herzenswünſche des liberalen Bürgerthums, manche in vier, fünf Landtagen faſt gleichlautend ausgeſprochen.
Als Arnim dies Chaos überblickte, da konnte er ſich ſchwerer Beſorgniſſe nicht erwehren und er gab der ſtändiſchen Immediatcommiſſion zu er- wägen, ob man nicht das ſo gröblich mißbrauchte Petitionsrecht der Land- tage einſchränken, den Druck ihrer Protokolle ſcharf überwachen und anderer- ſeits, zur Belehrung des Volks, die Geſetzentwürfe immer rechtzeitig, vor
*) Graf Arnim, Bericht an den König, 26. Mai 1844.
**) Savigny, Entwurf zu einem Beſcheide an den Rheiniſchen Landtag, Nov. 1843.
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unterſagt. Graf Arnim, der vergeblich abgerathen hatte, berichtete nach
einigen Monaten dem Monarchen, durchaus der Wahrheit gemäß: „Von
jenem Augenblicke an wendete ſich zuerſt die Mißſtimmung am Rhein,
welche bis dahin nur gegen die Miniſter gerichtet war, auch gegen Ew.
K. Maj. (ich kann dies mit Belegen darthun); und nicht blos die Rhein-
länder, ſondern auch viele Andere beklagten es, daß Ew. K. Maj. bei ſolcher
Veranlaſſung von der Höhe des Thrones zwiſchen die Parteien getreten
waren.“ *) Die Bitte des Landtags wurde verdientermaßen abgeſchlagen.
Savigny hatte einen ſtrengen Tadel beantragt gegen dieſe Particulariſten,
die ſtatt eines verbeſſerten deutſchen Strafrechts vielmehr ein neues fran-
zöſiſches Recht forderten; **) und demgemäß ſagte der Landtags-Abſchied
ſchneidend: „Den Antrag der Stände weiſen Wir um ſo entſchiedener
zurück, da Wir es Uns zu einer Hauptaufgabe geſtellt haben, deutſches
Weſen und deutſchen Sinn in jeder Richtung zu ſtärken.“
Je weniger Geſetze die Krone vorlegte, um ſo eifriger beriethen die
Landtage über die eingelaufenen Petitionen und zahlloſe Anträge ihrer
eigenen Mitglieder. Die Parteiſtellung der Provinzen war noch die alte.
Am lauteſten ſprachen die Preußen, die Rheinländer, die Poſener, auch
die Bürger und Bauern Schleſiens traten ſchon ſehr kräftig auf; ſchwächer
zeigte ſich die liberale Stimmung in Weſtphalen, ganz ſchwach in Pom-
mern, Brandenburg und ſeltſamerweiſe auch in der Provinz Sachſen,
deren Oppoſitionsluſt noch völlig in den kirchlichen Streitigkeiten aufging.
Der Antrag auf Einführung von Reichsſtänden erlangte nur in zwei
Provinzen die vorgeſchriebene Zweidrittelmehrheit. Die Preußen und die
Rheinländer wagten aber ſchon, der Krone den Weg vorzuzeichnen, der
nach Allem was geſchehen als der einfachſte erſchien; ſie baten, der König
möge den vereinigten Ausſchüſſen die Rechte der Reichsſtände zuweiſen
und alſo den Verfaſſungsbau abſchließen. Dazu dann Bitten um Preß-
freiheit, um mündliches Gerichtsverfahren, um Oeffentlichkeit der Provin-
ziallandtage und der Stadtverordneten-Verſammlungen, um Aufhebung
der Patrimonialgerichte, um Vermehrung der ſtädtiſchen und bäuerlichen
Abgeordneten, um Erweiterung des Wahlrechts, um Emancipation der
Juden, — und ſo weiter in endloſer Reihe, lauter Herzenswünſche des
liberalen Bürgerthums, manche in vier, fünf Landtagen faſt gleichlautend
ausgeſprochen.
Als Arnim dies Chaos überblickte, da konnte er ſich ſchwerer Beſorgniſſe
nicht erwehren und er gab der ſtändiſchen Immediatcommiſſion zu er-
wägen, ob man nicht das ſo gröblich mißbrauchte Petitionsrecht der Land-
tage einſchränken, den Druck ihrer Protokolle ſcharf überwachen und anderer-
ſeits, zur Belehrung des Volks, die Geſetzentwürfe immer rechtzeitig, vor
*) Graf Arnim, Bericht an den König, 26. Mai 1844.
**) Savigny, Entwurf zu einem Beſcheide an den Rheiniſchen Landtag, Nov. 1843.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/276>, abgerufen am 03.07.2024.
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